Der Abschiedsbrief
Mein innig geliebter Schatz!
Wenn diese Zeilen in Deine lieben guten Hände kommen, dann bin ich nicht mehr auf dieser Welt. Ich bin zum Tode verurteilt, rauche jetzt eine letzte Zigarette und werde in Kurzem hinüber gehen in die Ewigkeit, in der wir uns wiederfinden werden, um niemals mehr getrennt zu werden. Ich nehme mit mir die Dankbarkeit für alles, was Du mir in den vergangenen Jahren gewesen bist und gegeben hast. Sei überzeugt, dass ich unser Glück nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt habe. Gott hat es so gefügt und wir müssen es tragen. Tröste Moi, so gut es geht. Gestern träumte ich, dass Vati in der Tür stände, in Hut und Mantel und sagte: „Komm, mein Junge, es ist Zeit!"
Unseren Trauring wirst Du von hier zugeschickt bekommen, die „Trense“ gab ich in Tegel ab und hoffe, die Zusendung erfolgt von dort aus, bzw. vom Reichssicherheitshauptamt in der Albrechtstraße. Sonstige Verfügungen kann ich nicht treffen, denn mein Vermögen ist dem Staat verfallen. Über die übrigen Dinge verfüge Du so wie es Dir recht scheint.
Grüße unsere Kinder. Es ist auch für sie ein schweres Schicksal. Verstehen werden sie alles erst sehr viel später.
In Gedanken schliesse ich Dich noch einmal ganz fest in die Arme. Bald wird das, was an mir unsterblich ist, immer um Dich und unsere Kinder sein, bis auch Ihr eingeht in das Ewige Leben und Du dann aufs Neue untrennbar verbunden bist mit
Deinem Dich innig liebenden
Peter
Der Abschiedsbrief wurde am 13.Oktober 1944 vom Grafen von Blumenthal kurz vor seinem Tod durch Hängen in Plötzensee geschrieben. Am selben Tage war er vom Volksgerichtshof unter Roland Freisler zum Tode verurteilt worden.
Der nachfolgende Beitrag erschien zuerst im "Nordkurier am Wochende" vom 12. / 13. Oktober 2019. Hier erscheint er in ungekürzter und unveränderter Fassung.
Konstantin Graf von Blumenthal über seinen Großvater
Blumenthal im Herbst 1939 am "Westwall"...
© Konstantin Graf von Blumenthal
Am 13. Oktober 2019 liegt die Hinrichtung des Neustrelitzers, Carolinum-Absolventen, Offiziers und Widerstandskämpfers Hans Jürgen Graf von Blumenthal, meines Großvaters, genau 75 Jahre zurück.
Für seine Beteiligung am gescheiterten Hitlerattentat vom 20. Juli 1944 wurde er am 13. Oktober 1944 im Alter von 37 Jahren vom Volksgerichtshof unter Roland Freisler zum Tode sowie zusätzlichem Vermögensverlust verurteilt und kurz darauf in Berlin-Plötzensee mit einer Drahtschlinge erhängt. Todeszeitpunkt laut Sterbeurkunde: 15.07 Uhr.
Geboren wurde er am 23. Februar 1907 in Potsdam als Sohn des dem Kaiserhaus eng verbundenen Offiziers Grafen Hans von Blumenthal (1869–1944) und seiner Ehefrau Melanie (1875–1953), geb. Gräfin von der Schulenburg. Hans Jürgen hatte eine zwei Jahre jüngere Schwester, Sigrid, seit 1930 verheiratete Prinzessin zu Ysenburg und Büdingen.
Die Grafen von Blumenthal gehen im Mannesstamm auf das mittelalterliche niedersächsische Hochadelsgeschlecht der edelfreien Herren von Diepholz zurück. Ein Zweig dieser Familie erwarb die Herrschaft Blumenthal in der Prignitz, die 1296 namengebend wurde. Hans Jürgens Ururgroßvater, Heinrich Graf von Blumenthal (1765–1830), einer der größten Grundbesitzer Preußens, zählte zu den Vorreitern der Bauernbefreiung. Das Scheitern der gegen die Herrschaft Napoleons gerichteten Befreiungsversuche von 1809 führte 1810 zum Verlust Blumenthals und aller anderen Besitzungen mit Ausnahme einiger im Umland von Neustrelitz gelegener Güter.
Blumenthal wuchs in Potsdam im Umfeld des kaiserlichen Hofes auf. Für den Prinzen Wilhelm, ältester Sohn des Kronprinzen, war er zeitlebens wie ein Bruder. Weltkrieg, Revolution und Zusammenbruch erwiesen sich als einschneidende Erlebnisse, der folgenden Weimarer Republik begegnete die gesamte Familie mit Ablehnung.
Angesichts der katastrophalen Verhältnisse schickten Hans Jürgens Eltern ihren Sohn 1920 nach Schweden zum Grafen Eric von Rosen (1879–1948). Dieser trat als Ethnograph, Archäologe, Gründer der Luftwaffe Finnlands und Vordenker der rechten Kräfte Schwedens in Erscheinung und war Vertrauter des finnischen Heerführers und Staatsmannes Freiherrn Carl Gustaf Emil von Mannerheim. Der schwedische Graf wurde für Blumenthal eine Art „Vizevater“, sein Schloss Rockelstad ein zweites Elternhaus. Das Jahr 1923 machte Rosen zum Schwippschwager Hermann Görings.
Schon als Jugendlicher engagierte sich Blumenthal im „Jungstahlhelm“, Jugendorganisation des nationalkonservativen Wehrverbandes „Stahlhelm“. Dort erhielt er eine militärische Ausbildung und begann parallel seine journalistische Tätigkeit.
Nachdem die Großherzogin-Witwe Elisabeth von Mecklenburg-Strelitz Hans Jürgens Vater zu ihrem Generalbevollmächtigten ernannt hatte, zog die Familie 1927 nach Neustrelitz. Hans Jürgen besuchte das Gymnasium Carolinum, wo er 1928 Abitur machte und am 29. März die Abschiedsrede hielt.
Als Student unternahm er von Oktober bis Dezember 1930 eine Debattenreise durch die USA, besuchte Universitäten in 12 Bundesstaaten, traf Politiker, Schriftsteller, Historiker, Journalisten und Offiziere. In Vorträgen kritisierte er Versailler Vertrag und Young-Plan scharf. Gegen seine von der amerikanischen Öffentlichkeit positiv aufgenommenen Äußerungen protestierte der deutsche Botschafter offiziell über das Auswärtige Amt wegen „nationalistischer Agitation“ Blumenthals und erklärte ihn „für Missionen im Ausland aus Gründen der Gefährdung der Republik für ungeeignet“. Hans Jürgen bemerkte, das empfände er als Anerkennung.
Aus Blumenthals anfänglichem Wohlwollen gegenüber den Nationalsozialisten wurde seit Juli 1930 Feindschaft. Von Adolf Hitler persönlich überbrachte großzügige Angebote wies er rigoros zurück. In den Führern der NSDAP sah er „Perverse“ mit „Freude am Quälen“, ein „Geschwür“, das „ausgedrückt“ werden müsse, bevor es „die ganze nationale Front vereitert“. Am 4. Dezember 1932 unternahm er in „Der Stahlhelm“ einen journalistischen Frontalangriff auf Hitler, der mit folgenden Sätzen endet: „Darum Schluß mit dem Wahn von der Berufenheit der NSDAP, Schluß mit dem Aberglauben an den Wundermann Hitler! Es geht nicht um Parteien und Personen; es geht um Deutschland!“.
Bereits im Zusammenhang mit dem sogenannten Röhm-Putsch vom 30. Juni 1934 sollte Blumenthal daher ermordet werden. Nur durch Zufall überlebte er. Seine Mutter schreibt, „Hitler verfolgte meinen Sohn mit glühendem Hass“.
1938 beteiligte sich Hans Jürgen, seit Ende 1935 Berufssoldat, an einer militärischen Verschwörung mit dem Ziel, Hitler zu töten. Das Münchner Abkommen vereitelte dieses Unterfangen jedoch.
Ein Jahr später heiratete er Cornelia von Schnitzler (1905–1977), gesch. von Kries, die aus ihrer ersten Ehe schon zwei Kinder hatte. Sie war Miteigentümerin des Schlosses Klink und der dazugehörigen Güter. Weitere Anteile besaß ihre Mutter Hedwig, wie Cornelia überzeugte Nazigegnerin. Aufgrund seiner Hochzeit und des innigen Verhältnisses zur Schwiegermutter übernahm Hans Jürgen nach seiner schweren Verwundung sogar die Bewirtschaftung des Besitzes.
Im Krieg kämpfte er zunächst in Frankreich und wurde dabei mehrfach ausgezeichnet. Danach in Polen stationiert, schrieb er unter Pseudonymen Bücher. Zugleich kam sein einziges Kind, der Sohn Hubertus (1941–1991), auf die Welt. Auf dem Russlandfeldzug zerfetzte dann am 30. Juli 1941 ein Dumdum-Geschoss Hans Jürgens rechten Arm. Nach monatelangen Lazarettaufenthalten folgte seine Versetzung ins Oberkommando des Heeres.
Bald wieder im Kontakt zum Widerstand, war er aktiv in die Vorbereitungen für den Umsturz des 20. Juli 1944 eingebunden. Neben seiner Tätigkeit als Verbindungsoffizier für den Wehrkreis II (Stettin) hatte er auch einen „Erlaß über die vorläufige Kriegsspitzengliederung“ ausgearbeitet. Durch diesen sollten nach erfolgtem Umsturz die Fronten stabilisiert werden. In den letzten Wochen vor dem Attentat kam es zu zahlreichen konspirativen Treffen Blumenthals mit dem Grafen Stauffenberg.
Der Umsturzversuch scheiterte.
... und während des Prozesses, Stunden vor seiner Hinrichtung
© Konstantin Graf von Blumenthal
Für seine Hinrichtung war Blumenthal geistlicher Beistand verweigert worden. Auf dem Weg zur Richtstätte kam es aber zufällig zu einem kurzen unbemerkten Blickkontakt Hans Jürgens mit dem Domkapitular Peter Buchholz. Dieser berichtete 1946 „über das Ende des tapferen Grafen Blumenthal“, der „ungebrochen und in aufrechter Haltung seinem Schicksal entgegengegangen ist“.
Konstantin Graf von Blumenthal
Konstantin Graf von Blumenthal ist der Enkel und einzige lebende Nachfahre von Hans - Jürgen Graf von Blumenthal.
Konstantin Graf von Blumenthal ist der Enkel und einzige lebende Nachfahre von Hans - Jürgen Graf von Blumenthal.
Am Sonntag fand in Neustrelitz aus Anlaß seines 75. Todestages eine Gedenkstunde für Hans Jürgen Graf von Blumenthal statt. Vor dem damaligen Wohnhaus der Familie wurde anschließend ein Kranz niedergelegt und der oben dokumentierte Abschiedsbrief verlesen.
Auf dem Grabstein seines Vaters Hans Adam Oskar Karl Fritz Graf von Blumenthal, der auf dem Neuen Friedhof der Residenzstadt bestattet ist, findet sich eine Gedenkinschrift für den Sohn. Über den Verbleib von dessen Leichnam ist nichts bekannt.
3 Kommentare:
Herzlichen Dank !
Entweder es werden uns diese Männer zum Gründungsmythos werden,
oder wir werden zur Hölle fahren.
Danke für den schönen Bericht.
Ich bin eine Enkelin von Hans-Jürgens Schwester Sigrid Prinzessin zu Ysenburg und Büdingen. Unsere gemeinsame Urgroßmutter „Moi" Melanie Gräfin von der Schulenburg, die (wie hier richtig berichtet wird) ebenfalls im Widerstand aktiv war, ist seiner Aufforderung zur Vernichtung aller Dokumente nicht nachgekommen. Im Besitz meiner Familie befinden sich die Briefe, die wie harmlose Briefe getarnt waren, aber in Wirklichkeit mit Codewörtern versetzt waren. Sie hat die Briefe mehrfach abgeschrieben und an andere Widerständler geschickt.
Statt der Vernichtung legte sie die Briefe gesammelt in eine jahrhundertealte Truhe und versteckte den Schlüssel an einem anderen Ort.
Ihre Hoffnung war, dass die Gestapo bei einer möglichen Hausdurchsuchung Respekt vor der sehr wertvollen antiken Truhe haben würde und diese nicht zur Öffnung zerstören werde.
Die Truhe war solange ich zurückdenken kann ohne Schlüssel auf dem Dachboden meines Elternhauses in Büdingen. Meine Schwester fand in den 1980er Jahren den passenden Schlüssel im Keller.
Der Würzburger Geschichtsprofessor Altgeld, dessen Spezialgebiet der Widerstand im 3. Reich war, erkannte die im Widerstand üblichen Codewörter in den Briefen und war erstaunt, wie tief Blumenthal in den Widerstand und die Planung eingebunden war.
Leider sind die Briefe immernoch nicht historisch ausgewertet. (Wer eine Idee hat, durch wen die Auswertung am besten geschehen könnte, möge dies gerne hier kundtun.)
Ich freue mich über das „Erbe" meiner Urgroßmutter Moi und meines Großonkels Hans-Jürgen, denn ich spüre auch in mir den großen Drang nach Gerechtigkeit und die Unmöglichkeit, bei erkanntem Unrecht einfach schweigend mitzumachen. Dafür nehme ich auch Nachteile in Kauf - und bin dankbar, dass ich (bis jetzt?) nicht annähernd so große Nachteile hatte wie meine Vorfahren.
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