Sonntag, 25. November 2018

Über den Trost der Dinge und auch die Ewigkeit

Busto ritratto di Antinoo. Galleria Estense, Modena.


Der November drängt so sehr das Gedenken der Toten auf und es ist ein wahrlich zwiespältiges Erinnern. Denn wie eindrückliche Menschen sind einem begegnet und wieder verhüllt worden, daß man ihr Andenken nicht mit Worten verunstalten mag. Aber vielleicht werde ich in der Ewigkeit Nicolás Rackiewicz aus Argentinien, einem Ort, den er vom Innersten haßte, mit Maria Wandelt bekannt machen können. Das wäre schon was.


G.F Händel, Allor ch'io dissi addio, Roberta Invernizzi

Seit jenem Sonntag also, der jetzt Ewigkeitssonntag heißt, kreisen meine inneren Gedanken um dieses Thema, und ja, wie sagt man es, sie „behinderten“, das ist falsch, sie hielten anderes zurück. Und auch das sollte irgendwann enden. Warum nicht jetzt? Als Abbreviatur.

Die Dinge also. Es ist ein verbreitetes Vorurteil gegen sie, daß sie vergehen würden, wieso so? Die Verächtlichung-Machung der Schöpfung ist der Kern des Bösen. Gewalttätig gegen ihre Ratio, also die Ordnung, ihre Wahrheit; die Wirklichkeit überhaupt. Ein Beispiel davon im Sing-Sang der Bedeutungslosigkeit. Denn man kann vom Schönen nur sorglos reden, solange man abwehrt, was einen nicht beflecken darf:

"Aber diese Leere empfinde ich als Versprechen. Also ich denke mir, jede Form von Aufladung dieser Leere ist heute zum Scheitern verurteilt, eben weil die Gesellschaft so pluralisiert ist. Die einzige Hoffnung, die wir haben, ist, daß wir auf ein Wir rekurrieren können, das leer bleibt. Weil nämlich diese Leere die einzige Hoffnung ist, unter der wir uns in unserer Vielfalt so versammeln können, ohne diese Vielfalt aufgeben zu müssen."

Das Schöne ist die Ewigkeit, jedes Stück davon. Die Dinge von Schönheit sind… Charlatanhafte Charaktere werden davon angezogen und werfen sie sich in ihrer Dürftigkeit gern über als genialischen Mantel.

Das ist das andere also. Genug davon.

Man begegnet oft dem triumphierend (worüber eigentlich?), zumindest betulich affirmierend vorgetragenen Urteil: ‚Alles sei vergänglich‘. Die Dinge sind immer in Gefahr, aber sie trösten auch. Denn sie sind Teil der Ewigkeit, sie sind die wundervollste Frucht des Leidens an der Vergänglichkeit. Da sie in die Ewigkeit hineinragen.

Auch Fortschritte im Religiösen sind mit Opfern erkauft: Als den alten Juden eingebläut wurde, daß das Göttliche nicht hinreichend in der lebendigen Natur zu finden sei, geriet ihnen das alberne Bilderverbot zupaß und später kam irgendwann dann davon die Askese auf und noch später schlug man Venus-Statuen die Köpfe ab.

Eine der Quellen meines Mißtrauens war immer, daß die größten Eiferer, ob ägyptische Mönche oder calvinistische Bilderstürmer gerne Dinge zerstörten. Da gibt es einen kleinen Webfehler in der Tradition. Einer der nebenher laufenden Grundsätze christlichen Denkens ist, daß Gott aus seiner Schöpfung erkannt werden könne, nur als Anfang, aber immerhin.

Wenn er sich aber inkarniert hat, dann hat er auch die Schönheit der Dinge hervorgerufen, sich dieser Schönheit ausgeliefert, ist ihr Wesen. Man kann sich nicht inkarnieren, sprich ausliefern, und anschließend fröhlich den eigenen Untergang feiern. Wie kann man dann den Satz tröstlich finden, daß eh alles vergänglich sei. Wie kann sich Gott in etwas hinein offenbaren, das er für wertlos hält, auch nach seiner Inkarnation, mit dem er sich gewissermaßen gemein gemacht hat. Das Vergehen der Dinge müßte ihn dann doch persönlich angehen.

Gott aber zerstört nicht seine Schöpfung, er stellt sie wieder her. In jedem unbegrenzten Augenblick von Schönheit wohnt die Präsenz des Ewigen. Darum kehrt auch im Verfall die Schönheit in die Ewigkeit zurück, sie mag vergehen, aber nur für uns. Wir aber können, wenn wir uns über den Verlust von schönen Dingen grämen - und wie viel hat unsere Heimat, dieses alte Reich nicht verloren – uns nur in diesen Strom stellen, der uns zur Quelle der Schönheit zurückträgt, in dem alle Dinge geborgen sind, zu Gott.

Und da das hier ja eine persönliche Ecke der Welt und keine Tageszeitung ist oder so etwas Schreckliches...


Als ich jemandem vorklagte, ich wüßte nicht, was schlimmer sei, die Schlaflosigkeit, die unvorbereitet einfallenden Müdigkeits-Attacken oder die reichlich illuminierten Albträume, wenn es denn doch zum Schlaf kam, und er mir vorschlug, so etwas Interessantes müsse ich doch aufschreiben. Nein. Ich bin schlicht froh, wenn es vorbei ist.

Eine Ausnahme, weil es so rührend banal daherkommt. Man muß Neustrelitzer sein, um das mit dem inneren Auge sehen zu können: Also wenige Schritte von der Tiergartenstraße entfernt (im Rücken das ehemalige Amtsgericht), weiter hinten ragte die Seitenfront der Schloßkirche empor, erhob sich ein runder Tempel, der einen Brunnen umfing. Als ich aufwachte, fing ich pedantisch an, die Säulen zu zählen, waren es acht oder waren es 12? Mein Gott, es war ein Traum.

Unter der Kuppel eine aufrechte Frauengestalt, von der man sofort wußte, daß es die Hl. Jungfrau war, obwohl keinerlei Attribute beigegeben. Unter ihr 4 Engel, damit beschäftigt, 4 Drachen zu beherrschen, aus deren bedrohlich aufgerissenen Mäulern das Wasser ins Brunnenbecken floß. Die Jungfrau war in Verbindung mit allem, sie streckte ihre Hände ermutigend den Engeln entgegen, die ihrerseits mit Blicken und Gesten auf sie achteten.

Um den Tempel war ein kleiner Rosengarten.


So jetzt habe ich das einmal aufgeschrieben und kann künftig zur Abschreckung darauf verweisen. Eine gesegnete Nacht und einen ebensolchen Tag.

Starnberg, Marienbrunnen. 1912 
vom Apotheker Vinzenz Gresbek gestiftet, hier gefunden

nachgetragen am 6. Dezember

Donnerstag, 22. November 2018

Wozu braucht ein Mensch ein Schloß? Oder: Ein Turm der Erinnerung

Neustrelitz, Schloß und Schloßkirche, etwa 1900

Im September erst fragte ich mich eher resignierend: Wozu braucht ein Mensch ein Schloß? Und warum hingen viele Neustrelitzer immer noch an einem Bau, der lange verloren sei? Um mir selbst zu antworten: Vielleicht weil sich für sie in ihm auch ein Sehnsuchtspunkt sammele, all der verlorenen Orte, die ein Mensch mit sich umhertrage? Eine Art von Heimat.

Es war meine Schlußbemerkung dazu, wie mit den auftauchenden Schloßfragmenten bei der Erneuerung des Schloßgartens offenkundig umgegangen wurde. Das sah nicht unbedingt nach einer erfreulichen Geschichte aus.  Und davon gibt es einige.

Bekanntlich haben die gruseligsten Projekte zum Schloßberg existiert, die glücklicherweise alle gescheitert sind. Ich erinnere nur an die grandiose Idee, dort oben überdimensionale Fahnenmasten einzurammen, die den Raum erlebbar machen sollten. Die Fahnen hätten sicher fröhlich bei stärkerem Wind die Umgebung terrorisiert, eine Kombination aus Reichsparteitagsgelände und einer Batterie von Windrädern gewissermaßen, wunderschön.

2 Monate später sind wir unerwartet weiter.

„Land gibt noch mehr Geld für Turmbau“, verkündete unser lokaler Beobachter vor 2 Tagen. Was war geschehen? Vergangenen Montag hatte die SPD-Stadtvertreterfraktion öffentlich ins Neustrelitzer Rathaus geladen. Es ging wieder um den Schloßberg und anwesend war u.a. Finanzminister Brodkorb aus Schwerin. Offen gestanden, hat er mich überrascht.

Er zeichnete zunächst nach, was er vorfand. Daß die erhaltenen Keller des Baus von 1909 keinen besonderen historischen Wert erkennen ließen und die Planungen daher für ihn plausibel waren. Er habe aber lernen müssen, daß sie als letzter orginaler Baurest des Schlosses einen ideellen Erinnerungswert hätten, den er unterschätzt habe. Darum gäbe man die geplante Zuschüttung der Kellergewölbe auf.

Mehr noch, er erwähnte die bis heute oft gespannte Beziehung der beiden Residenzstädte (ob zurecht oder nicht, fügte er an), dieses Unverhältnis müsse endlich enden, es sei Zeit für eine Versöhnung. Später brachte er sogar die Idee einer künftigen Städtepartnerschaft zwischen Schwerin und Neustrelitz auf, was allgemeine Heiterkeit (und bei mir amüsiertes Kopfschütteln) auslöste. Darum sei das Ministerium bereit, nicht nur zentrale Elemente seiner Planungen aufzugeben, sondern einen Vorschlag aufzugreifen, der aus Neustrelitz gekommen sei (es handelt sich um den Werdermann / Peters  - Entwurf, dazu gleich Näheres), als eine Art Friedensangebot.

Nun ist meine Neigung zur Naivität durch die Jahre hin sehr geschwunden, aber das will ich gern beiseite lassen. Brodkorbs Vision der Versöhnung ist eine in sich stimmige Erzählung, die deshalb überzeugt.

Neustrelitzer Residenzschloss Postkarte, koloriert, 1913

Der Werdermann / Peters  - Entwurf 

Die Herren Werdermann und Peters haben etwas sehr Verdienstvolles zustande gebracht: Sie legten einen mit Fakten untersetzten Sachvorschlag vor, der im Bereich des gegenwärtig Realisierbaren liegt und offenbar seine Wirkung nicht verfehlte.

Punkt 1 (der von dem Bauunternehmer und FDP-Stadtvertreter Bernd Werdermann in der o.g. Veranstaltung erneut erläutert wurde) kurz zusammengefaßt:

Die erhaltenen Keller sind von der Bausubstanz her weit mehr intakt als behauptet. Um für die Zukunft aber Möglichkeiten offen zu lassen und weil die preußischen Kappendecken keine Lasten mehr tragen könnten, plädiert er für eine sog. Huckepackdecke. Eine Stahlbetondecke würde über die Kellergewölbe gelegt, an der die Originaldecke aufgehängt würde, so seien die Keller gesichert, wasserdicht und belastbar, auch für spätere Zeiten über die darüber gegenwärtig geplante Grünanlage hinaus.

Der Punkt 2 wurde vom Neustrelitzer Architekten Christian Peters vorgetragen. Im Kern geht es um eine Wiedererrichtung des Hauptturmes des Residenzschlosses und die Zugänglichmachung der Kellerräume. Dieser Turm solle zwar an das Original erinnern, aber nicht exakt originalgetreu. Es ginge um „Erinnerungsarchitektur, die in vereinfachter Form aber in selber Größe und am selben Standort die Silhouette des verschollenen Schlosses aufzeigt”. Das Zitat stammt zwar von woanders her, faßt aber das Anliegen gut zusammen. Immerhin fiel nicht das Stichwort: „In der Kubatur von...“, aber auch darauf wollen wir noch zurückkommen.

Schloß Neustrelitz, Park-Ansicht Turm, Farbfoto um 1940

Die Finanzzusage

Hier muß ich etwas vorsichtiger werden und eher rekapitulieren, was ich im Anschluß gelesen habe (ursprünglich wollte ich hier gar nicht dazu schreiben). Das Land würde die durch die veränderten Planungen angestiegenen Kosten für die Sicherung und Begehbarmachung der Schloßkeller weiter komplett übernehmen, so Brodkorb. Am Wiederaufbau des Schloßturms wolle man sich mit 2 Millionen beteiligen, die gleiche Summe müßte Neustrelitz aufbringen.

Nun hatte auch ich ihn so verstanden, daß die 1 Million vom Wirtschaftsministerium, die auf einmal im Raum stand (aus welchen Gründen immer) in diesen Eigenanteil der Stadt eingehen sollte, so daß noch ca. eine Million Euro für die Stadt verbliebe, die sich auf EU- und Bundesmittel, städtische Mittel sowie Spendengelder aufteilen könnten. Andererseits lese ich, die Gesamtsumme, von der derzeit die Rede sei, wäre auf 9 Millionen Euro angewachsen, wovon nach aktuellem Stand 2 Millionen durch die Stadt aufzubringen wären. Wie auch immer, das wird sich bis zum 13. Dezember sicher aufklären lassen (auch dazu gleich mehr).

Weiterhin führte Minister Brodkorb aus, daß derartige Gemeinschaftsprojekte geradezu dazu einlüden, sich anschließend über Details zu verzanken. Das ist in der Tat so. Darum biete er der Stadt an, den Schloßberg vom Land für einen Euro übertragen zu bekommen. So könnten die Neustrelitzer Bürger anschließend frei über die weitere Gestaltung bestimmen. Natürlich käme da schnell der Verdacht auf, das Land wolle sich nur aus der Verantwortung stehlen. Deshalb solle es parallel dazu eine Selbstverpflichtung des Landes geben, sich auch nach der Eigentumsübertragung an die Stadt finanziell an der Pflege und Gestaltung dieses bedeutsamen Landeserbes zu beteiligen.

Allerdings gelte diese Zusage des Landes nur bis Ende dieses Jahres. Förderperioden würden auslaufen, der nächste Doppelhaushalt müßte im kommenden Jahr aufgestellt werden. Die Stadtverordneten sollten in der Lage sein, in einem Grundsatzbeschluß zu bekunden, ob sie dieses Angebot annehmen und den Turm haben wollten oder nicht, wie immer der dann konkret aussehen solle, darin würde er sich auch nicht mehr einmischen.

Ich deutete bereits an, daß die Äußerungen des Finanzminister mich in ihrer nüchternen Klarheit überrascht und beeindruckt haben, und ich bin nicht leicht zu beeindrucken. Eine Stadtvertretersitzung, auf der dieser Beschluß herbeigeführt werden könnte, wäre am 13. Dezember.

Ein Turm der Erinnerung

Residenzschloßverein: „digitalisierte Darstellung
der oberen Geschosse des stadtbildprägenden Schloßturmes,
Realisierung durch Architectura Virtualis“

Womit ließe sich ein solcher Turm füllen. Nun, erst einmal wäre er eine Landmarke und ein Erinnerungsmal. Auf einmal würde wieder spürbar, wozu sich Neustrelitz Residenzstadt nennt. Der Schloßgarten wäre ganz anders erlebbar und seine Geschichte hätte einen Ort, an dem sie angemessen und blicknah dargestellt werden könnte. Das verlorene Schloß könnte vor dem inneren Auge wiedererstehen. Und an einem solchen „Exponat“ wird tatsächlich schon gearbeitet.

Der Residenzschloßverein will „das zerstörte Neustrelitzer Residenzschloss virtuell wiederauferstehen“ lassen. „Mit Hilfe von Spenden durch Bürger, Betriebe und Einrichtungen der Region konnte ein erster Teilabschnitt, der obere Teil des Schlossturmes, realisiert werden… Die digitale Darstellung unseres Neustrelitzer Residenzschlosses soll nun abschnittsweise vervollständigt werden.“ Der Verein bittet darum, durch weitere Spenden dieses Vorhaben voranzubringen und eine Gesamtvisualisierung des Schlosses Wirklichkeit werden zu lassen.

„Wir wollen den Besuchern vermitteln können, welcher architektonischer Schatz dort am Ende des Zweiten Weltkriegs und vor allem danach zerstört worden ist”, so Jürgen Haase, der Vorsitzende des Residenzschloßvereins. Dieses Projekt dient nicht nur der virtuellen Kontemplation, sondern hat auch eine praktische Seite: Der Residenzschlossverein wirbt für eine originalgetreue Rekonstruktion des Turmes. Und wenn ich es richtig verstanden habe, will er zumindest eine Lösung, die auch eine schrittweise Annäherung an dieses Ziel möglich macht. In diesem wichtigen Punkt widerspricht er dem Werdermann / Peters  - Vorschlag.

Herr Peters möchte eine „Erinnerungsarchitektur, die in vereinfachter Form aber in selber Größe und am selben Standort die Silhouette des verschollenen Schlosses aufzeigt”. Nun ist deren bis jetzt bekannte Visualisierung wohl eher als Skizze zu verstehen und daher nicht ganz konkurrenzfähig, aber ich wäre überrascht, wenn sich eine wie immer geartete Erinnerungsarchitektur dem Original gewachsen zeigte.

Jedenfalls als es darum ging, ob, und wenn ja wie, man das im letzten Krieg zerstörte Goethehaus in Frankfurt am Main wieder aufbauen solle, gab es auch eine heftige Debatte. Es wurde dann wieder aufgebaut und nicht „in der Kubatur“ des alten Hauses, sondern originalgetreu. Und ich mußte vor kurzem jemandem nach seinem Besuch dort erklären, daß es tatsächlich ein Neubau sei, er wollte es mir zunächst nicht glauben und dachte, es hätte ihn auf wundersame Weise überstanden.

In die weitere Debatte nach einem Grundsatzbeschluß, den die Stadtvertretung in ihrer kollektiven Weisheit hoffentlich positiv fassen wird (meine Worte), wolle sich Minister Brodkorb dann nicht mehr einmischen. Er wußte wohl, wovon er da sprach. Wir wollen hier lieber enden.

Allerdings mit einem wundervollen Zitat von Hermann Hesse aus einem Brief, den er 1947 an das Freie Deutsche Hochstift schrieb, nachdem dieses nach seiner Meinung über eine mögliche Rekonstruktion des Goethehauses in Frankfurt am Main gefragt hatte:

„Soll man rekonstruieren? Ich muß die Frage, ob auch ich diese Aufgabe als lebenswichtig, ja heilig anerkenne, rückhaltlos bejahen. Vielleicht ist die Zahl der Menschen, in Deutschland wie außerhalb, heute noch nicht so sehr groß, welche vorauszusehen vermögen, als welch vitaler Verlust, als welch trauriger Krankheitsherd sich die Zerstörung der historischen Stätten erweisen wird. Es ist damit nicht nur ein großes, edles Gut vernichtet, eine Menge hoher Werte an Tradition, an Schönheit, an Objekten der Liebe und Pietät zerstört; es ist auch die bildende und durch Bilder erziehende Umwelt der künftigen Geschlechter, und damit die Seelenwelt dieser Nachkommen, eines unersetzlichen Erziehungs- und Stärkungsmittels, einer Substanz beraubt, ohne welche der Mensch zwar zur Not leben, aber nur ein hundertfach beschnittenes, verkümmertes Leben führen kann.“


Johann Sebastian Bach, Cantata BWV 21: Ich hatte viel Bekümmernis

Samstag, 17. November 2018

Königin Charlotte zum 200. Todestag – ein Nachtrag

William Beechey: Queen Charlotte

Königin Sophie Charlotte, die Gemahlin Georg III. starb am 17. November 1818, also vor 200 Jahren. Ich muß gestehen, es wurmte mich, sie aus diesem Anlaß hier nicht noch einmal gewürdigt zu haben. Aber in Mirow gab es dazu eine angemessene Festveranstaltung (der ich nicht beiwohnen konnte, so daß ich nur auf diesen Bericht verweisen kann), und Frau Lembke wird ihr Amt gewohnt souverän ausgefüllt haben. Dessen bin ich mir sicher.

Was also tun? Ich selbst stieß bei meinem kleinen September-Beitrag über eine der 3 Strelitzer Königinnen (ich weiß, vielleicht auch vier, aber ich lasse mich bis jetzt nur zu 3 ¼ überreden) doch arg an meine Grenzen (und man sollte wirklich nur über das schreiben, in dem man einigermaßen zu Hause ist. Aber dann stolperte ich über eine Lektüre, die mein Dilemma wenigstens etwas auflöste (ohne es übrigens sogleich zu merken).

„All Things Georgian“ - Untertitel: „Super Sleuths who blog about anything and everything to do with the Georgian Era“ - nennt sich ein höchst unterhaltsamer Blog, in dem zwei Damen die Themen vom Wetter in Whaplode, Lincolnshire bis hin zum Wechsel der Damenfrisuren während der georgianischen Zeit ausspannen und sich so bemühen, eben diese Epoche abzubilden. Ich habe nur 2  amüsantere Beispiele herausgegriffen.

(Übrigens hüte man sich, so man meiner Empfehlung folgt, wenn man dort angelangt ist, auf die Schaltfläche „Blog“ zu gehen, es sei denn, man will unbedingt seinen Browser einfrieren. Besser geht man auf „RECENT POSTS“ oder „Search“ und arbeite sich von da aus hindurch.)

Einträge über Sophie Charlotte von Mecklenburg-Strelitz findet man selbstredend einige, darunter eine Bildergeschichte namens „The many faces of George III’s wife, Queen Charlotte“, worin Portraits der Königin vorgestellt werden. Darunter 2 Versionen eines Gemäldes von William Beechey, einer der von ihr bevorzugten Künstler (sie ernannte ihn zu ihrem offiziellen Hofporträtisten), oben eingangs hier abgebildet ist die Version von 1796, am Ende wird sich die von 1812 finden.

In der georgianischen Ära fand das Britische zu seiner charakteristischen Gestalt, man baute Renaissance-Paläste nach, warf sich sozusagen den römischen Mantel über und versuchte bald, auch in vielfältig anderer Weise dem Vorbild nachzueifern. Irgendwann würde man den Begriff „Empire“ dafür finden.

Königin Charlotte ist ein Symbol dieser Epoche, und als solches vermag sie gewissermaßen auch eine Brücke zu bilden, von ihrer Strelitzschen Heimat hin zu dem Britannien ihrer Epoche.

William Beechey: Queen Charlotte

nachgetragen am 21. November 2018

Donnerstag, 15. November 2018

Jacob Rees-Mogg

Ferdinand Leeke, Der junge Siegfried im Wald an einer Quelle 
(um 1885), hier gefunden

Sehr verträumt, nicht wahr, nun ja, das wird sich ändern.

Dankwart

Du bist gewiß aufs Kämpfen so versessen,
Seit du des Lindwurms Schuppenpanzer trägst?
Nicht jedermann betrog den Tod, wie du,
Er findet eine offne Tür bei uns.

Siegfried

Wohl auch bei mir! Hab Dank, du alte Linde,
Daß du ein Blatt auf mich herunterwarfst,
Als ich mich badete im Blut des Drachen,
Hab Dank, o Wind, daß du sie schütteltest!
Nun hab ich doch die Antwort für den Spötter,
Der seine Feigheit hinter Hohn versteckt.

Friedrich Hebbel, Die Nibelungen

Siegfrieds verwundbare Stelle wurde bekannt und zu seinem Verderben benutzt. Zuneigung gefährdet auch, und diese Möglichkeit wird selten ausgelassen. Bekanntlich hat die tief eingewurzelte Anglophilie der Deutschen ähnliche Ergebnisse gezeitigt. Wir sind mitten in diesem gruseligen Novembergedenken, über das man gar nichts sagen mag.

Darum müssen wir jetzt tief Luft holen. Vor einem Jahr fiel mir überraschend auf, daß ich nicht wenig des Englischen tatsächlich verstehe, auch wenn ich es oft nicht mochte. Zur Erholung hörte ich dann Jacob Rees-Mogg, und da ist sie wieder - die verhängnisvolle Anglophilie, die unsren Vorvätern und dem Reich soviel Schaden gebracht hat. Nun ja (hier wenigstens ohne jede erwartbare Folge, es ist vor allem beruhigend, unbedeutend zu sein).



Er ist der festen Überzeugung, daß er sein Vereinigtes Königreich nur retten kann, wenn er es möglichst weit von der Europäischen Union wegzubringen vermag. Dafür spricht einiges. Aber ich mag hier gar nicht politisch werden und von Dingen reden, von denen ich überhaupt nichts verstehe.

Also erstens. Sein Englisch ist seelenerholend. Zweitens, er steht für das ein, woran er glaubt. Er hat heute der gegenwärtigen Premierministerin einen Mißtrauensbrief geschrieben, und ich weiß nicht, wie viel gefolgt sind (es existiert ein Prozedere). Es ist auch nicht sicher, ob es eine weitere Entwicklung in seinem Sinne geben wird. Er stellt sich völlig ins Ungewisse. Aber er steht für seine Überzeugungen ein, und er hat nicht nur welche, sondern vermag sie auch auszudrücken. Ach wären wir da.

Good day, sir (and Good hunting!) The Virgin might bless you.


"What I'm trying to do is reassure the Prime Minister that she has a great deal of support if she sticks to her guns." 

Mittwoch, 14. November 2018

Friedrich Franz IV.

Großherzog Friedrich Franz IV., 1906

Zum Gedenken an Friedrich Franz IV., den letzten regierenden Großherzog von Mecklenburg

Am 14. November 1918 verzichte er für sich und sein Haus auf den Thron, nachdem er noch eine Übergangsregierung eingesetzt hatte, und ging nach Dänemark. Damit endete die längste ununterbrochene Primogenitur eines Fürstenhauses im Reich. Seine Regentschaft über den Landesteil Schwerin währte seit 1897, nach dem Tode von Adolf Friedrich VI. von Mecklenburg, Großherzog von Mecklenburg-Strelitz, amtierte er seit dem 27. Februar 1918 als Verweser dieses Landesteils.

Friedrich Franz IV. war der Bruder der preußischen Kronpinzessin Cecilie und der dänischen Königin Alexandrine. Wiederholt (so 1908 und 1913) hatte er gegen den ständischen Landtag Verfassungsreformen durchzusetzen versucht und war im letzten Kriegsjahr sogar gewillt, diese ohne dessen Zustimmung einzuführen, wobei er auf alte herzogliche Vorrechte zurückgreifen wollte, die bisher kaum in Anspruch genommen worden waren. Der Novemberumsturz machte dies jedoch hinfällig.

Er starb am 17. November 1945 in Flensburg


Friedrich Franz IV., 1904

Text der Abdankungsurkunde vom 14. November 1918

"Auf Beschluß des Ministeriums erkläre ich hierdurch, daß ich für mich und mein Haus auf den großherzoglichen Thron von Mecklenburg-Schwerin verzichte. Ich entbinde zugleich alle Beamte ihres auf mich geleisteten Eides und bitte sie, im Amte zu verbleiben und ihre Dienste der Regierung zum Besten von Volk und Vaterland weiterhin zur Verfügung zu stellen.

Friedrich Franz."


Abdankungsurkunde vom 14. November 1918

Montag, 5. November 2018

In ungebrochener Dankbarkeit


J. S. Bach, "Ich habe genug", BWV 82, Solokantate für das Fest: 
Mariä Reinigung; Philippe Herreweghe, hier gefunden 

Catharina Regina von Greiffenberg

Auf meinen bestürmeten Lebens-Lauff

Wie sehr der Wirbelstrom so vieler Angst und plagen
mich drähet um und um / so bistu doch mein Hort /
mein mittel punct / in dem mein Zirkel fort und fort
mein Geist halb hafften bleibt vom sturm unausgeschlagen.

Mein Zünglein stehet stät / von Wellen fort getragen /
auf meinen Stern gericht. Mein Herz und Aug' ist dort /
es wartet schon auf mich am Ruhe-vollen Port:
dieweil muß ich mich keck in weh und See hinwagen.

offt will der Muht / der Mast / zu tausend trümmern springen.
Bald thun die Ruder-Knecht / die sinnen / keinen Zug.
Bald kan ich keinen Wind in glaubens-Segel bringen.

jetz hab ich / meine Uhr zu richten / keinen fug.
Dann wollen mich die Wind auf andre zufahrt dringen,
bring' an den Hafen mich / mein GOtt / es ist genug!