Selbst Schnecken können eigensinnig sein. Das Bild oben ist tatsächlich Zeugnis einer kuriosen "Wanderung". Im Herbst schlich sich eine kleine Schnecke durch das offene Fenster und nahm eine offenkundige Überwinterungsposition direkt daneben ein.
Kürzlich fiel sie dort aber ab und da ich sie hinüber wähnte, landete sie mit ordinärem Schmutz, abgefallenen Blättern etc. erst auf der Schaufel und dann in der einschlägigen Porzellanschüssel im Bad. Als mir dabei ein flüchtiger Blick auf die Uhr verriet, daß ich wie immer schon wieder zu spät sei, unterblieb die reinigende Flut. Und als ich zurückkam, sah ich eine höchst lebendige Kreatur das Terrain erkunden. Ich fischte sie also von demselbigen und setzte sie in einen Blumenkasten, wenig später war sie nicht mehr auszumachen und heute entdecke ich sie an ziemlich haargenau derselben Stelle, von wo sie abgefallen war, mit allenfalls einem Zentimeter Differenz (ich hatte schon einmal Bilder gemacht). Merkwürdig.
Die holprichten Verse, die da unter das Bild mit Tinte geschrieben sind, lauten wie folgt:
Die göttlich Majestät nicht ganz erkannt mag werden
Dann an seinem Geschöpf im Himmel und auf Erden,
Zu sehen in die Sonn unser Augen nicht tügen
Im Wasser wir zum Teil den Schatten sehen mügen.
Ich fand sie in einer Einführung in die Barocklyrik als Beispiel für Emblemata. Um es für mich ein wenig zu glätten, dachte ich mir nachfolgende Variante aus:
Die göttlich Majestät nicht ganz erkannt kann werden,
An sein' Geschöpfe nur im Himmel und auf Erden,
Zu sehen in die Sonn' die Augen nicht ertragen,
So können wir den Schein im Wasser nur befragen.
Nur um erleichtert festzustellen, in einem anderen Druck gibt es offenbar vom Autor (Julius Wilhelm Zincgref, Emblematum ethico-politicorum centuria) selbst eine deutsche Fassung, die meine Verbesserung weit in den Schatten stellt. Aber zu den Marginalien paßt das Ganze.
Julius Wilhelm Zincgref
MONSTRATUR IN UNDIS
Begehrest Du zu seh'n den Glanz der heißen Sonnen?
Das kannst Du besser nicht als in dem Fluß und Bronnen.
J. S. Bach, "Ich habe genug", BWV 82, Solokantate für das Fest: Mariä Reinigung; Philippe Herreweghe, hier gefunden
Catharina Regina von Greiffenberg Auf meinen bestürmeten Lebens-Lauff Wie sehr der Wirbelstrom so vieler Angst und plagen mich drähet um und um / so bistu doch mein Hort / mein mittel punct / in dem mein Zirkel fort und fort mein Geist halb hafften bleibt vom sturm unausgeschlagen. Mein Zünglein stehet stät / von Wellen fort getragen / auf meinen Stern gericht. Mein Herz und Aug' ist dort / es wartet schon auf mich am Ruhe-vollen Port: dieweil muß ich mich keck in weh und See hinwagen. offt will der Muht / der Mast / zu tausend trümmern springen. Bald thun die Ruder-Knecht / die sinnen / keinen Zug. Bald kan ich keinen Wind in glaubens-Segel bringen. jetz hab ich / meine Uhr zu richten / keinen fug. Dann wollen mich die Wind auf andre zufahrt dringen, bring' an den Hafen mich / mein GOtt / es ist genug!
Du siehst, wohin du siehst nur Eitelkeit auf Erden.
Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein:
Wo itzund Städte stehn, wird eine Wiese sein
Auf der ein Schäfers-Kind wird spielen mit den Herden:
Was itzund prächtig blüht, soll bald zertreten werden.
Was itzt so pocht und trotzt ist Morgen Asch und Bein;
Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein.
Itzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden.
Der hohen Taten Ruhm muß wie ein Traum vergehn.
Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch bestehn?
Ach! was ist alles dies, was wir für köstlich achten,
Als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind;
Als eine Wiesen-Blum, die man nicht wiederfind't.
Noch will was Ewig ist kein einig Mensch betrachten!
All is vanity
Look over Earth, you’ll see but vanity at large.
What this man builds today, that man tears down tomorrow;
Where towns are standing now, one soon will see a meadow
On which a shepherd’s boy is playing with his charge.
What swells in gorgeous bloom, will soon be trampled under.
What vaunts and flouts right now, next sun is ash and bone;
Nothing may hope to last, no metal and no stone.
Now fortune smiles at us, in no time troubles thunder.
The fame of noble deeds must like a dream fall past.
So shall the toy of time, this flimsy man, stand fast?
Ah! what is everything, this all we deem sublime,
But dismal nothingness, but shadow, dust and pain;
A meadow flower one can never find again.
Yet not one man will give eternity his time!
Was sind wir Menschen doch? ein Wohnhaus grimmer Schmerzen
Ein Ball des falschen Glücks / ein Irrlicht dieser Zeit /
Ein Schauplatz herber Angst / besetzt mit scharfem Leid /
Ein bald verschmelzter Schnee / und abgebrannte Kerzen.
Dies Leben fleucht davon wie ein Geschwätz und Scherzen.
Die vor uns abgelegt des schwachen Leibes Kleid /
Und in das Toten-Buch der großen Sterblichkeit
Längst eingeschrieben sind / find' uns aus Sinn und Herzen.
Gleich wie ein eitel Traum leicht aus der Acht hinfällt /
Und wie ein Strom verfließt / den keine Macht aufhält /
So muß auch unser Nam' / Lob / Ehr und Ruhm verschwinden.
Was itzund Atem holt, muß mit der Luft entfliehn /
Was nach uns kommen wird / wird uns ins Grab nachziehn /
Was sag ich? Wir vergehn' wie Rauch von starken Winden.
Einsamkeit
IN diser Einsamkeit / der mehr denn öden Wüsten
Gestreckt auff wildes Kraut / an die bemoßte See:
Beschau ich jenes Thal und dieser Felsen Höh'
Auf welchem Eulen nur und stille Vögel nisten.
Hier / fern von dem Palast; weit von des Pöbels Lüsten /
Betracht ich: wie der Mensch in Eitelkeit vergeh'
Wie auf nicht festem Grund' all unser Hoffen steh'
Wie die vor Abend schmähn / die vor dem Tag uns grüßten.
Die Höhl' / der rauhe Wald / der Todtenkopf / der Stein /
Den auch die Zeit auffrißt / die abgezehrten Bein /
Entwerfen in dem Mut unzählige Gedancken.
Der Mauren alter Grauß / diß ungebau'te Land
Ist schön und fruchtbar mir / der eigentlich erkannt /
Daß alles / ohn ein Geist / den Gott selbst hält / muß wancken.
Betrachtung der Zeit
Mein sind die Jahre nicht, die mir die Zeit genommen,
Mein sind die Jahre nicht, die etwa mögen kommen.
Der Augenblick ist mein, und nehm ich den in acht,
so ist der mein, der Jahr und Ewigkeit gemacht.
Wir Deutsche sind vertraut mit Untergängen, oder, um Grass zu zitieren: „Teutschland, das herrlichste Kaiserthumb der Welt, ist nun mehr auff den Grund außgemergelt, verheeret und verderbet...“. Ach, und die Deutschen hätten „fremdländischen Horden das Vaterland preisgegeben“, diese hätten sich Deutschland als Tummelplatz auserkoren, so daß es zerstückelt und nach dem „Verlust seiner Schönheit“ nicht mehr kenntlich - „ohne alte Ordnung“ sei „alle Treu verloren“. In der Tat.
Dieser historisch gewordene Charakter führt auf der einen Seite zu überspannten Naturen wie etwa Schelling oder Nietzsche, um nur zwei zu nennen, auf der anderen (natürlich ist das alles selbstgefällig, aber man gruselt sich schon bei jedem Beispiel) etwa dem Wahn, das Weltklima anhalten zu wollen. Nur, daß die einen sich ihrer wohl im Übermaß bewußt waren, während andere, heutige vollkommen ohne das auskommen.
Wir wischen das jetzt einfach beiseite. Zuvor noch: Die Zitate waren aus dem „Treffen in Telgte“. Mein früheres Ich hatte dazu einmal ein paar Gedanken.
Andreas Gryphius war einst ein sehr berühmter Dichter im Reich, das gerade verbrannte. Über die Vergänglichkeit solchen Ruhms hätte man gar nicht erst anfangen müssen, ihn zu belehren. Er wußte das alles bereits hinreichend, und ist wohl an einem 2. Oktober A.D. 1616 geboren worden (die frühere Elf war demnach ein Verleser der römischen II, ich bin auch wieder darauf hineingefallen, hatte aber schon angefangen, wie auch immer). Wer mehr wissen will, nehme mit diesem oder auch diesem Vorlieb.
Wenn wir sie denn kennen, haben wir eine Dichtung, die uns auf alles vorbereitet, die Abgründe des Grauens und die Wertschätzung des Schönen, destotrotz. Um nur das zu sagen:
Grypius hat den wesentlichen Teil seines Lebens in der wahrscheinlich grausamsten Zeit zubringen müssen, die Deutschland je befallen hat. Angesichts dessen, was in späteren Jahrhunderten nachfolgen soll, mag ein solches Urteil anmaßend klingen, aber wenn man nüchtern auf die Totenwaage schaut, ist es so. Ihm war es aber, wie den meisten seiner Zeitgenossen, dabei vergönnt, zwar das Grauen zu erleben und zu beschreiben (dafür hat er eine gewisse Bekanntheit behalten), aber nicht auch in eine seelische Obdachlosigkeit zu fallen.
(Ich kann nur erahnen, was das bedeutet, etwa wenn ich nachts öfters fremde Alpträume übergeholfen bekomme. Mir genügen bereits die wenigen eigenen Erfahrungen. Man merkt, ich schreibe dies gerade nachts, darum diese Rosen, die lange vergangen sind und in meine Erinnerung eingegangen. Mit der sich zugleich die Ratlosigkeit verbindet gegenüber dem Bedürfnis von Menschen, schöne Dinge, die ihnen zufallen, zerstören zu müssen. Als Rache wofür? Wir werden das Böse nie verstehen.)
Wir sind wieder bei Gryphius.
Andreas Gryphius wurde also 1616 zu Glogau in Schlesien geboren, an einem 2. Oktober. Das dortige Theater von 1799, daher das obige Bild, wurde irgendwann nach ihm benannt, bevor es, wie der ganze Ort, im letzten Krieg vernichtet wurde. Er dürfte heute auch aus dem Bewußtsein der meisten Deutschen verschwunden sein, wofür man bei Gryphius schon die passenden Kommentare findet.
Aber: Seit 2017 baut man wieder daran. Wie immer das Ergebnis schließlich aussehen wird, die Erkenntnis des Untergangs wie das Bedauern darüber scheinen einen Umweg gesucht und gefunden zu haben, um der Vergänglichkeit aller Dinge noch einmal zu entgehen. Nur nicht hier, hinreichend, fürchte ich. Insofern haben die heutigen Bewohner des Ortes uns etwas voraus. Man mag einwenden, wie sehr das Bemühen um das Wiedergewinnen von Verlorenem auch bei uns eingesetzt hat. Das stimmt zwar, aber wie weit reicht dies nach innen? Also hoffen wir weiter.
Zu den Wohlthaten, die ein konservatives Gemüth verschafft, gesellt sich nicht selten: Man erträgt es (ohne heimlichen Groll), von anderen Meinungen zu hören, die der eigenen heftig widersprechen (also naturgemäß falsch sein müssen). Ja, die Welt ist tatsächlich immer noch mit sich im Reinen, soweit sie das überhaupt vermag, auch wenn nicht jeder dasselbe für wahr hält oder zumindest sich darum bemüht.
Denn es besteht kein Zwang, jeden mit seiner Überzeugung zu überwältigen, man kann das merkwürdige andere sogar respektieren, sobald man spürt, daß mit Ernsthaftigkeit darum gerungen wurde, vermag, Unterschiede zu ertragen (ohne als Ausgleich in sich Gewaltphantasien zu erzeugen), aber glaubt deswegen bei weitem nicht, daß eh alles egal ist.
Die sehr betagte und ebenso schlichte Nachbarin überraschte jüngst mit der Neuigkeit: “Dieser Gass oder Gasser oder wie'er heißt, is ja nu auch doot, kam grad in Fernsehn’, soll ja in der SS gewesen sein oder sowas”. So rächt man sich also an jemandem, der einem schon lang auf die Nerven ging, obwohl man den sog. „Stallgeruch“ vermutlich eher geteilt hat (oder gerade deswegen, schließlich vermag der Kampf ums Rechthaben eine ganze Existenz abzustützen).
Günter Wilhelm Graß starb an diesem Tag, aus Danzig herstammend, genauer gesagt aus Langfuhr (das mütterliche Herkommen besteht auf dem Unterschied). Die Vorrede galt u.a. dem sog. Moralisten, den ich meist flach und angestrengt fand, als ebenfalls eine Art sendungsmäßiger Rechthaber (bzw. eher Links-Haber) war er schlicht unerträglich. Aber so, wie ich gelegentlich (scheinbar gehässiger-weise) über jemanden sage, er sei ein besserer Mensch, wenn er predige, gilt dies für G. G. mutatis mutandis mit Sicherheit, sobald er schrieb, also wirklich schrieb.
Es ist merkwürdig, ein sehr belesener Freund (und 'in der Wolle gefärbter' Sozialdemokrat), der verstorben ist, sprach immer wieder von dem „Treffen in Telgte“ (wo ich mich doch als Liebhaber der Barock-Literatur ausgebe), aber ich mochte nie weiterlesen. Jetzt, aus welchen Gründen immer (vielleicht ein schlechtes Gewissen), habe ich es versucht und bin diesmal durch.
So wie Arno Holz angesichts eines buntgrünen Quarthefts dem Einfall anheimfällt, ein paar Gedichte im Stil der Zeit zu versuchen (und schließlich den herrlichen „Dafnis“ schrieb), mag Herr Grass die Parallelität des Hintergrunds empfunden haben, als geistreiche Szenerie für sein Denkmal der Gruppe '47. Ich weiß das alles nicht. Aber Literatur macht leicht Absichten zunichte, sobald man sie nur ernst nimmt.
Und ich würde jetzt wirklich gern darlegen, wie Herr Grass in die Untiefen der Barockliteratur hinabstieg, um sie als ein hernach mit ihr Bekannter (von mir aus als unsichtbarer Gegenpart, als Folie oder was auch immer) für ein Gesprächsdenkmal seiner Gruppe '47 zu benutzen, die mich, offen gestanden, als solche herzlich wenig interessiert. Also blieben nur 2 Wege der Akzeptanz, man nimmt es als Literatur, oder sucht danach, wo einem eine Epoche lebendig wird, die man, vielleicht aus einer Laune heraus, gelernt hat zu mögen.
Beginnen wir mit dem 2.: Während bei der Lektüre des Herrn Holz sich schnell ein (vermutlich debil erscheinendes) Dauergrinsen des Einverständnisses einstellt (er hatte sich schließlich auch bis zu den Ellbogen in die Epoche eingearbeitet), schwankt man bei Herrn G. meist zwischen – 'wie schön nachempfunden' und einem verärgerten - 'das ist doch komplett ausgedacht'.
Das Treffen in Telgte scheint also eine Chimäre aus historischem Roman, mit allen ihm zugestandenen Freiheiten (was wissen wir schon von Amenophis IV. über das hinaus, was nicht in irgendwelchen Romanen stünde), und einer Art chiffrierter Familienzeitung zu sein, nur daß ich für derlei fremde Familiensachen nie besonders viel Aufmerksamkeit aufzubringen vermochte.
Der Grundeinfall ist zweifelsohne beachtenswert, einen Bogen von 300 Jahren zurück zu schlagen, um in einer Zeit anzukommen, die in ihrem Grad innerer und äußerer Zerstörung vielleicht von ferne mit der des letzten Weltkrieges vergleichbar ist, der für Deutschland im Grunde der 3. war.
„Wo alles wüst lag, glänzten einzig die Wörter.“ Dies wird immer noch gern zitiert und gehört zu einer längeren Passage, in der beschrieben wird, wie zu dem erfundenen Treffen in Telgte im Münsterland von dem Königsberger Simon Dach (der das Ännchen von Tharau (für menschliche Verhältnisse) unsterblich machte, zu der ich hier mehrere Übersetzungen gefunden habe) der Olymp deutscher Dichtkunst (und einige Nebengestalten) geladen wurde.
Als da etwa wären Andreas Gryphius aus Glogau, Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau aus Breslau, Johannes Scheffler, der spätere Angelus Silesius, Sigmund von Birken aus Nürnberg, der Schlesier Friedrich von Logau, der Holländer Philipp von Zesen, Georg Rodolf Weckherlin aus London. Aber auch der „Literaturprofessor“ August Buchner aus Wittenberg. Und Paul Gerhardt. Und als „Zufallsgast“ Heinrich Schütz!
Über zwanzig Herren versammeln sich also im Gasthof einer zweifelhaften Person (der Courage, der „Landstörzerin“, ja eben der, die bei Grimmelshausen und später einem Aufschreiber aus Augsburg „Ruhm“ finden sollte. Denn keiner wollte fernbleiben, niemand für sich bleiben Man traf sich, „um dem zuletzt verbliebenen Band, der deutschen Hauptsprache, neuen Wert zu geben“, und um „vom Rande her“ politisch hineinzureden. „Schließlich war man wer... Und wo sich die Fürsten erniedrigt hatten, fiel den Dichtern Ansehen zu. Ihnen, nicht den Mächtigen, war Unsterblichkeit sicher.“ Sie seien das andere, das wahrhaftige Deutschland. Nun ja, soweit der „Plot“.
Historische Telgter Wallfahrt von Münster nach Telgte - Schmerz
Von dem schlußendlich verfertigten Manifest (das dann sowieso verbrennt), erfährt man nicht wirklich Befriedigendes, immerhin beginnt eine frühe Fassung mit dem zeitlosen: „Teutschland, das herrlichste Kaiserthumb der Welt, ist nun mehr auff den Grund außgemergelt, verheeret und verderbet...“. Und später, die Deutschen hätten „fremdländischen Horden das Vaterland preisgegeben“, diese hätten sich Deutschland als Tummelplatz auserkoren, so daß es zerstückelt und nach dem „Verlust seiner Schönheit“ nicht mehr kenntlich - „ohne alte Ordnung“ sei „alle Treu verloren“.
Und abermals (viel) später - es solle mit der erwünschten Erneuerung der alten Ordnung „das altgewohnte Unrecht nicht miterneuert werden“. Und schließlich die Sorge der Patrioten: Das Reich drohe so sehr zu zerstückeln, „dass niemand mehr in ihm sein Vaterland, das einstmals deutsch geheißen, erkennen werde“. Hm. So wechseln also die Anlässe für die nämlichen Sorgen (nur daß sie womöglich vom Territorialen zusätzlich ins mehr Geistig-Physiognomische wechselten).
Um kurz noch ernsthafter zu werden, was mich bei meiner geschätzten Epoche häufig bekümmert: Warum reichte es nie zu einem Calderón, zu schweigen von einem Shakespeare. Also, warum das Mediokre, bei allen Schönheiten, unserer Literatur von dort; ich denke, es war schlicht Erschöpfung: Man hatte damit zu tun, ein Mensch von Geist zu bleiben, denn man kann das Geistige durch Barbarei tatsächlich fast zu Tode erschöpfen, auch wenn es sich nicht so zeigen wird wollen. Darum ist bei dieser Art Dichtung ihre gefällige Oberflächlichkeit ertrotzt, und ihr Spielwerk zeugt von nicht ermordetem Wissen.
Aber ich wollte noch etwas Wohlwollendes zu Herrn Grass loswerden. Nicht darüber, wie er die Kontroverse von damals darüber andeutet, daß der Dichtung überhaupt zu mißtrauen sei, da sie sich zum einen entfreche, sich Gott als Nachschöpferin an die Seite zu drängen, und zum anderen mit ihren Erfindungen die wahre Natur der Dinge verrate. Nein, dazu nichts.
Und auch ein anderes Detail soll unbeachtet bleiben, wie nämlich die Dichter sich zwangsläufig und unwissend wohl mitschuldig machen an der Hinmordung einer Bauersfamilie (von wegen der Verstrickungen, die das Leben so schicksalshaft bereithält).
Nein, ein Ärgernis soll dann doch angesprochen werden, die erfundene Kontroverse zwischen Paul Gerhardt und Heinrich Schütz. Wenn nicht neue Quellen auftauchen, haben sich beide nie gesehen oder über einander gesprochen. Aber ihr Kunstwollen war in der Tat verschieden. Die Gründe dafür hat Herr Grass wohl mehr als Vehikel für Zeitgenössisches erdacht bzw. dessen völlig berechtigte Zurückweisung ('Die Kunst ist tot' und ähnlicher Magerquark).
Aber dennoch vermag er eine berückende Beschreibung der Wirkung Schütz'scher Musik zu geben, wie er „der Menschen Jammer und Freude habe tönen lassen können: ihr banges Stillewerden und ihren Zorn, ihr müdes Wachen… und ihre Furcht vor Gott." Und dagegen für Paul Gerhardt in einem Loblied von dessen Vertoner Johann Krüger: „Dem rage nicht die Kunst vor allem...“ Nicht der „Fürsten glänzende Hofkapellen“ seien ihm teuer „sondern des gewöhnlichen Mannes Nöte“ und „daß ihm Trost zuteil werde in schimmer Zeit“.
Da hat Herr Grass seine eigene Kunstauffassung womöglich schön illustriert, aber irgendetwas fehlt uns dann doch in all diesem, aber darüber wollen wir schweigen. Und Herr deBuhr, diese Schuld jedenfalls ist nun abgetan.
Historische Telgter Wallfahrt von Münster nach Telgte - Freude
Doch halt, unterhaltsam war es schon mitunter. Daß es hier vor allem um „protestantische Besserwisserei“ ging, bezweifle ich zwar; doch der Hut paßt auf viele Köpfe: „Denn fromm waren sie alle... Jedermann glaubte sich näher an Gott. Keiner erlaubte dem Zweifel, sein Glaubensdach abzuklopfen“. Wie schön, daß wir alle, die geschätzten Leser insonderheit eingeschlossen, in derlei Dingen anders sind.
Ich wollte leicht beginnen und habe daher den Hebe–Tempel aus dem hiesigen Schloßgarten ausgewählt. Eigentlich soll es heute um einen recht vergessenen Dichter des Barockzeitalters gehen; voriges Jahr hatte ich unter der launigen Überschrift "Sagen ist der Weiber Ruhm/ Thun der Männer Eigenthum" einigermaßen manierlich an ihn erinnert, denke ich. Aber da ich die Verse des Freiherrn von Abschatz auch im folgenden nicht unbebildert lassen wollte, will ich kurz etwas dazu anmerken.
Die Photos sind alle von diesem Ort und ein wenig der „getragenen“ Auswahl angemessen. Wir beginnen mit einem Blick in den Gedenktempel an die Königin Luise (der Innenraum ist gegenwärtig einsehbar), das Original ihres Sarkophags von Christian Daniel Rauch wurde 1891 von Albert Wolff nachgeschaffen.
Und dann sind wir schon am anderen Ende der Stadt, am Parkfriedhof mit der von Friedrich Wilhelm Buttel erbauten Friedhofskapelle, er ist an dem Platz in einem (sehr bescheidenen) Mausoleum selbst beigesetzt. Auch davon finden sich Bilder.
Und schließlich erhalten wir etwas zum Bedenken: Während das Andenken Buttels, dessen Überreste in diesem kleinen Kasten ruhen, noch recht lebendig ist, findet sich an diesem ein wenig eindrucksvolleren ehemaligen Begräbnisort einer Familie, der nicht viel mehr als 100 Jahre alt sein wird, eine Tafel mit dem Hinweis, daß über dieselbe, die hier ihr Begräbnis hatte, nichts mehr bekannt sei. So schnell vergeht die Erinnerung.
Über das folgende nur summarisch. Die Tafel hängt am älteren Carolinum, sprich dem Vorgänger des jetzigen Gymnasiums. Und darauf noch zwei pittoreske Stadthäuser, vor allem der Jugendstilversuch hat etwas, irgendwie. Doch damit sollen die Anmerkungen auch enden und der Freiherr von Abschatz, er starb am 22. April 1699 zu Liegnitz (das war der äußere Anlaß), endlich zu Wort kommen.
Die schnellen Jahre gehn und wir mit ihnen hin Die schnellen Jahre gehn und wir mit ihnen hin/ Eh man sich richtet ein/ das Jahr wohl anzuwenden/ Geht uns das meiste Theil desselben aus den Händen/ Bleibt Reue/ Qual und Angst sein leidiger Gewinn/ Ein ieder hat genung sein Beyspiel anzuziehn. Es hat mich Gottes Gunst ein Jahr nun lassen enden/ Das neue Schuld und Last gelegt auff meine Lenden/ Mein Leben will/ noch eh es Knospen trägt/ verblühn. Fürst aller Zeit/ durch den ich diese Zeit erlebt/ Gieb/ daß die alte Zeit mir nie vor Augen schwebt Samt ihrer alten Schuld/ regiere meine Sinnen/ Daß sie der schnöden Zeit sich recht gebrauchen künnen/ Und wenn ich schliessen soll nach deiner meine Zeit/ Versetze mich zu dir ins Reich der Ewigkeit.
Vier Winde sind die unsre Ruhe stören! Vier Winde sind die unsre Ruhe stören! Bald scherzt um uns der Hoffnung leichter West/ Bald spürt man daß ein furchtsam Ostwind bläst; Bald pfleget uns der besten Sinnen Pest/ Ein fauler Süd der Freude zu bethören; Bald läst sich drauff des Traurens Nordwind hören. So mancher Sturm kan unsre Ruhe stören.
Petrarcha, Est aliquid bene qui meminit Zwar das Gedächtnis ist ein Schatz von grossem Werth/ Doch wär es offtermahls viel besser nichts gedencken/ Als mit Erinnerung deß/ was uns widerfährt/ Sich täglich sonder Noth und Frucht auffs neue kräncken. Nicht zu weit auff hohe See/ nicht zu nah auch am Gestade! Dort kömmt offt von freyem Sturm/ hier von blinder Klipp ein Schade. Wie ich heute bin gesinnt/ warum war ichs nicht vorhin? Oder/ warum bin ich nicht/ was ich vor gewesen bin!
Der Sonnen Glantz verfällt/ doch steigt sie wieder auff Der Sonnen Glantz verfällt/ doch steigt sie wieder auff; Was von dem Winter stirbt/ sieht man im Sommer blühn. Beschlüssen wir einmahl den kurtzen Lebens-Lauff/ So schlaffen wir hernach die lange Nacht dahin. Doch wenn wir uns nur wohl zur süssen Ruhe strecken/ So folget endlich auch ein freudig Aufferwecken. Daß nichts Ewigs hier zu hoffen/ lehret uns das schnelle Jahr
Daß nichts Ewigs hier zu hoffen/ lehret uns das schnelle Jahr/ Macht die rauberische Stunde/ die den Tag entführet/ wahr. Linder Sudwind bricht den Frost/ Sommers Glutt vertreibt den Mäyen/ Weicht dem Herbst/ der Früchte streut/ und bald will es wieder schneyen. Doch der Mond erholt sich wieder/ wenn er abgenommen hat; Wir/ wenn wir einmahl erreichen unsrer Vätter Lagerstatt Werden nach dem Leibe Staub/ sehen diese Welt nicht wieder. Wer weiß ob uns morgen noch geht die göldne Sonne nieder! Warum suchst du denn dein Geld so begierig auffzuheben? Was des Erben Geitz entgeht/ bringt dir Danck bey deinem Leben.
Ich habe hier fast alles an den gegenwärtigen Sprachgebrauch angepaßt, aber das allerletzte Wort mußte ich dann doch so stehenlassen, eine kleine Laune. „Verrauschte Flüsse / Erquicken nicht. Was unsern Geist erfreut / Entspringt aus Gegenwärtigkeit.“ Unser Dichter weist sie also ab, die faden Freuden der Erinnerung, in einem Gedicht des Erinnerns. Und verhilft beiden zu ihrem Recht, dem Augenblick, in dem wir leben, und dem Gemüt, das zurückschaut.
Die Dichter des Barock wollten nicht ihr zufälliges Selbst nach außen kehren, sondern Zustände des Menschlichen gültig beschreiben. Es ist also müßig zu fragen, ob und inwieweit Hoffmannswaldau aus persönlichem Erleben spricht, zudem tritt er gern „galant“ und unterhaltsam auf, nicht immer, aber gerade diese Seite ist ihm dann in späteren, ledern - ernsteren Zeiten vorgehalten worden, als„seicht“, gar „schlüpfrig“.
Prof. Gottsched meinte, er habe zusammen mit Lohenstein durch „regellose Einbildungskraft“, „geilen Witz und ungesalzenen Scherz“ (was immer letzteres bedeuten soll) der deutschen Dichtung nur Schande gebracht. Dabei war sie alles andere als regellos, es waren halt andere als die der nüchternen Frühaufklärer und nachfolgenden Langweiler.
Ich will jetzt nicht mit einem Exkurs über Barock-Lyrik langweilen, eine hochkomplexe Angelegenheit übrigens, vielleicht später einmal. Über Hoffmannswaldau habe ich mich schon mehrfach ein wenig ausgelassen, nur nebenbei bemerkt. „Alle Sachen / Werden anders mit der Zeit.“ „Auf O Seele! du mußt lernen... / Dir zu sein dein eigen Licht.“ „Sich in sich stets zu bekriegen / Und zu siegen / Ist der besten Krone wert.“ (aus: „Ermahnung zur Vergnügung“).
Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau starb am 18. April 1679, daher diese kleine Nachtrag.
Der 2. April ist ein merkwürdiger Tag im Kalender offenkundig, bei dem einen gewissermaßen gleich haufenweise die Gedanken anspringen, die sonst doch so gern eingebildet zurückbleiben. Aber man muß auch nicht unverzüglich aus allem ein lärmendes Geschwätz und Aufhebens machen. Es sei wie es sei.
Da ich letztens ein wenig über den Charakterunterschied der Zeiten nachzudenken Anlaß hatte, gibt es heute ein Gedicht ebendarüber, über die Zeit nämlich, am Ende, weil Paul Fleming am 2. April 1640 jung verstarb. Und ein anderes von ihm, das mit den schönen Worten beginnt „Sei dennoch unverzagt!“ und weiter „Was du noch hoffen kannst, das wird noch stets geboren“.
Aber zuvor etwas Gleim, denn Johann Wilhelm Ludwig Gleim wurde am 2. April 1719 geboren. Das 18. Jahrhundert ist auf eine gelegentlich leichtsinnige Art sehr charmant, aber oft auch ein eher flaches Gewässer. Vielleicht hatte man das Bedürfnis, sich von der erdschweren Ernsthaftigkeit vorangegangener Zeiten freizumachen, um dabei möglicherweise zu viel hinter sich zu lassen, aber ich wollte ja nur 3 Stücke Dichtung zitieren, also:
Johann Wilhelm Ludwig Gleim Der Hirsch, der sich im Wasser sieht.
Ein Hirsch bewunderte sein prächtiges Geweih'
Im Spiegel einer klaren Quelle.
»Wie prächtig! auf derselben Stelle,
Wo Königskronen stehn, und wie so stolz, so frei!
Auch ist mein ganzer Leib vollkommen, nur allein
Die Beine nicht, die sollten stärker seyn!«
Und als er sie besieht, mit ernstlichem Gesicht,
Hört er im nahen Busch ein Jägerhorn erschallen,
Sieht eine Jagd von dem Gebirge fallen,
Erschrickt und flieht! Nun aber hilft ihm nicht
Das prächtige Geweih', dem nahen Tod entfliehn,
Nicht sein vollkommner Leib, die Beine retten ihn!
Die reißen, wie ein Pfeil, die prächtige Gestalt
Mit sich durch's weite Feld, und fliehen in den Wald!
Hier aber halten ihn, im vogelschnellen Lauf,
An starken Zweigen oft die vierzehn Enden auf.
Er reißt sich los, er flucht darauf;
Lobt seine Beine nun, und lernet noch im Fliehn,
Das Nützliche dem Schönen vorzuziehn.
Sei dennoch unverzagt! Gib dennoch unverloren!
Weich keinem Glücke nicht, steh höher als der Neid,
vergnüge dich an dir und acht es für kein Leid,
hat sich gleich wider dich Glück, Ort und Zeit verschworen.
Was dich betrübt und labt, halt alles für erkohren;
nimm dein Verhängnüs an. Laß' alles unbereut.
Tu, was getan muß seyn, und eh man dir's gebeut.
Was du noch hoffen kannst, das wird noch stets geboren.
Was klagt, was lobt man doch? Sein Unglück und sein Glücke
ist ihm ein jeder selbst. Schau alle Sachen an:
dies alles ist in dir. Lass deinen eitlen Wahn,
und eh du fürder gehst, so geh in dich zurücke.
Wer sein selbst Meister ist und sich beherrschen kann,
dem ist die weite Welt und alles untertan.
Gedanken über der Zeit
Ihr lebet in der Zeit und kennt doch keine Zeit;
so wißt, ihr Menschen, nicht von und in was ihr seid.
Diß wißt ihr, daß ihr seid in einer Zeit geboren
und daß ihr werdet auch in einer Zeit verloren.
Was aber war die Zeit, die euch in sich gebracht?
Und was wird diese sein, die euch zu nichts mehr macht?
Die Zeit ist was und nichts, der Mensch in gleichem Falle,
doch was dasselbe was und nichts sei, zweifeln alle.
Die Zeit, die stirbt in sich und zeugt sich auch aus sich.
Diß kömmt aus mir und dir, von dem du bist und ich.
Der Mensch ist in der Zeit; sie ist in ihm ingleichen,
doch aber muß der Mensch, wenn sie noch bleibet, weichen.
Die Zeit ist, was ihr seid, und ihr seid, was die Zeit,
nur daß ihr wenger noch, als was die Zeit ist, seid.
Ach daß doch jene Zeit, die ohne Zeit ist, käme
und uns aus dieser Zeit in ihre Zeiten nähme,
und aus uns selbsten uns, daß wir gleich könten sein,
wie der itzt jener Zeit, die keine Zeit geht ein!
Was sind wir Menschen doch? ein Wohnhaus grimmer Schmerzen
Ein Ball des falschen Glücks / ein Irrlicht dieser Zeit /
Ein Schauplatz aller Angst / besetzt mit scharfem Leid /
Ein bald verschmelzter Schnee / und abgebrannte Kerzen.
Dies Leben fleucht davon wie ein Geschwätz und Scherzen.
Die vor uns abgelegt des schwachen Leibes Kleid /
Und in das Toten-Buch der großen Sterblichkeit
Längst eingeschrieben sind / find' uns aus Sinn und Herzen.
Gleich wie ein eitel Traum leicht aus der Acht hinfällt /
Und wie ein Strom verschießt / den keine Macht aufhält /
So muß auch unser Nam' / Lob / Ehr und Ruhm verschwinden.
Was itzund Atem holt, muß mit der Luft entfliehn /
Was nach uns kommen wird / wird uns ins Grab nachziehn /
Was sag ich? Wir vergehn' wie Rauch von starken Winden.
Dies vermeintlich trostlose Gedicht ist von großer bergender Schönheit. Das Wunder der Poesie eben. Ich bin darüber erneut gestolpert, als ich mich an dem Freiherrn von Abschatz abmühte. Aber ich hatte diese skurile Idee, bevor ich mich zu anderen Orten äußere, sollte ich besser selbst wieder etwas zustande bringen.
Darum gibt es auch einen weiteren Nachtrag, den über den Geburtstag des „Heiligen Römischen Reiches“ nämlich, man findet ihn hier. Die Bilder sind von heute, eine merkwürdige Anmutung von Winter.
Die Verse des Freiherrn von Abschatz beschreiben eher ein lieblich überschaubares als dramatisch bewegtes Gewässer. Dabei war er persönlich ehrenhaft und angesehen, ein aufrechter schlesischer Lutheraner, aber nicht ohne Witz, wie wir etwa dem nachfolgenden Gedichtanfang entnehmen können (dabei war er wohl durchaus glücklich verheiratet):
Nichts/ was des Himmels Zorn auff unsre Schultern legt/ Was unsre Zärtligkeit mit Furcht und Schrecken trägt/ Nicht Sorge/ Leyd und Qual/ nicht Kummer/ Angst und Wehe/ Nicht Armutt/ Streit und Haß/ nicht Brand noch Wassers-Noth/ Nicht Hitze/ Kält und Frost/ nicht Hunger/ Mord und Tod/ Gleicht sich an Grausamkeit dem schweren Joch der Ehe...
Der Rest findet sich hier, aber man sei gewarnt, es zieht sich, sie hatten einfach viel Zeit damals. Hans Aßmann Freiherr von Abschatz wurde 1646 in Breslau geboren und starb 1699, ebenso in Schlesien, in Liegnitz, er ist einer der späteren Vetreter deutscher Barocklyrik (Biographisches findet man an diesem und diesem Ort). Ich bekam einfach ein schlechtes Gewissen, diese von mir so geschätzte Literaturepoche jüngst so sehr vernachlässigt zu haben (u.a.).
Ein Bogen ist mein Leben/ Mein Thun der Pfeil/ die Sehne mein Entschluß/ Die Ehre soll das Ziel/ ich will den Schützen geben/ Nach bester Mögligkeit richt ich den Schuß/ Trifft er nicht nach Verlangen an/ So trösten mich Gewissen und Gedult/ Dem Glücke bleibt die Schuld: Mein Absehn geht auffs rechte Ziel/ Der Bogen breche wenn er will/ Ich spann ihn/ weil ich Athem holen kan.
Parmigianino - Huntsmen sounding his horn with a staghunt in the distance
Ein berührendes Lob der Freundschaft stimmt er mit den nachfolgenden Versen an (so ganz im Gegensatz zu den harschen Eingangsworten über die Ehe, obwohl auch jene an anderer Stelle wieder aufgelöst werden, wohl mehr eine Art Rollenspiel folglich):
Das Glücke wendet sich/ der Ehre Rauch verschwindet/ Man kömmt um Geld und Gutt/ das schöne Weib wird alt/ Ein Freund bleibt wie er ist. Nicht Alter/ noch Gewalt/ Nicht Neyd noch Glücke trennt/ was Lieb und Treue bindet: Was die Natur verknüpfft/ wird offtermahls zurissen/ Was Freundschafft feste macht/ wird ewig halten müssen.
In der Tat, die Bande des Natürlichen sind oft weit weniger verläßlich, als sie versprechen, und dankbar darf sich fühlen, wer aus eigenem Bemühen etwas vertraut erhalten konnte. Und dann stutzt man ganz erheblich bei den nachfolgenden Versen - zur Erläuterung, es gibt diese ausgeleierten Floskeln, die uns ein Leben lang belästigen, wie z.B. - „Prost! So jung kommen wir nicht wieder zusammen!“, und was müssen wir lesen:
Ein Glaß
Man lösche/ weil es geht/ des Durstes strenge Flammen/ Wir kommen doch so jung nicht wiederum zusammen.
Manches erhält sich offenkundig unausrottbar über die Jahrhunderte.
Und wo wir gerade sowieso nicht unbedingt auf den Höhenzügen des Geistes verweilen, will ich nicht alles vorenthalten, was er aus dem Spruchbeutel über uns ausszuchütten vermag,. Wir beginnen noch nahezu philosophisch, aber das ändert sich bald:
Nimm nicht vor eigen an/ was vom Gelücke kümmt/ Weil/ was der Morgen giebt/ der Abend öffters nimmt. Wie ich heute bin gesinnt/ warum war ichs nicht vorhin? Oder/ warum bin ich nicht/ was ich vor gewesen bin! Nur die Gütter des Gemüttes bleiben fest und unverrückt: Von des schönen Leibes Blüte wird was täglich abgezwickt.
Der Ton wechselt:
Nicht leicht ohne Flöh auffsteht Wer mit Hunden schlaffen geht. Je höher der Affe die Leiter ansteigt/ Je mehr er die Blöße des Hintersten zeigt. Besser Wolle weggeschoren/ Als das gantze Schaf verlohren. Katze zieh die Handschuh aus/ Sonsten fängst du keine Maus. Sagen ist der Weiber Ruhm/ Thun der Männer Eigenthum. Langer Röcke/ kurtzer Sinnen Wird man bey den Weibern innen: Minder als des Mondes Schein Können sie beständig seyn/ Ja heist öffters ihr Verneinen/ Gutt gemeynt ihr Böse-scheinen.
Auch über die Nachbarvölker hat er seine festgefügte Meinung:
Gemeines Sprüchwort schäzt den Mann aus seinem Gange/ Den Groschen nach dem Klang/ und Vögel vom Gesange: Der Frantzmann bricht die Red/ hält Sylb und Hertz zurücke/ Der Welsche fälscht das Wort/ steckt insgemein voll Tücke/ Ein stoltzer Spanier wird Pracht in Worten führen/ Der Britten Wanckelmutt läst ihre Zunge spüren: Zum Zeichen/ daß man deutsch und unverändert bleibt/ So schreibt man/ wie man redt/ und redet wie man schreibt.
Obwohl von uraltem schlesischem Adel, war ihm Standesdünkel gänzlich fremd, was nicht heißt, daß ihm Wert und Unterscheidung gleichgültig gewesen wären:
Die Natur läst ihre Gunst gegen alle gleich erscheinen/ Tugend macht den Unterscheid zwischen Edlen und Gemeinen. Wer einen Edelmann ohn eigne Tugend schaut/ Der sieht ein leeres Hauß auff fremden Grund gebaut. Ahnen die man rechnen kan/ Und was wir nicht selbst gethan/ Schätz ich für entlehnten Ruhm/ Nicht für wahres Eigenthum. Des Pöbels ungewisser Sinn Wanckt/ wie die Wellen/ her und hin. Nicht schlaffen/ und dennoch liegen im Bette/ Vergebens erwarten was man gern hätte/ Treu dienen/ und kein Erkäntnis genießen/ Sind Dinge/ die einen auffs Sterben verdrießen.
Und schließlich:
Unwiederbringlich ist der edlen Zeit Verlust: Drum schau bey Zeiten zu/ wo du die Zeit hinthust
Zwar das Gedächtnis ist ein Schatz von grossem Werth/ Doch wär es offtermahls viel besser nichts gedencken/ Als mit Erinnerung deß/ was uns widerfährt/ Sich täglich sonder Noth und Frucht auffs neue kräncken.
So tatsächlich seicht ist unser Freiherr denn doch wieder nicht, und allein über den Sinn des Erinnerns, was er mit so scheinbar leichter Hand hier eben streifte, ließe sich wahrlich vieles ausführen.
Und an Worten, wie den folgenden, können wir dann doch finden, daß wir es mit einem Dichter von ganz eigenem Tonfall zu tun haben:
Der gute Traum
Mein Glücke lacht/ Melinde spielt mit angenehmen Blicken/ Ihr holder Mund giebt Worte/ die entzücken/ Ich küsse sie bey tunckler Mitternacht/ Mein Glücke lacht. Mir traumt wohl nicht: Ich seh ihr Bild um meine Ruhstatt spielen/ Hör ihre Sprach/ und misse nichts als Fühlen. Ach Schade/ daß das Beste noch gebricht! Mir traumt wohl nicht. Es wird wohl seyn: Die Hoffnung speist nicht stets mit leeren Schalen. Erblickt man nur der Morgenröthe Stralen/ So folget auch der nahen Sonne Schein. Es wird wohl seyn.
Parmigianino - The Mystic Marriage of St Catherine
Meine Auswahl ist natürlich restlos willkürlich. Vor allem die geistlichen Gedichte habe ich gänzlich ausgelassen und von den verliebten nur eines gebracht. Es gibt viele andere. Man schaue, so man neugierig wurde, näher auf diesen Ort.
Ach übrigens stammen die Bilder, zu denen ich nur „Parmigianino“ anmerkte, von einem italienischen Maler (1503 – 1540), über den ich kürzlich gestolpert bin und der mich sofort faszinierte. Eigentlich hieß er Girolamo Francesco Maria Mazzola und hat mit unserem schlesischen Dichter nicht das geringste zu tun. Bei mehr als 100 Jahren zeitlicher Trennung wäre das auch verwunderlich.
Gelegentlich ist die Wirklichkeit doch zu wenig respektabel, als daß wir sie ernsthaft in Erwägung ziehen könnten. / Occasionally, the so called truth is not respectable enough to warrant serious consideration.
To those who unfortunately don‘t understand German
It’s a pity German is not that known how it should be. Surprisingly some people read this blog and more surprisingly, some of them have an English tongue. But this is a German blog. I’ve tried to deal with this problem. If you are interested in German poetry there are translations listed in the column to the right above. And you can find a very kind introduction of this blog here from a gentleman who called himself “naturgesetz”.
I thought there is enough nonsense at this place without a translation tool, I can’t really recommend one, a blogger whose blog I “adore” wrote me once: “I looked at your blog: too bad the translation programs don't work well. On the other hand, they translate the German into something that sounds very poetic, even if it doesn't quite make sense.” Forgive me for stealing your words.
For all that try to use Babelfish.
And I thought by myself, why you shouldn’t give your readers a reason for a good laughter (because my English is not that good), so I guess I will make a short summary in the comment area in the future, to comment your own blog is indeed ridiculous, so enjoy it. Oh and if you like, correct me.
eine Begründung dieser Zumutung findet sich hier auch
Anmerkungen
Über "Cottage lake at night" & anderes
Sollte jemand Ansprüche auf eines der hier vorzufindenden Photos oder aus einem der zitierten Texte erheben wollen, bitte ich um eine Nachricht an