Donnerstag, 18. Mai 2023

Über die Himmelfahrt Christi

Giotto di Bondone, Padua, Cappella degli Scrovegni, 
Himmelfahrt Christi, 1303, von hier

Die Auferstehungsberichte Jesu sind höchst eigentümlich. Kein Triumphalismus, sondern Erschrecken, Skepsis, Verwunderung,  Nicht-Wiedererkennen, die Angst vor einer Geistererscheinung, zögerliches Anerkennen, bis die Eindeutigkeit des Erscheinens überwältigt, dessen Körperlichkeit offenkundig ist und auch wieder nicht. 

Diese  Berichte zeugen von der Überforderung, das Geschehene zu fassen, und sie sind darin schonungslos aufrichtig. Es war eben gerade nicht die verständliche menschliche Sehnsucht nach einer sich erfüllenden Selbstsuggestion, kein vorbereitetes Suchen, sondern eine Wesensänderung, die ohne ein einschneidendes Ereignis schwer erklärbar ist.

Die Evangelien berichten, wie Jesus seinen Jüngern mehrfach erscheint und schließlich entrückt wird. Was aber bei diesen merkwürdigerweise nicht zu neuer Niedergeschlagenheit führt, sondern zum Gegenteil.

Papst Benedikt XVI., Rom 12. Oktober 2008, von hier

Benedikt XVI. hat in seinem Jesusbuch (Jesus von Nazareth. Zweiter Teil. Vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung. Freiburg im Breisgau, 2011) diese Vorgänge wie folgt erhellt:

Er wendet sich dem Schluß des Lukas-Evangeliums zu: "Da wird erzählt, wie Jesus den in Jerusalem versammelten Aposteln erscheint, zu denen noch de zwei Emmaus-Jünger gestoßen sind. Er isst mit ihnen und erteilt Weisungen... 

‚Dann führte er sie hinaus in die Nähe von Bethanien. Dort erhob er seine Hände und segnete sie. Und während er sie segnete, verließ er sie und wurde zum Himmel emporgehoben; sie aber fielen vor ihm nieder. Dann kehrten sie in großer Freude nach Jerusalem zurück. Und sie waren immer im Tempel und priesen Gott.‘

Frauen am Grabe Christi und Himmelfahrt des Herrn (sog. „Reidersche Tafel“); Elfenbein; Mailand oder Rom, um 400 n. Chr., von hier

Dieser Abschluss verwundert uns. Lukas sagt, dass die Jünger voll Freude waren, als der Herr endgültig von ihnen gegangen war. Wir würden das Gegenteil erwarten. Wir würden erwarten, dass sie ratlos und traurig zurückblieben. Die Welt hatte sich nicht geändert, Jesus war endgültig von ihnen gegangen. Sie hatten einen Auftrag erhalten, der unausführbar schien und ihre Kräfte überstieg. 

Wie sollten sie vor die Menschen in Jerusalem, in Israel, in der ganzen Welt hintreten und sagen: ‚Dieser Jesus, der gescheitert schien, ist doch der Retter von uns allen‘? Jeder Abschied hinterlässt Trauer. Auch wenn Jesus als Lebender von ihnen gegangen war: Wie sollte sein endgültiges Scheiden von ihnen sie nicht traurig machen? Und doch - da steht, sie kehrten in großer Freude nach Jerusalem zurück und priesen Gott. Wie können wir das verstehen?

Himmelfahrtskapelle auf dem Ölberg in Jerusalem (um 1150),

Jedenfalls folgt daraus, dass die Jünger sich nicht verlassen fühlen. Dass sie Jesus nicht als weit von ihnen in einen unzugänglichen Himmel entschwunden ansehen. Sie sind offenbar einer neuen Gegenwart Jesu gewiss. Sie sind sich gewiss..., dass er gerade jetzt auf eine neue und machtvolle Weise bei ihnen gegenwärtig ist.  Sie wissen, dass ‚die Rechte Gottes‘, zu der er ‚erhöht ist‘, eine neue Weise seiner Gegenwart einschließt, dass er nun unverlierbar bei ihnen  ist, so wie eben nur Gott uns nahe sein kann.

Die Freude der Jünger nach der ‚Himmelfahrt‘ korrigiert unser Bild von diesem Ereignis. ‚Himmelfahrt‘ ist nicht Weggehen in eine entfernte Zone des Kosmos, sondern die bleibende Nähe, die die Jünger so stark erfahren, dass daraus beständige Freude wird.“

Der Vorstellung eines erneuerten David-Reiches stelle Jesus eine Verheißung und einen Auftrag entgegen. „Die Verheißung ist, dass sie von der Kraft des Heiligen Geistes erfüllt werden; der Auftrag besteht darin, seine Zeugen bis an die Grenzen der Erde zu sein.

Das Fragen nach Zeiten und Fristen wird ausdrücklich abgelehnt. Nicht Geschichtsspekulation, nicht Ausschau nach kommendem Unbekanntem ist die Haltung der Jünger. Christentum ist Gegenwart: Gabe und Auftrag, Beschenktwerden mit der inneren Nähe Gottes und - aus dieser heraus - Wirken im Zeugnis für Jesus Christus... 

John Singleton Copley, Ascension of Jesus, 1775, von hier

Die Rede von der Wolke... stellt das Entschwinden Jesu nicht als Reise zu den Sternen, sondern als Eintreten ins Geheimnis Gottes dar. Damit ist eine ganz andere Größenordnung, eine andere Dimension des Seins angesprochen... 

Der scheidende Jesus geht nicht irgendwo hin auf ein fernes Gestirn. Er geht in die Macht- und Lebensgemeinschaft mit dem lebendigen Gott ein, in Gottes Raumüberlegenheit. Darum ist er nicht ‚weggegangen‘, sondern nun immer von Gottes eigener Macht her bei uns und für uns da. 

In den Abschiedsreden des Johannes-Evangeliums sagt Jesus gerade dies zu seinen Jüngern: ‚Ich gehe und ich komme zu euch‘ (14,28). Hier ist das Besondere des ‚Weggehens‘ Jesu, das zugleich sein ‚Kommen ist, wunderbar zusammengefasst, und damit ist zugleich das Geheimnis von Kreuz, Auferstehung und Himmelfahrt ausgelegt ...

Und denken wir daran, dass nach Johannes der Ort der ‚Erhöhung‘ Christi sein Kreuz ist und dass unsere immer wieder nötige ‚Himmelfahrt', unser Aufsteigen, um ihn zu berühren, Mitgehen mit dem Gekreuzigten sein muss. 

Der Christus beim Vater ist nicht fern von uns, höchstens sind wir fern von ihm; aber der Weg zueinander steht offen. Worum es hier geht, ist nicht der Weg einer Raumfahrt kosmisch-geographischer Art, sondern die ‚Raumfahrt‘ des Herzens, von der Dimension der Selbstverschließung zu der neuen Dimension der weltumspannenden göttlichen Liebe...

Benjamin West, The Ascension, 1801, von hier

Und das Entzogenwerden Jesu durch die Wolke bedeutet nicht Bewegung zu einem anderen kosmischen Ort, sondern die Hineinnahme in das Sein Gottes selbst und so die Teilhabe an seiner Gegenwartsmacht in der Welt...

Der Sieg der Liebe wird das letzte Wort der Weltgeschichte sein. Von den Christen wird für die ‚Zwischenzeit‘ Wachheit als Grundhaltung verlangt... Wachheit bedeutet zuallererst Offenheit für das Gute, für die Wahrheit, für Gott, mitten in einer oft unerklärlichen Welt und mitten in der Macht des Bösen. Sie bedeutet, dass der Mensch mit aller Kraft und mit großer Nüchternheit das Rechte zu tun versucht, dass er nicht nach seinen eigenen Wünschen lebt, sondern nach der Wegweisung des Glaubens...

Gustave Doré,  L'Ascension, 1879, von hier

Kehren wir noch einmal zum Schluss des Lukas-Evangeliums zurück. Jesus führte die Seinen in die Nähe von Bethanien, so wird uns gesagt. ‚Dort erhob er seine Hände und segnete sie. Und während er sie segnete, verließ er sie und wurde zum Himmel emporgehoben‘ (24,50f). Jesus scheidet segnend. Segnend geht er, und im Segnen bleibt er. Seine Hände bleiben ausgebreitet über diese Welt.

Die segnenden Hände Christi sind wie ein Dach, das uns schützt. Aber sie sind zugleich eine Gebärde der Öffnung, die die Welt aufreißt, damit der Himmel in sie hereindringe, in ihr Gegenwart werden kann. 

In der Gebärde der segnenden Hände ist das bleibende Verhältnis Jesu zu seinen Jüngern, zur Welt ausgedrückt. Im Weggehen kommt er, um uns über uns selbst hinaufzuheben und die Welt für Gott zu öffnen. Deswegen konnten sich die Jünger freuen, als sie von Bethanien nach Hause gingen. 

Im Glauben wissen wir, dass Jesus seine Hände segnend über uns ausgebreitet hält. Dies ist der bleibende Grund christlicher Freude.“

Papst Benedikt XVI., Pfingstmesse im Petersdom 2005, von hier

nachgetragen am Pfingstsonntag, dem 28. Mai

Sonntag, 14. Mai 2023

Zum Sonntag Rogate – eine Predigt

Reformationskirche in Magdeburg-Rothensee, von hier

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen

Das Gemeindegebet

1 So ermahne ich euch nun, daß man vor allen Dingen zuerst tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, 2 für die Könige und alle Obrigkeit, auf daß wir ein ruhiges und stilles Leben führen mögen in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit. 3 Denn solches ist gut und angenehm vor Gott, unserm Heiland, 4 welcher will, daß allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen 5 Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, 6 der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung, 

(1 Tim 2,1-6a)

Liebe Gemeinde,

jubelt, singt und betet. Das ist der wunderbare Dreiklang, der am Ende der Osterzeit steht. So lauten nämlich die Namen der drei Sonntage vor dem Himmelfahrtsfest – Jubilate, Kantate und Rogate. Jubelt, singt und betet. Und in einer gewissen Weise ist das Gebet der Abschluss und vielleicht sogar der Höhepunkt davon, wie wir Christen Ostern feiern, wie wir unser Leben führen.

Betet Brüder und Schwestern und ihr werdet lernen, was Beten bedeutet, dass es Sinn macht, und ohne zu beten werdet ihr es nicht lernen. Die erste Bitte des Gebetes richtet sich demzufolge immer auf das Beten selbst.

Herr, lehre uns zu beten!

Vater unser im Himmel!

Das Gebet tastet und sucht und stammelt zunächst auf ein Anreden hin. Das Gebet tastet und sucht und stammelt auf den hin, an den mein Bitten und Reden und Hoffen und Leben gerichtet ist. Selbst unsere Sprache hat sich erhoben und gebildet aus dem dringenden, drängenden und brennenden Wunsch, mit dem zu kommunizieren, aus dem die Welt geworden ist.

Gott, Herr, Vater! Dich rufen wir an.

Reformationskirche, von hier

Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft, noch seine Güte von mir wendet. In diesem Lob, in diesem Sprechen, in dieser Hinwendung zu dem, der die ganze Schöpfung in seinen Händen hält, wird der Mensch zum Menschen gebildet. Durch den unverwandten Blick auf Gott, durch das Sprechen zu Gott und durch das Hören von Gott wird der Mensch zum Menschen und es beginnt das Lernen und es beginnt menschliches Leben.

Von Paulus lernen wir dann: So ermahne ich euch nun, daß man vor allen Dingen zuerst tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen.

Liebe Gemeinde,

nur durch Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung wird aus uns Menschen ein Gottesvolk. Das Gebet stiftet und bewahrt Gemeinschaft. Von Novalis stammt die Vorstellung, dass die Luft, die allen Menschen lebensnotwendig durch die Lungen strömt, so etwas ist, wie ein gemeinsames Organ. In der Schöpfungsgeschichte können wir etwas davon erahnen, dass es einen Lebensodem gibt, der uns von Gott eingehaucht wird. Wir sind eben nicht nur Individuen, wir sind auch ganz real ein Gemeinschaftswesen. Das, was uns hier umgibt, ist nicht nur etwas Physikalisches, es ist Teil unserer Lebendigkeit, denn es ist ein Teil von Gottes Schöpfung.

Auf dieses Einatmen des Lebens soll das Ausatmen des Dankens folgen. Einatmen und Ausatmen sind die Grundübung unserer Lebendigkeit. Füllt den ganzen Erdkreis mit eurem Danken und atmet die Bitte, das Gebet, die Fürbitte und die Danksagung aller Menschen und aller Zeiten. Unser letztes Atmen wird dann auch ein Dank sein.

Betet auch für die Könige und für alle Obrigkeit. Am vergangenen Wochenende wurden wir Zeugen davon, dass es auch heute noch gesalbte und gekrönte Könige gibt. Wie auch immer man dazu im Einzelnen steht, so macht uns Paulus doch deutlich, wie sehr auch sie auf unsere Fürsprache angewiesen sind.

Wir sollen für die Obrigkeit beten, auf daß wir ein ruhiges und stilles Leben führen mögen in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit. Obrigkeiten, die die Menschen beunruhigen, die Gewachsenes und Vertrautes in Frage stellen und ständig vorgeben, sie erst müssten die Welt retten, die haben offenbar nach dem Verständnis des Paulus wenig von dem begriffen, worin ihre Aufgabe liegt.

Lasst euch also durch die Aufgeregtheit der Welt nicht in die Irre führen, sondern sucht das ruhige und stille Leben in Gottseligkeit und Ehrbarkeit und im Vertrauen auf den Retter der Welt, dessen Auferstehung wir feiern.

Denn solches ist gut und angenehm vor Gott, unserm Heiland, welcher will, daß allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.

Das ist der interessanteste Gedanke für mich in unserem heutigen Predigttext. Paulus beschreibt hier einen Zusammenhang, der erst in der Erkenntnis der Wahrheit sein Ziel findet. Unser stetes Gebet, unsere ständige Erörterung mit Gott, suchen nach Wahrheit, die uns als Antwort auf unser Beten geschenkt wird.

Beten ist ein Zugewandtsein und ein von sich selbst Absehen. Beten sucht das Gegenüber und in ihm eine Vollständigkeit, wenigstens eine Vervollständigung. Der Mensch ist sich selbst nicht genug. Er richtet in die Welt durch sein Gebet sein Wort, seine Frage, seine Zweifel, seine Angst. Damit gewinnt er die Möglichkeit, dem zu begegnen, der sein Wort hört, seiner Frage antwortet, die Zweifel zerstreut und die Angst nimmt. So kann er angenehm werden vor Gott, wie Paulus es nennt.

Wir werden angenehm vor Gott und können ihm dafür danken, ihn loben und ehren von nun an bis in alle Ewigkeit.

Amen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist denn alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unseren Herrn.

Amen.

Thomas Roloff

nachgetragen am 15. Mai