Freitag, 30. November 2012

Oscar Wilde


Dante Gabriel Rossetti, A Vision of Fiammetta

„'Bring mir die beiden kostbarsten Dinge dieser Stadt', befahl Gott einem seiner Engel; und der Engel brachte ihm das bleierne Herz und den toten Vogel.
'Du hast recht gewählt', sprach Gott, 'denn im Garten meines Paradieses soll der kleine Vogel singen immerdar, und der glückliche Prinz wird mich lobpreisen in meiner goldenen Stadt.'“

Oscar Fingal O' Flahertie Wills Wilde starb heute, am 30. November 1900, und es fällt schwer zur glauben, daß vom Meister der schneidenden Paradoxien und verblüffenden Zynismen, der wie beiläufig Wort um Wort zu einem Feuerwerk in die Luft warf, ein Märchen wie das obige stammt - über eine mitfühlende Statue und ihre aufopferungsbereite Freundin. Man findet es hier: „Der glückliche Prinz“.

Nein, ich denke nicht, daß die Kehrseite von Zynismus Sentimentalität sein muß, ich bin mir in diesem Moment nicht einmal mehr sicher, daß er überhaupt zynisch war. Manchmal erinnert er an ein (nicht nur nettes) Kind, das mit Giftschlangen spielt. Aber Zynismus hat auch immer etwas Abgestorbenes an sich, das allerdings sucht man bei ihm vergebens. Er ist sehr ungerecht genau in seinen Urteilen und sein heroischer Ästhetizismus hat möglicherweise mehr als eine hoffnungsvolle junge Seele ins Verderben geführt, aber wenn man nicht weiß, worauf man sich einläßt...


Lovis Corinth, Blumen

Er selbst ist sich darin bis ins Sterbezimmer treu geblieben:

"My wallpaper and I are fighting a duel to the death. One or other of us has got to go."

„Meine Tapete und ich duellieren sich gerade, entweder muß sie verschwinden oder ich.“

Aus einer (bösen) Bemerkung über Kardinal Newman ging mir auf, wie sehr er (vermutlich) dessen Gegenpart darstellt (und ich werde natürlich nicht dagegenhalten, daß er kurz vor seinem Tode in den Schoß der römischen Kirche fand):

„The mode of thought that Cardinal Newman represented--if that can be called a mode of thought which seeks to solve intellectual problems by a denial of the supremacy of the intellect--may not, cannot, I think, survive. But the world will never weary of watching that troubled soul in its progress from darkness to darkness.“ 

„Die Art des Denkens, die Kardinal Newman vertreten hat – falls man den Versuch, geistige Probleme durch das Leugnen der Überlegenheit des Geists zu lösen, überhaupt eine Art des Denkens nennen darf – wird und kann schwerlich überleben. Aber die Welt wird nie müde werden, dieser gequälten Seele zuzuschauen wie sie von Finsternis zu Finsternissen voranschreitet.“
The Critic As Artist, Part 1 / Der Kritiker als Künstler, Teil 1

Ich gestehe, daß ich, als ich seines heutigen Todesdatums gewahr wurde, u.a. an dem eben genannten Essay hängenblieb und da gibt es dann auch Sätze wie:

„Music always seems to me to produce that effect. It creates for one a past of which one has been ignorant, and fills one with a sense of sorrows that have been hidden from one's tears. I can fancy a man who had led a perfectly commonplace life, hearing by chance some curious piece of music, and suddenly discovering that his soul, without his being conscious of it, had passed through terrible experiences, and known fearful joys, or wild romantic loves, or great renunciations.“

„Musik scheint mir immer diese Wirkung zu haben. Sie ruft in jemandem eine Erinnerung an eine Vergangenheit wach, von der er bis dahin nichts wußte, und erfüllt ihn mit Ahnungen von Leiden, die seinen Tränen bis eben verborgen geblieben war. Ich kann mir jemanden vorstellen, der bisher ein ganz alltägliches Leben geführt hat, zufälligerweise irgendeine seltsame Musik hört und dann plötzlich entdeckt, daß seine Seele, ohne dessen gewahr zu sein, durch furchtbare Erfahrungen ging und verschreckende Freuden erlebt hat oder wild romantische Liebe oder starke Entsagungen.“

Er hat die Kunst und ihre Erlösungsfähigkeit offenbar sehr ernst genommen. Und ein heftiger Platonismus scheint ihn ebenfalls durchweht zu haben. Die Seele erinnert sich vermittels der Kunst ihrer selbst. Zumindest wäre es wohl das, was wir selbst gern herauslesen möchten. Aber vielleicht gilt auch hierzu:

„I seem to have heard that observation before, Ernest. It has all the vitality of error and all the tediousness of an old friend.“

„Diese Betrachtung scheine ich schon einmal gehört zu haben, Ernest. Sie hat die Lebenskraft eines Irrtums und die ganze Langweiligkeit eines alten Freundes.“

Und um es auf die Spitze zu treiben (es geht übrigens dabei um die homerischen Helden):

„Phantoms, are they? Heroes of mist and mountain? Shadows in a song? No: they are real. Action! What is action? It dies at the moment of its energy. It is a base concession to fact. The world is made by the singer for the dreamer.“

„Phantome sind diese Gestalten? Helden des Nebels und der Berge? Schatten in einem Lied? Nein, wahr sind sie. Handeln! Was ist Handeln? Es stirbt im Augenblick seiner Kraft. Es ist ein schäbiges Zugeständnis an die Tatsachen. Geschaffen wurde die Welt für den Träumer durch den Sänger.“

Dies lassen wir unkommentiert so für sich stehen. Das heißt, einen Satz über die Mona Lisa, den muß ich doch noch bringen, der ist ganz exzeptionell:

„...and he answers me, 'Hers is the head upon which all 'the ends of the world are come,' and the eyelids are a little weary.'“

„Und er antwortete: 'Ihr ist das Haupt zu eigen, auf das jedes Ende der Welt fiel, und darum sind ihre Lider ein wenig müde.'“

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Kaum jemand, auch ich nicht, kommt ohne eines der üblichen Wilde-Florilegien aus, ein sehr ausführliches fand ich übrigens an diesem Ort (falls es zusätzlich amüsiert). Also ohne inneren Zusammenhang folgt das Nachfolgende:

„...and though of all poses a moral pose is the most offensive, still to have a pose at all is something. It is a formal recognition of the importance of treating life from a definite and reasoned standpoint.

„... und obgleich von allen Posen die moralische die anstößigste ist, ist es immerhin etwas, überhaupt eine Pose zu besitzen. Man erkennt dadurch förmlich an, wie wichtig es ist, das Leben von einem bestimmten und vernünftigen Standpunkt aus zu behandeln.“
The Critic As Artist, Part 2 / Der Kritiker als Künstler, Teil 2


Hans Makart, Großes Blumenstück

„Those who find ugly meanings in beautiful things are corrupt without being charming.
This is a fault.
Those who find beautiful meanings in beautiful things are the cultivated. For these there is hope.
They are the elect to whom beautiful things mean only beauty.“

„Diejenigen, die häßliche Absichten in schönen Dingen entdecken, sind verdorben, ohne liebenswürdig zu sein. Das ist ein Fehler.
„Diejenigen, die schöne Absichten in schönen Dingen entdecken, sind kultiviert. Für diese besteht Hoffnung.
Es sind die Auserwählten, für die schöne Dinge nichts als Schönheit bedeuten.“
The Picture of Dorian Gray, Preface / Das Bildnis des Dorian Gray, Vorrede

“I am so clever that sometimes I don't understand a single word of what I am saying.”

"Manchmal bin ich so geistreich, dass ich nicht ein einziges Wort von dem verstehe, was ich sage."
The Remarkable Rocket / Die bedeutende Rakete

“That is one of the great secrets of life – to cure the soul by means of the senses, and the senses by means of the soul.”

"Das ist eines der Geheimnisse des Lebens: Die Seele mit den Mitteln der Sinne und die Sinne mit den Mitteln der Seele zu heilen."
The Picture of Dorian Gray, Chapter 2 / Das Bildnis des Dorian Gray, Kap. 2

“We are all in the gutter, but some of us are looking at the stars.”

"Wir liegen alle in der Gosse, aber einige von uns betrachten die Sterne."
Lady Windermere's Fan / Lady Windermeres Fächer, 3. Akt

“We are each our own devil, and we make this world our hell.”

"Wir sind unser eigener Teufel und machen uns diese Welt zur Hölle."
The Duchess of Padua / Die Herzogin von Padua, 5. Akt 

“Children begin by loving their parents; as they grow older they judge them; sometimes they forgive them.”

"Anfangs lieben Kinder ihre Eltern; wenn sie älter werden, halten sie Gericht über sie; manchmal verzeihen sie ihnen."
The Picture of Dorian Gray, Chapter 5 / Das Bildnis des Dorian Gray, Kap. 5

“They get up early [on the country], because they have so much to do, and go to bed early, because they have so little to think about.”

„[Auf dem Lande] steht man so früh auf, weil man so viel zu tun hat, und legt sich so früh zu Bett, weil man so wenig zu denken hat."
The Picture of Dorian Gray, Chapter 15 / Das Bildnis des Dorian Gray, Kap. 15

"Experience is the name every one gives to their mistakes."

"Erfahrung ist der Name, den jeder seinen Fehlern gibt." 
Lady Windermere's Fan / Lady Windermeres Fächer, 3. Akt 


"Oscar Wilde at About Thirty"

beendet am  1. Dezember

Montag, 26. November 2012

Sonntag &


Diesmal habe ich die Bilder wirklich ruiniert, größtenteils, aber das erleichtert dann ungemein die Auswahl. Mein Appetit war heute zwar deutlich gebremst (der Magen hatte irgendwie beschlossen, mich zu ärgern), aber ansonsten gab es einen sehr zufriedenen Esser, eventuell zurecht.

Ich hatte einen 1 1/2 kg Batzen Schnitzel-Braten erworben und auf Zwiebeln und Butterschmalz mit Rosmarin, Thymian und Bohnenkraut und natürlich Pfeffer und Salz geschmort. Dazu gab es Apfel-Rotkohl (von Boskoop-Äpfeln mit Nelken, Piment und Lorbeerblättern). Nichts Aufregendes also. Aber vielleicht trug gerade das entscheidend zum Enthusiasmus bei auf der anderen Seite des Tisches, fast hätte ich Ecke geschrieben, das wäre bei einem runden Tisch aber erkennbar albern.

Da die düsteren Gedenktage mit dem Ende des Kirchjahres und dem heutigen Sonntag nun endlich vorbei sind, habe selbst ich in einer Art stillem Protest soeben vorzeitig auf dem Boden den Adventsstern weithin sichtbar zum Erleuchten gebracht, nur um zu sehen, daß Nachbarn bereits ihre Tanne mit stechend blauen Lichtern „überfüllt“ haben, und andere Geschmacksunsicherheiten. Und schlagartig ging mir auf, ich bin in keiner Weise innerlich bereit für den Advent. Könnten wir nicht doch noch ein paar sonnige Frühherbsttage bekommen, vielleicht?


Sonntag, 25. November 2012

Ewigkeits - Sonntag



Die Bilder, in denen wir von Tod und Ewigkeit erfahren, sind eine Brücke zwischen uns und dem Unsagbaren, das all unser Verstehen übersteigt. Wenn wir sie beschreiten, scheint sich das andere Ende immer wieder nebelverhangen zu entziehen, und doch wissen wir, daß es da ist.

Ich wollte ursprünglich meine Gedanken zu Totensonntag / Ewigkeitssonntag hier persönlicher und länger ausfallen lassen, doch nun bringe ich stattdessen die Worte, die Herr Roloff heute in seiner Heimatgemeinde anbrachte.



Auslegungen zur Andacht auf dem Friedhof zu Schönhausen 
am Totensonntag 2012

Als Martha nun hörte, daß Jesus kommt, geht sie ihm entgegen; Maria aber blieb daheim sitzen. Da sprach Martha zu Jesus: HERR, wärest du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben! Aber ich weiß auch noch, daß, was du bittest von Gott, das wird dir Gott geben. Jesus spricht zu ihr: Dein Bruder soll auferstehen. Martha spricht zu ihm: Ich weiß wohl, daß er auferstehen wird in der Auferstehung am Jüngsten Tage. Jesus spricht zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe; und wer da lebet und glaubet an mich, der wird nimmermehr sterben. Glaubst du das?
Joh 11, 20-26

Die Frage des Herrn verlangt unser Ja. Ja, wir glauben, was du uns verheißen hast, und wir glauben es umso mehr, je weniger wir es verstehen. Herr, wir verstehen nicht, wie die Toten, unsere Toten, die wir hier betrauern, wieder ins Leben kommen sollen. Dennoch bleiben wir an dir und wollen dir vertrauen, denn du sprichst: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Gerade indem wir an dir, dem Lebendigen, bleiben, hoffen wir selbst, das Leben zu bewahren – nicht für die Welt, denn wir wissen, dass wir in ihr sterben und begraben werden. Aber wir bleiben stets an dir.

Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden; und dasselbe plötzlich, in einem Augenblick, zur Zeit der letzten Posaune. Denn es wird die Posaune schallen, und die Toten werden auferstehen unverweslich, und wir werden verwandelt werden. Denn dies Verwesliche muß anziehen die Unverweslichkeit, und dies Sterbliche muß anziehen die Unsterblichkeit.
1 Kor 15, 51-53

Ein Geheimnis vertraut uns Paulus an, und wir bewahren es durch unsere Zeit, wie unsere Väter und Mütter es für uns bewahrt haben. Wir werden verwandelt werden, wir sollen auferstehen. Darum ist es ein Geheimnis, weil uns etwas verheißen wird, was wir nicht und niemals verstehen können. Hier haben wir nur Bilder: Das Verwesliche muss anziehen die Unverweslichkeit, und dies Sterbliche muss anziehen die Unsterblichkeit. Das sagt uns auch, nur weil das Verwesliche ist, kann es die Unverweslichkeit erlangen, nur weil wir sterblich sind, gewinnen wir die Hoffnung auf die Unsterblichkeit, die wir in Gott erlangen und anziehen dürfen wie ein König sein Gewand am Tage der Krönung. Die Auferstehung, auf die wir als Christen hoffen, stellt nicht das wieder her, was war, sondern sie verwandelt den Menschen zu dem, was er ist in der ewigen Gegenwart Gottes.

Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR; sondern soviel der Himmel höher ist denn die Erde, so sind auch meine Wege höher denn eure Wege und meine Gedanken denn eure Gedanken. Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahinkommt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und wachsend, daß sie gibt Samen, zu säen, und Brot, zu essen: also soll das Wort, so aus meinem Munde geht, auch sein. Es soll nicht wieder zu mir leer kommen, sondern tun, was mir gefällt, und soll ihm gelingen, dazu ich's sende.
Jes 55, 8-11

Gottes Gedanken, wie könnten wir wähnen, sie zu erraten oder gar zu erfassen. Gottes Gedanken sind uns fremd, wie seine Wege uns unergründlich und fremd sind. Dennoch sind sie in der Welt gegenwärtig. Im Glauben bejahen wir die Anwesenheit Gottes und vertrauen seinem Handeln. Weil wir das tun, dürfen wir in allen Dingen einen Ausdruck und ein Gleichnis für dieses Handeln erblicken. Jesaja nimmt den Weg des Wassers, um uns zu belehren. Es fällt vom Himmel, feuchtet die Erde, macht sie fruchtbar und wachsend, dass sie Samen gibt und Brot. Den Samen gibt sie, um zu säen und das Brot, um zu essen. Wer denkt hier nicht an das sterbende Samenkorn, das der Bauer auch ohne Trauern in die Erde legt und an den Leib des Herrn, den er uns durch seinen Tod als Brot zur Speise gibt. So verwandeln sich alle Dinge und gelangen nur dadurch an ihr Ziel. So sucht uns auch sein Wort. Gott ist dieses Wort. Dort wo wir sein Wort aufnehmen und es bewahren, da machen wir uns bereit, zu ihm zurückzukehren, denn das ist es ja, wozu er es gesandt hat. So suchen wir in unserem Tod den seinen und hoffen durch seine Auferstehung mit ihm ewiges Leben zu erlangen.

Amen

Thomas Roloff

Freitag, 23. November 2012

Vor 1100 Jahren - Otto der Große



Beiläufige Vorbemerkungen

Auf dem allerersten Bild sehen wir ein Mosaik aus einer U-Bahn-Station in Berlin (Richard-Wagner-Platz, näheres hier) - den ersten deutschen Kaiser, wenn man so will - Otto I. aus dem Geschlecht der Liudolfinger. Er wurde vor 1100 Jahren, also am 23. November 912 AD geboren.

Gelegentlich findet man sogar heutigentags in den sogenannten „Qualitätszeitungen“ nicht nur Scharfzüngiges, sondern auch Scharfsinniges. Etwa hier zu einer Biographie Ottos des Großen von einem Prof. Becher aus Bonn, der folgendes Resumé zieht: Ein Herrscher des Friedens sei Otto nie gewesen, was ihm in heutiger Zeit zu Recht keine Achtung eintrage, denn auch im 10. Jahrhundert bedeutete Krieg vor allem unendliches Leid. Der „nicklige“ Kommentar: „Wen will Becher mit dieser Phrase besänftigen: die Ethikkommission der Friedrich-Wilhelms-Universität oder die Aktionsgruppe Deutsches Mittelalter der 'Frauen für den Frieden'? Hat Otto 'zu Recht keine Achtung' verdient, weil er die auf dem Lechfeld gefangenen Ungarnfürsten nicht vor ein internationales Tribunal stellte, sondern wie Strauchräuber enthaupten ließ?“

Eine andere (anspruchsvolle) Schwundstufe neu-bundesrepublikanischen Geschichtsbewußtseins stellt uns sein Lehrstuhlvorgänger Gerd Althoff heute (Sonnabend) in der FAZ vor. Er rühmt die Friedfertigkeit des Kaisers am Ende irgendwie, nun ja, das ist gerade en vogue, aber grandios ist diese Volte: „Aus heutiger Sicht liegen Ottos Verdienste nicht vorrangig in der Steigerung der Königs- und Kaisermacht. Ottos Herrschaft trug vielmehr zu Integration der ostfränkischen 'Stämme' dadurch bei, dass in seiner Zeit die königlichen Ansprüche und die adlige Partizipation an seiner Herrschaft ausbalanciert wurde. Die schuf föderale Strukturen, deren Fortwirken trotz allen Wandels man bis heute beobachten kann.“

Otto I. bleibt also in Erinnerung als (unfreiwilliger?) Begründer des Föderalismus? Ich spitze zu, aber nur wenig. Daß beide Äußerungen aus Bonn stammen (sozusagen), kreiert eine zusätzliche Pointe, nein, nicht nur die offenkundige. Bonn war einmal die „Heimatuniversität“ des Hochadels und des höheren Bürgertums, vor langer Zeit, unser letzter Kaiser hat z.B. dort studiert. Doch genug davon.

Ich weiß über Otto I. quasi nichts (ich lese nur hier und da ein wenig), und beide genannte Herren sind zweifelsohne Sachwalter großer Wissensbestände. Aber, was ich sehe, hat ein wenig von Missionaren und Anthropologen des 19. Jahrhunderts an sich, die auch viel zusammentrugen und... Das zu den Vorbemerkungen.


Eine Annäherung

In vergangenen Zeiten hielt man das, was uns so wichtig erscheint, das Biographisch-Persönliche nämlich, für nebensächlich, wenn sich in ihm nicht Bedeutenderes spiegelte. Wir wissen wenig über den Menschen Otto, wir können allenfalls indirekten Hinweisen folgen. Vielleicht stimmt es aber, daß in der Figur des „Magdeburger Reiters“ seine Züge überliefert sind. Magdeburg war ihm nahe, er hat es mit hartnäckigem Bemühen zum Erzbistum gemacht, er ist dort begraben.

„Tres luctus causae sunt hoc sub marmore clausae,
Rex, decus ecclesiae, summus honor patriae.

„Drei Gründe der Trauer liegen unter diesem Marmor beschlossen,
er war der König des Reiches, die Würde der Kirche, die höchste Ehre des Vaterlands.“

Also bleibt uns nur, in diesen Zügen zu forschen. Oder aus seinem von Chronisten überlieferten Verhalten auf seinen Charakter zu schließen, das wären dann Großmut, Menschenkenntnis, Beherrschtheit, die Fähigkeit zu vergeben, solange dies irgend vertretbar war, Wachheit. Kühnheit, Tapferkeit, Offenheit, Frömmigkeit. Er hatte die typische Erziehung eines germanischen Adligen erfahren, wozu Lesen und Schreiben nicht zählten. Mit etwa 35 Jahren, nach dem Tod seiner ersten Gemahlin, erzählt der Chronist Widukind, „lernte er die ihm vorher unbekannten Buchstaben so gut, daß er Bücher vollkommen lesen und verstehen kann“. Man mag das amüsant finden, kann aber auch darin die Fähigkeit entdecken, die Grenzen der Herkunft zu überschreiten.

Menschen können auch mit einem großartigen Charakter scheitern, und wenn etwas derart exemplarisch behauptet wird, handelt es sich wahrscheinlich um eine propagandistische Lüge, denkt man schnell. Beides ist offenkundig bei ihm aber nicht der Fall. Er ist nicht gescheitert, er hat Entscheidungen getroffen, die folgende Jahrhunderte geprägt haben, und er war einer der bedeutendsten Herrscher, die uns Deutschen gegeben wurden.

 

Translatio Imperii

Wie er seine Herrschaft bewahrte, die Einzelheiten seines Ringens, die Deutschen an eine gemeinsame Autorität zu gewöhnen, das mag man anderswo nachlesen. Otto d. Große fügte nicht nur dieses fragile, fast zufällige ostfränkische Reich zu einer festeren Gestalt, er hat den Staat der Deutschen, wie immer sie sich damals genannt oder gefühlt haben mögen, mit der schon halb abgesunkenen Idee des (west)-römischen Kaisertums verbunden. Viele haben ihm dies übelgenommen, später. Den Zeitgenossen erschien es das Natürlichste, von der Pflicht Gebotene.

Heutigen Menschen fällt es schwer, sich vorzustellen, daß jemand tatsächlich aus Ideen und Glaubensvorstellungen heraus handelte, die ihnen komplett und abweisend fremd sind. Sie vermuten dann eine Art von Zynismus, denn damit sind sie vertraut. Ja, es gab vor mehr als 1000 Jahren ebenfalls viel Grausamkeit, Eidbrüche, Verrat und Niedertracht. Aber eben nicht nur.

Die Erneuerung des Kaisertums galt den Zeitgenossen als Pflicht und Recht. Als Pflicht, weil man das 7. Kapitel des Propheten Daniel so verstand, daß das römische Reich bis zum Ende der Zeiten von Weltgericht und dem Anbruch des Reiches Gottes nicht untergehen durfte, da es das 4. und letzte der großen Reiche der Menschen sei, ein seit Konstantin christlich Gewordenes zumal. Manche glaubten, daß sein Bestand das Weltende sogar hinauszögern würde. Derjenige, der die Möglichkeit zu seiner Wiederherstellung besaß, hatte also nicht nur die Pflicht, sondern auch das Recht zu diesem gottgefälligen Werk.

Kaiser Otto war ein frommer Mann, der die Missionierung Skandinaviens und des Ostens nach Kräften vorantrieb. Man darf davon ausgehen, daß er das Kaiseramt mit ganzem Ernst und nicht aus schlichtem Machtkalkül anstrebte. Es hat sich über tausend Jahre mit Deutschland dauerhaft verbunden und seinem Geschick sehr eigentümliche Wendungen beschert. Ein Land und Reich stand über tausend Jahre im Dienste einer Idee, nach menschlicher Art, also meist unzulänglich, beschämend kleinlich, selbstvergessen, am Ende zunehmend als Farce, aber nicht nur. Und der Anfang aber war stark und überwältigend, wie Anfänge zuweilen eben sind.

beendet am 25. November
 

Mittwoch, 21. November 2012

Buß- und Bettag



Mitten zwischen Volkstrauertag und Ewigkeitssonntag liegt der Buß- und Bettag als einer der düsteren (staatlich-protestantischen) Gedenktage im November. Das Wetter tut, nicht überraschend, sein Möglichstes, den passenden Hintergrund dafür zu liefern. Mit langanhaltenden Morgennebeln etwa.

Die Grenzen verschwimmen und die Welt wird fremd. Der irritierte Beobachter erhält die Chance, aus seinen Gewohnheiten zu fallen, die Last des Gewohnten schwindet und es tauchen (möglicherweise) verstörend andere Gedanken wie Bilder auf. Diese überraschende Distanz gibt immerhin die Chance, sich eines vergessenen Mensch-Seins zu erinnern, die innere Welt weitet sich, und dann kehrt das Erwartbare doch zurück.

Nun ja, wir wollen in keinen zu esoterischen Tonfall verfallen. Dieser Anzug paßt einfach nicht zu uns. Obwohl, daß der Staat einen öffentlichen Feiertag zur Gewissenserforschung verordnet (hat), das dürfte es so nur in (einem vorigen) Deutschland gegeben haben. Herr Roloff hat den nachfolgenden Beitrag für seine regionale Zeitung zum heutigen Tag geschrieben (wie allerspätestens im letzten Satz deutlich wird).


Die Geschichte des Buß- und Bettages

Jahreszeit und Wetter passen im Grunde gut zum Anliegen des Buß- und Bettages, den wir seit 1995 in Deutschland mit Ausnahme Sachsens nicht mehr als staatlichen Feiertag begehen. Nebel, Kälte und das Sterben der Natur verbreiten Traurigkeit und lassen die Gefahr größer werden, vom Weg abzukommen und sich zu verirren. Buße hat darum auch weniger mit Bestrafung zu tun als mit der Suche nach dem Weg, der nicht in Verzweiflung, Tod und Verderben, sondern ins Leben führt. Am Buß- und Bettag soll der Mensch einen Moment innehalten, sich auf Gott besinnen und sein Handeln überdenken.

Es gibt eine anschauliche Geschichte in der Bibel über den vielleicht ersten Bußtag. Der Prophet Jona war von seinem Gott in die Weltmetropole Ninive gesandt worden, um deren Einwohner den drohenden Untergang ihrer Stadt zu verkünden, der ihrer Sünden wegen über sie beschlossen war. Der König gibt daraufhin folgenden Befehl: „Es sollen weder Mensch noch Vieh, weder Ochsen noch Schafe Nahrung nehmen, und man soll sie nicht weiden noch Wasser trinken lassen; und sollen Säcke um sich hüllen, beide, Menschen und Vieh. Und zu Gott rufen heftig; und ein jeglicher bekehre sich von seinem Wege und vom Frevel seiner Hände. Wer weiß? Es möchte Gott wiederum gereuen und er sich wenden von seinem grimmigen Zorn, dass wir nicht verderben.“ (Jona 3, 7-9)

Hier kommen alle Bestandteile des Bußtages bereits klar zum Ausdruck. Der König ruft den Bußtag aus, er beteiligt sich aber auch an ihm und gibt den Menschen durch sein eigenes Handeln ein Beispiel. Bußtage sind Tage des Fastens, der Einkehr und des Gebets, sie reagieren auf eine unmittelbare Gefahr und tragen die Hoffnung in sich, diese abwehren zu können.

Zu allen Zeiten gab es darum derartige Bußtage besonders in Kriegs- und Notzeiten. In Deutschland wurden viele unterschiedliche Gebräuche und Termine dann 1893 durch den preußischen König vereinheitlicht und der Mittwoch vor dem letzten Sonntag im Kirchenjahr zum Buß- und Bettag bestimmt. Dieser Tradition schlossen sich nach und nach immer mehr Länder an, bis dieser Tag mit der Wiedervereinigung 1990 deutschlandweit Feiertag wurde.

Immer drückte sich in ihm eine besondere Verantwortung der stattlichen Gewalt auch für die sittliche und moralische Ordnung des Gemeinwesens aus. Es ist und bleibt darum im höchsten Maße zu bedauern, dass dieser sichtbare Ausdruck für die Erfüllung einer umfassenden Pflicht um einer Versicherung wegen aufgegeben wurde. Dennoch wird an vielen Orten der Buß- und Bettag durch Abendgottesdienste begangen. In Schönhausen wird dazu heute um 19:30 Uhr in die Winterkirche eingeladen.
Thomas Roloff

Dienstag, 20. November 2012

Otto von Habsburg


Ankunft des Kronprinzen bei der ungarischen Königskrönung 1916, 
in der Kutsche die Kaiserin Zita;

Seine Kaiserliche und Königliche Hoheit Franz Joseph Otto Robert Maria Anton Karl Max Heinrich Sixtus Xaver Felix Renatus Ludwig Gaetan Pius Ignatius, Kaiserlicher Prinz, Erzherzog von Österreich, Königlicher Prinz von Ungarn, auch bekannt als Otto von Habsburg, wurde am 20. November 1912 in Reichenau an der Rax geboren. Wenn er nicht im vorigen Jahr gestorben wäre, so würde er heute folglich hundert Jahre alt geworden sein. (Falls man dem 2. Link folgt, findet man ein paar Bemerkungen von mir zu diesem Anlaß und über die Monarchie als solcher. Und auch hier mag man vielleicht noch einmal hinschauen)

Es dürfte selten jemanden gegeben haben, der so sehr die geistigen und moralischen Voraussetzungen im Übermaß dafür mitbrachte, ein Amt auszufüllen, das bald nach seiner Geburt ins Nichts der Geschichte zerstob. Die Ratio, der der Herr der Geschichte sich bedient, ist uns wahrlich undurchschaubar. Wir werden ihn dereinst viel zu fragen haben.
nachgetragen am 21. November

Montag, 19. November 2012

Sonntag, 18. November 2012

Sonntag &

poorly translated


Da man Gewohnheiten nicht leichthin aufgeben sollte (obwohl, da fallen mir spontan einige ein, bei denen das durchaus angemessen wäre, wir sind heute aber in milder Stimmung) -  der übliche Sonntags-Bericht. Lachs, geschmort mit Butterschmalz, Weißwein, Estragon (was der kürzliche Frost übrig gelassen hatte), Thymian und Rosmarin.

Dazu Blumenkohl, wie üblich mit etwas Muskat. Eine Neuigkeit: Teltower Rübchen (ich sah sie auf dem Markt und brandenburgische Nostalgie überfiel mich denselben Moment).  Dieselben wurden in Salzwasser fast gar gedünstet. Danach hatte ich in Kokos-Fett ein wenig Zucker geröstet, die Rübchen darin gewendet, mit Mehl bestäubt und nochmal in das vorige Wasser getan. Frau Sarah Wiener brachte mich auf diese Idee übrigens. Man kann das mögen, durchaus.

Ansonsten verwies mich Herr Urs aus Zürich auf diesen eher gemeinen, aber wahren Bericht über den Zustand der deutschen Küche (obwohl, daß Briten sich trauen, bei diesem Thema sich zu mokieren, doch siehe meine Eingangsbemerkung, da fällt einem doch glatt das ferne Wort „Chuzpe“ ein). Die Begründungen scheinen mir übrigens teilweise zweifelhaft. Deutschland ist einfach ein sehr gleichförmiges Land, geworden. Nun ja.


Since one shouldn’t give up habits lightly (although, spontaneously it comes to my mind where it could be appropriate, but we are in a mild mood tonight) - the usual Sunday report. Salmon braised with butter, white wine, tarragon (the recent frost had left), thyme and rosemary.

Then cauliflower (as usual with a little nutmeg). A novelty: Teltow turnips (I saw them on the market and Brandenburg nostalgia came over me the same moment). The selfsame boiled in salt water. Some minutes before they were done I roasted in coconut fat a bit of sugar, turned the turnips in it, dusted it with flour and reunited it with the previous water. Sarah Wiener brought me to this idea by the way. One might like it.

Otherwise Mr. Urs from Zurich brought me to this rather not surprising, in other words obviously true report on the state of German cuisine (although that Britons dare to mock about this subject… but see my preliminary remark, nevertheless somehow the far word "chutzpa” came to mind). I doubt the reasons there in the article (just saying), partly. Germany today became simply a very equably country (in a lot of different ways). Well.


...daß eure Namen im Himmel geschrieben sind


Heute also der aus dem Gedenken an die Gefallenen des 1. Weltkrieges entstandene Volkstrauertag. Man hat nicht unbedingt den Eindruck, als könne der herrschende Geisteszustand dieses Landes  einem solchen Tag noch gerecht werden oder es nur aufrichtig wollen. Wie auch immer.  Ursprünglich hatte ich die Absicht, dem Beitrag des Herrn Roloff für seine lokale Zeitung aus diesem Anlaß etwas voranzustellen. Aber ich belasse es bei einem Hinweis auf meinen kürzlichen Geschichts-“Spaziergang“. Es folgt sein Beitrag. Die Bilder übrigens sind vom heutigen Nachmittag.


Worte aus der Kirche
Beitrag für den vorletzten Sonntag des Kirchenjahres 
am 18. November 2012 
von Thomas Roloff / Schönhausen

Freuet euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.

Die öffentliche Trauer ist immer auch ein Aufstand gegen die Sünde des Krieges. Seit nunmehr sechzig Jahren wird in Deutschland der vorletzte Sonntag des Kirchenjahres als Volkstrauertag begangen. Gottesdienste, Kranzniederlegungen und Totenehrungen geben dem Novembertag seine äußere Form.

Erzählen will ich aber von einer Frau aus Schönhausen, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Namen der Gefallenen dieses Ortes zusammenzutragen. Sie hat auch Fotos und andere Erinnerungen gesammelt und in großen Ordnern zusammengefügt. Wenn man die Seiten durchblättert, dann hört die Erinnerung auf, im Unbestimmten zu treiben. Wir begegnen den Menschen, die durch den Krieg ihr Leben verloren. Wie wäre unser Land geworden, wenn sie alle nicht dem Krieg zum Opfer gefallen wären? Vielleicht ist diese Frage als bloße Spekulation unzulässig. Fragen müssen wir uns aber, wie unser Land wird, wenn wir die Erinnerung an das von Leid und Unglück überfüllte vergangene Jahrhundert verlieren.

So werden diese Bücher der Erinnerung zum Gleichnis für die Verheißung des Evangeliums: „Freuet euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.“ (Lk 10, 20) Diese Erinnerung besitzt dann nicht nur die Kraft uns auf das große Glück, im Frieden zu leben, auszurichten, sondern sie vereint uns unter dem Gott, der Herr über Leben und Tod ist. Diese Erinnerung erst formt tatsächlich unsere Gemeinschaft.

Darum hat die Kirchengemeinde in Schönhausen diese Gefallenenbücher in ihre Obhut genommen. Sie sollen nicht nur verwahrt, sondern auch gelesen und angeschaut werden. Sie sollen unsere Erinnerung wach halten.

Erinnerung daran, was der Krieg wirklich ist, nährt immer die Sehnsucht nach Frieden. Frieden wiederum ist nur möglich, wenn sich nicht ein Volk über das andere erhebt, sondern es nach dem sucht, was es mit anderen verbindet. Es gehört zu den fundamentalen Wahrheiten des christlichen Glaubens, dass Gott sich sein Volk aus allen Völkern beruft. Der Christ hat darum die Pflicht immer Gemeinschaft zu suchen, das Gute zu fördern und dem Frieden zu dienen. Er kann so mit allen Menschen beten: „Ach dass ich Wasser genug hätte in meinem Haupte und meine Augen Tränenquellen wären, dass ich Tag und Nacht beweinen möchte die Erschlagenen in meinem Volk!“ (Jer 8, 23)


Freitag, 16. November 2012

See - Stücke: Loerke

"Tube sponge with sea cucumbers Synaptula and cup corals" 
(c) Nick Hobgood, hier gefunden

Oskar Loerke

Unerreichbar

Es scheint mir vor ein einsames Meer,
Es lauscht aus meinem Blute,
Zu fern für das Leben, zu stumm dem Begehr
Des Magneten, der Wünschelrute.

Vom Licht ist die Salzflut grau und scharf,
Voll Inseln aus Korallen:
Rote Schwären haben die See befallen,
Die niemand heilen darf.

Langgezogen im Wasserbrühen
Schlafen Schlingpflanzen reglos.
Sie vergessen zu rudern und blühen,
Ihr Jahr und Jahrhundert ist weglos.

Sie haben keine Schaumtiermähnen
Mit ihrem Lasso zu fassen.
Hier ist kein Pfad für Schmerz und Tränen,
Nur Geschehn und Geschehenlassen.

Und so, vom heißen Wasser langgezogen,
Ruhn Wachstum und Gewächse.
Nur nachts türmt sich am Himmelsbogen
Goldschorfig eine Urzeit-Echse.

In Luft und Wasser funkeln die Flecken
Dem feurigen Salamander.
Die Lichter spähen und entdecken
Immer nur einander.

Was um das Haupt der Echse kreist entlegen,
Strömt an, meinen Geist zu spalten,
Und Süchte des Herzens schleppen verwegen
Mein Ich durch Weltraumgestalten.

Und endlich lassen sie sich fallen,
Wo niemand sie heimholen darf.
Sind sie das Meer, lichtgrau, salzscharf,
Voll Inseln aus Korallen?

"Reefscape taken in East Timor" (c) Nick Hobgood,

Ein rätselhaftes, nahezu unheimliches Gedicht, dessen deutlich faßbare Stimmung in den Bann zieht, ohne daß man sobald sagen könnte, was einen ergriffen hätte. Kein äußerlich wahrnehmbares, sondern ein inneres Meer begegnet uns „voll Inseln aus Korallen“ , feucht, warm, dämmrig, urtümlich, das rein vegetative Leben, zugleich licht und „salzscharf“. Die „Süchte des Herzens“ lassen endlich „sich fallen, wo niemand sie heimholen darf“.

Ein Fluchtort, vielleicht, ein Zurücknehmen in sich selbst, das Eintauchen in eine vormenschliche Welt? Zumeist ist sein Tonfall sonst weniger fern. Oskar Loerke gilt als Naturlyriker:

"Neulich drehte der Herbstwind um mich einen Wirbel roter und gelber Wein- und Walnußblätter. Was mich prächtig und beklemmend zugleich in seine Mitte nahm, war nicht ein Wirbel schlechthin, auch nicht der Rundtanz des herbstlichen Windes nur, sondern es gehörten alle aufgestöberten Blätter dazu, die Form und Farbe des von ihnen gedrehten Trichters, die Tagesstunde und ihr Licht, die Temperatur der Luft."

Ein genauer Beobachter spricht hier und übrigens ein exzeptioneller Dichter (was schwer auseinander zu denken ist, denn selbst der „Ideen-Lyriker“ sollte seine Gedanken wach- und aufmerksam betrachten), der nie die Anerkennung bekam, die er verdient hat und heute nahezu vergessen ist. Sein Thema sei „die webende Kontinuität des Naturgeschehens“, sagt sein Freund Wilhelm Lehmann, dem das Nachwort des Bandes gewidmet ist, aus dem das obige Gedicht stammt.

Man hat ihn magischen Realist genannt, aber das ist natürlich ein hilfloses Etikett. In meinen Augen versuchte er, Wirklichkeit zurückzugewinnen in der Anschauung und dann tiefer zu dringen.„...durch unser Trauern und Freuen scheint das Endgültige.“

Bekanntlich gibt es den Vorwurf, das Christentum habe uns von der Welt der Erscheinungen weggerissen. Daran mag etwas sein, es hier nicht der Moment, dem nachzugehen. Was gegenwärtig schwerer wiegt, ist etwas anderes. Denn es ist moderne Zivilisation, die Sehen und Sprechen erodieren läßt, bis nur noch Konventions-Geröll übrigbleibt (der dabei gern gesuchte Ausweg des alles Zerschlagens – typisch für das, was man unter dem Wort „Kunst“ heute subsumiert -  führt im Endeffekt zum gleichen entropischen Zustand).

Was Loerke dem entgegenhält, ist nicht eine Art magischer Beschwörung des Wirklichen. Er bleibt sich des grundsätzlich Getrennten in der Anschauung der Natur bewußt: „Befremdend fern und doch gesellt / Beatmen wir die gleiche Welt." Sein Eingehen in sie bleibt irgendwo stehen, verhält sich, rührt an das Unsagbare, ohne es in eine Weltanschauung im üblen Sinne zu zerren.

„Ich mag nicht die Allegorie, die … das eine für das andere setzt, die da tauscht und rätselt. Vielmehr: die Nähe der Ferne und die Ferne der Nähe sind tägliche Erfahrung; sie haben Macht über den Traum und das Wachen. Wem sie Traum und Wachen erdrücken, wem sie die nüchterne Tätigkeit zermalmen, der hat sie schon mißkannt.“

Und noch einmal Wilhelm Lehmann: "Oskar Loerke bekannte geradezu, er habe den Versuch, die Bezeichnung von ihrem Ding abzulösen, um Wörter zu gewinnen, mit denen sich musizieren läßt, für einen Frevel angesehen. Ein Name, zumal ein Eigenname, Ausdruck aller möglichen Weisen der Reaktion auf das Genannte, ist oft schon Lyrik, aber nur dann, wenn er das durchlebte Wesen in flagranti greift, wenn er Biographie ist."

Loerke verlangt genaues Lesen ab, man sollte also schon einiges an eigener Anschauungserfahrung mitbringen oder wenigstens die Offenheit dafür, und man spürt, daß seine Anschauung zudem eine vielfach reflektierte ist. Diese vorausgesetzte Anstrengungsbereitschaft ist kaum geeignet, jemanden populär werden zu lassen. So ist seine Lyrik aber eine vorzügliche Anschauungs-, Denk- und Sprachschule, um den eigenen Geist aus seiner Erschlaffung zu reißen. Und schließlich spricht er dabei von dem, das auch uns vor Augen liegt – der lebendig wirkenden Natur.

„Denn bei allen Lebendigen ist, was man wünscht: Hoffnung; denn ein lebendiger Hund ist besser denn ein toter Löwe.“
Prediger 9.4

"A Blue Starfish resting on hard Acropora coral. Lighthouse, Ribbon Reefs, 
Great Barrier Reef" - (c) 2004 Richard Ling, hier gefunden

nachgetragen am 25. Januar 2013

Donnerstag, 15. November 2012

Montag, 12. November 2012

Sonntag &

poorly translated



Nur ein kleiner Bericht (irgendwie ist es mir perfekt gelungen, mit einer falschen Einstellung diesmal nahezu alle Aufnahmen zu ruinieren). Als Ausgleich ein paar Bilder vom Rückweg vom Gottesdienst. Der war insofern interessant, als ein Bischof einer lutherischen Partnerkirche aus Ohio (glaube ich) eine (englische) Predigt hielt, die aber übersetzt wurde. Sehr nett! Sie handelte von einer Frau, einer Krabbenfischerin von der Küste Louisianas, die sich auf das Dach ihres Hauses geflüchtet hatte, als der Hurrikan Katrina ihren Ort traf, und sich selbst nicht vom Dach loslösen wollte, als die Polizei mit einem Boot kam. Der Rest der Predigt ergibt sich, denke ich, logisch.




Zum Essen: Ein Schweinebraten von guter Qualität, der eine Kräuterkruste bekommen sollte. Ich habe das mehrfach gemacht, diesmal aber löste sich die Kruste irgendwie fast auf (ich habe eine Ahnung, woran das gelegen haben könnte). Die Kruste bestand aus viel Butter, etwas Senf, Thymian, Rosmarin und Petersilie und einer Fertig-Kräuter-Paste (die war wohl der Übeltäter). Aber der Braten war auch mit einer eher kläglichen Kruste ziemlich gut geworden. Und die Kruste hatte sich in eine gute Grundlage für eine Sauce verwandelt. Dazu ganz exzellenten Rosenkohl.

Nicht nur hatte ich in dieser Woche meinen Geburtstag hinter mich gebracht, sondern mit diesem Tag auch meinen Namenstag. Über den Hl. Martin habe ich gelegentlich etwas geschrieben. Diesmal lassen wir es aus, aber dies mag nett zu lesen sein.


Only a small report (somehow I managed it perfectly this time with a wrong adjustment to ruin almost all photos). As compensation some pictures from my way back from church. It was interesting btw, as a bishop of a Lutheran partner church from Ohio (I think) preached his (English) sermon, but it was translated. Very nice. It was about a woman, a shrimper from the Louisiana coast, who had taken refuge on the roof of her home when Hurricane Katrina struck their place and didn’t want to detach her selves from the roof, when the police came by boat. One can imagine the rest of the sermon.

About the dish: A pork roast of good quality, which should get an herb crust. I've done this several times, but this time the crust disappeared somehow almost (I have an idea what might have caused it). The crust consisted of a lot of butter, a little mustard, thyme, rosemary and parsley and a ready-herb-paste (which was probably the culprit). But even without a reasonable crust the roast came out not that bad. And most of the crust transformed into a good base for a sauce. And very excellent sprouts.

Not only I survived my birthday this week, but now also my name day. On St. Martin, I wrote something occasionally. Not this time, but this might be nice to read (well it’s German).

nachgetragen am 12. November

Samstag, 10. November 2012

Greifswald



Wir sind in Pommern, in Vorpommern genauer gesagt, noch genauer in der Universitäts- und Hansestadt Greifswald, eine der wenigen Städte, die den 2. Weltkrieg zunächst überstanden hatte und erst in den Zeiten danach in einen Zustand versetzt wurde, als hätte sie es nicht, zum Glück nur teilweise. Aber auch Nicht-Kommunisten sind durchaus zu Barbarismen fähig, das nur am Rande (gern auch mit dem Mitgliedsbuch einer vorgeblich christlichen Partei).

Eigentlich wollte ich lediglich die Bilder sprechen lassen, aber ich muß doch unbedingt loswerden, daß, wie ich höre, hier das einzige Denkmal für Caspar David Friedrich zu finden ist. Ich war dort eingeladen, ein paar nichtssagende Worte vorzutragen, und Menschen waren so höflich zuzuhören, aber dazu vielleicht später mehr.