Donnerstag, 18. Juni 2015

Über die Befreiungskriege - ein anderer Nachtrag

 Woldemar Friedrich: Unterredung mit Napoleon in Tilsit, 1807 
aus: "Die Königin Luise in 50 Bildern für Jung und Alt", 1896.

Und zurück in den „Bildersaal deutscher Geschichte“ von 1890:

"Und nun zeigte sich in Paris der Unterschied der Völker. Die Preußen hatten mit ihrem König die Schmach von Jena und Tilsit erlitten, mit ihm geduldet und gehofft, für ihn und ihr Vaterland Gut und Blut dahingegeben; die Franzosen waren durch Napoleon zu den Herren der Welt erhoben worden, und so lange er glücklich war, standen sie zu ihm; jetzt aber war er gefallen, den Gefallenen trat die Niedertracht des Senats und des gesetzgebenden Körpers, die beide geschaffen, dessen Glieder nichts als Werkzeuge seines Willens gewesen, in den Kot. Sie erklärten ihn und seine Familie des Throns verlustig; vergessen war, was er Gutes, was das frühere Geschlecht der Könige Böses getan, die Bourbonen kehrten auf den Thron zurück.

Am 11. April 1814 ward Napoleon entthront; ein Bourbone, Ludwig XVIII., ward König von Frankreich. Napoleon empfing für die Dauer seines Lebens die Insel Elba als souveränes Fürstentum.

So war Napoleon gefallen. Welch ein Lebensgang! Leutnant der Artillerie, General der Revolutionsheere, Konsul, Kaiser der Franzosen, Imperator Europas, Fürst der kleinen Insel Elba. Er hat wahrgemacht, was 1789 der Goldarbeiter Isnard [wohl der Parfümhändler Maximin Isnard] in der Nationalversammlung verkündet, 'daß die Franzosen im stande wären, das Angesicht der Welt umzugestalten und alle Tyrannen auf ihren Thronen erbeben zu machen'. In ihm war eine dämonische Kraft, Heere und Völker seinem Willen zu unterwerfen. Er hat viel zerstört und vernichtet, doch auch nicht wenig gebaut und gepflanzt.

Er hätte der Welt für seine Zeit und alle Zeit ein Segen werden können, er ward es nicht; denn sein Charakter war wirklich so, wie ihn die Königin Luise im Frühjahr 1810 in einem Brief an ihren Vater geschildert: 'Er meint es nicht redlich mit der guten Sache und mit den Menschen. Er und sein ungemessener Ehrgeiz meint nur sich selbst und sein persönliches Interesse. Er ist von seinem Glück geblendet und meint alles zu vermögen." Und darum war auch das in Erfüllung gegangen, was die Königin weiter gesprochen: 'Dabei ist er ohne alle Mäßigung und wer nicht Maß halten kann, verliert das Gleichgewicht und fällt.'

Am 30. Mai 1814 schlossen die Verbündeten mit der neuen königlichen Regierung in Frankreich den Pariser Frieden, durch den das Staatensystem Europas in seinen Grundzügen neu aufgestellt und durch die Mächte gesichert ward. Diesen Friedensvertrag zu vervollständigen, sollten alle an dem Krieg Beteiligten binnen zwei Monaten nach Wien Bevollmächtigte zu enem allgemeinen Kongresse schicken.

Und nun kehrten auch die kriegsmüden Sieger heim ins Vaterland, zu Weib und Kind, zu Vater, Mutter und Braut, um den eigenen Herd, den der lange Krieg zertrümmert, neu aufzubauen. Mit welcher Begeisterung wurden sie empfangen! Der schwere Druck, der auf der Brust so lange Jahre schwer gelastet, war weg; das Herz schlug nun freier und fröhlicher, und heiter und glücksgewiß schaute der Blick vorwärts in bessere Zeit...

Im September 1814 trat der Wiener Kongreß zusammen; er sollte Europa einen dauernden Friedenszustand schaffen, doch entstand schon in kurzer Zeit unter den Mächten wegen der Behandlung von Polen und Sachsen so viel Streit und Widerwärtigkeit, daß sich gegen Preußen und Rußland ein neuer Kriegsbund vorbereitete.“

Hier verlassen wir das Jahr 1814 und zunächst auch den „Bildersaal“ für den Moment. Es wird wahrscheinlich deutlich geworden sein, warum ich aus dem o.g. Buch seitenweise zitiere. Der „Bildersaal“ war vermutlich das populärste Geschichtsbuch des gebildeteren Teils der Gesellschaft des 2. Kaiserreichs und blieb dies über dessen Untergang 1918 hinaus. Die Befreiungskriege waren die eigentliche Geburtsstunde des deutschen Nationalbewußtseins, das im Deutschen Reich seine endliche Heimstatt gefunden zu haben hoffen durfte.

Ruft man sich jüngere „offiziöse“ Geschichtsdarstellungen (bis heute) ins Gedächtnis, so müßte hier eine einseitig eingefärbte, glatte, ja selbstgefällig polemische Darstellung vorzufinden sein, die es aber schlicht nicht gibt. Was es gibt, ist Verständnis für den Unterlegenen, Bedauern über vertane Chancen etwa; lauter solche gar nicht propagandistischen Sachen. Was für einen Absturz auch in dieser Hinsicht das nachfolgende Jahrhundert doch mit sich gebracht hat.

wird fortgesetzt 

Johann Michael Voltz: Aufstieg und Niederfall Napoleons, 1814

nachgetragen am 2. Juli 2015

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