Wissower Klinken, April 2004
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Am 24. Februar 2005 stürzten die Wissower Klinken ins Meer und die Insel Rügen verlor eines ihrer Wahrzeichen, bei einem nachfolgenden Abbruch wurde sogar eine junge Frau erschlagen. Vor 69 Millionen Jahren aus den Überresten winziger Tiere wie etwa Kalkalgen entstanden, wurden die Kreideschichten mit dem Ende der letzten Eiszeit emporgehoben. Seitdem nagt die Erosion daran und es kommt immer wieder zu Abbrüchen, vor allem, wenn in Winter und Frühjahr Schnee- und Regenwasser gefriert und auf die Kreide drückt, die dann bei Tauwetter herabstürzt. Diese beiden Bilder zeigen jeweils den Zustand vor und nach diesem Ereignis.
Wissower Klinken, August 2005
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Es wurde damals allgemein beklagt, daß damit das Vorbild für Caspar David Friedrichs Gemälde "Kreidefelsen auf Rügen" untergegangen und der Ort gewissermaßen nur noch in der Kunst erhalten geblieben sei. Wenden wir uns doch etwas näher diesem berühmten Bild zu, schließlich ist das der Anlaß dieser Bemerkungen.
Vor uns tritt die fröhliche Farbigkeit eines Hochzeitsbildes, hätten wir ein Bild wählen wollen, das dem kürzlich gezeigten nahesteht, hätten wir ein anderes aufsuchen müssen, aber wir mochten noch nicht. Denn hier ist alles licht und klar, unbeschwert und entspannt und atemberaubend, die Aussicht meine ich.
Ein Hochzeitsbild? Nun, es ist nach einer Hochzeitsreise entstanden, die ihn und seine Frau Caroline Bommer 1818 über Greifswald, Wolgast und Stralsund nach Rügen brachte, es befindet sich heute im Museum Oskar Reinhart in Winterthur. Die Farben leuchten, die Landschaft ist spektakulär, die Gesellschaft gelöst, so heiter gelöst, daß sie sich einen kleinen Nervenkitzel gönnt. So könnte man meinen.
Ich glaube, Friedrich wollte ein Bild malen, das einen freundlichen ersten Blick bereithält, vielleicht für die vielen, die Kunst nur als Dekoration auffassen können und die alles weitere verschrecken würde.
In der Kunst sind bekanntlich 2 Dinge ganz hilfreich, Wissen und Sehen können. Nicht leidlich hinreichend zu wissen, also wurstige Ignoranz, ist schon recht fatal, aber nicht sehen zu können, macht die Sache aussichtslos. Und da gestehe ich, dankbar zu sein, mir von jemandem wie Helmut Börsch-Supan Dinge zeigen lassen zu dürfen.
Also schauen wir genauer hin, eine Frau in Rot (wohl seine Gattin, in einer Farbe, die in seiner Farbsymbolik für die Liebe steht), sie hat einen halbwegs sicheren Platz eingenommen und hält sich an einem nahezu verdorrten Strauch fest, aber sie zeigt auf etwas mit einer mitteilsamen Geste, sucht also nach einem Gespräch.
Die mittlere Gestalt, wohl Friedrich selbst, ist über den Abgrund gebeugt und schaut gefangen in die Tiefe, klammert sich dabei ans Gras, den Hut demütig neben sich, sein Rock im Blau des Glaubens, das ihn mit Himmel und Meer verbindet.
Die dritte Gestalt sucht keinen Halt, gegen einen Baumstumpf gelehnt, einen Fuß hinter dem Abgrund, von ein paar dürren Zweigen gestützt, blickt er über den Abgrund hinweg in die Ferne, vielleicht zu den Schiffen, vielleicht in den Himmel, eher noch durch dieses hindurch ins Unbestimmte. Sieht er in den Schiffen ein Sinnbild der Seele, die ins Ewige aufbricht. Diese Zweige könnten jederzeit brechen.
Die Ausflugsgesellschaft hat sich also nahe am Abgrund angesiedelt, die heitere Farbigkeit läßt daran zunächst gar nicht denken, vielleicht auch, weil das Gras am Rande eine Vertrautheit vortäuscht, die keinerlei Sicherheit bietet, im Gegenteil, nackter Fels wäre sicherer.
Zum vertrauenerweckenden Gras fällt mir etwas Kurioses ein:
Als ich vor Jahren einmal auf den „Cliffs of Moher“ stand, die sich an der irischen Westküste befinden und um einiges eindrucksvoller sind als unsere Rügen’sche Kreideküste, tat ich das, was alle taten, ich ging vor und nicht hinter der Begrenzungsmauer entlang, die sich über einige Entfernung dort oben entlangzieht.
Dieses Bild gibt einen noch sehr geschmeichelten Eindruck von dem Abstand zur Abbruchkante wieder, zumal man ja auch gelegentlich Entgegenkommenden ausweichen mußte. Es gab auf dem Weg durchaus Stellen, wo dieser schmale Streifen bis zur kniehohen Mauer weggebrochen war, da mußte man dann wohl oder übel über diese zurücksteigen. Allerdings dort, wo keine Grasnarbe war und man trotzdem in die Tiefe schauen wollte, da kroch man, was heißt man, ich auf dem Bauch bis an den Abgrund. Und ich muß dazu sagen, daß ich üblicherweise beträchtliche Höhenangst habe.
Ich bin abgeschweift, vielleicht. Unser heiteres Bild scheint uns etwas Tieferes sagen zu wollen, nicht daß dies jedem auffallen würde, für eine Verfasserin von Artikeln war er der „traurigste, schwermütigste, kindlichste deutsche Künstler“, vermutlich so kindlich wie Hölderlin. Die Begegnung mit Friedrich ist mitunter wirklich mühsam, aber da mußte ich schallend lachen.
Es gibt einen Hymnus, der diesem Bild kongenial ist, ein sehr hintergründiger und auch umstrittener, wie könnte es anders sein:
Media vita in morte sumus,
Quem quaerimus, adiutorem nisi te, Domine?
Qui pro peccatis nostris iuste irasceris.
Sancte Deus, sancte fortis,
Sancte misericors Salvator,
Amarae morti ne tradas nos.
In te speraverunt patres nostri,
Speraverunt et liberasti eos.
Sancte Deus, Sancte fortis…
Ad te clamaverunt patres nostri,
Clamaverunt et non sunt confusi.
Sancte Deus, Sancte fortis…
Gloria Patri, et Filio, et Spiritui Sancto.
Sancte Deus, Sancte fortis…
Zu Deutsch: „Mitten wir im Leben sind von dem Tod umfangen…“
Der Tod, der Abgrund ist immer einen halben Fußbreit vor uns. Vielleicht wollte uns C. D. Friedrich auch einfach nur 3 Arten zeigen, wie darauf geantwortet werden kann, zumal in einer sehr heiteren Weise.
Übrigens sind die Wissower Klinken wahrscheinlich erst nach seinem Gemälde in ähnlicher Form entstanden, der Ausgangspunkt dafür existiert noch wenige Kilometer nördlich an der sogenannten Victoria-Sicht, aber er hat wie immer natürlich einiges dazuphantasiert.
4 Kommentare:
Translation tomorrow, sorry and
Good night.
About abysses - Caspar David Friedrich - fig. 2
Translation part 1
On February 24 2005 the “Wissower Klinken” (http://en.wikipedia.org/wiki/Wissower_Klinken) fell into the sea and the island of Rügen (http://en.wikipedia.org/wiki/R%C3%BCgen) lost one of its landmarks, in a following abruption even a young woman was killed. 69 million years ago build from the remnants of tiny animals like chalk algae (http://en.wikipedia.org/wiki/Chalk) the chalk layers were raised with the end of the last ice age. Since then the erosion gnaws on it and it comes again and again to ruptures, above all, when in winters and spring snow and rain water freeze and press on the chalk, which falls down then with thaw. These two pictures show the conditions before and after this occurrence.
It was generally bemoaned at that time that thereby the model for Caspar David Friedrich’s painting “Chalk Cliffs on Rügen” (http://en.wikipedia.org/wiki/Chalk_Cliffs_on_R%C3%BCgen) perished and the place to a certain extent remained only regarding the art. Let us have a closer look at this famous picture, finally it is the cause of these remarks.
It appears to us the merry colouredness of a wedding picture, if we would have wanted to choose a picture close to the recently shown, we would have had to visit another, but we did not want yet. Because here is all bright and clear, jauntily and relaxed and breath-taking, the prospect I mean.
Part 2
A wedding picture? Well, it was painted after a wedding journey, which brought him and his wife the former Ms. Caroline Bommer in 1818 over Greifswald, Wolgast and Stralsund to Rügen; it is today in the museum Oskar Reinhart in Winterthur. The colours shine, the landscape is spectacularly, the society solved, so cheerfully solved that they grant themselves a little thrill. So one could think.
I believe Friedrich wanted to paint a picture, which holds a friendly first view, perhaps for the many, who are able to understand art only as a decoration and would to be frighten if they have to see more.
In art as well known 2 things are completely helpful, knowledge and seeing. Not to know reasonably sufficiently, thus couldn’t-care-less ignorance is already fatal, but not to be able to see, this thing makes offering prospects hopeless. And therefore I confess to be grateful Helmut Börsch-Supan shows me some things.
So let us look more exactly: A lady in red (probably his wife, in a colour, which stands in his colour symbolism for love), who took a halfway safe place and hold on to an almost withered bush, but she pointed at something with a communicative gesture, thus she is looking for a conversation.
The man in the middle, probably Friedrich himself, is bent over the abyss and looks magnetized into the depth, seeks for a foothold by clasping in the grass (a symbol of the transitoriness of life?), his hat lies beside him as a sign of humility, his clothes are in the blue of the faith, which connects him with the sky and the sea.
The third figure is looking for no foothold, leans against the stump of a tree a foot behind the abyss; he stands on a few thin branches and looks over the abyss away into the distance, perhaps to the ships, perhaps into the sky, rather through this in the indefinite. Is he seeing a symbol of soul in the ships, which set out for the eternal? These branches could break at any time.
The tour group thus has settled close to abyss, to think of this the cheerful colouredness prevent at first, perhaps also, because the grass at the edge pretends a familiarity, which does not offer any security, on the contrary, pure rock would be safer.
Part 3
To the trust-arousing grass something strange occurs to me:
When I stood years ago once on the “Cliffs of Moher“ (http://en.wikipedia.org/wiki/Cliffs_of_Moher), which are at the Irish west coast and much more impressive than our Rügen chalk coast, I did what all did, I walked along before and not behind the delimitation wall, which goes along there over some distance.
This picture shows a too nice impression from the distance to the rupture edge, particularly since one had also to evade occasionally to others. There were on the way quite places, where this narrow strip was broken-away until the knee-high wall, there had one willy-nilly to climb back over this. However, where no grass was and one wanted to look nevertheless into the depth, there one crept, not one, I was crawling on my belly to the abyss. And I must say that I have usually considerable acrophobia.
I am deviated, perhaps. Our cheerful picture seems to want to say us something deeper and more profound, that this is not be noticeable to everyone I could see at an journalist or should I say an author of articles, for her he was probably “the saddest, melancholic, most childlike German artist“, childlike like Hölderlin I guess. To meet with Friedrich is every now and then really laborious, but here I had to die of laughter, nearly.
There is a hymn congenial to this picture, enigmatic and controversial, as could it be different:
Media vita in morte sumus,
Quem quaerimus, adiutorem nisi te, Domine?
Qui pro peccatis nostris iuste irasceris.
Sancte Deus, sancte fortis,
Sancte misericors Salvator,
Amarae morti ne tradas nos.
In te speraverunt patres nostri,
Speraverunt et liberasti eos.
Sancte Deus, Sancte fortis…
Ad te clamaverunt patres nostri,
Clamaverunt et non sunt confusi.
Sancte Deus, Sancte fortis…
Gloria Patri, et Filio, et Spiritui Sancto.
Sancte Deus, Sancte fortis…
In English: „In the midst of life we are in death”
Death, the abyss is always a half foot before us. Perhaps C. D. Friedrich wanted to show us simply 3 kinds, how this can be answered, and in a very cheerful way.
By the way the “Wissower Klinken” arisen in their famous form probably after the painting in similar shape, the real point for the painting still exists a few kilometres in the north at the so-called Victoria view, but of course he has as always some to it daydreamed.
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