Neustrelitz, Schloß und Schloßkirche, etwa 1900
Im September erst fragte ich mich eher resignierend: Wozu braucht ein Mensch ein Schloß? Und warum hingen viele Neustrelitzer immer noch an einem Bau, der lange verloren sei? Um mir selbst zu antworten: Vielleicht weil sich für sie in ihm auch ein Sehnsuchtspunkt sammele, all der verlorenen Orte, die ein Mensch mit sich umhertrage? Eine Art von Heimat.
Es war meine Schlußbemerkung dazu, wie mit den auftauchenden Schloßfragmenten bei der Erneuerung des Schloßgartens offenkundig umgegangen wurde. Das sah nicht unbedingt nach einer erfreulichen Geschichte aus. Und davon gibt es einige.
Bekanntlich haben die gruseligsten Projekte zum Schloßberg existiert, die glücklicherweise alle gescheitert sind. Ich erinnere nur an die grandiose Idee, dort oben überdimensionale Fahnenmasten einzurammen, die den Raum erlebbar machen sollten. Die Fahnen hätten sicher fröhlich bei stärkerem Wind die Umgebung terrorisiert, eine Kombination aus Reichsparteitagsgelände und einer Batterie von Windrädern gewissermaßen, wunderschön.
2 Monate später sind wir unerwartet weiter.
„Land gibt noch mehr Geld für Turmbau“, verkündete unser lokaler Beobachter vor 2 Tagen. Was war geschehen? Vergangenen Montag hatte die SPD-Stadtvertreterfraktion öffentlich ins Neustrelitzer Rathaus geladen. Es ging wieder um den Schloßberg und anwesend war u.a. Finanzminister Brodkorb aus Schwerin. Offen gestanden, hat er mich überrascht.
Er zeichnete zunächst nach, was er vorfand. Daß die erhaltenen Keller des Baus von 1909 keinen besonderen historischen Wert erkennen ließen und die Planungen daher für ihn plausibel waren. Er habe aber lernen müssen, daß sie als letzter orginaler Baurest des Schlosses einen ideellen Erinnerungswert hätten, den er unterschätzt habe. Darum gäbe man die geplante Zuschüttung der Kellergewölbe auf.
Mehr noch, er erwähnte die bis heute oft gespannte Beziehung der beiden Residenzstädte (ob zurecht oder nicht, fügte er an), dieses Unverhältnis müsse endlich enden, es sei Zeit für eine Versöhnung. Später brachte er sogar die Idee einer künftigen Städtepartnerschaft zwischen Schwerin und Neustrelitz auf, was allgemeine Heiterkeit (und bei mir amüsiertes Kopfschütteln) auslöste. Darum sei das Ministerium bereit, nicht nur zentrale Elemente seiner Planungen aufzugeben, sondern einen Vorschlag aufzugreifen, der aus Neustrelitz gekommen sei (es handelt sich um den Werdermann / Peters - Entwurf, dazu gleich Näheres), als eine Art Friedensangebot.
Nun ist meine Neigung zur Naivität durch die Jahre hin sehr geschwunden, aber das will ich gern beiseite lassen. Brodkorbs Vision der Versöhnung ist eine in sich stimmige Erzählung, die deshalb überzeugt.
Neustrelitzer Residenzschloss Postkarte, koloriert, 1913
Der Werdermann / Peters - Entwurf
Die Herren Werdermann und Peters haben etwas sehr Verdienstvolles zustande gebracht: Sie legten einen mit Fakten untersetzten Sachvorschlag vor, der im Bereich des gegenwärtig Realisierbaren liegt und offenbar seine Wirkung nicht verfehlte.
Punkt 1 (der von dem Bauunternehmer und FDP-Stadtvertreter Bernd Werdermann in der o.g. Veranstaltung erneut erläutert wurde) kurz zusammengefaßt:
Die erhaltenen Keller sind von der Bausubstanz her weit mehr intakt als behauptet. Um für die Zukunft aber Möglichkeiten offen zu lassen und weil die preußischen Kappendecken keine Lasten mehr tragen könnten, plädiert er für eine sog. Huckepackdecke. Eine Stahlbetondecke würde über die Kellergewölbe gelegt, an der die Originaldecke aufgehängt würde, so seien die Keller gesichert, wasserdicht und belastbar, auch für spätere Zeiten über die darüber gegenwärtig geplante Grünanlage hinaus.
Der Punkt 2 wurde vom Neustrelitzer Architekten Christian Peters vorgetragen. Im Kern geht es um eine Wiedererrichtung des Hauptturmes des Residenzschlosses und die Zugänglichmachung der Kellerräume. Dieser Turm solle zwar an das Original erinnern, aber nicht exakt originalgetreu. Es ginge um „Erinnerungsarchitektur, die in vereinfachter Form aber in selber Größe und am selben Standort die Silhouette des verschollenen Schlosses aufzeigt”. Das Zitat stammt zwar von woanders her, faßt aber das Anliegen gut zusammen. Immerhin fiel nicht das Stichwort: „In der Kubatur von...“, aber auch darauf wollen wir noch zurückkommen.
Schloß Neustrelitz, Park-Ansicht Turm, Farbfoto um 1940
Die Finanzzusage
Hier muß ich etwas vorsichtiger werden und eher rekapitulieren, was ich im Anschluß gelesen habe (ursprünglich wollte ich hier gar nicht dazu schreiben). Das Land würde die durch die veränderten Planungen angestiegenen Kosten für die Sicherung und Begehbarmachung der Schloßkeller weiter komplett übernehmen, so Brodkorb. Am Wiederaufbau des Schloßturms wolle man sich mit 2 Millionen beteiligen, die gleiche Summe müßte Neustrelitz aufbringen.
Nun hatte auch ich ihn so verstanden, daß die 1 Million vom Wirtschaftsministerium, die auf einmal im Raum stand (aus welchen Gründen immer) in diesen Eigenanteil der Stadt eingehen sollte, so daß noch ca. eine Million Euro für die Stadt verbliebe, die sich auf EU- und Bundesmittel, städtische Mittel sowie Spendengelder aufteilen könnten. Andererseits lese ich, die Gesamtsumme, von der derzeit die Rede sei, wäre auf 9 Millionen Euro angewachsen, wovon nach aktuellem Stand 2 Millionen durch die Stadt aufzubringen wären. Wie auch immer, das wird sich bis zum 13. Dezember sicher aufklären lassen (auch dazu gleich mehr).
Weiterhin führte Minister Brodkorb aus, daß derartige Gemeinschaftsprojekte geradezu dazu einlüden, sich anschließend über Details zu verzanken. Das ist in der Tat so. Darum biete er der Stadt an, den Schloßberg vom Land für einen Euro übertragen zu bekommen. So könnten die Neustrelitzer Bürger anschließend frei über die weitere Gestaltung bestimmen. Natürlich käme da schnell der Verdacht auf, das Land wolle sich nur aus der Verantwortung stehlen. Deshalb solle es parallel dazu eine Selbstverpflichtung des Landes geben, sich auch nach der Eigentumsübertragung an die Stadt finanziell an der Pflege und Gestaltung dieses bedeutsamen Landeserbes zu beteiligen.
Allerdings gelte diese Zusage des Landes nur bis Ende dieses Jahres. Förderperioden würden auslaufen, der nächste Doppelhaushalt müßte im kommenden Jahr aufgestellt werden. Die Stadtverordneten sollten in der Lage sein, in einem Grundsatzbeschluß zu bekunden, ob sie dieses Angebot annehmen und den Turm haben wollten oder nicht, wie immer der dann konkret aussehen solle, darin würde er sich auch nicht mehr einmischen.
Ich deutete bereits an, daß die Äußerungen des Finanzminister mich in ihrer nüchternen Klarheit überrascht und beeindruckt haben, und ich bin nicht leicht zu beeindrucken. Eine Stadtvertretersitzung, auf der dieser Beschluß herbeigeführt werden könnte, wäre am 13. Dezember.
Ein Turm der Erinnerung
Residenzschloßverein: „digitalisierte Darstellung
der oberen Geschosse des stadtbildprägenden Schloßturmes,
Realisierung durch Architectura Virtualis“
der oberen Geschosse des stadtbildprägenden Schloßturmes,
Realisierung durch Architectura Virtualis“
Womit ließe sich ein solcher Turm füllen. Nun, erst einmal wäre er eine Landmarke und ein Erinnerungsmal. Auf einmal würde wieder spürbar, wozu sich Neustrelitz Residenzstadt nennt. Der Schloßgarten wäre ganz anders erlebbar und seine Geschichte hätte einen Ort, an dem sie angemessen und blicknah dargestellt werden könnte. Das verlorene Schloß könnte vor dem inneren Auge wiedererstehen. Und an einem solchen „Exponat“ wird tatsächlich schon gearbeitet.
Der Residenzschloßverein will „das zerstörte Neustrelitzer Residenzschloss virtuell wiederauferstehen“ lassen. „Mit Hilfe von Spenden durch Bürger, Betriebe und Einrichtungen der Region konnte ein erster Teilabschnitt, der obere Teil des Schlossturmes, realisiert werden… Die digitale Darstellung unseres Neustrelitzer Residenzschlosses soll nun abschnittsweise vervollständigt werden.“ Der Verein bittet darum, durch weitere Spenden dieses Vorhaben voranzubringen und eine Gesamtvisualisierung des Schlosses Wirklichkeit werden zu lassen.
„Wir wollen den Besuchern vermitteln können, welcher architektonischer Schatz dort am Ende des Zweiten Weltkriegs und vor allem danach zerstört worden ist”, so Jürgen Haase, der Vorsitzende des Residenzschloßvereins. Dieses Projekt dient nicht nur der virtuellen Kontemplation, sondern hat auch eine praktische Seite: Der Residenzschlossverein wirbt für eine originalgetreue Rekonstruktion des Turmes. Und wenn ich es richtig verstanden habe, will er zumindest eine Lösung, die auch eine schrittweise Annäherung an dieses Ziel möglich macht. In diesem wichtigen Punkt widerspricht er dem Werdermann / Peters - Vorschlag.
Herr Peters möchte eine „Erinnerungsarchitektur, die in vereinfachter Form aber in selber Größe und am selben Standort die Silhouette des verschollenen Schlosses aufzeigt”. Nun ist deren bis jetzt bekannte Visualisierung wohl eher als Skizze zu verstehen und daher nicht ganz konkurrenzfähig, aber ich wäre überrascht, wenn sich eine wie immer geartete Erinnerungsarchitektur dem Original gewachsen zeigte.
Jedenfalls als es darum ging, ob, und wenn ja wie, man das im letzten Krieg zerstörte Goethehaus in Frankfurt am Main wieder aufbauen solle, gab es auch eine heftige Debatte. Es wurde dann wieder aufgebaut und nicht „in der Kubatur“ des alten Hauses, sondern originalgetreu. Und ich mußte vor kurzem jemandem nach seinem Besuch dort erklären, daß es tatsächlich ein Neubau sei, er wollte es mir zunächst nicht glauben und dachte, es hätte ihn auf wundersame Weise überstanden.
In die weitere Debatte nach einem Grundsatzbeschluß, den die Stadtvertretung in ihrer kollektiven Weisheit hoffentlich positiv fassen wird (meine Worte), wolle sich Minister Brodkorb dann nicht mehr einmischen. Er wußte wohl, wovon er da sprach. Wir wollen hier lieber enden.
Allerdings mit einem wundervollen Zitat von Hermann Hesse aus einem Brief, den er 1947 an das Freie Deutsche Hochstift schrieb, nachdem dieses nach seiner Meinung über eine mögliche Rekonstruktion des Goethehauses in Frankfurt am Main gefragt hatte:
„Soll man rekonstruieren? Ich muß die Frage, ob auch ich diese Aufgabe als lebenswichtig, ja heilig anerkenne, rückhaltlos bejahen. Vielleicht ist die Zahl der Menschen, in Deutschland wie außerhalb, heute noch nicht so sehr groß, welche vorauszusehen vermögen, als welch vitaler Verlust, als welch trauriger Krankheitsherd sich die Zerstörung der historischen Stätten erweisen wird. Es ist damit nicht nur ein großes, edles Gut vernichtet, eine Menge hoher Werte an Tradition, an Schönheit, an Objekten der Liebe und Pietät zerstört; es ist auch die bildende und durch Bilder erziehende Umwelt der künftigen Geschlechter, und damit die Seelenwelt dieser Nachkommen, eines unersetzlichen Erziehungs- und Stärkungsmittels, einer Substanz beraubt, ohne welche der Mensch zwar zur Not leben, aber nur ein hundertfach beschnittenes, verkümmertes Leben führen kann.“
Johann Sebastian Bach, Cantata BWV 21: Ich hatte viel Bekümmernis
1 Kommentar:
1913 das letzte große Jahr einer eigenen Welt - und seit 1918 war dann, wie jemand sehr schön bemerkt hat, "alles egal". Darüber kann man gar nicht genug meditieren, gerade beim Betrachten der geposteten Bilder.
Kommentar veröffentlichen