Montag, 28. September 2015

Über einen Rheinländer, der hier verstarb - Engelbert Humperdinck

Grabstein von Engelbert Humperdinck

Ich habe über die letzten Stunden viel Engelbert Humperdinck gehört, denn ich hatte das früher versprochen. Er starb, man könnte sagen, mehr aus Versehen, ausgerechnet hier in Neustrelitz, am 27. September 1921, aber es hatte halt ein Theater. Sein Sohn Wolfram war zu der Zeit Opernspielleiter am Landestheater, und er wollte der Sache beiwohnen. Der „Freischütz“ brachte ihn dann zur Strecke, gewissermaßen.

Während ich zurückliegenden Sonntag mit dem Sonntagsessen und anderem kämpfte, fand nebenan eine Matinee zur Neuinszenierung von „Hänsel und Gretel“ statt, das einzige fast, warum man ihn noch kennt (mich augeschlossen), an seinem Todestag also, das hatte was, so daran zu erinnern. Die Premiere ist am 17. Oktober, um halb auf Acht (erneut wenige hundert Meter entfernt).

Ich kannte, soweit ich mich erinnern kann, das Werk bisher nur dem Namen nach (mit anderen Worten, sollte ich jemals etwas von ihm gehört haben, blieb keine Erinnerung), habe mich durch eine Aufzeichnung gearbeitet, und dachte danach, dieser Wanderer zwischen Wagner, Mahler, Strauss und einigen anderen Stationen hat also Deutschlands zweitpopulärste Oper hervorgebracht. Die Leute haben offenkundig mehr Geschmack, als man für gewöhnlich annimmt. (Im Nachfolgenden bringe ich die Videos dazu, solange sie noch da sind).


Engelbert Humperdinck - Hänsel und Gretel - 1/2


Engelbert Humperdinck - Hänsel und Gretel - 2/2

Vielleicht liebten unsere Menschen früher auch nur einfach diesen Schluß (die Regensburger Domspatzen brillieren dort anno 1970), den seine Schwester Adelheid Wette hervorgezaubert hat (und die Nachfahren erinnern sich einfach daran, vor allem in der Adventszeit):

Kinder, schaut das Wunder an,
wie die Hexe hexen kann.
Wie sie hart,
knusperhart,
selber nun zum Kuchen ward!
Merkt des Himmels Strafgericht:
böse Werke dauern nicht!
Wenn die Not aufs Höchste steigt,
Gott der Herr die Hand uns reicht!

Oder es war dies, was folgt ((mit Edita Gruberova als  Gretel, Brigitte Fassbaender als Hänsel), das für den, der die Knabenversion bevorzugt):



Abends, will ich schlafen gehn,
vierzehn Engel um mich stehn,
zwei zu meinen Häupten,
zwei zu meinen Füßen,
zwei zu meiner Rechten,
zwei zu meiner Linken,
zweie, die mich decken,
zweie, die mich wecken,
zweie, die mich weisen
zu Himmels Paradeisen!

Schön. Also die Musik ist schon nicht ganz anspruchslos (Ignoranten dürfen das sagen). Ich liebe ja diese programmatischen Ouvertüren. Und nach dieser, vorgetragen vom  London Philharmonic Orchestra, dachte ich - sehr schön und angenehm,



Und hiernach unter Herbert von Karajan frei nach Blücher nur noch -  „Mein Jott!“!



Mitunter ist man doch verblüfft, wie Unterschiedliches aus dem selben Notenmaterial hervorkommen kann, als ob es nicht zuletzt ein Spiegel wäre.

Zum Stoff. Die Brüder Grimm schreiben in ihrer Vorrede auf die Kinder- und Hausmärchen von 1812 so schön:

„Wir finden es wohl, wenn Sturm oder anderes Unglück, vom Himmel geschickt, eine ganze Saat zu Boden geschlagen, daß noch bei niedrigen Hecken oder Sträuchen, die am Wege stehen, ein kleiner Platz sich gesichert und einzelne Ähren aufrecht geblieben sind. Scheint dann die Sonne wieder günstig, so wachsen sie einsam und unbeachtet fort, keine frühe Sichel schneidet sie für die großen Vorrathskammern, aber im Spätsommer, wenn sie reif und voll geworden, kommen arme, fromme Hände, die sie suchen; und Ähre an Ähre gelegt, sorgfältig gebunden und höher geachtet, als ganze Garben, werden sie heimgetragen und Winterlang sind sie Nahrung, vielleicht auch der einzige Samen für die Zukunft. So ist es uns, wenn wir den Reichthum deutscher Dichtung in frühen Zeiten betrachten, und dann sehen, daß von so vielem nichts lebendig sich erhalten, selbst die Erinnerung daran verloren war, und nur Volkslieder, und diese unschuldigen Hausmärchen übrig geblieben sind. Die Plätze am Ofen, der Küchenherd, Bodentreppen, Feiertage noch gefeiert, Triften und Wälder in ihrer Stille, vor allem die ungetrübte Phantasie sind die Hecken gewesen, die sie gesichert und einer Zeit aus der andern überliefert haben.“

Diese Vorstellung ist rührend, aber wenn insonderheit eines etwas nicht ist, dann dieses Märchen unschuldig. Wenn man damit gefällig oder schlicht meint. Märchen verwandeln das Grauen in Poesie. Oft. Und erstaunlicherweise ist es die Poesie, die bleibt, und an die man sich wohlig anlehnt. Ob das andere dann denoch mitgewußt wirkt, wer weiß. Aber wir brechen hier ab (bevor ich noch anfange, Bruno Bettelheim zu zitieren, oder Schlimmeres).

Was nicht so konvenierte, das lassen wir einfach beiseite. Wie gesagt, ich habe mir einiges angehört. Seine Maurische Rhapsodie von 1898 hat ihre Momente (aber ich war auch froh, als ich durch war).



Daß er als überzeugter Rheinländer in Neustrelitz starb und bei Berlin begraben wurde, gehört zu den Merkwürdigkeiten, die Biographien gern bereithalten. Wer darüber nachlesen will, kann das hier eher kurz und an diesem Ort länger, wobei auch einem Unbedarften wie mir eine besondere Sorgfalt der Darstellung nicht verborgen blieb.

Einen Schlußsatz wird man jetzt vergeblich suchen. Nicht, daß sich bei mir nach soviel Humperdinck – Hören (und auch ein wenig Lesen) kein Gefühl eingestellt hätte, ein durchaus komplexes übrigens. Aber wer wollte sein Urteil schließlich ausschließlich auf Gefühlen gründen.

Aber die Aufnahme dieser Plastikengruppe - Engelbert Humperdinck mit Hänsel und Gretel von Jutta Reissin - in Boppard hat etwas, gerade auch vor der Tristesse des Hintergrundes. Und damit wollen wir wirklich enden.


beendet am 29. September

Sonntag, 27. September 2015

Sonntag &


Die erste Ente des Herbstes wäre fast verbrannt. Daher fangen wir mit den (wenigen) Rosen an, die sich denn noch im Garten für die Tafel auftreiben ließen. Da finden wir schon mal was Positives.

Obwohl ich derzeit miserabel schlafe, habe ich doch den Blutmond verpaßt, eigentlich schade. Dafür durfte ich als Gratis-Unterhaltungsprogramm beim Einkaufen mitbekommen, wie ein energisch schlichter junger Mann seiner kleinen wißbegierigen Tochter erklärte, was sie da gerade im Fernsehen gesehen habe. „Da geht die Sonne vor den Mond.“ Abgesehen davon, daß das reichlich eng würde (der Platz reicht schlicht nicht ganz aus), würde es vor allem, nun ja, zuvor ein wenig unkommod.

Zurück zur Ente. Frau W. hatte ein großes Begehren danach. Und da am späten Sonnabend-Nachmittag (der Tag war anderweitig blockiert) mein Ehrgeiz schon recht dezimiert war, bekam sie also ihre junge polnische Ente und meinen Kommentar dazu: „Du bekommst das, was ich nicht essen wollte, dafür kriege ich das, was Du nicht essen willst (nämlich eine abweichende Sauce). Das nennt man einen Kompromiß.“...

Gesagt, geschehen. Frau Mutter nahm also ihr gewohntes Frühstück mit Panoramablick am Sonntagmorgen ein und ich versuchte, nebenbei zu kochen, was leidlich gelang. Irgendwann war die Ente irgendwie im Backofen und ich verabschiedete mich sinngemäß, sie könne ja noch eine halbe Stunde die Aussicht genießen, dann käme ich aber wieder.

Gegen 2 Uhr hörte ich aus meiner Tür ein triumphierendes - „Nu isse verbrannt“. Ich war am Schreibtisch eingeschlafen und die Küche offensichtlich jetzt frei.


Ich eilte ebendorthin, sah mich im Geiste schon Bratwürste braten oder irgend sowas, aber siehe da, sie war nur kurz davor, aber doch schon recht ausgelassen. Mit mehrmaligem Übergießen des Fonds konnte man immerhin noch die Haut retten. Wie schon zu ahnen, war das Fleisch dann doch ein wenig, ja, trocken.

Es ging darauf recht schnell, nur meinen geplanten Ausflug zur Zierker Kirche konnte ich natürlich vergessen. Die Bilder sind furchtbar, aber das erklärt sich. Es fiel nämlich justament den Augenblick soviel Licht in das Zimmer, daß die Tafel gewissermaßen manichäisch ausgeleuchtet war, was meine Kamera erkennbar überforderte.

Ich hatte noch versucht, mich zwischen Tisch und Sonne zu stellen, um irgendwie (siehe oben), aber das half nur begrenzt (so hat auch das Abnehmen seine (diesmal fehlenden) Schattenseiten.



Die Ente ließ sich also halbwegs retten (sie war nur gepfeffert und gesalzen worden und mit Äpfeln gefüllt). Gut, der Rosenkohl war eher Mus, aber jedenfalls ebenfalls nicht angebrannt.

Die Sauce. Ich dachte mir schon, daß die Äpfel eher nach dem schmecken würden, was man ganz früher in die Schaufenster der Geschäfte tat, wenn über das Dargestellte zwar nicht verfügte wurde, aber die Leute die Erinnerung daran nicht ganz verlieren sollten. Es war also eine Art von Pappmaché mit Geschmacksersatzstoffen.

Darum mußte für die Sauce eine andere Grundlage her. In Form von eingekochten Schwarzen Johannisbeeren und reichlich frischem Zitronensaft fand sie sich auch. Am Ende war im Grunde fast nichts passiert, und die ausgebliebene Katastrophe verschaffte dem Sonntag ein unerwartetes kleines Drama, das sich aber wohl verwinden lies.


nachgetragen am 28. September.

Zwischendurch - Bilder









Samstag, 26. September 2015

Tennyson &



Über diesem Gedicht bin ich letzte Nacht eingeschlafen. Das ist so etwas zu kurz und daher falsch, aber lassen wir es dabei. Als ich einmal mehr schuldbewußt Seiten durchging, die ich inzwischen zu oft vernachlässigt habe, stieß ich über „Jason Shaw“ auf „Break, Break, Break“ von Alfred Lord Tennyson, im Englischen offensichtlich zu Tode geliebt und somit wohlbekannt. Aber das ist nun einmal die Spielwiese der anderen.

Außerdem sah ich am Morgen des folgenden Tages auf diese ganz schauerliche nachfolgende Übersetzung ins Deutsche von 1862, die verdienstvoll zugänglich gemacht worden ist. Das und anderes war, wie ich dann gelernt habe, einem Freund nachgerufen, der früh verstarb.


Wenn es doch im Deutschen noch diese Verbundenheit mit dem geben würde, was an Schatzräumen der Sprache Vorhergehende erschlossen haben, und mit ihrem Leben besiegelt. Eine zertrümmerte Nation sollte besser erst einmal innerlich mit dem Aufräumen und Wiederaufbauen beginnen. Denn die Erfolge der Außenseite sind nicht weniger vergänglich und kein Ersatz für das Eigentliche.


Alfred Lord Tennyson

Am Meere

Schwer, schwer, schwer
Brande zum Ufer, See!
Und ich wollt’, ich könnte singen,
Was so mich füllt mit Weh.

O, glücklich der Fischerbursch,
Daß ihm spielende Schwestern nahn!
O, glücklich der Seemannsbub’,
Daß er singt in seinem Kahn!

Und die Schiffe segeln fort,
Bis der blinkende Port sich zeigt –
Doch weh um den Druck einer kalten Hand,
Und den Mund, der auf ewig schweigt!

Schwer, schwer, schwer
Brand um das Riff, o See!
Doch nimmer kehrt uns ein todtes Glück –
Weh, weh, weh!

Übersetzung von hier 

nachgetragen am 27. September

Freitag, 25. September 2015

Spieluhrenlyrik oder Über den Herbst


Friedrich Hölderlin 

Der Herbst

Das Glänzen der Natur ist höheres Erscheinen, 
Wo sich der Tag mit vielen Freuden endet, 
Es ist das Jahr, das sich mit Pracht vollendet, 
Wo Früchte sich mit frohem Glanz vereinen.

Das Erdenrund ist so geschmükt, und selten lärmet 
Der Schall durchs offne Feld, die Sonne wärmet 
Den Tag des Herbstes mild, die Felder stehen 
Als eine Aussicht weit, die Lüffte wehen

Die Zweig' und Äste durch mit frohem Rauschen 
Wenn schon mit Leere sich die Felder dann vertauschen, 
Der ganze Sinn des hellen Bildes lebet 
Als wie ein Bild, das goldne Pracht umschwebet.

Ich gestehe, als ich bei dem Blogger Jay gerade dieses Gedicht von Hölderlin wiederlas, war ich etwas mißgestimmt über den anschließenden Kommentar (es gehöre nicht zu den großen Gedichten des Autors), aber wozu sonst liest man schließlich anderer Leute Sachen. Denn das Verdict ist so wohlfeil wahr wie falsch zugleich. Seine Verweise, so dieser, haben mich eher versöhnt (außerdem, wer MRR für einen Scharlatan hält, kann grundsätzlich nicht nur falsch liegen). Das dazu.

Wenn man sich einer Sache nähern will, die einem anmaßend so vertraut erscheint, erlebt man Überraschungen (wie dergestalt, daß schon vor einem jemand diese späten Verse mit Spieluhren  verglichen habe, was nicht gegen den Vergleich spricht). Das ist alles Geschwätz.

Die späten Verse Hölderlins haben  mich immer wieder gebannt. Der Spieluhrenvergleich war ja auch nur ein Behelfsmittel. Denn sie wirken meist so einfach, auswechselbar, mechanisch; voller menschenfreundlicher Leere. Und dann fällt einem der Unterkiefer herunter, weil sie soeben an die Ewigkeit anstießen.

Die Linien des Lebens sind verschieden,
Wie Wege sind, und wie der Berge Grenzen.
Was hier wir sind, kann dort ein Gott ergänzen
mit Harmonien und ewigen Lohn und Frieden.

Ich muß dieses immer wieder nennen. Denn wie kann man das Leben als solches als „Umnachteter“ in vier Zeilen bannen. Daß das Leben wunderliche Wege kennt, geschenkt, daß sie aber so verschieden sind wie der Berge Grenzen, also unser Ausschnitt der Wirklichkeit, womöglich wie ein Fingerabdruck...

Daß unsere mißgetönte Existenz irgendwo zu einem recht klingenden Akkord vervollständigt werden könne (!), davon muß jemand etwas erkannt haben, und wirft uns so lange schon einmal Kunst-Stücke zu, als wolle er spielen.


Sonntag, 20. September 2015

Sonntag &



Die Herbstzeitlose hat bisher hier jedes Jahr eindrucksvoll überstanden, vielleicht daher der Name.




Ich gestehe, die Erinnerung an den letzten Sonntag ist fast völlig geschwunden, obwohl die Hinterlassenschaften noch irgendwo erkaltet herumstehen. Sagen wir soviel, es gab zwei Varianten von Schweinsrouladen, einmal diejenige, wo Frau W. ihre Präsenz behauptete – mit einer gewohnten Füllung aus Speck, eingelegten Gurken und Zwiebeln. Und eine andere.

Und jetzt muß ich grübeln. Ich hatte Champignons angebraten, später Kräuter-Schmelzkäse dazugetan, Kräuter und Milch, das Ganze eingerührt, zusammenschmurgeln lassen, beiseite gestellt, die zwei anderen Schweinsrouladen, es waren insgesamt vier, mit Senf eingeschmiert und dann mit einer Scheibe gekochtem Hinterschinken und besagter Füllung belegt und eingerollt.

Das war gar nicht mal schlecht (schließlich muß es doch Auswege aus der Routine geben), mit anderen Worten, ich habe das andere Exemplar den nächsten Morgen ohne Gewissensbisse kalt als Frühstück aufgefressen.

Beides wurde in der Pfanne gebraten. Die andere Variante natürlich in ausgelassenem Speck. Eine Sauce gab es nur von der traditionellen Machart, mit der Zugabe von viel Rinderfond, soviel ich mich erinnere. Am Ende ermangelte es einfach der Geduld. Von dem Salat weiß ich weiter nichts, der wurde den Tag auch nicht angerührt, der Rest schon.





nachgetragen am 22. September

Sonntag, 13. September 2015

Sonntag &


Es ist sicher Ansichtssache, ob der Sonntagmorgen harmonisch begann. Ich befand mich jedenfalls in dieser Vorstellung, bis ich (nachdem ich beschlossen hatte, wieder einmal die geistlichen Pflichten zu vernachlässigen) in der Küche nachsah, ob das umfängliche Frühstück, das ich hinterlassen hatte, nun doch aufgezehrt sei, so daß ich endlich kochen könne.

Ich fand Frau W. völlig aufgelöst: „Laut leise, laut leise, laut leise, da wird man ja ganz verrückt von“, nun, es lagen zwar ein paar Meter und auch Türen dazwischen, zum anderen - KV 551, auch bekannt als Jupiter-Symphonie... Zu Mozart läßt sich aber halt schlecht schunkeln, das wollen wir einräumen.

Das gesagt, gelangen wir sogleich zum Essen. Obwohl, nein, zuvor muß ich das Eingangsbild erklären. Am Sonnabend-Abend gab es die lange Nacht der Künste hier, und meine Verbindungen zur Außenwelt müssen gelegentlich so dünn geworden sein, daß derartiges komplett an mir vorbeigehen kann. Was fast geschehen wäre, aber zum Glück gehe ich ja noch aus dem Haus, und wurde freundlich über mein Versäumnis aufgeklärt.

Doch das führte „nur“ noch zu einem ausgedehnten Besuch im hiesigen Groß-Antiquariat, wobei Musik, Film, Kunst und Leute gewissermaßen miterduldet wurden (die Musik war angenehm beim Suchen, es gab extraordinäre Rabatte an diesem Abend (!)).

Ich bin da wahrscheinlich wie ein Geist durchgelaufen, konnte aber gleichzeitig keinerlei Versuchungen zum „Fraternisieren“ ausmachen, außerdem bin ich aus dem Alter heraus. Die „Ausbeute“ sieht man auf dem ersten Bild, mehr so Zeitgenössisches, also G. Freytag, C. F. Meyer und Detlev von Liliencron (!). Die Krone deutschem Kitsches, wenn man böswillig wäre, was wir aber nicht sind.

Bei Paul von Lettow-Vorbecks „Heia Safari! – Deutschlands Kampf in Ostafrika“ bin ich dann doch zurückgeschreckt (sie hatten ihre Hühner in Körben mit sich geführt und die Hähne abgemurgelt, weil die den Standort verrieten, nun ja), aber bei Liliencron, dem allzu lebenslustigen Patrioten, konnte ich nicht widerstehen (es gab ihn hier schon gelegentlich).

Detlev von Liliencron

Für und für

Im ersten matten Dämmer thront
Der blasse, klare Morgenmond.

Den Himmel färbt ein kühles Blau,
Der Wind knipst Perlen ab vom Tau.

Der Friede zittert: ungestüm
Reckt sich der Tag, das Ungetüm,

Und schüttelt sich und brüllt und beißt
Und zeigt uns so, was leben heißt.

Die Sonne hat den Lauf vollbracht,
Und Abendröte, Mitternacht.

Im ersten matten Dämmer thront
Der blasse, klare Morgenmond.

Und langsam frißt und frißt die Zeit
Und frißt sich durch die Ewigkeit.


Aber wir wollen wieder banal werden. Ich hatte schon den Tag zuvor wenig Neigung zum Kochen gehabt, das ergab ein Wunsch-Essen – Kotelett. Es gibt also noch Erwartungen, die sich erfüllen lassen. Und es war durchaus eßbar, wenn einem Koteletts denn sehr konvenieren. Zumindest hatte ich mich diesmal daran erinnert, daß in das ummantelnde Eigelb neben Pfeffer und Salz auch rechtmäßig Muskat gehört.


Die Dame mit den U-Booten (falls jemand auch sonst mitliest) hatte uns jüngstens ziemlich große Gurken hinterlassen, und ich versuchte meine ersten Schmorgurken. Soweit ich mich erinnere, habe ich sie erst in Butterschmalz angebraten, dann u.a. mit Weißweinessig abgelöscht und darauf nach der Zugabe von Dill, Salz & Pfeffer etwas weitergeschmort. Ich müßte das nicht jeden Tag haben, aber ja.

Die Bohnen wie üblich mit Bohnenkraut gekocht und dann mit brauner Butter übergossen. Ach, das könnte ich einfügen. Wir haben eigentlich viel Verwandtschaft, u.a. sehr bodenständige aus Ostfriesland. Die landeten letztes Jahr mit ihrem „Böötchen“ hier an, und meine Cousine (oder so) befragte mich inquisitorisch, was ich denn mit den Bohnen anders machen würde, ihr Mann würde ihr seit dem Besuch immer vorwerfen, die seien nicht richtig. Dem konnte abgeholfen werden.


Es wurde dann doch noch ein sehr harmonischer Sonntag, abgesehen vom Essen, das so übel gar nicht ausfiel, denn ich ging anschließend noch eine sehr ausdauernde Beziehung mit meiner Couch im Arbeitszimmer ein, so daß die Zeit am Ende fast ein wenig wie bei Herrn v. Liliencron verschwamm (s.o.)...

nachgetragen am 15. September

Herr v. Goethe & eine Predigt

Rom, Santa Costanza

Wir sind etwas verspätet. (Vor-)Gestern hat Herr Roloff die Freuden eines Dorfpastors genossen, und das mit einem langen Zitat aus Faust II, dem auch noch eine Predigt folgte, das klingt sarkastisch, ist es nicht. Ich bin nur leicht müde.

Sein Ansatz war sehr ambitioniert, aber sollte man nicht auf dem beharren, das einem geblieben ist. Wie lange auch immer. Man muß es zunächst nur einmal tun. (Vielleicht erleben wir ein Wetterleuchten über unserem Abendland, vielleicht ist es noch nicht 410 n. Chr., wer weiß das schon so genau). Herr von Goethe wächst nicht selten über sich hinaus, so er dichtet, und gibt dann hübsche Einsichten, nur das zum Eingang.

Rom, Santa Costanza

Predigt zum 15. Sonntag nach Trinitatis

Darum sage ich euch: Sorget nicht für euer Leben, was ihr essen und trinken werdet, auch nicht für euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr denn die Speise und der Leib mehr denn die Kleidung?
Sehet die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater nähret sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr denn sie?
Wer ist unter euch, der seiner Länge eine Elle zusetzen möge, ob er gleich darum sorget?
Und warum sorget ihr für die Kleidung? Schauet die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen! Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht.
Ich sage euch, daß auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht bekleidet gewesen ist als derselbigen eins.
So denn GOtt das Gras auf dem Felde also kleidet, das doch heute stehet und morgen in den Ofen geworfen wird, sollt' er das nicht viel mehr euch tun, o ihr Kleingläubigen?
Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen, was werden wir trinken, womit werden wir uns kleiden?
Nach solchem allem trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, daß ihr des alles bedürfet.
Trachtet am ersten nach dem Reich GOttes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen.
Darum sorget nicht für den andern Morgen; denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.
Matth 6, 25-34

Gnade sei mit Euch und Frieden von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen

Liebe Gemeinde,

heute haben wir uns zu befassen mit dem großen Plädoyer Jesu für die Sorglosigkeit. Darum will ich zunächst fragen: Was ist Sorge?

Mitternacht
Erste
Ich heiße der Mangel. –

Zweite
Ich heiße die Schuld.

Dritte
Ich heiße die Sorge. –

Vierte
Ich heiße die Not.

Zu drei
Die Tür ist verschlossen, wir können nicht ein;
Drin wohnet ein Reicher, wir mögen nicht 'nein.

Mangel
Da werd' ich zum Schatten. –

Schuld
Da werd' ich zunicht.

Not
Man wendet von mir das verwöhnte Gesicht.

Sorge
Ihr Schwestern, ihr könnt nicht und dürft nicht hinein.
Die Sorge, sie schleicht sich durchs Schlüsselloch ein.

Mangel
Ihr, graue Geschwister, entfernt euch von hier.

Schuld
Ganz nah an der Seite verbind' ich mich dir.

Not
Ganz nah an der Ferse begleitet die Not.

Zu drei
Es ziehen die Wolken, es schwinden die Sterne!
Dahinten, dahinten! von ferne, von ferne,
Da kommt er, der Bruder, da kommt er, der – – – Tod.

Faust
Vier sah ich kommen, drei nur gehn;
Den Sinn der Rede konnt' ich nicht verstehn.
Es klang so nach, als hieß' es – Not,
Ein düstres Reimwort folgte – Tod.
Es tönte hohl, gespensterhaft gedämpft.
Noch hab' ich mich ins Freie nicht gekämpft.
Könnt' ich Magie von meinem Pfad entfernen,
Die Zaubersprüche ganz und gar verlernen,
Stünd' ich, Natur, vor dir ein Mann allein,
Da wär's der Mühe wert, ein Mensch zu sein.
Das war ich sonst, eh' ich's im Düstern suchte,
Mit Frevelwort mich und die Welt verfluchte.
Nun ist die Luft von solchem Spuk so voll,
Daß niemand weiß, wie er ihn meiden soll.
Wenn auch ein Tag uns klar vernünftig lacht,
In Traumgespinst verwickelt uns die Nacht;
Wir kehren froh von junger Flur zurück,
Ein Vogel krächzt; was krächzt er? Mißgeschick.
Von Aberglauben früh und spat umgarnt:
Es eignet sich, es zeigt sich an, es warnt.
Und so verschüchtert, stehen wir allein.
Die Pforte knarrt, und niemand kommt herein.
Ist jemand hier? –

Sorge
Die Frage fordert Ja!

Faust
Und du, wer bist denn du? –

Sorge
Bin einmal da.

Faust
Entferne dich! –

Sorge
Ich bin am rechten Ort.

Faust
Nimm dich in acht und sprich kein Zauberwort.

Sorge
Würde mich kein Ohr vernehmen,
Müßt' es doch im Herzen dröhnen;
In verwandelter Gestalt
üb' ich grimmige Gewalt.
Auf den Pfaden, auf der Welle,
Ewig ängstlicher Geselle,
Stets gefunden, nie gesucht,
So geschmeichelt wie verflucht. –
Hast du die Sorge nie gekannt?

Faust
Ich bin nur durch die Welt gerannt;
Ein jed' Gelüst ergriff ich bei den Haaren,
Was nicht genügte, ließ ich fahren,
Was mir entwischte, ließ ich ziehn.
Ich habe nur begehrt und nur vollbracht
Und abermals gewünscht und so mit Macht
Mein Leben durchgestürmt; erst groß und mächtig,
Nun aber geht es weise, geht bedächtig.
Der Erdenkreis ist mir genug bekannt,
Nach drüben ist die Aussicht uns verrannt;
Tor, wer dorthin die Augen blinzelnd richtet,
Sich über Wolken seinesgleichen dichtet!
Er stehe fest und sehe hier sich um;
Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm.
Was braucht er in die Ewigkeit zu schweifen!
Was er erkennt, läßt sich ergreifen.
Er wandle so den Erdentag entlang;
Wenn Geister spuken, geh' er seinen Gang,
Im Weiterschreiten find' er Qual und Glück,
Er, unbefriedigt jeden Augenblick!

Sorge
Wen ich einmal besitze,
Dem ist alle Welt nichts nütze;
Ewiges Düstre steigt herunter,
Sonne geht nicht auf noch unter,
Bei vollkommnen äußern Sinnen
Wohnen Finsternisse drinnen,
Und er weiß von allen Schätzen
Sich nicht in Besitz zu setzen.
Glück und Unglück wird zur Grille,
Er verhungert in der Fülle;
Sei es Wonne, sei es Plage,
Schieb er's zu dem andern Tage,
Ist der Zukunft nur gewärtig,
Und so wird er niemals fertig.

Faust
Hör auf! so kommst du mir nicht bei!
Ich mag nicht solchen Unsinn hören.
Fahr hin! die schlechte Litanei,
Sie könnte selbst den klügsten Mann betören.

Sorge
Soll er gehen, soll er kommen?
Der Entschluß ist ihm genommen;
Auf gebahnten Weges Mitte
Wankt er tastend halbe Schritte.
Er verliert sich immer tiefer,
Siehet alle Dinge schiefer,
Sich und andre lästig drückend;
Atemholend und erstickend;
Nicht erstickt und ohne Leben,
Nicht verzweiflend, nicht ergeben.
So ein unaufhaltsam Rollen,
Schmerzlich Lassen, widrig Sollen,
Bald Befreien, bald Erdrücken,
Halber Schlaf und schlecht Erquicken
Heftet ihn an seine Stelle
Und bereitet ihn zur Hölle.

Faust
Unselige Gespenster! so behandelt ihr
Das menschliche Geschlecht zu tausend Malen;
Gleichgültige Tage selbst verwandelt ihr
In garstigen Wirrwarr netzumstrickter Qualen.
Dämonen, weiß ich, wird man schwerlich los,
Das geistig-strenge Band ist nicht zu trennen;
Doch deine Macht, Sorge, schleichend groß,
Ich werde sie nicht anerkennen.

Sorge
Erfahre sie, wie ich geschwind
Mich mit Verwünschung von dir wende!
Die Menschen sind im ganzen Leben blind,
Nun, Fauste, werde du's am Ende!

Faust
Die Nacht scheint tiefer tief hereinzudringen,
Allein im Innern leuchtet helles Licht;
Was ich gedacht, ich eil' es zu vollbringen;
Des Herren Wort, es gibt allein Gewicht.
Vom Lager auf, ihr Knechte! Mann für Mann!
Laßt glücklich schauen, was ich kühn ersann.
Ergreift das Werkzeug, Schaufel rührt und Spaten!
Das Abgesteckte muß sogleich geraten.
Auf strenges Ordnen, raschen Fleiß
Erfolgt der allerschönste Preis;
Daß sich das größte Werk vollende,
Genügt ein Geist für tausend Hände.

Diese Passage aus Goethes Faust ist eine einzigartige literarische Entsprechung zum Evangeliumstext. Natürlich reicht kein anderes Werk an die Worte der Schrift heran, und doch haben wir hier einen Text vor uns, der die Auseinandersetzung mit der Sorge, die Jesus darlegt, tiefgründig interpretiert.

In geradezu erschütternder Einfachheit seziert Christus das Innere unserer Seele. Darin schon erkennt man den Meister, dass er verständlich und demaskierend spricht. Hütet Euch vor allen die man heute so gern Experten nennt, die den Blick auf die Tatsachen mit ihren Worten eher verstellen und vernebeln. Die uns erzählen von Daseinsvorsorge und Risikovermeidung, von Sicherungsvorkehrungen und Schutzmechanismen.

Christus spricht: Sorget nicht um euer Leben.
All unsere Rentenabschlüsse, Lebensversicherungen, Kapitalsparpläne, Wintervorräte – alles das ist Unsinn?

Ich vermute, dass sich die Mahnung Jesu nicht so sehr auf einzelne Handlungen des Menschen bezieht. Ob nun Lebensversicherungen oder das Essen und das Trinken, die Kleidung und die Schuhe, das ist nicht so entscheidend – Jesus tut es ab und verweist vielmehr darauf, dass unser Leben mehr ist als die Nahrung und der Leib, mehr als die Kleidung.

Es geht nicht um äußere Dinge, es geht um die innere Haltung des Menschen. Und diese innere Haltung des Menschen soll aus der Tatsache erwachsen, dass sein Leben und sein Leib von größerer Bedeutung sind als alle Dinge, in deren Besitz er sich Zeit seines Lebens bringen kann.

Dann tut der Herr etwas, was wieder mit einfachsten Mitteln klar werden lässt, was er meint: Er verweist die Zuhörer auf das Beispiel der Schöpfung.

Seht euch die Vögel unter dem Himmel an! Seht die Blumen auf dem Felde! 

Wir sollen darin erkennen, dass die ganze Welt von einer unwiderstehlichen Ordnung durchdrungen ist, deren Teil wir sein dürfen. In diese Ordnung sollen wir uns einüben. Das setzt voraus, dass wir das tiefe Wesen dieser Ordnung verstehen. Und das tiefe Wesen dieser Ordnung wird für Jesus ganz wesentlich eben auch in dem Satz erfasst: Sorget euch nicht.

Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr ihr euch auch darum sorgt?

Wenn also unsere Sorge an dieser einfachsten und wichtigsten Frage versagt, warum sollen wir uns an unwichtigen Dingen abarbeiten?

Hier kristallisiert sich mit großer Schärfe heraus, was Jesus im Kern meint: Sorge ist für ihn das Gegenteil zum Gottvertrauen. Darum wiederholt er noch einmal: Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht vielmehr für euch tun, ihr Kleingläubigen?

Christus ermutigt uns mit jedem Wort, mit jedem seiner Bilder und Gleichnisse zunächst und vor allem zu unbedingten Gottvertrauen.

Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.

Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes. Das bedeutet doch: Seht auf! Erhebt eure Häupter und erkennt in allem das Handeln Gottes, auf den wir uns verlassen dürfen, dem wir vertrauen können. Das soll unsere Haltung sein, aus der heraus wir die Probleme und Lasten des Lebens angehen. So bleiben die Probleme und Lasten äußere Dinge, die wir bearbeiten und möglichst bewältigen können. Sie dringen aber nicht in unsere Seele vor. Sie können uns nun nicht mehr vergiften, denn unsere Seele ist von Gottvertrauen erfüllt und nicht durch die Sorge. Nun können wir geduldig hinnehmen, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.

Hierin wird sehr schön deutlich, dass Jesus kein frommer Scharlatan ist, der uns suggeriert, wenn ihr meinem Konzept folgt, dann herrscht immer eitel Sonnenschein, und die Probleme lösen sich in Luft auf. Nein, jeder Tag hat seine eigene Plage, aber wir stärken daran unser Gottvertrauen und lassen die Plagen nicht mehr unsere Sorgen nähren.

Diesen Zusammenhang erleben wir nun an der Figur des Faust erneut.

Faust ist in jener Mitternacht, aus der wir vorhin gehört haben, an einem Scheidepunkt angelangt. Er hat viel von dem, was er errungen hat, nur mit der Zauberkraft Mephistos vollbracht und fühlt sich nun, zwar anders als früher durch die Machtlosigkeit, nun durch die Macht des Teufels, gefesselt.

„Könnt´ ich Magie von meinem Pfad entfernen, die Zaubersprüche ganz und gar verlernen, Stünd´ ich, Natur, vor dir ein Mann allein, Da wär´s der Mühe wert, ein Mensch zu sein.“

Faust sehnt sich nach Freiheit, und er ahnt, dass sich nur neues Missgeschick anbahnt.

Die Sorge schleicht sich ein. Und sie gibt in Goethes Versen eine einzigartige unerreichte Selbstcharakteristik.

Faust spürt, wie die Sorge, trotz aller Widerstände Besitz von ihm nimmt, denn er lässt nicht ab von der Vermessenheit, dass der Tüchtige durch seine Erkenntnis die Welt verändern, womöglich verbessern und in jedem Falle Spuren hinterlassen kann. Und dennoch wird er gewahr, dass er genau darin keinen Frieden findet

Ewiges Düstre steigt herunter,
Sonne geht nicht auf noch unter,
Bei vollkommenen äußeren Sinnen
Wohnen Finsternisse drinnen,
Und er weiß von allen Schätzen
Sich nicht in Besitz zu setzen.
Glück und Unglück wird zur Grille,
Er verhungert in der Fülle;

Der beschwörende Ausruf: Deine Macht, o Sorge, schleichend groß, ich werde sie nicht anerkennen – verhallt!

Faust schwingt sich auf zum großen Bekenntnis des tatkräftigen Mannes. Obwohl erblindet, entwirft er die große Fantasie der Weltveränderung mit Werkzeug, Schaufel, Spaten und dem Fleiß der tausend Hände, die dem einen Willen gehorchen und wird gar nicht mehr gewahr, dass da nicht sein Werk, der entwässernde Graben für das Neuland, instand gesetzt, sondern schon sein Grab ausgehoben wird.

Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr ihr euch auch darum sorgt?

Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.

Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.
Thomas Roloff
nachgetragen am 15. September

Freitag, 11. September 2015

Aus der Zeit gefallen


Heute morgen, als ich meine Nostalgie vortäuschende Uhr mit einer neuen Energiequelle versehen wollte, fiel sie mir entgegen und anschließend auseinander. Das Malheur ließ sich zwar beheben (wie man sehen kann), aber der aufgeschreckte Geist fing natürlich an, über Vorzeichen und ähnlichen Unsinn zu phantasieren.

Daß ich dies überhaupt erwähne, ist einer kleinen Begebenheit geschuldet, die am frühen Abend stattfand und eher zur obigen Überschrift paßt. Eine der gebildeteren Damen hier im Hause (um andere nicht herabzusetzen) suchte mich heute auf mit der Bitte, ihr etwas Interessantes zum Lesen auszuleihen, am liebsten Geschichtliches. Die Stadtbibliothek zieht gerade in die alte Post (ein sehr schönes Gebäude, aber für ein Bild ist es mittlerweile zu dunkel) und ist so quasi nicht existent. Nun habe ich in der Tat das eine oder andere Buch.

Dann erklärte die recht betagte Nachbarin (dieses Detail ist erforderlich): „Wissen sie Herr Wisser, ich habe es immer so bedauert, als Mädchen auf die Welt gekommen zu sein.“ Auf meine höfliche Nachfrage kam eine Antwort, die jede Feministin aufjauchzen lassen muß (und das vorausgeschickt, sie wußte über das, was gleich folgen wird, erkennbar gründlich Bescheid): „Ja ich hätte mich doch so gern zur U-Boot-Flotte gemeldet“. Hm, dieses Bedauern vermochte der Fortgang der Zeiten offenkundig nicht im geringsten zu erschüttern, so war auch dieser Wunsch aus der Zeit gefallen und immer noch anwesend...

Das letzte Bild ist es auch. Aber der Herbst kommt, wie wir fühlen. Ich mag ihn ja, sogar sehr. Er ist irgendwie nachdenklicher als der Sommer und nicht so abweisend wie der Winter.



Sonntag, 6. September 2015

Sonntag & (nicht mehr ganz so misanthrophisch)


Manchmal laufen die Tage einfach doof. Gerade hat mein Lieblingsmoderator sein persönliches Ich-bin-auch-dabei-Bekenntnis zur gegenwärtigen Flüchtlings-Hysterie abgeliefert (und mein Mißfallen rührt von der fabrikmäßig erzeugten Wolke als angemessen erklärter Meinungen dazu, weniger von denen, die hier unbedingt her wollen). Daß er sich anschließend über Heilpraktiker amüsierte (die an ihrem gestümperten Zeug fast eingegangen wären), riß es nur teilweise heraus. Ich mußte wahrlich auch das erdulden (die Jungfrau ist meine Zeugin), aber im Grunde ist es die gleiche unverdauliche Sauce.

Wo wir gerade beim Essen sind: Liebe Brüder und Schwestern in Christo, die ihr dies vielleicht (wahrscheinlich) gerade lest, ich mag euch, wirklich, alle, fast, aber der vorherrschende Frömmigkeitsstil heute, man müßte jetzt sehr verschieden sprechen, aber das würde hier nicht hin passen (ich kann nur noch verlieren heute) - ich ertrage das nur mit größerer moralischer Anstrengung, wenn es über eine Stunde geht. Ich bin strukturell anders. Tut mir leid.


Die Krönung war der abendliche Besuch des befreundeten Palais-Eigentümers (alles läßt sich steigern), der seinen Geburtstag nachfeiern wollte und sich angelegentlich nach der herzoglichen Familie erkundigte. Wie gesagt, es gibt Tage, da kann man nur verlieren. Wir wollen darum versuchen, dies endlich mit Anstand zu absolvieren. Der Groll ist jetzt heraus.

Ich war, wie angedeutet, nachmittags verhindert, darum hatte ich den Nachmittag zuvor vorgekocht, etwas, das es dann doch am späten Sonntag-Vormittag gab und nicht am Abend, wie zunächst geplant. Da dürfte es sich um eine wirkliche Premiere handeln. Obwohl, die andere Variante - Gemüsesuppe mit Kognak + wenig komfortable Bilder... Da muß die Vorsehung mitgespielt haben.


Frau W. und ich haben also ab 11.29 Uhr das folgende eingenommen: Eine Gemüsesuppe.
Ich hatte Speck ausgelassen, den schwarzen Rest entsorgt, darin (also nicht im Rest) Zwiebeln angebraten, eine, leider fertige, Mischung Suppengemüse hineingeworfen, das andere zuvor mit Fond abgelöscht. Dazu frischer Thymian und Rosmarin, Oregano, Bohnenkraut, Balsamico-Essig, ein Eßlöffel Honig und noch anderes Zeug (meine Erinnerung verläßt mich bereits). Und fette Würste, die ich ebenso nicht mag, die mußten gleichfalls darin auslaugen (an Geschmacksverstärkern dürfte folglich kein Mangel bestanden haben).


Mit Ach und Krach schaffte ich es zum vereinbarten Treffpunkt für, siehe oben, aber Frau Mutter erzählte mir später, die hochbetagte Nachbarin habe in der Küche in den Topf geguckt und anschließend nicht eher Ruhe gegeben, bis sie als Beute etwas davon mit sich davon tragen konnte, um eine Stunde später quasi euphorisiert zurückzukehren, immerhin also das.

Abgesehen vom nicht ganz mißlungenen Essen, wo bleibt das Positive? Zunächst, im Strauß oben war etwas von hier, und dann: Meine Zuflucht liegt einfach im Schönen, und für die Frommen unter uns, die hat auch der Herrgott hervorgebracht. Und das ist mein unendlicher Ort, zu sein.





Mittwoch, 2. September 2015

Auch dieses Schiff versank


Mitunter gelingt es sogar Frau W. noch, mich zu verblüffen. Eine betagte Besucherin hatte sich kürzlich empört, da habe sie doch tatsächlich erst jüngst hier im Hause eine Fahne des letzten verflossenen Regimes gesehen (Schwarz-Rot-Gelb mit dekorativem Innenleben also).

Man schloß sich allgemein der Empörung an, und ich wandte ein: Nun ja, in meinem „Flügel“ stünde auch allerlei Historisches herum; so etwa ein Wimpel in Blau-Gelb-Rot und einer in Schwarz-Weiß-Rot (ein authentisches Stück aus dem letzten Kaiserreich, das mir einmal ein Potsdamer Antiquitätenhändler als Zugabe freundlicherweise schenkte).

Das wäre ja wohl etwas völlig anderes, denn, so ihr schlagendes Gegenargument (und sie hat sich noch nie für "Politik" interessiert): Blau-Gelb-Rot – das seien die Mecklenburger Farben, und Schwarz-Weiß-Rot eine deutsche Fahne...

Mein Gott, was muß das Vergangene noch mächtig gewesen sein, damals, vermutlich um 1970, umschlossen von einem dazu ganz feindselig anderen Vergangenen, nunmehr, in den Zeichnungen eines vielleicht 8jährigen. Aber der Geist hat halt seine ganz eigenen Wege.

Da sitzen wir nun also am Sedan-Tag und gedenken der Trümmer unseres Vaterlandes. Was hätte es für ein großartiges Jahrhundert werden können. Wenn unsere Vorfahren nur den Krieg gewonnen hätten, oder ein Patt herausgeschlagen, oder besser noch, zuvor einfach nichts getan, einfach nichts, außer Abwarten. Ich meine den ersten verheerenden, im vergangenen Jahrhundert.

Das böswillige Märchen von der deutschen Alleinschuld hat Sir Christopher Munro Clark hinreichend eliminiert. Daß er aus den Fakten keine Wertungen ableiten mochte, mein Gott, er ist Australier und hat immerhin das getan, was einen Historiker, früher, auszeichnete (deshalb haben wir aus hygienischen Gründen auch nicht auf den deutschsprachigen Artikel in einem beliebten Medium dazu verwiesen). Unsere Vorfahren waren leider in gewisser Weise so naiv, Begriffe wie „Ritterlichkeit“ noch ernst zu nehmen, vielleicht waren sie einfach zu jung im Geschäft (die „verspätete Nation“ usw.).

Zudem konnte man sich nicht mehr vorstellen, daß es das wirklich Böse in diesem höchst-kultivierten Europa noch geben könne. Nun ging die Zeit über sie hinweg. Und anschließend mußte so eine noch größere Lüge über die vorige gestülpt werden, um die erste zu verbergen (Versailles).

Das wissen wir heute alles besser. Wie man zu allen Zeiten anschließend alles besser wußte (z.B. indem man einen „entlarvenden“ Text von Heidegger (den ich nicht mal mag, soviel Privatheit muß erlaubt sein) triumphierend hervorzieht). Aber das war sehr beiläufig.

In den Trümmern des Vaterlandes gedenken wir also heute eines Etwas, dem wir noch immer angehören. Wir waren aus der Zeit gefallen, wohl von Geburt an. Darum müssen wir auch nicht so sehr der Gegenwart anhängen. Aber trauern dürfen wir, das gestehen wir uns aus eigener Vollmacht zu, wie über das Vergangene so auch über das Zukünftige.

Frankfurt am Main,  Goetheplatz mit dem Hotel zum Schwan,
die 25-jährige Jubiläumsfeier des Sedantags am 2. September 1895,

Deutschlands Riesen bei Sedan

Zu Sedan auf dem Turme beim welschen Kriegspanier
Steht mit verschränkten Armen ein junger Offizier.
Sein Blick schweift in die Runde, der Feind steht vor dem Tor,
Doch deckt ihn noch im Tale des Morgens Nebelflor.

Nur drüben auf der Höhe, südlich von Frenoir,
Hebt sich vom Morgenhimmel ein Umriß, deutlich klar.
Zwei Riesen, scheint es, halten für Deutschland hier die Wacht,
Reglos wie angewurzelt, still-düster wie die Nacht.

- Er hebt das Glas zum Auge und stellt es schärfer ein:
,Was Teufel, seh' ich richtig! Das muß Graf Moltke sein!
Mit eingekniffnen Lippen, das Fernrohr in der Hand,
Nimmt er wohl schon zum voraus Besitz von unserm Land!

Und neben ihm der Hüne, das muß Graf Bismarck sein!
Nur eine deutsche Eiche hat solchen Wuchs allein.
Vraiment! Ich kenn' ihn wieder. Das ernste Angesicht
Und diese hohe. Stirne, die zwei vergißt man nicht.`

Sedan, nun Gott befohlen! Der Tag wird schwer und heiß!
Nun, Frankreichs müder Kaiser, gib alle Hoffnung preis!
Dort stehen Deutschlands Riesen, zwei Säulen stark und schlicht.
Sie siegen oder fallen, ein Drittes gibt es nicht.

Da löst sich aus der Stille schon ein Kanonenschlag
Und grüßt mit Donnerstimme den angebrochnen Tag.
Nun singen tausend Vöglein, aus Stahl und Blei gedreht,
Nun summen tausend Bienen, wo nur ein Franzmann steht.

Ein Regen von Geschossen fällt nieder auf das Land,
So ging einst Sedan unter im heißen Schwefelbrand.
Und immer enger schloß sich der deutsche Eisenring,
Bis an des Turmes Zinne das weiße Banner hing.

Da reckte Bismarck höher den stolzen Gliederbau
Und ließ das Auge schweifen empor zum Himmelsblau.
Graf Moltke hielt den Degen und legte Hand in Hand
Und sprach den schlichten Segen: "Herr, Du hast es gewandt!"

Hermann Dressier, Illustrierte Westdeutsche Wochenschau, 1910