Karl Friedrich Schinkel, Gotische Kirche auf einem Felsen am Meer
Da will ich also endlich über die Freude an Innendekorationen reden und rutsche unvermeidlich ins Weltanschauliche. Bringen wir es also hinter uns.
Von den Radikalen der sog. Moderne wird durchaus auch unser Schinkel als Gewährsmann herangezogen. Lassen wir ihn selbst zu Wort kommen:
"Sehr bald gerieth ich in den Fehler der rein radicalen Abstraction, wo ich die ganze Conception für ein bestimmtes Werk der Baukunst aus seinem nächsten trivialen Zweck allein und aus der Construction entwickelte. In diesem Falle entstand etwas Trocknes, Starres, das der Freiheit ermangelte und zwei wesentliche Elemente, das Historische und das Poetische, ganz ausschloß. Ich forschte weiter, wie weit das rationelle Princip wirksam sein möchte, um den Trivialbegriff des Gegenstandes festzustellen, und, wie weit andererseits jenen höheren Einwirkungen von geschichtlichen, artistischen und poetischen Zwecken der Eintritt dabei gestattet werden dürfe, um das Werk zur Kunst zu erheben.“
Nichts also von "form follows function". Noch bevor dieser Slogan überhaupt erfunden wurde, hatte Schinkel schon sein Urteil darüber gefällt (es heißt, er gehe auf einen Amerikaner namens Louis Henry Sullivan zurück, den Vater der Wolkenkratzer; was mir Gelegenheit gibt, das kleine Kuriosum beizusteuern, daß, als ich zum ersten Mal auf das englische Wort dafür, nämlich "towerhouse", stieß, mein Unbewußtes es mir prompt als Terrorhaus übersetzte). Die gewaltaffine Sprache der sog. Moderne will zu gern „Formen aufbrechen“ etc. Sie wären also ein Gefängnis? Wofür und zur Abwehr wovor?
Schinkel setzte statt auf die Verelendung aller ästhetischen Verhältnisse auf die Veredelung aller menschlichen. Ein kühnes Programm. Und zur Veredlung aller menschlichen Verhältnisse sind eben zwei Dinge unabdingbar - das Historische und das Poetische.
Das Historische, das das Bewußtsein aller menschlichen Bemühungen wachhält, sich über das einfache So-Sein zu erheben, welches in der Vielfalt seiner Formen Unterscheidungsfähigkeit, Erfahrung und Behaustheit bewahrt.
Das Poetische, das es dem Menschen erlaubt, sich nicht nur von den Bedingungen seines Seins zu emanzipieren, sondern auch die Tiefe und den unendlichen Gehalt dessen zu erahnen, in das er geworfen ist.
Bei Schinkel tritt zum Respekt vor dem Überkommenen gleichzeitig immer die größte innere Freiheit in seiner Berücksichtigung. Denn nicht aus bloßer Pflicht handelt er, sondern:
"Es kann nicht die Bestimmung alles Lebens sein, sich zu quälen, vielmehr soll Seligkeit die Bestimmung alles Lebens sein, und so wird man eigentlich Gott wohlgefälliger, wenn man mit Liebe handelt; aber nur das Schöne ist der höchsten Liebe fähig, und darum handle man schön, um sich selbst zu lieben und dadurch selig werden zu können..."
Nachzeichnung von Ludwig Lohde nach einem Schinkel-Entwurf
zur Rückwand des Marmorsaals im Palais des Prinzen Albrecht v. Pr.
Berlin, Wilhelmstraße 102. Palais des Prinzen Albrecht von Preußen,
Entwurf zum Marmorsaal, hier gefunden
Ich hatte im Januar diesen Jahres unter seinem Motto einen Beitrag mit der Androhung von Fortsetzungen geschrieben, und ja, manchmal braucht man etwas länger, wenn man über etwas nachdenkt (die Einschränkungen des eigenen Geistes dazugerechnet natürlich). Schinkel hatte sein Programm in recht gedrängten „Gedanken zur Baukunst“ dargelegt, so konzentriert, daß man über manchen Nebensatz mindestens ein halbes Jahr nachdenken müßte. Ich will 3 Punkte möglichst unverkürzt zitieren.
Zunächst definiert er das „Wesen der schönen Künste“ als „höhere Herrschaft über die Natur, wodurch der widerstrebenden das majestätische Gepräge der Menschheit als Gattung, das der Ideen aufgedrückt wird, diese Herrschaft ist das eigentliche Wesen der schönen Künste. Sie ist das Werkzeug der Ewigkeit der Ideen."
Die Menschheit hat also die Herrschaft der Ideen zu exekutieren. Was sind diese aber? Behaupten wir einfach, es sei die verborgene Sinnstruktur des Seins, der der Mensch nicht nur zur Bewußtheit, sondern auch zur Gestalt verhelfen kann, wenn er sich in ihren Dienst stellt. Diese Sinnstruktur vermag, wenn sie erkannt wird, Schönes hervorzubringen, und seine Herrschaft sei verstanden als eine Art von gezähmter Natur.
Und so gewinnt der Architekt seine Aufgabe: „Der Architekt ist seinem Begriff nach der Veredler aller menschlichen Verhältnisse, er muß in seinem Wirkungskreise die gesammte schöne Kunst umfassen. Plastik, Malerei und die Kunst der Raumverhältnisse nach Bedingungen des sittlichen und vernunftgemäßen Lebens des Menschen schmelzen bei ihm in einer Kunst zusammen.“
Berlin, Wilhelmstraße 102. Palais des Prinzen Albrecht von Preußen,
Entwurf für ein Gesellschaftszimmer, hier gefunden
Warum veredelt der Architekt die menschlichen Verhältnisse? Weil er den menschlichen Geist erwachen läßt und dieser in einer Weiter-Schöpfung Dinge hervorbringt, die seinem geistigen Ursprung entsprechen. Die Dinge sind von wahrhaften Verhältnissen, harmonisch, wohltuend, dauerhaft über ihren zufälligen Untergang hinaus und selbstredend – schön.
Die „Baukunst als Symbol des Lebens“ solle zuallererst auf das vollendet ideale Leben der menschlichen Gattung auf der irdischen Welt sehen. Realisiere der Architekt dieses Ziel, sei sein Leben als glückselig zu bezeichnen.
Königsberg, Poststraße 5, Entwurf zur Marzipanhandlung
Feige und Keßler hier gefunden
Feige und Keßler hier gefunden
Die Ursachen für die gelegentlichen Beiträge hier sind mitunter kurios. Um Augen & Seele zu erholen, hatte ich mich vor geraumer Zeit in die Schinkel - Zeichnungen des Berliner Kupferstichkabinetts vertieft. Und da trafen dann Ecksofas mit Sphingen auf Raumentwürfe für längst verschollene Prinzenpalais.
Berlin, Wilhelmplatz. Palais des Prinzen Karl.
Entwurf zum Ecksofa für das Empfangszimmer, hier gefunden
Ein anderer zunächst ablenkenden Gedanken: Wir sind sehr mißtrauisch gegen Weltverbesserungs-Absichten geworden, nachdem sie sich in den vergangenen beiden Jahrhunderten hinreichend verheerend ausgetobt haben, das Ästhetische war da mehr Sklavin des rechten Bewußtseins und sollte eher die Erscheinung aufhübschen. Barbaren setzen sich gern in den Besitz schöner Dinge, wenn denen eine Macht zugesprochen wird, und ihr größtes Glück ist, diese anschließend zu zerstören.
Entwurf zu einem Nähtisch für Elisabeth Beuth
Deckplatte zum Nähtisch für Elisabeth Beuth
Das Schöne helfe nicht gegen die Grausamkeit der Abgründe des Menschen, lautet ein gern vorgetragener Einwand. Ich widerspreche dem erst einmal, aber dieses Stück wir jetzt schon immer uferloser. Der Stählerne mochte Opern etc. etc. Das konnte Schinkel noch nicht wissen. Doch halt, vielleicht hat er es geahnt. Denn etwas mehr als vor 200 Jahren begann ein Mentalitätsumbruch im „Abendland“, der noch immer bejubelt wird und dessen Opfer als Kollateralschäden durchgehen müssen.
Vorbilder für Fabrikanten und Handwerker
Teil 2, Abtlg. 2, Bl. 5: Entwürfe für Glasgefäße, hier gefunden
Schinkel war ein wacher Zeitgenosse und möglicherweise war ihm aufgefallen, daß die Formwahrung durch Überlieferung ebenfalls eben am Zerbrechen war. Hier mußte der preußische Staat einschreiten. Wer sonst. Das Schöne ist konterrevolutionär. Wirklichkeit. Transzendenz. Das Geschichtete von Bedeutungen. Selbstwahrnahme und Selbstbewährung. Die Verteidigung des Anvertrauten. Dessen Erweiterung in einen Kosmos wartender Möglichkeiten...
Jedenfalls gaben die hohen preußischen Staatsbeamten Christian Peter Wilhelm Beuth und Karl Friedrich Schinkel ab 1821 Musterbücher namens „Vorbilder für Fabrikanten und Handwerker“ heraus. Wir zitieren aus dem Anfang:
Vorbilder für Fabrikanten und Handwerker, Teil 1, Abtlg. 2, Bl. 25:
Entwurf für einen "Pokal in Silber oder Gold auszuführen",
hier gefunden
hier gefunden
„Wie das Gefühl für das Sittliche, so ist auch das Gefühl für das Aesthetische nicht bei jedem Menschen gleich stark und was wir in dieser Beziehung an dem Einzelnen wahrnehmen, sehn wir an ganzen Völkern und Zeitaltern.
Ein glückliches Zusammentreffen günstiger Verhältnisse muß sich mit großen natürlichen Anlagen eines Volkes vereinen, um in demselben denjenigen Grad der Ausbildung zu erzeugen, in welchem seine Sitte und Lebensweise als Grundlage allgemein gültiger Gesetze betrachtet werden kann.
Vor allen andern finden wir beim Griechischen Volke eine solche Entwickelung am vollständigsten erreicht. Mit jugendlicher Lebendigkeit ging dies Volk auf einem natürlichen Wege der Vollendung einer vielseitigen Bildung entgegen, ein gesunder Sinn bewahrte es vor solchen Abwegen, auf denen kindische Vorliebe zum Neuen und Hang zum Wunderbaren, die freie Entwickelung guter Anlagen bei anderen Völkern häufig gestört haben. Einbildungskraft und Verstand, Sinnlichkeit und Vernunft wirkten bei den Griechen im schönsten Verhältnis zusammen und brachten die Uebereinstimmung hervor, welche wir durch alle Zweige ihres Cultur-Zustandes verbreitet und bei ihnen so ganz eigenthümlich finden.“
Vorbilder für Fabrikanten und Handwerker, Teil 1, Abtlg. 2, Bl. 26:
Entwurf für zwei Leuchter, zwei Friese und drei Pokale,
zur Ausführung in Silber, Kupfer oder Bronze, hier gefunden
Und in diesem gewissermaßen offiziellen Musterbuch zur Förderung der Wirtschaft wird den Adressaten noch folgendes Detail als ein Wissenswertes zugemutet:
„Das Korinthische Kapitäl entstand nach den Erzählungen der Alten in folgender Art. In Korinth starb eine Jungfrau, ihre Näherin legte in einen Korb diejenigen Geräthe, welche sie in ihrem Leben erfreut hatten, und trug diesen auf die Grabstätte, wo er mit einem Stein zugedeckt wurde. Zufällig ward der Korb auf die Wurzel einer Akanthuspflanze gestellt, welche bald ausschlug und ihre Blätter, Stengel und Blüthen so zierlich um den Korb ausbreitete und an denselben anschmiegte, daß der Künstler Kallimachus, ergriffen von der Schönheit des Anblicks, davon die Idee eines Säulenkapitäls entnahm, Kallimachus war berühmt wegen der großen Ausführung und Zierlichkeit seiner Arbeiten, die ihm selbst nie genügten, weshalb er den Beinamen, der Selbsttadler erhielt.“
Mappenwerk, Ansichten zweier Tische
Ach wären wir doch auch nur wieder in der Annäherung an solche Zeiten.
Das also sind nun die Anmerkungen zur Vorstellung der Musterbücher, die ich so lange vor mir hergeschoben hatte.
nachgetragen am 4. November
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