Freitag, 18. Januar 2019

Königs–Wehen und ein neues Reich

Anton von Werner, “Die Proklamierung des Deutschen Kaiserreiches“

„Diese Kaisergeburt war eine schwere, und Könige haben in solchen Zeiten ihre wunderlichen Gelüste, wie Frauen, bevor sie der Welt hergeben, was sie doch nicht behalten können. Ich hatte als Accoucheur [Geburtshelfer] mehrmals das dringende Bedürfnis, eine Bombe zu sein und zu platzen, daß der ganze Bau in Trümmer gegangen wäre. Nötige Geschäfte greifen mich wenig ab, aber die unnötigen verbittern." So Reichskanzler Bismarck an seine getreue Johanna.

Und der neue Deutsche Kaiser Wilhelm I. an seine Augusta: „Ich kann Dir nicht sagen, in welcher morosen Emotion ich in diesen letzten Tagen war, teils wegen der hohen Verantwortung, die ich nun zu übernehmen habe, teils und vor allem über den Schmerz, den preußischen Titel verdrängt zu sehen.“

Beide Zitate stehen im Zusammenhang eines Ereignisses, welches am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles geschah. Der preußische König Wilhelm I. wurde zum „Deutschen Kaiser“ proklamiert und damit nahm der Staat weiter Gestalt an, in dem wir noch heute leben. Wer hier verwirrt aufschauen sollte, dem wollen wir am Ende Aufklärung verschaffen.

Deutschland war nach dem Untergang des alten Reiches also wieder geeint, de facto traten die süddeutschen Staaten dem Norddeutschen Bund bei, der bereits seit 1867 bestand, allerdings unter Ausschluß Österreichs; Bismarcks Anstrengungen hatten sich zu einem geglückten Ergebnis gefügt, der preußische König gewissermaßen eine „Standeserhöhung“ erfahren; hätten die Beteiligten da nicht enthusiastischer klingen sollen? Die Gemütslage überrascht. Eine längere Passage aus dem Tagebuch Kronprinz Friedrich Wilhelms mag uns da weiterhelfen:

Emil Hünten: Kaiser Wilhelm I und Kronprinz Friedrich zu Pferde

Hauptquartier Versailles, den 17. Januar 1871

„Beim König fand nachmittags eine Sitzung statt, welcher Graf Bismarck, Hausminister v. Schleinitz und ich beiwohnten.… Hinsichtlich des kaiserlichen Titels bekannte Graf Bismarck, daß... die bayerischen Abgeordneten und Bevollmächtigten die Bezeichnung ‚Kaiser von Deutschland‘ nicht hätten zulassen wollen, und daß er endlich ihnen zuliebe, aber allerdings, ohne Se. Majestät vorher zu fragen, diejenige eines ‚Deutschen Kaisers‘ zugestanden habe. Diese Bezeichnung, mit welcher gar kein eigentlicher Begriff zu verbinden ist, mißfiel dem König ebenso wie mir, und wir taten unser möglichstes, um an ihrer Statt das ‚von Deutschland‘. Graf Bismarck blieb jedoch dabei...

Ferner suchte er zu beweisen, daß der Ausdruck ‚Kaiser von Deutschland‘ eine Territorialmacht, die wir über das Reich gar nicht besäßen, bedeute, während dagegen ‚Deutscher Kaiser‘ die natürliche Konsequenz des ehemaligen imperator romanus sei. So mußten wir uns leider fügen, wenn es mir auch gar nicht gefallen will...

Bei diesem Anlaß entspann sich eine recht peinliche Debatte über das Verhältnis von Kaiser zu König, weil Se. Majestät, den alten preußischen Traditionen zuwider, einen Kaiser höher als einen König stellt…

Je deutlicher sich nun aber die Konsequenzen von ‚Kaiser und Reich‘ im Lauf der Verhandlungen zeigten, desto aufgebrachter wurde der König. Schließlich brach er in die Worte aus, nur ein Scheinkaisertum übernähme er, nichts weiter als eine andere Bezeichnung für ‚Präsident‘; er müßte sich mit einem Major vergleichen, dem der ‚Charakter als Oberstleutnant‘verliehen worden sei. Nun es soweit gekommen wäre, müßte er zwar dieses Kreuz tragen, doch wollte er dafür auch der alleinige sein, weshalb er sich verbäte, daß man von ihm erwarte, der preußischen Armee eine gleiche Zumutung wie seiner eigenen Person zu machen; er wolle daher nichts von einem „Kaiserlichen Heere“ hören, weil er wenigstens unsere Armee vor dergleichen bewahren möchte und nicht dulden könnte, daß die Truppen gar „deutsche“ Namen und Bezeichnungen sich gefallen lassen müßten. Die Marine möge „die Kaiserliche“ genannt werden.

Ferner sagte er in äußerster Aufregung, er könne uns gar nicht schildern, in welcher verzweifelten Stimmung er sich befände, da er morgen von dem alten Preußen, an welchem er allein festhielte und fernerhin auch festhalten wollte, Abschied nehmen müßte. Hier unterbrachen Schluchzen und Weinen seine Worte...

Unverrichteter Sache und einer den anderen fragend, was nun eigentlich geschehen würde, verließen wir die Präfektur. Unter solchen Eindrücken leiteten wir die zu morgen angesetzte großartige deutsche Feier ein!“

Oscar Begas: Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen, 1867

Warum dieser Gefühlsausbruch auf Seiten Wilhelms? Er spürte, daß er zwar nicht den sofortigen Untergang Preußens herbeiführen würde, aber doch dessen Aufgehen in einem größeren Reich, bei dem höchst ungewiß war, wieviel darin von dem alten Preußen, dem er mit allen Fasern seines Gemüts und seiner Gesittung verbunden war, Bestand haben würde. Und dessen „Präsident“ sollte er sein dürfen, dem ein Kaisertitel aufgeklebt wurde.

Formal war er da ziemlich im Recht. Bismarcks kalter Pragmatismus in diesen Dingen mußte ihm wesensfremd bleiben, auch wenn Wilhelm sich letztlich den Notwendigkeiten beugte. Daß er dies den Kanzler spüren ließ, menschlich verständlich.

Immerhin durfte der in Versailles die Kaiserproklamation gewissermaßen dem deutschen Volk verlesen:

„Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen, nachdem die deutschen Fürsten und freien Städte den einmüthigen Ruf an Uns gerichtet haben, mit der Herstellung des Deutschen Reiches die seit mehr denn sechzig Jahren ruhende deutsche Kaiserwürde zu erneuern und zu übernehmen, und nachdem in der Verfassung des Deutschen Bundes die entsprechenden Bestimmungen vorgesehen sind, bekunden hiermit, daß Wir es als eine Pflicht gegen das gemeinsame Vaterland betrachtet haben, diesem Ruf der verbündeten Fürsten und Städte Folge zu leisten und die deutsche Kaiserwürde anzunehmen.

Demgemäß werden Wir und Unsere Nachfolger an der Krone Preußens fortan den Kaiserlichen Titel in allen Unseren Beziehungen und Angelegenheiten des Deutschen Reiches führen, und hoffen zu Gott, daß es der deutschen Nation gegeben sein werde, unter dem Wahrzeichen ihrer alten Herrlichkeit das Vaterland einer segensreichen Zukunft entgegenzuführen.

Wir übernehmen die Kaiserliche Würde in dem Bewußtsein der Pflicht, in deutscher Treue die Rechte des Reiches und seiner Glieder zu schützen, den Frieden zu wahren, die Unabhängigkeit Deutschlands, gestützt auf die geeinte Kraft seines Volkes, zu vertheidigen. Wir nehmen sie an in der Hoffnung, daß dem Deutschen Volk vergönnt sein wird, den Lohn seiner heißen und opfermuthigen Kämpfe in dauerndem Frieden und innerhalb der Grenzen zu genießen, welche dem Vaterlande die seit Jahrhunderten entbehrte Sicherheit gegen erneute Angriffe Frankreichs gewähren.

Uns aber und Unseren Nachfolgern an der Kaiserkrone wolle Gott verleihen, allzeit Mehrer des Deutschen Reiches zu sein, nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern an den Gütern und Gaben des Friedens auf dem Gebiete nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung.“

Stolze Hoffnungen, die sich leider nur für wenige Jahrzehnte, wenn auch beeindruckende erfüllen sollten. Herr Roloff hat zum 140. Jahrestag der Reichsgründung einmal ein Kalenderblatt, geschrieben, das ich ungekürzt noch einmal bringen will, weil er treffend den Stellenwert des Ereignisses zusammenfaßt. Von mir gibt es danach nur noch die versprochene Erklärung.

Karte des Norddeutschen Bundes 1866–1871

„Am 18. Januar 1871, also genau vor 140 Jahren, wurde in Versailles das Bismarckreich gegründet. Die im Spiegelsaal des Schlosses Ludwig XIV. versammelten deutschen Fürsten proklamierten den preußischen König zum Deutschen Kaiser. Wilhelm I. selbst hatte diesen Tag bestimmt, weil wiederum 170 Jahre zuvor in Königsberg die Krönung des ersten preußischen Königs stattgefunden hatte.

Mit der Kaiserproklamation wurde ein Schlusspunkt hinter die wohl gewaltigste Umwälzung in der europäischen Geschichte des 19. Jahrhunderts gesetzt. Drei Kriege hatte der in Schönhausen an der Elbe geborene Kanzler Otto von Bismarck führen müssen, um den Weg zur Deutschen Einheit frei zu machen. 1864 besiegten Österreich und Preußen noch gemeinsam Dänemark. 1866 wurde dann durch den Krieg Preußens gegen Österreich der innerdeutsche Dualismus entschieden und 1870/71 mit dem Sieg über Frankreich das letzte Hindernis zur Einheit Deutschlands beseitigt. Damit war innerhalb von nur ganz wenigen Jahren mit dem Reich wieder eine mächtige europäische Mitte entstanden, wie sie der Kontinent seit dem 30-jährigen Krieg nicht mehr gekannt hatte. Darum nannte auch der britische Premierminister Benjamin Disraeli das Jahr 1871 bedeutender für die europäische Geschichte als es das Jahr 1789 gewesen sei.

Bismarck war sich vollständig darüber im Klaren, dass das Äußerste erreicht war, was im Rahmen eines deutschen Nationalstaates möglich gewesen ist. Von nun an verlegte er seine gesamte Energie darauf, das Reich in der Mitte Europas zu bewahren. Der schwindelerregende wirtschaftliche Aufstieg Deutschlands, seine Modernität und rasant wachsende Macht riefen nämlich unter den europäischen Mächten nicht unbedingt nur Bewunderung und Freundschaft hervor. Darum verschloss sich der Fürst auch weitestgehend jeder auftrumpfenden Politik. Sogar die 1884 für das Reich gewonnenen Kolonien stellte Bismarck wieder zur Disposition und trug sie dem Hamburger Senat zur Verwaltung an. Gegenüber dem Bürgermeister Versmann stellte er 1889 in für ihn typischer Weise klar: „Mein Gewerbe ist es, Europa den Frieden zu erhalten; wenn ich das tue, bin ich bezahlt. Mit anderen Kleinigkeiten kann ich mich nicht mehr abgeben. Kurz, das Auswärtige Amt wird die Kolonialsachen los oder es wird mich los.“

Genau diese „Kleinigkeiten“ aber wurden von Vielen dann ganz anders bewertet. Max Weber beispielsweise verlangte in seiner Freiburger Antrittsvorlesung 1895: „Wir müssen begreifen, dass die Einigung Deutschlands ein Jugendstreich war, den die Nation auf ihre alten Tage beging und seiner Kostspieligkeit halber besser unterlassen hätte, wenn sie der Abschluss und nicht der Ausgangspunkt einer deutschen Weltmachtpolitik sein sollte.“

Schon lange hat die Geschichte ihr Urteil darüber gesprochen, wer von beiden Recht behalten hat.
Thomas Roloff

Ferdinand Keller: Apotheose Kaiser Wilhelms I.

Nachtrag

Zunächst sei noch festzuhalten, wie erstaunlich schnell, und so von den Urhebern möglicherweise nicht erwartet, die Begriffe von „Kaiser und Reich“ sich wieder mit Bedeutung aufluden und über die ihnen zugedachte Funktion hinauswuchsen. Keinesfalls sah man im preußischen König und Deutschen Kaiser eine Art von Präsidenten.

Und selbst nach so vielen Brüchen sprechen die Leute mitunter noch von „Kaiserwetter“ und einige Ostseeorte nennen sich mit Stolz „Kaiserbäder“. Immerhin. Das charakteristisch Preußische, das allerdings verdämmerte wirklich langsam. Und selbst als die Monarchie endete: Die sog. Weimarer Verfassung von 1919 beginnt in Artikel I mit: „Das Deutsche Reich ist eine Republik.“

Ob man nun den Anfang auf den 1. Juli 1867 setzt, mit dem Inkrafttreten der Verfassung des „Norddeutschen Bundes“, oder eben auf den 18. Januar 1871 mit der Kaiserproklamation von Versailles. Niemand Ernstzunehmendes kam 1919 auf die Idee, mit der Änderung der Staatsform sei auch ein neuer Staat entstanden. Es sollten bekanntlich noch weitere Um- und Zusammenbrüche folgen.

Irgendwann in der 2. Hälfte des vorigen Jahrhunderts kam dann bei einigen ganz Klugen die Idee auf, der Staat von 1867/71 sei 1945 untergegangen oder sogar noch irgendwann später.

Ein Herr Wolfgang Malanowski schrieb im Spiegelheft Nr. 4 von 1971 folgenden dafür bezeichnenden Satz: "98 Jahre, neun Monate und zehn Tage hat dieses Reich bestanden - das erste halbe Jahrhundert feste Burg, das zweite halbe Jahrhundert nur noch Ruine und schließlich bloß Chimäre seiner selbst. Seine längst brüchigen Konturen verschwanden am 26. Oktober 1969, als Willy Brandt in seiner Regierungserklärung von den zwei Staaten in Deutschland sprach, und so wie beim sozialdemokratischen Bundeskanzler kehrt Realitätssinn auch bei bundesdeutschen Historikern ein."

Die Regierungserklärung eines Bundeskanzlers konnte den Staat, der einmal „Reich“ genannt worden war, also gewissermaßen weghexen (was für eine Rechnung der Autor da aufmacht, ist mir übrigens schleierhaft) bzw. den übrig gebliebenen Teil in 2 Nachfolgestaaten zerfallen lassen. Das empfanden damals sicher viele als realistisch und jeden Gedanken einer Vereinigung der beiden als verstiegene Phantasterei, ja sogar moralisch anrüchig. Übrigens eine hübsche Lektion darüber, wie grundlegend sich das Verständnis von Normalität jederzeit umzukehren vermag. Doch dazu müßte man geschichtlich denken wollen oder können.

Die Verstiegenheit wurde bekanntlich Realität. Nur, daß Realität und Wahrnehmung halt doch sehr auseinander fallen können. So bettelt eine bestimmte Fraktion im Bundestag immer wieder fast darum, die "These von der Fortexistenz des Deutschen Reiches“ endlich zurückzuweisen, damit sie nicht von Neonazis und ähnlichem Gelichter benutzt werden könne.

Und mit der Regelmäßigkeit eines Drehorgelliedes erfolgt darauf die Antwort:  Das Bundesverfassungsgericht habe in ständiger Rechtsprechung festgestellt, daß das Völkerrechtssubjekt "Deutsches Reich" nicht untergegangen und die Bundesrepublik Deutschland nicht sein Rechtsnachfolger, sondern mit ihm als Völkerrechtssubjekt identisch sei.

Mit anderen Worten, die Bundesrepublik ist das Deutsche Reich. Es heißt gegenwärtig bloß anders. Und darum können wir sagen. Der Staat, in dem wir leben, ist spätestens 1871 gegründet worden, eigentlich schon 1867. Und das rechtfertigt dann vielleicht auch einen so ausufernden Beitrag.

 nachgetragen am 21. Januar

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Es kann gar nicht oft genug darauf hingewiesen werden, dass die deutsche Geschichte weiter reicht und größer ist, als es uns der heutige Mainstream glauben machen will.

DirkNB hat gesagt…

Geschichte hat die beständige Tendenz, sich fort zu entwickeln. Und die Wege sind recht verschlungen. Nur eins ist sicher, es geht immer nur vorwärts, ein zurück gibt es nicht. Was als Weg gegebenenfalls als Kreis erscheint, ist eigentlich eine Spirale; abwärts oder aufwärts, das wird erst die Zukunft erweisen können.
Eine einfach Illustration soll die Währung sein. Gelegentlich hört man doch immer noch die Forderung nach einem "zurück zur D-Mark". Salopp formuliert ist das hanebüchener Unsinn. Wenn, dann müsste es "vorwärts zur D-Mark" heißen, mit aller Konsequenz. Eine davor wäre Erkenntnis, dass - den Erfolg der Forderung unterstellend - die neue Währung "DM" mit der alten höchstens den Namen gemein hat, anfangs vielleicht auch den nostalgisch guten Ruf, aber das gibt sich schnell.
Ähnlich ist es bei allem anderen auch. Die Währung war nur ein kleines Beispiel. Die Geschichte entwickelt sich immer weiter, geht viele Irrwege, testet vieles, manches landet auf dem Müll, anderes im Recyclinghof, aber die Zuordnung stimmt auch nicht immer.

MartininBroda hat gesagt…

@anon Wie lese ich so schön: Agoraphobie oder Platzangst bezeichne die Form einer Angststörung, bei der die Angst durch unübersichtliche Orte und Situationen wie weite Plätze oder Menschengedränge ausgelöst werde. Es sei die Angst vor einem Kontrollverlust. Der Erkrankte vermeide auslösende Situationen und könne im Extremfall nicht mehr die eigene Wohnung verlassen.

Nehmen wir als Angstauslösendes hier doch einfach die Uferlosigkeit der Geschichte und als Gegenmaßnahme ein sehr eingeschränktes Welt-/Denkgebäude, das bei anderen Klaustrophobie auszulösen vermag.

MartininBroda hat gesagt…

@DirkNB "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen!" Nein, im Ernst. Um irgendeine Art von irgendwohin Zurück-Wollen geht es hier doch nirgends. Ich hab's extra noch mal daraufhin gelesen, ob da irgendwo etwas mißverständlich formuliert gewesen wäre. War es nicht und konnte es eigentlich auch nicht.

Ob die Geschichte sich entwickelt, weiß ich nicht, die Dinge ändern sich in ihr, aber es gibt eben auch Verbindungen, Hintergründe, manche stören heutzutage.

Die gegenwärtig vorherrschende Grundhaltung ist negativer Exorzismus, gewissermaßen. Wenn Vergangenes nicht umgangen werden kann, muß es dekontaminiert und steril versiegelt werden, und sei es unsere arme Königin Luise. Dekontaminiert? Wovon eigentlich? Vermutlich vom Lebendigen. Die Angst, es könnte wieder auferstehen, Königin Luise? Wirklich? Nostalgie schlägt um in Widergängertum? Mir scheint das alles doch sehr in den Bereich des Pathologischen zu gehören. Es ist nur ein Beispiel, aber ein Grundmuster, das man überall antrifft: Im Vergangenen wohnt immer das Grauen und glücklich ist man nur in der ewigen Gegenwart.

Doch Herr Klonovsky kann das viel besser beschreiben.

"Ein schon etwas länger dienender Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung erzählte mir, die zu Zeiten der Berlinumzugs-Vorbereitungen waltende Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth habe damals dafür gesorgt, dass im neuen Parlamentsgebäude keinerlei positiver Bezug auf die deutsche Nation und deren Geschichte genommen werde. Ihr Nachfolger Thierse, in dessen lustige Amtszeit der Umzug dann fiel, dürfte ihr nicht gerade kreischend in den Arm gefallen sein. Deswegen, schloss der Beamte, besäßen wir das wahrscheinlich einzige Parlamentsgebäude der Welt, in dem sich kein Kunstwerk befinde, dass die eigene Geschichte in Gestalt irgendeines identitätsstiftenden Ereignisses darstellt.

Das Problem ist nicht, wenn du Millionen Tote auf dem Kerbholz hast. Dass Problem besteht einzig darin, seine Kriege zu verlieren und dann Zerknirschungsathleten ertragen zu müssen, die um Sühnepunkte wetteifern und dafür die historischen Wunden immer schön offen und eiternd halten."

Anonym hat gesagt…

Ich kann in diesem Zusammenhang nur empfehlen, einmal über den schönen Begriff der re-formatio zu meditieren!