Sonntag, 17. Januar 2021

Über Nakoniden & Niklotiden

 zur Mythologie einer Landschaft

Völkerstämme zwischen Elbe und Weichsel, hier gefunden

Siedlungsgebiet der Obotriten und Nordalbingien, besser würde wohl links unten „Sachsen“ stehen, hier gefunden


1. Von den Wenden

„Am höchsten stand dem Wenden seine Freiheit. Für sie opferte er Gut und Blut. ‚Alles Elend achten sie gering gegenüber der teuren Freiheit‘, sagt der Mönch Widukind. Im Kampf für sie kannte der Wende keine Grenzen, er verabscheute selbst Grausamkeit und Hinterlist nicht, wenn es galt, die Freiheit zu retten oder zu gewinnen.

Wenn somit trotz mannigfacher Vorzüge die Wenden doch niemals auf eine höhere Stufe der Kultur gelangt sind, so lag das vornehmlich an ihrer unbezähmbaren Raub- und Kriegslust und ihrer geistigen Trägheit und Schlaffheit. Der Krieg war des Wenden eigentliches Lebenselement, die Lust dazu ihm angeboren.“ 

„Etwa ein halbes Jahrtausend waren die Slawen so die Nachbarn der Deutschen an der Elbe, aber gelernt haben sie von diesen wenig oder nichts. Weder den Ziegelbau noch den deutschen eisenbeschlagenen Pflug, die beide bei der oft rauhen Witterung und dem nicht selten schweren Boden für sie nützlich gewesen wären, haben sie übernommen. So blieben, während die deutsche Kultur in dieser Zeit einen immer größeren Aufschwung nahm, die Wenden im ganzen auf der früheren Stufe stehen. Kein Wunder, wenn sie schließlich dem wachsenden Ansturm deutscher Art und deutschen Wesens gänzlich erlagen.“

So Otto Vitense in seiner „Geschichte von Mecklenburg“ Gotha 1920 (S. 21f.).

[In einem Absatz viermal das Wort „deutsch“ unterzubringen, da würde den Genossen der Jetzt-Zeit vor Schauder glatt die Tastatur einfrieren. Eine neuere Landesgeschichte hält dann auch dieses Urteil für unsachlich, folglich doch wohl falsch, um den eben noch bestrittenen Tatbestand wenig später mit dem fehlenden spätantiken Einfluß und der Bedrängnis durch fast sämtliche Nachbarn zu erklären - neuzeitliche Logik! Vitense starb übrigens am  31. Dezember 1948 in Neubrandenburg und ist in Feldberg begraben.]


Wappen von Dorf Mecklenburg, hier gefunden

Die Slawen waren also rauflustig, freiheitsliebend, denkfaul, aber findig, geneigt, eher etwas mit Gewalt in ihren Besitz zu bringen, als dafür mühsam zu arbeiten. Ein harsches Urteil und ein wahrlich beeindruckendes und irgendwie zeitloses Charakterbild, nicht von den Wenden in Mecklenburg natürlich, die sind lange verschwunden.

Ich bin gefragt worden, wie alt unsere herzogliche Familie eigentlich sei. Und wenn ich dies einmal hier erschöpfend behandle, kann ich ab jetzt immer darauf verweisen.

An den Wenden kommt man, so man sich dieser Frage nähern will, verständlicherweise nicht vorbei. Wenn ich von Wenden spreche, ist dies natürlich eine grobe Vereinfachung, aber wir wollen ja auch nicht endlos werden. 

In das weitgehend entvölkerte Gebiet von dem, was später einmal Mecklenburg heißen sollte, sind jedenfalls wohl Ende des 7. Jahrhunderts Slawen aus dem Osten nachgerückt - die Obotriten in den Westen bis nach Ostholstein (Wagrien), im Osten siedelten die Wilzen (später Lutizen). Warum entvölkert? Nun, die zuvor dort ansässigen Germanenstämme waren in Richtung des gerade noch bestehenden römischen Reichs verzogen, sie hatten dort Händel zu treiben.

Karte Rethra auf der Infotafel Lieps am Jagdschloss Prillwitz, (Rekonstruktionsversuch), hier gefunden

Rekonstruierter slawischer Tempel in Groß-Raden, hier gefunden

Während die Obotriten offenbar bald dauerhaft von erblichen Fürsten angeführt wurden, scharten sich letztere schließlich lieber um ihr heidnisches Heiligtum Rethra (wahrscheinlich irgendwo hier in der Nähe am südlichen Ufer des Tollensesees, wo sie ihrem Götzen Radegast huldigten, u.a. durch Menschenopfer). 

Der prominenteste, aber wahrlich nicht einzige Märtyrer des christlichen Glaubens dort war der erste mecklenburgische Bischof Johannes. Bei einem heidnischen Aufstand gefangen genommen, wurde er zunächst im Lande als Trophäe herumgeführt und schließlich am 10. November 1066 in Rethra grausam geopfert. Ich erspare uns Einzelheiten. Sollte man doch einmal auf die Überreste von Rethra stoßen, so müßte man ihm dort eine Kirche erbauen. Doch da die Lutizen auch keine Schriftkultur kannten, wird eine sichere Identifizierung wohl schwierig bleiben.

Doch wir greifen vor.

2. Fürsten bei den Obotriten


Radegast zu Mecklenburg und andere slawische Götte, etwa 1530, hier gefunden

Wenn wir nach dem Ursprung der Herzogsfamilie suchen, müssen wir auf die Obotriten schauen. Bei Karl dem Großen taucht 789 ein als Vasall verbündeter Fürst Witzan auf (er fiel 795 im Kampf mit den Sachsen bei Bardowick an der Elbe), sein Sohn Drasco (oder Thrasco) siegt für Karl 798 bei Bornhöved über die Sachsen Nordalbingiens und erhält 804 vom Kaiser die obotritische Königswürde (rex Abotritorum nomine Drosuc),  810 wird er von einem Vasallen des dänischen Königs ermordet.

Unter Übergehung seines noch jugendlichen Sohnes Ceadrag wurde Drascos Bruder Slaomir nun von Karl dem Großen zum Herrscher der Obotriten eingesetzt (allerdings ohne Nordalbingien). Nach dem Tod Karls des Großen im Jahr 814 lockert sich offenbar die Abhängigkeit. Im November 816 empfängt Kaiser Ludwig der Fromme in Compiègne eine Gesandtschaft der Obotriten, die Ceadrag als angestammten Nachfolger des Drasco fordert. Darauf verfügt Ludwig 817 die Mitregentschaft Ceadrags.

Der so gedemütigten Slaomir sagt sich von den Franken los und stachelt die Dänen zum Feldzug auf. Ludwig der Fromme schickt darum 819 ein Heer gegen den treulosen Slaomir, dieser ergibt sich offenbar kampflos und wird als Gefangener nach Aachen verbracht. Slaomir wird in die Verbannung verurteilt, Ceadrag alleinigen Herrscher.

Aber auch Ceadrag bändelt mit den Dänen an, Slaomir gewinnt darauf Ludwigs Gnade zurück und wird 821 zu den Obotriten zurückgeschickt, um diesmal Ceadrag zu ersetzen. Auf der Reise verstirbt er jedoch, empfängt vorher aber noch die christliche Taufe. So wird Slaomir zum ersten Christen unter den Obotritenfürsten. 

Ceadrag  behält seine Stellung, muß sich aber wiederholt gegen Anklagen rechtfertigen, so auf dem Reichstag in Ingelheim 826. Wir wissen, daß unter seiner Herrschaft die Burg in Alt-Lübeck (etwa 817/819) errichtet wurde. Als Ludwig der Fromme 838/839 noch einmal einen Feldzug gegen die Obotriten richtet, hören  wir von Ceadrag schon nichts mehr. Ein Goztomuizli, offenbar aus anderer Familie, fällt 844 im Krieg gegen Ludwig den Deutschen,  862 wird sein Sohn erwähnt,der „dux Abodritorum Tabomuizli“. Dann schweigen die Nachrichten wieder länger. Zwar hören wir weiter von kriegerischen Auseinandersetzungen, etwa unter Arnulf von Kärnten, nur handelnde Personen werden auf der Seite der Obotriten kaum mehr greifbar.

Halten wir also fest. Wir wissen, daß die Obotriten im engeren Sinne, aber auch als Stammesverbund, fürstliche Anführer hatten, die, üblicherweise verwandt, aufeinander folgten, es ist aber mehr wie eine Inselkette, hier und da ragt ein Name aus dem Nebelmeer der Geschichte. Doch größere Stücke Landes sehen wir nicht. Das ändert sich nun.

3. Die Nakoniden


Burgwall der Mecklenburg, hier gefunden

Wohl 973 (vielleicht wenige Jahre eher) berichtet Ibrāhīm ibn Yaʿqūb, sagen wir besser Abraham Jakobson, von „Nakons Burg“.  Dieser sei ein König der nordwestlichen Slawen und anderen großen Slawenfürsten ebenbürtig. Abraham war ein Gesandter des Kalifen von Córdoba und traf demnach Otto I. am 1. Mai 973 auf dessen Hoftag in Merseburg (vorher schon einmal in Rom). Und mit Nakon auf Wiligrad (der späteren Mecklenburg) sind wir endlich wieder mit fortdauernden Nachrichten versehen. Was dazwischen liegt, wir wissen es, wie gesagt, nicht sicher. Seine Nachkommen lassen sich so klar nachverfolgen, daß man von einer ersten (greifbaren) Dynastie sprechen kann. Nennen wir sie die Nakoniden.

Mit Nakon (oder Nacco) haben wir vermutlich den nächsten christlichen Obotritenfürsten (bis 965/67). Sein Bruder Stoignew hatte sich gegen Herzog Hermann Billung, den Markgrafen der Wendenmark, erhoben und wurde in der Schlacht an der Raxa 955 von Otto I. besiegt und auf der Flucht erschlagen. Ob Nakon an dem Aufstand nicht teilnahm oder es ihm lediglich gelang, Frieden gewährt zu bekommen, können wir nur mutmaßen.  

Genauso unentschieden muß bleiben, ob sein Nachfolger Mistiwoj (bis 990/995) auch sein Sohn war, nehmen wir es an, denn Entgegenstehendes hätte zu Konflikten geführt, von denen wir wohl erfahren hätten (wie in früheren Fällen). Er ließ sich sicher taufen (man mag einwenden, aus politischer Klugheit, aber auf dieses Motiv wollen wir allgemein später eingehen) und war in zweiter Ehe mit Christiane, der Schwester des dritten Bischofs Wago von Oldenburg vermählt. Mit ihm fand das Christentum zum ersten Mal wirklich Einzug in das westliche Mecklenburg. In Wiligrad wurde dem Apostel Petrus eine Kirche erbaut und ein Nonnenkloster gestiftet, dessen Äbtissin seine Tochter Hodika wurde.

Dorf Mecklenburg, Kirche, hier gefunden

Dorf Mecklenburg, Kirche, Chor, hier gefunden

Dorf Mecklenburg, Kirche, Triumphkreuzgruppe, hier gefunden

Vom Bistum Oldenburg (in Wagrien/Holstein) aus begann sich eine christliche Kirche im Obotritenreich zu bilden. Dann kam der Rückschlag.  983 bricht ein Aufstand los. Helmold von Bosau schreibt in seiner Slawenchronik,  der Markgraf der Nordmark (die spätere Altmark) Dietrich und der Sachsenherzog Bernhard  hätten die Slawen „durch die Unvernunft beider zum Abfall gezwungen“, sprich durch Gier und Härte. Aber eher dürfte hier ein Bündnis von wendischem Adel und heidnischem Priestertum (Rethra) zur Wirkung gekommen sein. Beide durften sich zurecht in ihrer Machtstellung bedroht fühlen. Die Wilzen/Lutizen überfielen die verhaßten Bistümer Brandenburg und Havelberg, verwüsteten alles und machten selbst vor den Gräbern nicht halt. 

Mistiwoj war besonders in Gegnerschaft zum Sachsenherzog Bernhard entbrannt und zerstörte Hamburg, er versöhnte sich aber und ließ die Mission in seinem Land wieder zu, von dem er allerdings große Teile an die siegreichen Lutizen verloren hatte. Bis zu zu seinem Tod blieb er ein Verbündeter des römisch-deutschen Königs Otto III., der die Mecklenburg 995 besuchte (bie berühmte Ersterwähnung Mecklenburgs).

Sein Sohn Mistislaw, er hatte schon an der Seite Kaiser Otto II. gekämpft, förderte den christlichen „Glauben der Sachsen“, suchte den einheimischen Adel zurückzudrängen, lehnte sich an den Sachsenherzog Bernhard III. an und verliert 1018 die Herrschaft, als die Lutizen ins Land einfallen. Er hätte vielleicht eine opportunistische Chance gehabt, so er seinem Glauben abgeschworen hätte, doch er flieht zu Herzog Bernhard nach Bardowiek und ist dort als Christ gestorben. Die Spuren christlichen Glaubens aber werden von den Rebellen energisch vernichtet.

Mistislaws Bruder Uto-Pribignev (ab 1020) taucht nach einigen Wirren als nächster Fürst (von unklarem Machtumfang) auf. Udo (Uto) wohl sein Taufnahme.  Adam von Bremen nennt ihn einen „schlechten Christen“,  doch schickt er seinen ältesten Sohn zur Erziehung ins Michaeliskloster nach Lüneburg. Dieser wird dort auf den Namen Gottschalk getauft und kehrt 1028 nach der Ermordung seines Vaters durch einen Sachsen (es heißt, wegen dessen Grausamkeit) sofort zurück.

Zunächst nur, um einen räuberischen Haufen um sich zu sammeln, der das sächsische Nordelbien verheerte, damit sein Vater gerächt würde. Die Legende sagt, ein christlicher Sachse habe ihm ins Gewissen gesprochen, so daß er davon abließ. Andere verweisen darauf, er sei in die Gefangenschaft von Herzog Bernhard II. geraten, habe diesem die Treue geschworen und sei darauf prompt von seinen Landsleuten verstoßen worden. 

Ende des ersten Teils, zum Teil II

Keine Kommentare: