Donnerstag, 18. Mai 2023

Über die Himmelfahrt Christi

Giotto di Bondone, Padua, Cappella degli Scrovegni, 
Himmelfahrt Christi, 1303, von hier

Die Auferstehungsberichte Jesu sind höchst eigentümlich. Kein Triumphalismus, sondern Erschrecken, Skepsis, Verwunderung,  Nicht-Wiedererkennen, die Angst vor einer Geistererscheinung, zögerliches Anerkennen, bis die Eindeutigkeit des Erscheinens überwältigt, dessen Körperlichkeit offenkundig ist und auch wieder nicht. 

Diese  Berichte zeugen von der Überforderung, das Geschehene zu fassen, und sie sind darin schonungslos aufrichtig. Es war eben gerade nicht die verständliche menschliche Sehnsucht nach einer sich erfüllenden Selbstsuggestion, kein vorbereitetes Suchen, sondern eine Wesensänderung, die ohne ein einschneidendes Ereignis schwer erklärbar ist.

Die Evangelien berichten, wie Jesus seinen Jüngern mehrfach erscheint und schließlich entrückt wird. Was aber bei diesen merkwürdigerweise nicht zu neuer Niedergeschlagenheit führt, sondern zum Gegenteil.

Papst Benedikt XVI., Rom 12. Oktober 2008, von hier

Benedikt XVI. hat in seinem Jesusbuch (Jesus von Nazareth. Zweiter Teil. Vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung. Freiburg im Breisgau, 2011) diese Vorgänge wie folgt erhellt:

Er wendet sich dem Schluß des Lukas-Evangeliums zu: "Da wird erzählt, wie Jesus den in Jerusalem versammelten Aposteln erscheint, zu denen noch de zwei Emmaus-Jünger gestoßen sind. Er isst mit ihnen und erteilt Weisungen... 

‚Dann führte er sie hinaus in die Nähe von Bethanien. Dort erhob er seine Hände und segnete sie. Und während er sie segnete, verließ er sie und wurde zum Himmel emporgehoben; sie aber fielen vor ihm nieder. Dann kehrten sie in großer Freude nach Jerusalem zurück. Und sie waren immer im Tempel und priesen Gott.‘

Frauen am Grabe Christi und Himmelfahrt des Herrn (sog. „Reidersche Tafel“); Elfenbein; Mailand oder Rom, um 400 n. Chr., von hier

Dieser Abschluss verwundert uns. Lukas sagt, dass die Jünger voll Freude waren, als der Herr endgültig von ihnen gegangen war. Wir würden das Gegenteil erwarten. Wir würden erwarten, dass sie ratlos und traurig zurückblieben. Die Welt hatte sich nicht geändert, Jesus war endgültig von ihnen gegangen. Sie hatten einen Auftrag erhalten, der unausführbar schien und ihre Kräfte überstieg. 

Wie sollten sie vor die Menschen in Jerusalem, in Israel, in der ganzen Welt hintreten und sagen: ‚Dieser Jesus, der gescheitert schien, ist doch der Retter von uns allen‘? Jeder Abschied hinterlässt Trauer. Auch wenn Jesus als Lebender von ihnen gegangen war: Wie sollte sein endgültiges Scheiden von ihnen sie nicht traurig machen? Und doch - da steht, sie kehrten in großer Freude nach Jerusalem zurück und priesen Gott. Wie können wir das verstehen?

Himmelfahrtskapelle auf dem Ölberg in Jerusalem (um 1150),

Jedenfalls folgt daraus, dass die Jünger sich nicht verlassen fühlen. Dass sie Jesus nicht als weit von ihnen in einen unzugänglichen Himmel entschwunden ansehen. Sie sind offenbar einer neuen Gegenwart Jesu gewiss. Sie sind sich gewiss..., dass er gerade jetzt auf eine neue und machtvolle Weise bei ihnen gegenwärtig ist.  Sie wissen, dass ‚die Rechte Gottes‘, zu der er ‚erhöht ist‘, eine neue Weise seiner Gegenwart einschließt, dass er nun unverlierbar bei ihnen  ist, so wie eben nur Gott uns nahe sein kann.

Die Freude der Jünger nach der ‚Himmelfahrt‘ korrigiert unser Bild von diesem Ereignis. ‚Himmelfahrt‘ ist nicht Weggehen in eine entfernte Zone des Kosmos, sondern die bleibende Nähe, die die Jünger so stark erfahren, dass daraus beständige Freude wird.“

Der Vorstellung eines erneuerten David-Reiches stelle Jesus eine Verheißung und einen Auftrag entgegen. „Die Verheißung ist, dass sie von der Kraft des Heiligen Geistes erfüllt werden; der Auftrag besteht darin, seine Zeugen bis an die Grenzen der Erde zu sein.

Das Fragen nach Zeiten und Fristen wird ausdrücklich abgelehnt. Nicht Geschichtsspekulation, nicht Ausschau nach kommendem Unbekanntem ist die Haltung der Jünger. Christentum ist Gegenwart: Gabe und Auftrag, Beschenktwerden mit der inneren Nähe Gottes und - aus dieser heraus - Wirken im Zeugnis für Jesus Christus... 

John Singleton Copley, Ascension of Jesus, 1775, von hier

Die Rede von der Wolke... stellt das Entschwinden Jesu nicht als Reise zu den Sternen, sondern als Eintreten ins Geheimnis Gottes dar. Damit ist eine ganz andere Größenordnung, eine andere Dimension des Seins angesprochen... 

Der scheidende Jesus geht nicht irgendwo hin auf ein fernes Gestirn. Er geht in die Macht- und Lebensgemeinschaft mit dem lebendigen Gott ein, in Gottes Raumüberlegenheit. Darum ist er nicht ‚weggegangen‘, sondern nun immer von Gottes eigener Macht her bei uns und für uns da. 

In den Abschiedsreden des Johannes-Evangeliums sagt Jesus gerade dies zu seinen Jüngern: ‚Ich gehe und ich komme zu euch‘ (14,28). Hier ist das Besondere des ‚Weggehens‘ Jesu, das zugleich sein ‚Kommen ist, wunderbar zusammengefasst, und damit ist zugleich das Geheimnis von Kreuz, Auferstehung und Himmelfahrt ausgelegt ...

Und denken wir daran, dass nach Johannes der Ort der ‚Erhöhung‘ Christi sein Kreuz ist und dass unsere immer wieder nötige ‚Himmelfahrt', unser Aufsteigen, um ihn zu berühren, Mitgehen mit dem Gekreuzigten sein muss. 

Der Christus beim Vater ist nicht fern von uns, höchstens sind wir fern von ihm; aber der Weg zueinander steht offen. Worum es hier geht, ist nicht der Weg einer Raumfahrt kosmisch-geographischer Art, sondern die ‚Raumfahrt‘ des Herzens, von der Dimension der Selbstverschließung zu der neuen Dimension der weltumspannenden göttlichen Liebe...

Benjamin West, The Ascension, 1801, von hier

Und das Entzogenwerden Jesu durch die Wolke bedeutet nicht Bewegung zu einem anderen kosmischen Ort, sondern die Hineinnahme in das Sein Gottes selbst und so die Teilhabe an seiner Gegenwartsmacht in der Welt...

Der Sieg der Liebe wird das letzte Wort der Weltgeschichte sein. Von den Christen wird für die ‚Zwischenzeit‘ Wachheit als Grundhaltung verlangt... Wachheit bedeutet zuallererst Offenheit für das Gute, für die Wahrheit, für Gott, mitten in einer oft unerklärlichen Welt und mitten in der Macht des Bösen. Sie bedeutet, dass der Mensch mit aller Kraft und mit großer Nüchternheit das Rechte zu tun versucht, dass er nicht nach seinen eigenen Wünschen lebt, sondern nach der Wegweisung des Glaubens...

Gustave Doré,  L'Ascension, 1879, von hier

Kehren wir noch einmal zum Schluss des Lukas-Evangeliums zurück. Jesus führte die Seinen in die Nähe von Bethanien, so wird uns gesagt. ‚Dort erhob er seine Hände und segnete sie. Und während er sie segnete, verließ er sie und wurde zum Himmel emporgehoben‘ (24,50f). Jesus scheidet segnend. Segnend geht er, und im Segnen bleibt er. Seine Hände bleiben ausgebreitet über diese Welt.

Die segnenden Hände Christi sind wie ein Dach, das uns schützt. Aber sie sind zugleich eine Gebärde der Öffnung, die die Welt aufreißt, damit der Himmel in sie hereindringe, in ihr Gegenwart werden kann. 

In der Gebärde der segnenden Hände ist das bleibende Verhältnis Jesu zu seinen Jüngern, zur Welt ausgedrückt. Im Weggehen kommt er, um uns über uns selbst hinaufzuheben und die Welt für Gott zu öffnen. Deswegen konnten sich die Jünger freuen, als sie von Bethanien nach Hause gingen. 

Im Glauben wissen wir, dass Jesus seine Hände segnend über uns ausgebreitet hält. Dies ist der bleibende Grund christlicher Freude.“

Papst Benedikt XVI., Pfingstmesse im Petersdom 2005, von hier

nachgetragen am Pfingstsonntag, dem 28. Mai

Sonntag, 14. Mai 2023

Zum Sonntag Rogate – eine Predigt

Reformationskirche in Magdeburg-Rothensee, von hier

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen

Das Gemeindegebet

1 So ermahne ich euch nun, daß man vor allen Dingen zuerst tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, 2 für die Könige und alle Obrigkeit, auf daß wir ein ruhiges und stilles Leben führen mögen in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit. 3 Denn solches ist gut und angenehm vor Gott, unserm Heiland, 4 welcher will, daß allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen 5 Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, 6 der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung, 

(1 Tim 2,1-6a)

Liebe Gemeinde,

jubelt, singt und betet. Das ist der wunderbare Dreiklang, der am Ende der Osterzeit steht. So lauten nämlich die Namen der drei Sonntage vor dem Himmelfahrtsfest – Jubilate, Kantate und Rogate. Jubelt, singt und betet. Und in einer gewissen Weise ist das Gebet der Abschluss und vielleicht sogar der Höhepunkt davon, wie wir Christen Ostern feiern, wie wir unser Leben führen.

Betet Brüder und Schwestern und ihr werdet lernen, was Beten bedeutet, dass es Sinn macht, und ohne zu beten werdet ihr es nicht lernen. Die erste Bitte des Gebetes richtet sich demzufolge immer auf das Beten selbst.

Herr, lehre uns zu beten!

Vater unser im Himmel!

Das Gebet tastet und sucht und stammelt zunächst auf ein Anreden hin. Das Gebet tastet und sucht und stammelt auf den hin, an den mein Bitten und Reden und Hoffen und Leben gerichtet ist. Selbst unsere Sprache hat sich erhoben und gebildet aus dem dringenden, drängenden und brennenden Wunsch, mit dem zu kommunizieren, aus dem die Welt geworden ist.

Gott, Herr, Vater! Dich rufen wir an.

Reformationskirche, von hier

Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft, noch seine Güte von mir wendet. In diesem Lob, in diesem Sprechen, in dieser Hinwendung zu dem, der die ganze Schöpfung in seinen Händen hält, wird der Mensch zum Menschen gebildet. Durch den unverwandten Blick auf Gott, durch das Sprechen zu Gott und durch das Hören von Gott wird der Mensch zum Menschen und es beginnt das Lernen und es beginnt menschliches Leben.

Von Paulus lernen wir dann: So ermahne ich euch nun, daß man vor allen Dingen zuerst tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen.

Liebe Gemeinde,

nur durch Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung wird aus uns Menschen ein Gottesvolk. Das Gebet stiftet und bewahrt Gemeinschaft. Von Novalis stammt die Vorstellung, dass die Luft, die allen Menschen lebensnotwendig durch die Lungen strömt, so etwas ist, wie ein gemeinsames Organ. In der Schöpfungsgeschichte können wir etwas davon erahnen, dass es einen Lebensodem gibt, der uns von Gott eingehaucht wird. Wir sind eben nicht nur Individuen, wir sind auch ganz real ein Gemeinschaftswesen. Das, was uns hier umgibt, ist nicht nur etwas Physikalisches, es ist Teil unserer Lebendigkeit, denn es ist ein Teil von Gottes Schöpfung.

Auf dieses Einatmen des Lebens soll das Ausatmen des Dankens folgen. Einatmen und Ausatmen sind die Grundübung unserer Lebendigkeit. Füllt den ganzen Erdkreis mit eurem Danken und atmet die Bitte, das Gebet, die Fürbitte und die Danksagung aller Menschen und aller Zeiten. Unser letztes Atmen wird dann auch ein Dank sein.

Betet auch für die Könige und für alle Obrigkeit. Am vergangenen Wochenende wurden wir Zeugen davon, dass es auch heute noch gesalbte und gekrönte Könige gibt. Wie auch immer man dazu im Einzelnen steht, so macht uns Paulus doch deutlich, wie sehr auch sie auf unsere Fürsprache angewiesen sind.

Wir sollen für die Obrigkeit beten, auf daß wir ein ruhiges und stilles Leben führen mögen in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit. Obrigkeiten, die die Menschen beunruhigen, die Gewachsenes und Vertrautes in Frage stellen und ständig vorgeben, sie erst müssten die Welt retten, die haben offenbar nach dem Verständnis des Paulus wenig von dem begriffen, worin ihre Aufgabe liegt.

Lasst euch also durch die Aufgeregtheit der Welt nicht in die Irre führen, sondern sucht das ruhige und stille Leben in Gottseligkeit und Ehrbarkeit und im Vertrauen auf den Retter der Welt, dessen Auferstehung wir feiern.

Denn solches ist gut und angenehm vor Gott, unserm Heiland, welcher will, daß allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.

Das ist der interessanteste Gedanke für mich in unserem heutigen Predigttext. Paulus beschreibt hier einen Zusammenhang, der erst in der Erkenntnis der Wahrheit sein Ziel findet. Unser stetes Gebet, unsere ständige Erörterung mit Gott, suchen nach Wahrheit, die uns als Antwort auf unser Beten geschenkt wird.

Beten ist ein Zugewandtsein und ein von sich selbst Absehen. Beten sucht das Gegenüber und in ihm eine Vollständigkeit, wenigstens eine Vervollständigung. Der Mensch ist sich selbst nicht genug. Er richtet in die Welt durch sein Gebet sein Wort, seine Frage, seine Zweifel, seine Angst. Damit gewinnt er die Möglichkeit, dem zu begegnen, der sein Wort hört, seiner Frage antwortet, die Zweifel zerstreut und die Angst nimmt. So kann er angenehm werden vor Gott, wie Paulus es nennt.

Wir werden angenehm vor Gott und können ihm dafür danken, ihn loben und ehren von nun an bis in alle Ewigkeit.

Amen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist denn alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unseren Herrn.

Amen.

Thomas Roloff

nachgetragen am 15. Mai

Samstag, 29. April 2023

Samstag, 8. April 2023

Dem Karfreitag nachgetragen und aus den Türkenkriegen

Cesare da Sesto, ca. 1515, von hier

Eine Geschichte aus Zeiten, als man sich noch zu wehren wußte, und vor allem wollte, und eine Vorstellung davon hatte, warum. Und noch wichtiger: Als nicht alles zerfallen war zwischen denen, die das Land, in das sie gemeinerweise hineingeboren worden sind, hassen, und denen, die, mühsam erwachend, nicht wissen, wie ihnen geschieht, und was sie mit all dem anfangen sollen.

Agnus Dei - Samuel Barber, von hier

 Bach - Agnus Dei - H - moll - Messe, BWV 232, von hier

  Bach - Agnus Dei - H - moll - Messe, BWV 232, Karl Richter, 1969 

von hier

Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, miserere nobis.

Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, dona nobis pacem.


O Lamm Gottes, unschuldig

Unsere Geschichte handelt von einem geistlichen Lied, das in den Türkenkriegen eine überraschende Rolle gespielt hat. Es kommt vom Agnus – Dei – Hymnus her, von dem wir nicht nur die wunderbarsten Vertonungen besitzen, sondern eben auch deutsche Nachdichtungen. Und um eine solche handelt es sich im folgenden. Ich lasse nunmehr ausschließlich Herrn Paul Dorsch und sein deutsches evangelisches Kirchenlied in Geschichtsbildern zu Wort kommen.

"Die alte Kiche liebte besonders solche Lieder, welche ausschließlich Schriftgedanken und Bibelworte enthielten. So wurde denn auch das auf Joh. 1,29 gegründete 'Agnus Dei' schon im siebten Jahrhundert am Sonntagmorgen und bei der Abendmahlsfeier regelmäßig gesungen...

Der Gesang dieses Liedes, dessen heutige Textfassung... in einem Gesangbuch von 1531 erstmals erscheint, hat im Jahre 1717 einem von den Türken bereits gekreuzigten Christen das Leben gerettet. 

Kurfürst Max Emanuel und Ludwig von Baden in Ofen 

Aus dem durch die Familie Harms später rühmlich bekannt gewordenen Dorfe Hermannsburg in Hannover war ein Herr von Staffhorst mit zwei Reitknechten in den Türkenkrieg gezogen. Beim Sturm auf Belgrad fiel er, wie kurz zuvor der eine Knecht. Der andere aber, Peter Paasch, geriet in der Hitze der Verfolgung mitten unter die fliehenden Feinde, an denen er den Tod seines Herrn hatte rächen wollen. 

Er wurde von ihnen gefangengenommen. Aller Kleider beraubt und an den Schweif seines Pferdes, das jetzt ein Türke ritt, gebunden, mußte er barfuß mitspringen über Stock und Stein, bis am Abend ein Wald erreicht war, der den Türken eine gewisse Sicherheit zu bieten schien. 

Wie die Türcken mit den gefangenen Christen handlen, Erhard Schön, nach 1530, von hier

Hier wurde Paasch unter schrecklichen Drohungen aufgefordert, ein Kreuz, das sie schnell aus Baumzweigen zusammengefügt hatten, anzuspucken, und damit den Herrn Christus zu verleugnen. Er aber weigerte sich dessen und schlug seinerseits jeden, der dies tat, ins Gesicht. 

Verlangten die Türken, daß er den Namen 'Mohammed' ausspreche, so sagte er: 'Jesus Christus'. Da schlugen sie ihn mit Peitschen und Stöcken, stachen ihn mit Messern und Dolchen, nagelten ihm zuletzt beide Hände über den Kopf an einen Baumstamm und zündeten zu seinen Füßen ein Feuer an, um ihn entweder zur Verleugnung zu zwingen oder dem Feuertode zu überantworten. 

Er hatte im Kampfe mehrere aus dieser Türkenschar niedergehauen, daher kam der besondere Haß gegen ihn. Ruhig erwartete Paasch sein Ende. Er betet laut das Vaterunser, hernach begann er, da ein rechter Geist der Freudigkeit über ihn gekommen war, für seine Mörder zu beten und mit heller Stimme zu singen: 'O Lamm Gottes unschuldig, am Stamm ds Kreuzes geschlachtet.' 

Kaum war er mit Vers 3 zu Ende gekommeen, da hörte man von draußen vor dem Walde Trompetengeschmetter, und deutsche Reiter stürmten heran. Zur Verfolgung ausgesandt, hatten sie den Gesang im Walde gehört und zueinander gesagt: ' Drauf! Das muß ein Christ sein!'. So kamen sie gerade noch rechtzeitig, um den treuen Paasch, der ohnmächtig und aus vielen Wunden blutend in ihre Arme fiel, vom Tode zu erretten. Prinz Eugen von Savoyen, der berühmte Feldherr, ließ den Verwundeten aufs beste verpflegen, besuchte ihn selbst mehrmals im Feldspital und freute sich über seinen kindlichen, einfältigen Glauben.

 Jacob van Schuppen, Prinz Eugen von Savoyen, 1718, von hier

Aber mit dem Kriegsdienst war es nun doch nichts mehr bei Paasch. Dafür wurde ihm eine fröhliche Heimkehr zuteil nach seiner Wiederherstellung. Er starb 1727 auf seinem Paaschenhof, nachdem er eben noch zum letzenmal gesungen: 'O Lamm Gottes unschuldig."

aus Paul Dorsch: "Das deutsche evangelische Kirchenlied in Geschichtsbildern", 3. Aufl. Stuttgart 1940

Was mir nur noch in den Sinn kam: Gegen Irrsinn und Gewalt auch dieser Zeit kommt man am Ende mit Vernunft nicht an, sondern nur mit Glauben.

nachgetragen am 4. Mai

Donnerstag, 23. März 2023

Heute vor 90 Jahren im Reichstag

Berliner Krolloper um 1890

Nachdem am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt worden war, brannte bereits in der Nacht zum 28. Februar 1933 der Reichstag: In der Wahl vom 5. März gewannen NSDAP und DNVP gemeinsam die absolute Mehrheit der Sitze. Da der bisherige Tagungsort nicht nutzbar war, wich man auf die nahe gelegene Krolloper aus. Sie ist der Ort der nachfolgenden Ereignisse.

Am 23. März 1933 wurde gegen die Stimmen der SPD, aber mit denen aller übrigen Parteien (aufgrund der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat waren die Mandate der KPD annulliert worden) das sogenannte „Ermächtigungsgesetz“ beschlossen, das die Reichregierung ermächtigte, ohne das Parlament Gesetze zu erlassen. Es wurde mehrfach verlängert. Infolgedessen diente der Reichstag in den seltenen folgenden Zusammenkünften der Parlamentarier nur noch als Podium für öffentliche Auftritte Adolf Hitlers, so etwa am 6. Oktober 1939 bei der Verkündung des Sieges über Polen.

Adolf Hitler vor dem Reichstag in der Kroll-Oper zum Abschluß des Feldzugs gegen Polen, Quelle Bundesarchiv 

Es mag verwundern, wenn ich nachfolgend die Rede eines einmal führenden Politikers der SPD vollständig anbringe. Aber der für manchen überraschende, in jedem Fall aufschlußreiche Inhalt rechtfertigt dies vollauf, vom Anlaß völlig abgesehen. 

Es handelt sich um die Rede des Reichstagsabgeordneten und SPD-Vorsitzenden Otto Wels in der Sitzung des Reichstags vom 23. März 1933 in der Debatte über das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ (Ermächtigungsgesetz).

Otto Wels (1873 – 1939) 1924, von hier

Otto Wels (SPD) Rede zur Begründung der Ablehnung des Ermächtigunsgesetzes

"Meine Damen und Herren! Der außenpolitischen Forderung deutscher Gleichberechtigung, die der Herr Reichskanzler erhoben hat, stimmen wir Sozialdemokraten umso nachdrücklicher zu, als wir sie bereits von jeher grundsätzlich verfochten haben.

Ich darf mir wohl in diesem Zusammenhang die persönliche Bemerkung gestatten, dass ich als erster Deutscher vor einem internationalen Forum, auf der Berner Konferenz, am 3. Februar des Jahres 1919, der Unwahrheit von der Schuld Deutschlands am Ausbruch des Weltkrieges entgegengetreten bin.

Der Versailler Vertrag wurde am 28. Juni 1919 zwischen dem Deutschen Reich einerseits sowie Frankreich, Großbritannien, den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten andererseits geschlossen und beendete den Ersten Weltkrieg, er war ohne Beteiligung Deutschlands ausgehandelt worden und stellte die alleinige Schuld Deutschlands und seiner Verbündeten am Ausbruch des Weltkriegs fest, verpflichtete es zu Gebietsabtretungen, Reparationszahlungen an die Siegermächte und stark reduzierten eigenen Verteidigungskräften. 

William Orpen: Vertragsunterzeichnung in der Spiegelgalerie des Schlosses von Versailles 1919, von hier

Nie hat uns irgendein Grundsatz unserer Partei daran hindern können oder gehindert, die gerechten Forderungen der deutschen Nation gegenüber den anderen Völkern der Welt zu vertreten.

Der Herr Reichskanzler hat auch vorgestern in Potsdam einen Satz gesprochen, den wir unterschreiben. Er lautet: 'Aus dem Aberwitz der Theorie von ewigen Siegern und Besiegten kam der Wahnwitz der Reparationen und in der Folge die Katastrophe der Weltwirtschaft.' Dieser Satz gilt für die Außenpolitik; für die Innenpolitik gilt er nicht minder.

Am 21. März 1933 fand in der Potsdamer Garnisonkirche ein Staatsakt zur Eröffnung des aus den Wahlen vom 5. März 1933 hervorgegangen Reichstages statt. Otto Wels zitiert aus der Ansprache Hitlers bei diesem Anlaß. Bild: Reichskanzler Adolf Hitler verneigt sich vor Reichspräsident Paul von Hindenburg und reicht ihm die Hand. Photo von hier.

Auch hier ist die Theorie von ewigen Siegern und Besiegten, wie der Herr Reichskanzler sagte, ein Aberwitz. Das Wort des Herrn Reichskanzlers erinnert uns aber auch an ein anderes, das am 23. Juli 1919 in der Nationalversammlung gesprochen wurde. Da wurde gesagt: 'Wir sind wehrlos, wehrlos ist aber nicht ehrlos.'

'Gewiss, die Gegner wollen uns an die Ehre, daran ist kein Zweifel. Aber dass dieser Versuch der Ehrabschneidung einmal auf die Urheber selbst zurückfallen wird, da es nicht unsere Ehre ist, die bei dieser Welttragödie zugrunde geht, das ist unser Glaube bis zum letzen Atemzug.'

-- Das steht in einer Erklärung, die eine sozialdemokratisch geführte Regierung damals im Namen des deutschen Volkes vor der ganzen Welt abgegeben hat, vier Stunden bevor der Waffenstillstand abgelaufen war, um den Weitervormarsch der Feinde zu verhindern. - Zu dem Ausspruch des Herrn Reichskanzlers bildet jene Erklärung eine wertvolle Ergänzung. Aus einem Gewaltfrieden kommt kein Segen; Im Innern erst recht nicht.

Eine wirkliche Volksgemeinschaft lässt sich auf ihn nicht gründen. Ihre erste Voraussetzung ist gleiches Recht. Mag sich die Regierung gegen rohe Ausschreitungen der Polemik schützen, mag sie Aufforderungen zu Gewalttaten und Gewalttaten selbst mit Strenge verhindern. Das mag geschehen, wenn es nach allen Seiten gleichmäßig und unparteiisch geschieht, und wenn man es unterläßt, besiegte Gegner zu behandeln, als seien sie vogelfrei.

Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.

Nach den Verfolgungen, die die Sozialdemokratische Partei in der letzten Zeit erfahren hat, wird billigerweise niemand von ihr verlangen oder erwarten können, daß sie für das hier eingebrachte Ermächtigungsgesetz stimmt. Die Wahlen vom 5. März haben den Regierungsparteien die Mehrheit gebracht und damit die Möglichkeit gegeben, streng nach Wortlaut und Sinn der Verfassung zu regieren. Wo diese Möglichkeit besteht, besteht auch die Pflicht.

Kritik ist heilsam und notwendig. Noch niemals, seit es einen Deutschen Reichstag gibt, ist die Kontrolle der öffentlichen Angelegenheiten durch die gewählten Vertreter des Volkes in solchem Maße ausgeschaltet worden, wie es jetzt geschieht, und wie es durch das neue Ermächtigungsgesetz noch mehr geschehen soll. Eine solche Allmacht der Regierung muss sich umso schwerer auswirken, als auch die Presse jeder Bewegungsfreiheit entbehrt.

Meine Damen und Herren! Die Zustände, die heute in Deutschland herrschen, werden vielfach in krassen Farben geschildert. Wie immer in solchen Fällen fehlt es auch nicht an Übertreibungen. Was meine Partei betrifft, so erkläre ich hier: Wir haben weder in Paris um Intervention gebeten, noch Millionen nach Prag verschoben, noch übertreibende Nachrichten ins Ausland gebracht.

Solchen Übertreibungen entgegenzutreten wäre leichter, wenn im Inlande eine Berichterstattung möglich wäre, die Wahres vom Falschen scheidet.

Noch besser wäre es, wenn wir mit gutem Gewissen bezeugen könnten, dass die volle Rechtssicherheit für alle wiederhergestellt sei.

Das, meine Herren, liegt bei Ihnen.

Die Herren von der Nationalsozialistischen Partei nennen die von ihnen entfesselte Bewegung eine nationale Revolution, nicht eine nationalsozialistische. Das Verhältnis ihrer Revolution zum Sozialismus beschränkt sich bisher auf den Versuch, die sozialdemokratische Bewegung zu vernichten, die seit mehr als zwei Menschenaltern die Trägerin sozialistischen Gedankengutes gewesen ist und auch bleiben wird. Sollten die Herren von der Nationalsozialistischen Partei sozialistische Taten verrichten, sie brauchten kein Ermächtigungsgesetz.

Eine erdrückende Mehrheit wäre Ihnen in diesem Hause gewiß. Jeder von Ihnen im Interesse der Arbeiter, der Bauern, der Angestellten, der Beamten oder des Mittelstandes gezielte Antrag könnte auf Annahme rechnen, wenn nicht einstimmig, so doch mit gewaltiger Majorität.

Aber dennoch wollen Sie vorerst den Reichstag ausschalten, um Ihre Revolution fortzusetzen. Zerstörung von Bestehendem ist aber noch keine Revolution. Das Volk erwartet positive Leistungen. Es wartet auf durchgreifende Maßnahmen gegen das furchtbare Wirtschaftselend, das nicht nur in Deutschland, sondern in aller Welt herrscht.

Wir Sozialdemokraten haben in schwerster Zeit Mitverantwortung getragen und sind dafür mit Steinen beworfen worden.

Unsere Leistungen für den Wiederaufbau von Staat und Wirtschaft, für die Befreiung der besetzten Gebiete werden vor der Geschichte bestehen.

Beisetzung von Essener Opfern am 10. April 1923, Bild von hier

Otto Wels spricht die Besetzung des Ruhrgebiets an: Ab 8. März 1921 besetzten französische und belgische Truppen die Städte Duisburg und Düsseldorf, ab 11. Januar 1923 dann das gesamte Ruhrgebiet bis Dortmund, vorübergehend auch Teile des bergischen Industriegebiets (Remscheid und Lennep) sowie Barmen. Die Alliierten hatten inzwischen statt Reparationen in Form von Geld, Sachleistungen (Stahl, Holz, Kohle) gefordert. Am 9. Januar 1923 erklärte die alliierte Reparationskommission, Deutschland halte absichtlich Lieferungen zurück (unter anderem seien 1922 nur 11,7 Millionen statt der geforderten 13,8 Millionen Tonnen Kohle und nur 65.000 statt 200.000 Telegraphenmasten geliefert worden). Dies nahm Frankreich zum Anlaß, in das Ruhrgebiet einzumarschieren. Die Besetzung, die auch mehrfach zu Toten unter der deutschen Zivilbevölkerung geführt hatte, endete im August 1925.

Denkmal für die belgische Besatzung am Niederrhein in Kleve-Kellen bei Haus Schmithausen. Vorderseite: "Zur Erinnerung an schwere Besatzungszeit 1918 - 1926", Bild von hier

Wir haben gleiches Recht für alle und ein soziales Arbeitsrecht geschaffen. Wir haben geholfen, ein Deutschland zu schaffen, in dem nicht nur Fürsten und Baronen, sondern auch Männern aus der Arbeiterklasse der Weg zur Führung des Staates offensteht.

Davon können Sie nicht zurück, ohne Ihren eigenen Führer preiszugeben.

Vergeblich wird der Versuch bleiben, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Wir Sozialdemokraten wissen, daß man machtpolitische Tatsachen durch bloße Rechtsverwahrungen nicht beseitigen kann. Wir sehen die machtpolitische Tatsache Ihrer augenblicklichen Herrschaft. Aber auch das Rechtsbewußtsein des Volkes ist eine politische Macht, und wir werden nicht aufhören, an dieses Rechtsbewußtsein zu appellieren.

Die Verfassung von Weimar ist keine sozialistische Verfassung. Aber wir stehen zu den Grundsätzen des Rechtsstaates, der Gleichberechtigung, des sozialen Rechtes, die in ihr festgelegt sind. Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus.

Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten. Sie selbst haben sich ja zum Sozialismus bekannt. Das Sozialistengesetz hat die Sozialdemokratie nicht vernichtet. Auch aus neuen Verfolgungen kann die deutsche Sozialdemokratie neue Kraft schöpfen.

Wir grüßen die Verfolgten und Bedrängten. Wir grüßen unsere Freunde im Reich. Ihre Standhaftigkeit und Treue verdienen Bewunderung. Ihr Bekennermut, ihre ungebrochene Zuversicht -- verbürgen eine hellere Zukunft."

Montag, 13. März 2023

Auch über den Prinzen von Preußen


Stammwappen der Hohenzollern

Der Berliner Tagesspiegel, dessen Ehrgeiz seit einiger Zeit offenkundig darin zu bestehen scheint, taz, Rote Fahne et al. im Vergleich geradezu "rechts" aussehen zu lassen, was immer das stündlich bedeuten soll - aber das ist ja der Trick dieser Gegenwart, die Begriffe so verschwommen werden zu lassen, daß sie zu allem zu gebrauchen sind - besagtes Presseorgan hat sich also jüngst über den Adel echauffiert, den es sowieso nicht mehr gibt, aber eben deshalb.

Andere Phantasierealitäten müssen mit höchstem Ernst, ja mit der sonstigen Androhung peinlichster Sanktionen behandelt werden. Wir wollen in diesen Sumpf nicht hinabsteigen, es ist sowieso bekannt, was gemeint ist, nur andeuten.

Aber wenn jemand es wagt, ungezwungen, womöglich noch sympathisierend, den Prinzen von Preußen mit "Königliche Hoheit" anzusprechen, dann hat er die Dämonen der Vergangenheit losgelassen, dann ist die Machtfrage gestellt, dann steht die Reaktion um die Ecke und will zum Gegenschlag ausholen. Nach über 100  Jahren.

Wenn anderem mit Respekt begegnet wird, sieht sich der Respektlose angegriffen. Wenn der Prinz von Preußen es wagt, auf der Bundespressekonferenz nicht in Jogginghosen aufzutreten (ich bezweifle, daß er solche überhaupt besitzt), schwillt dem Schreibenden die Zornesader. Übertrieben? Wir wollen uns kurz an dem besagten  Ausbruch amüsieren:

„Die Versammlung strahlte – für das legere Berlin ungewohnt, mit Herren in sehr guten Wollstoffen, perfekt passenden Einstecktüchern und Schlipsen sowie vorbildlicher Sitzhaltung. Im Haus der Bundespressekonferenz galt es, ein neues Buch über den vormaligen Kronprinzen Wilhelm kennenzulernen...“

Wir brechen hier erst einmal ab, schon die Einleitung beginnt mit einer wichtigen Auslassung, und es gibt gute Gründe, den Kronprinzen Wilhelm nicht zu mögen. Aber diese Entgegensetzung des „legeren“ Berlin zu dieser provozierenden „Vornehmheit“...

[„leger Adj. ‘ungezwungen, zwanglos, oberflächlich’, anfangs auch ‘leichtfertig, unbesonnen’, Entlehnung (Ende 18. Jh.) von frz. léger (afrz. legier) ‘leicht, unbedeutend, flink, ungezwungen, leichtfertig, oberflächlich’. Diesem liegt vlat. *leviārius zugrunde, das, wohl als Ableitung von vlat. *levius, letztlich zu lat. levis ‘leicht, schnell, sanft, unbedeutend, gering(fügig), leichtfertig, wankelmütig’ (verwandt mit leicht, s. d.) gebildet ist.“]

Da war also diese Atmosphäre im Raum, die völliges Mißvergnügen und Unbehagen hervorrief. Die Veranstaltung habe durchaus einer Audienz beim Urenkel besagten Wilhelms geglichen, „bei Herrn Georg Friedrich Prinz von Preußen. Jenem Mann, der selbst in strikt republikanischen Medien oft als ‚der Prinz‘ oder als ‚Chef des Hauses Hohenzollern‘ bezeichnet wird. Beides ist er nicht.“

Georg Friedrich Prinz von Preußen mit Gemahlin Sophie Prinzessin von Isenburg 2011

Wir lassen erst einmal beiseite, warum er es nach der Meinung besagten Autors nicht sei. „Fast 104 Jahre später wurde aber wieder viel vom ‚Haus‘ gesprochen, ein rückenbeugendes ‚Königliche Hoheit‘ war deutlich vernehmbar und die entweder unhöfliche kurze oder ehrerbietig-artikellose Formulierung ‚Prinz von Preußen spricht nun zu uns‘. 

Herr Prinz von Preußen ging freundlich lächelnd über solche Unkorrektheiten hinweg. Schließlich weiß niemand besser als der 1918 gestürzte Adel, dass Namens- und Titelbezeichnungen keineswegs bedeutungslos sind. Ihre Verwendung ist Teil einer Dauer-Auseinandersetzung um gesellschaftlichen und politischen Einfluss...“

Es ginge also nicht nur um Kultur- oder Geschichtsbewußtsein, sondern um handfeste aktuelle Interessen. Die unkorrekte Verwendung von Ex-Titeln sei keine Belanglosigkeit, sondern die sprachliche Anerkennung einer sozialen Sonderrolle. Denn „Namensfragen sind Machtfragen“, wie es in der Überschrift dieser kleinen Attacke bereits so selbst entlarvend hieß. Dem Autor geht es also um Macht und er wittert diese bei der anderen Seite. Skurril.

Langweiliger Einschub

Jetzt zu dem, wo er sogar einmal Recht hat: Adelstitel wurden mit dem Adel in der Reichsverfassung von 1919 abgeschafft und gelten auch heute nur noch als Teil des Namens. Aus den Häusern wurden rein privatrechtliche Familienverbände. Aus dem Artikel 109: „Öffentlich-rechtliche Vorrechte oder Nachteile der Geburt oder des Standes sind aufzuheben. Adelsbezeichnungen gelten nur als Teil des Namens und dürfen nicht mehr verliehen werden.“

Was von Österreich noch übrig war, hatte sich ebenfalls 1919  mit dem „Gesetz über die Aufhebung des Adels, der weltlichen Ritter- und Damenorden und gewisser Titel und Würden“ anders entschieden. Und mit neu gewonnener republikanischer Härte schreckte man auch vor der nötigen Konsequenz nicht zurück: „Strafbar ist... die Führung von Adelsbezeichnungen sowie von aufgehobenen Titeln und Würden im öffentlichen Verkehr, das heißt im Verkehr mit Behörden und öffentlichen Stellen, sowie in an die Öffentlichkeit gerichteten Mitteilungen und Äußerungen. Ebenfalls mit Verwaltungsstrafe bedroht ist die Führung im amtlichen Schriftverkehr, im rein gesellschaftlichen Verkehr und der Gebrauch von Kennzeichen, die einen Hinweis auf den früheren Adel oder auf aufgehobene Titel oder Würden enthalten, sofern darin eine dauernde oder herausfordernde Missachtung der Bestimmungen des Gesetzes zu erblicken ist.“

Jemand mag einwenden, die österreichische Entscheidung von 1919, wo Knall auf Fall mit dem Adel auch die Titel selbst als Namensbestandteil abgeschafft wurden, sei die konsequentere gewesen, sicher. Aber auch die schäbigere.

Zum Vorigen

Was sind Machtfragen und warum kann jemand die Wirklichkeit nur durch diese Brille sehen? Weil er nichts anderes hat? Weil die Sicht auf das Wirkliche auf diese eine Dimension geschrumpft ist?

Obwohl, bloß instinktiv hat er ja recht. Ich hätte es mir nicht träumen lassen, einmal den gegenwärtigen Papst Franziskus zu zitieren. Und selbst das Thema ist mir eher suspekt, aber ich kann hier auch nicht ewig nur Natur-Bilder anbringen:

„Die Gender-Ideologie ist heute eine der gefährlichsten ideologischen Kolonialisierungen, … Warum ist es gefährlich? Weil es Unterschiede und den Wert von Männern und Frauen verwischt.“ Die ganze Menschheit definiere sich über die Spannung der Unterschiede. Sie solle durch die Spannung der Unterschiede wachsen. Diese Ideologie aber verwässere die Unterschiede und mache die Welt gleich und langweilig, und das widerspräche der menschlichen Berufung. Was äußerst gefährlich sei, weil es Unterschiede beseitige, lösche es die Menschheit aus, den Reichtum der Menschheit, sowohl persönlich, kulturell als auch sozial, die Vielfalt und die Spannungen zwischen den Unterschieden.

Sehr wahr, und irgendwie auch überraschend. Wie überhaupt man zu allen Untergangsprognosen nur sagen kann, egal welcher Konvenienz. Die Geschichte geht sowieso immer anders als erwartet aus, und natürlich gibt es einen Untergang, besser Übergang. Wir nennen es die Wiederkunft des Herrn.

Was haben wir also gelernt

Noch einmal zurück zum Anlaß. Eigentlich ging es bei der ganzen scheinberichteten Erzählung um einen Verzicht. SKH Georg Friedrich Prinz von Preußen: „Ich habe daher entschieden, auf die Rückgabe von jenen rund 4.000 Kunstwerken sowie die damit verbundenen Leistungen nach dem Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz zu verzichten. Damit möchte ich den Weg frei machen für eine unbelastete Debatte in der Geschichtswissenschaft zur Rolle meiner Familie im 20. Jahrhundert nach dem Ende der Monarchie.“ [ausführlich hier] 

Der Verzicht ist honorig. Aber, daß gerade bei dieser Familie so heftiger Widerstand aufbrach und immer noch besteht, was immer sie tut, gibt ebenfalls Anlaß zu überraschter Hoffnung. Das nur nebenbei.

Was lernen wir. Eine andere Wirklichkeit hat kein Daseinsrecht, wenn sie aus der konkreten Geschichte dieses Landes begründet ist. Die freiwillige Bindung an Erinnerung und Tradition ist Konterrevolution. 

All diese Dinge sind auch eine Charakterprüfung. Die Last des Wissen-Müssens tragen, das Aushalten von Ambivalenzen, Sympathien für das Größere, das Mehr, für das, was den eigenen Erfahrungshorizont übersteigt. Und vor allem, sich nicht zum freiwilligen Gefangenen des Ressentiments zu machen.

Provozierende Vornehmheit also, den verkörperten Unterschied, den in Generationen mühsam erlernten Distinktionsgewinn als eine Leistung höherer Kultur zu behaupten, die auf der Gegenseite Würgreiz hervorruft. 

Die Vergangenheit ist kein Ort der verlorenen Idylle. Niemand weiß das besser als der, der in ihr zuhause ist. Aber sie ist das, aus dem und mit dem wir uns emporzuarbeiten suchen müssen. Höhere Kultur bedarf der Vorarbeit von Generationen, sie ist ein Geflecht von Anstrengungsbereitschaft über Jahrhunderte hinweg. 

Den Schlachtruf: Wir sind alle Mollusken und stolz darauf, mögen andere genießen. 

Das Problematische an unseren linken Zeitgenossen ist, daß für sie alles eine Machtfrage ist und daß es darüber hinaus nicht viel mehr gibt. Das sich Angegriffen-Fühlen von anderen Sinnzusammenhängen, um einmal diesen verqueren Jargon zu benutzen (auffällig, wie oft neuerdings von Gefühl anstelle von Vernunft die Rede ist). Also wenig souveränes Zutrauen ins „Eigene“, was immer das sein soll, und dafür viel Auslöschungsbedürfnis. 

Aber wie gesagt, die Geschichte ist immer offen.

Mittleres Wappen Sr. Majestät des Deutschen Kaisers