Dienstag, 14. August 2012

Millais &

Christus im Haus seiner Eltern, 1850

John Everett Millais starb am 13. August 1896, ich hatte schon früher einmal einen Anlauf gemacht, über ihn zu schreiben, der aber im Entwurf steckenblieb, genauer gesagt, war ich mir nicht schlüssig, inwieweit der harsche Kritiker, den ich dort zitiere, recht haben könnte. Kurz zusammengefaßt: Millais habe in den späteren Jahrzehnten seines Wirkens sein unbestreitbares Talent an den Erfolg verschwendet. Tatsächlich löste sein Gemälde „Christus im Haus seiner Eltern“ 1850 wegen seiner ärmlich herben, lebensgetreuen Art noch einen großen Skandal aus.

Ophelia, 1852

Heute bekannter ist seine „Ophelia“ von 1852, die auch nicht eben Gnade vor den Kritikern fand (hier und hier lassen sich dazu ein paar interessante Details nachlesen, etwa, daß die Künstlerin Elizabeth Eleanor Siddal sich beim „Modelliegen“ eine schwere Erkältung zuzog, da Millais so in sein Werk vertieft war, daß er vergaß, die Kerzen auszutauschen, die unter der  Badewanne das Wasser warm hielten; ich selbst hatte mich auch einmal am Thema versucht, an der Gestalt, nicht am Bild, wie auch immer).


John Ruskin, 1854

Die Times schrieb "there must be something strangely perverse in an imagination which so uses Ophelia in a weedy ditch, and robs the drowning struggle of that lovelorn maiden of all pathos and beauty" und "Mr. Millais's Ophelia in her pool ... makes us think of a dairymaid in a frolic" (in etwa zu übersetzen mit: „es muß etwas seltsam Perverses in einer Phantasie wohnen, die Ophelia in einen verunkrauteten Graben versetzt und so dem Kampf des Ertrinkens dieses liebeskranken Mädchens alles Pathos und alle Schönheit raubt“ und am anderem Ort: „Mr. Millais Ophelia in ihrem Becken ... läßt uns an ein Milchmädchen in einem Scherz denken“).

Sogar der angesehene Kunstkritiker und Förderer von Millais, John Ruskin, fand zwar die Technik des Bildes "exquisite", äußerte aber Zweifel an der Entscheidung, dieselbe in eine Surrey-Landschaft zu versetzen und fragte, "Why the mischief should you not paint pure nature, and not that rascally wirefenced garden-rolled-nursery-maid's paradise?"

Während Millais hier also noch recht umstritten war, allgemeinere Akzeptanz verschaffte ihm eigentlich vor allem das Eintreten von Ruskin zu seinen Gunsten, waren seine späteren Historienbilder, Landschaftsdarstellungen, Kinderporträts und generell Porträts dagegen recht populär. Ruskin nannte das spätere Werk eine „Katastrophe“, nun es war sicher sehr breit angelegt, Millais selbst sah darin einen zunehmenden Wagemut, den seine gewachsene Erfahrung hervorbrächte, und erwählte Velázquez und Rembrandt zu seinen Leitfiguren.

Cymon and Iphigenia, 1848

Da hat er möglicherweise recht hoch gegriffen; andererseits mochte sich Millais vielleicht auch einfach nicht in das gelegentlich herbe Ideal fügen, das Ruskin vorschwebte. Interessant ist dieses leicht fiebrige (um es freundlich zu sagen) Gemälde „Cymon and Iphigenia“, das er als 18jähriger unmittelbar vor seiner prä-raffaelitischen Phase schuf, da findet sich viel überbordende Jugendlichkeit, die ihm selbst bald nicht mehr gefiel, daher wohl die Wendung zum ernsthaft Tieferen, aber mitunter auch trocken Pedantischen.

Zur Geschichte - die hat Boccaccio erfunden, im Decameron, Dryden hat sie aufgegriffen. Sie handelt von der Macht der Liebe. Iphigenie schläft in einem Wäldchen am Meer, ein adliger, aber grober und ungebildeter junger Mann aus Zypern, der von seiner Familie auf's Land verbannt worden war, sieht Iphigenies Schönheit und verliebt sich. Sie, zurückhaltend und kultiviert, vermag, ihn in einen Höfling zu verwandeln.

Das nächste Bild aus der späteren Phase handelt vom exakten Gegenteil, ein herumstreifender Ritter befreit eine hilflose nackte Frau, sehr malerisch, nun ja, man findet Näheres hier.

The Knight Errant, 1870

Nun pedantisch waren seine beliebten Porträts später sicher nie, tiefgründigeren Glanz verbreiten sie nicht immer, aber genau waren sie schon, und meist angenehm anzuschauen. Dieses zu recht bekannte Portrait Kardinal Newmans geht darüber hinaus. Schlechte Menschen meinen, die Linien seines Kardinalgewands würden an die ertrinkende Ophelia erinnern. Ein sehr genaues Portrait, mir fällt zufällig ein, er soll einmal gesagt haben, wenn er einen Toast auszubringen hätte: „I shall drink … to conscience first and to the Pope afterwards.” Denn eine Person, die die Vernunft verfehle, würde zugleich ihre Seele verlieren. Aber wir brechen besser ab.

Portia (Kate Dolan), 1886

John Henry Newman

Diese Kinderbilder haben ihn auch sehr beliebt gemacht. Wir wollen nur dieses erste aufgreifen, seine Enkelin Phyllis, eines seiner „fancy pictures“, wo das Gefühl die Beschreibung überwindet. Wie lese ich so schön, sie geben eine neue „Tiefe und Schärfe, verbunden mit einem Hauch von Vergänglichkeit, ganz im Einklang mit dem viktorianischen Gefühl der Ungewißheit des Lebens...“

Little Speedwell's Darling Blue, 1892

Cherry Ripe, 1879

"Bubbles", 1886

Diese Ungewißheit und Ungesichertheit des Lebens springt einen hier sehr unmittelbar an, und dabei scheinbar noch idyllisch verpackt, auf den ersten flüchtigen Blick. Nein, so oberflächlich erscheint uns das alles nicht, ebensowenig, wie die Winterlandschaft im letzten Bild. Dieser Maler verdient wohl doch noch einen weiteren Anlauf, um ihn besser kennenzulernen. Wir werden sehen.

A Flood, 1870

Blow, Blow Thou Winter Wind, 1892
hier gefunden

nachgetragen am 17. August

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