Donnerstag, 31. Juli 2008

Nachgetragen

Zu meinem beträchtlichen Bedauern konnte ich gestern nicht einen Gedenkgottesdienst aufsuchen, der dem 110. Todestag Bismarcks an seinem Geburtsort gewidmet war. Da mir Thomas Roloff soeben freundlicherweise seine Ansprache übersandt hat, die er aus diesem Anlaß gehalten hatte, sei diese wenigstens hier dokumentiert:


"Ansprache aus Anlass des 110. Todestages des Fürsten Otto von Bismarck im Gedenkgottesdienst am 30.07.2008 in der Kirche
St. Marien und Willebrord zu Schönhausen.

1. Timotheus 4, 6-10 und Matthäus 20, 25-28


Friede sei mit euch!

Liebe Gemeinde,

der heute vor 110 Jahren verstorbene Fürst hatte sich seine Grabschrift selbst gewählt. Er wollte ihr gemäß den Zeitgenossen aber auch den nachgeborenen Generationen als Diener gelten. „Ein treuer, deutscher Diener Kaiser Wilhelms I.“ steht auf seinem Sarkophag im Sachsenwald. Die Lesung und das Evangelium dieser Feier haben darum den Diener zum Thema und wollen uns verdeutlichen, was ein Diener ist.

Wir müssen die beiden Texte schon darum heranziehen, weil die landläufige Vorstellung vom Diener, der mit niedriger Arbeit, als Mitglied der unteren Stände sein Dasein fristet, natürlich gar nicht passt zur gewaltigen Figur des Reichsgründers. Er steht vor uns wie das Denkmal in Hamburg ihn zeigt, als unbeugsamer Sieger, als unangefochtener, beinahe unfehlbarer Kanzler seines Volkes. Er hat den Verfassungskonflikt um die Heeresreform durchgekämpft, im Interesse Preußens drei Kriege geführt, den deutschen Nationalstaat errichtet und ihm dann zwanzig Jahre den Frieden erhalten. Er gilt durch die Einrichtung der Renten-, Kranken- und Unfallversicherung als Begründer des modernen Wohlfahrtsstaates.

So richtig das alles sein mag, gibt es doch die Wirklichkeit des Lebens Bismarcks bestenfalls nur zur Hälfte wieder, denn immer war sein Weg begleitet durch Missgunst, Hass, Neid und bittere Feindschaft.

Bereits in den Revolutionstagen der Jahre 1848/49 galt er vielen als die Inkarnation aller reaktionärer Gedanken. Als er sich dann als Ministerpräsident gegen das Parlament stellte und später den Krieg gegen Österreich betrieb war das sogar einflussreichen Parteien am Hof nicht mehr nur Rechtsbruch, sondern Verbrechertum. Man begann öffentlich über den Geisteszustand Bismarcks zu spekulieren. Nur der überwältigende Erfolg seiner Politik ließ die Kritiker zwischenzeitlich verstummen. Im Kulturkampf aber und später im Zusammenhang mit den Sozialistengesetzen erhoben sie um so vernehmlicher ihre Stimmen. Zweimal nämlich 1866 und 1873 wurden sogar Attentate auf den Mann von „Blut und Eisen“ verübt. In den späten Jahren wurde dann vor allem seine mühsame, komplizierte und oft auch einsame Bündnispolitik angefeindet. Man hielt das, was Bismarck tat, für altmodisch und für glanzlos, so wie er es scheinbar selbst geworden war - alt und glanzlos. Als dieser alte Fürst dann 1890 von seinen Ämtern zurücktreten musste, hielt sich das Bedauern darüber in sehr engen Grenzen. Ein Abgeordneter verkündete seinen Wählern am Abend des Amtsverzichts: „Ich habe für Sie eine gute Nachricht. Von heute an werden Preußen und das Reich wieder von dem Hause Hohenzollern regiert und nicht mehr durch die Sippschaft der Bismarcks.“

1892 demütigte ihn der Berliner Kaiserhof, indem er die Teilnahme des offiziellen Wien an der Hochzeit des Grafen Herbert mit Margarethe Hoyos verhinderte, und Kaiser Franz-Joseph es ablehnte, Bismarck zu empfangen.

Margarethe Hoyos hat später als Witwe Herberts noch mehrere Jahre hier in Schönhausen gewohnt, und einige unter uns haben sie sogar noch persönlich erlebt.

Es war keineswegs so, dass Bismarck von all dem ungerührt geblieben wäre. Vielmehr machte es ihn krank und schlaflos. Sein Weg war immer wieder durch schwere oft sogar lebensbedrohliche Leiden bestimmt, und dennoch hatte er die Lasten seiner Ämter immer weitergetragen. Natürlich gab es dafür eine ganze Reihe von Gründen. Bismarck fand Erfüllung in der Machtausübung. Er war von seiner eigenen hohen Begabung für diesen Beruf außerordentlich überzeugt, und er war nicht frei von jenem Geltungsdrang, der zweifellos für ein Leben in der Öffentlichkeit unverzichtbar ist.

Alles das erklärt aber nicht einmal im Ansatz den selbst für das 19. Jahrhundert sehr langen, von größtem Erfolg gekennzeichneten Weg dieses Mannes. Die letzten Ursachen dafür sind eben doch in dem zu suchen, was der auf den Tod schon zugehende Fürst für seine Grabschrift bestimmte. Er wollte wirklich Diener sein.

Diener in diesem Sinne wird man aber nicht in einem aufgezwungenem Unterstellungsverhältnis, sondern Diener im christlichen Sinne ist derjenige, der gefunden hat, wem er sich mit Hingabe anschließt. Diener zu sein ist keine versklavende Rolle, sondern eine Lebenshaltung, die befreit. Dabei ist von größtem Interesse, was der Herr im Evangelium gesagt hat:

Wer groß sein will, der soll euer Diener sein.
Jesus verwirft nicht den Willen des Menschen zur Größe, sondern er lenkt ihn in eine Bahn, auf der Verwirklichung bleibender Größe möglich wird. Er sagt weiter: Wer der erste unter euch sein will, der sei euer Knecht. Jesus verwirft nicht das Streben des Menschen danach, Erster zu sein, sondern er lenkt dieses Streben in einen wirklichen Dienst am Menschen. Bezeichnender Weise kann man an dieser Stelle das Wort Erster auch mit Fürst übersetzen, worin sich dasselbe Wort verbirgt, wie wir am Englischen noch gut erkennen können. So könnte es an unserer Stelle auch heißen: Wer euer Fürst sein will, der sei euer Diener.

Nun mag aber jemand einwenden: Bismarck wollte doch nun aber gar nicht „Diener der Menschen“ sein, sondern nur Diener eines Menschen, nämlich seines Kaisers.

Dem heutigen Menschen klingt dieser Einwand vermutlich sogar plausibel. Aber selbst er wird zustimmen, dass es einen Unterschied macht, ob man den Menschen tatsächlich dient, oder ob man sich ihnen nur beliebt machen will. Für Aufgaben, von denen in unserem Zusammenhang die Rede ist, muss man schon eine höhere Idee haben, als nur den Menschen gefallen zu wollen. Wer wirklich die größten Höhen erklimmen will, der muss zuvor gefunden haben, wem er sich unterwirft. Er kann sich mit Sicherheit nicht jeder wechselhaften und unbeständigen Stimmung unterwerfen, sondern braucht einen Kompass, der auch dann noch die Richtung vorgibt, wenn sich alles um ihn verändert hat.

Bismarck hatte einen solchen Leitstern in der Figur des alten Kaisers gefunden, der ein Mensch war, wie er selbst. Aber die Haltung des Dieners wurde zwar an der Figur des Kaisers eingeübt, sie galt aber allein Gott. Das Verhältnis zu einem Monarchen hat entweder diese, das Religiöse verwirklichende Dimension, oder es hört auf überhaupt von Belang zu sein. Vielleicht war dies ja zwischen Wilhelm I. und Bismarck das letzte Mal in der Geschichte der Fall.

Das authentische Reden Bismarcks von der Gottesfurcht jedenfalls, scheint ja beinahe anzuschließen an die Passage aus dem 1. Timotheusbrief, die wir gehört haben und in der es heißt: Die Gottesfurcht ist zu allen Dingen nütze und hat die Verheißung dieses und des künftigen Lebens.

Als Bismarck im Februar 1888 seine Reichstagsrede mit jenen vielzitierten Worten hält: -„Wir Deutschen fürchten Gott und sonst nichts in der Welt, und die Gottesfurcht ist es schon, die uns den Frieden lieben und pflegen lässt“- da stellte er sich damit ausdrücklich gegen die sehr verbreitete Kriegsstimmung im Reich und in Europa.

So konnte viel später, nämlich 1912, dann auch der Staatssekretär Kiderlen-Wächter auf die Frage, ob ein Bismarck in der deutschen Politik fehlt, feststellen: „Richtig verstanden: Ja! Die Autorität eines Bismarck fehlt, nicht um eine schneidige Politik durchzuführen, sondern um die von ihm festgelegten Grundsätze der Mäßigung und Vorsicht einer unvorsichtig gewordenen öffentlichen Meinung gegenüber zu vertreten und zur Geltung zu bringen.“

Ich bin der festen Überzeugung, dass Bismarck diese Grundsätze der Mäßigung und Vorsicht, wie sie hier genannt werden, aus keiner anderen Quelle heraus entwickelt hat, als aus seiner Gottesfurcht. Die Mahnung zur Gottesfurcht ist nach Paulus nun wiederum sogar genau das, was einen guten Diener Christi Jesu ausmacht, und worin er sich auch selbst üben soll. „Die Gottesfurcht ist zu allen Dingen nütze und hat die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens.“ Sie ist darum von so gewaltiger Bedeutung, weil wir Menschen gültige Maßstäbe nicht in uns selber finden können, sondern nur in der Verehrung des Wesens, das uns und alles geschaffen hat. In dieser Haltung kann man Zeiten und Menschen voneinander unterscheiden. Man erkennt diejenigen, die Gutes gebaut haben und jene, die zerstören. Es ist in diesen Tagen genau 50 Jahre her, dass das Geburtshaus des Reichsgründers gesprengt wurde. Wir sollen aber die Geschichte nicht gegeneinander instrumentalisieren, aber wir sollen immer aus ihr lernen. Inzwischen wurden viele Dinge wieder zurecht gebracht, und wir erinnern uns mit unverstelltem Blick an die Geschichte dieses Ortes. Lasst uns zu denjenigen gehören, die aufbauen und nicht zu jenen, die zerstören. Auch darin nehmen wir etwas von dem Dienst auf, den der Fürst selbst seinem Lande geleistet hat. Er hat recht daran getan, zu schreiben: Ein treuer deutscher Diener.

Amen"

Die Ansprache wurde gehalten von Thomas Roloff, Dipl. theol. und Vorsitzender des Gemeindekirchenrates Schönhausen/Elbe

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