Mittwoch, 11. Juni 2014

Von der Anstrengung, Strauss zu mögen


Leonard Bernstein & New York Philharmonic Orchestra 
Walzer aus "Der Rosenkavalier" von Richard Strauss, 1967

Ist Richard Strauss die Helene Fischer des „klassischen“ Konzertsaals? Ich habe darüber keine Ahnung. Ich kenne die Dame nur von meinen Übungen, ein paar offene Türen schnell fest zuzumachen, wenn jemand das Kulturprogramm eines mitteldeutschen Fernsehsenders hört.

Oder eher dessen Ludovico Einaudi? Nein, das wäre selbst für meine Verhältnisse zu hemdsärmelig. Der Mann sagt nämlich sehr kluge Dinge, nicht selten, aber die Musik! Ich habe mich kürzlich durch 7 Tonträger gehört und fühlte mich anschließend etwas, nun ja, leer und betäubt (gut, andere gebären dazu beglückt, aber diese Versuchung wird mir zum Glück auf ewig verschlossen bleiben). Nein beide verbindet wohl nur, sie haben unmoderne Einfälle, doch Strauss macht daraus großes Theater, und bei Herrn Einaudi fragt man sich ständig, 'wunderbar, und wann geht es nun endlich los?', nun ja. Aber ein schönes Zitat muß doch noch sein:

"Mir kam meine Welt immer seltsamer vor... Wir hatten kein Publikum, kein normales jedenfalls. Und ich fand, dass die komplexen Kompositionsmethoden in keinem Verhältnis standen zum Ergebnis." Mich deucht allerdings andererseits, daß bei ihm vor lauter Meditation nichts stattfindet, das vorangeht, nichts sich entwickelt, was bedauerlich ist, wo doch die Ideen dazu wie Kieselsteine in einem Bach herumliegen.

Aber all diese belanglosen Bemerkungen sind nur verursacht durch ein paar Jubiläumsartikel (bekanntlich wurde Richard Strauss am 11. Juni 1864 in München geboren), über die ich mich hauptsächlich geärgert hatte (über die „längst gipsern hohl gewordene(n) Harmonie-Antike“ etwa oder das "Unbehagen an der Unmoral und Unernsthaftigkeit dieses ambivalenten Menschen"), denn ein untergründig verdächtigender Vorwurf ist seine ungebrochene Popularität. Aber bevor dies weit vor sich hin mäandert das letzte seiner „vier letzten Lieder“, mündend in „transzendentes Des-Dur“ (diese schöne Wendung fand ich an diesem Ort).  Ich habe mich länger nicht entschließen können, welche Interpretation ich zitieren soll, eine von Elisabeth Schwarzkopf findet sich nach diesem Link, eine bemerkenswert andere von Jessye Norman hier).

"Im Abendrot"  
(Joseph von Eichendorff)

Wir sind durch Not und Freude
gegangen Hand in Hand;
vom Wandern ruhen wir [beide]
nun überm stillen Land.

Rings sich die Täler neigen,
es dunkelt schon die Luft.
Zwei Lerchen nur noch steigen
nachträumend in den Duft.

Tritt her und laß sie schwirren,
bald ist es Schlafenszeit.
Daß wir uns nicht verirren
in dieser Einsamkeit.

O weiter, stiller Friede!
So tief im Abendrot.
Wie sind wir wandermüde--
Ist dies etwa der Tod?

"At sunset"

We have through sorrow and joy
gone hand in hand;
From our wanderings, let's now rest
in this quiet land.

Around us, the valleys bow
as the sun goes down.
Two larks soar upwards
dreamily into the light air.

Come close, and let them fly.
Soon it will be time for sleep.
Let's not lose our way
in this solitude.

O vast, tranquil peace,
so deep in the evening's glow!
How weary we are of wandering---
Is this perhaps death?

Übersetzung hier gefunden


Kirsten Flagstad, "Im Abendrot",
aus Richard Strauss, "Vier Letzte Lieder"

Aber da ich eine Schwäche für Jessye Norman habe, auch noch das vorletzte der letzten Lieder:

"Beim Schlafengehen"
(Hermann Hesse)

Nun der Tag mich müd gemacht,
soll mein sehnliches Verlangen
freundlich die gestirnte Nacht
wie ein müdes Kind empfangen.

Hände, laßt von allem Tun
Stirn, vergiß du alles Denken,
Alle meine Sinne nun
wollen sich in Schlummer senken.

Und die Seele unbewacht
will in freien Flügen schweben,
um im Zauberkreis der Nacht
tief und tausendfach zu leben.

"Going to sleep" 

Now that I am wearied of the day,
my ardent desire shall happily receive
the starry night
like a sleepy child.

Hands, stop all your work.
Brow, forget all your thinking.
All my senses now
yearn to sink into slumber.

And my unfettered soul
wishes to soar up freely
into night's magic sphere
to live there deeply and thousandfold.

Übersetzung ebenfalls von hier


Jessye Norman, "Beim Schlafengehen"
aus Richard Strauss, "Vier Letzte Lieder"

Um kurz zu den erwähnten Artikeln zurückzukehren: Von seinem Charakter weiß ich zu wenig, um darauf ein Gesamturteil zu stützen (und was ich gelesen habe, überzeugt mich spärlich; außerdem ist es ein kindischer Gedanke, daß ein exzeptioneller Mensch in jeder Hinsicht herausragend sein müsse, im Gegenteil wird das Vordringen zu bestimmten „Höhenzügen des Menschlichen“ oft durch Defizite woanders „erkauft“), aber sein „Verrat“ an der Moderne, und das ist ja wohl der Hauptvorwurf, verdient eine Bemerkung.

Hinter der seriellen Musik (kürzen wir das alles gedankenträge mit dieser Glyphe ab) mag es jeweils eine wohldurchdachte Struktur geben. Aber ein anderes wurde dabei aus dem Auge verloren. Ein klar und interessant strukturierter Code, der mich in variantenvoller Weise verschiedensten Elektroschocks aussetzt, wird zwar in diesen wirren Zeiten wohl auch noch als Kunst durchgehen, aber muß ich mich diesem anschließen?

Strauss sei an der Moderne mehr entlanggeschrammt, habe mit dem „Abgrund“ kokettiert (Elektra, Glenn Gould), kurz hineingeschaut, sich dann aber abgewandt und Eingängigerem zugewandt; das fand der Abgrund nicht nett.

Warum ich Strauss nur zögerlich mag, wie ich eingestehe? Wahrscheinlich ist er mir letztlich zu modern (auch in seiner Flexibilität). Aber in ihren tieferen Momenten verkörpert seine Musik mit aller Klangpracht bewegende Einsichten. Einer der dümmeren Vorwürfe lautet, er habe es etwa mit den „Metamorphosen“ gewagt, über die verbrannten Opernhäuser zu klagen, angesichts von... (man darf die bekannten Textbausteine einfügen).

Als ob der Verlust des Geistigen, des gesteigert Kulturellen, also des erhobenen Menschlichen, nicht vor allem ein zutiefst menschlicher Verlust wäre. Wer dem eine Sprache geben konnte, mag so oberflächlich denn doch nicht gewesen sein.


Richard Strauss: „Tod und Verklärung“


Richard Strauss: „Metamorphosen für 23 Solostreicher“

nachgetragen am 13. Juni

3 Kommentare:

Walter A. Aue hat gesagt…

Ich verstehe kaum etwas von Musik und ich habe steinerne Ohren. Das einzugestehen gibt mir die Freiheit, eine rein persoenliche Bemerkung ueber die "Metamorphosen" zu machen.

Meiner Meinung nach sind die "Metamorphosen" das letzte, grosse Werk (und das Ende) dessen, was ich unter dem Ehrentitel "Abendlaendische Musik" einreihe.

Der Rest ist Schweigen - oder, wie Ortega y Gasset einmal sardonisch formulierte, das Gewaule von Katzen.

naturgesetz hat gesagt…

I've been a bad follower, setting aside a number of posts in order to give full consideration and a good reply. Maybe I'll still set aside the time they deserve.

Meanwhile, however, after merely skimming this post and Prof. Aue's comment, I'll say that I'm of two minds about Strauss. I don't especially like some of his best known pieces, such as Till Eulenspiegel, Alpensymphonie, Salome, Don Juan. But the first horn concerto, Ariadne auf Naxos*, and the post WWII works seem really worth hearing. I'm not sure what got into him for much of his career, but fortunately he overcame it or set it aside at times.

* I attended a performance by the BOston Symphony many years ago. I expected to dislike it, but it turned out to be delightful.

Walter A. Aue hat gesagt…

Ich habe mein Kommentar durch Zufall wieder gelesen und mir fiel auf, das man meinen letzten Satz auch misinterpretieren koennte. Der "Rest", der Schweigen ist, ist nicht der Rest des Werkes von Richard Strauss - bei dem mir vieles, wenn auch nicht alles sehr gut gefaellt, sondern bezog sich - wie bei Gasset, als er ueber "das Ende der Kunst" philosophierte - auf die "moderne" abendlaendische, oft "akademische", "high-brow music". Das "Ende der Musik" war daher sehr zeitlich gemeint...