Herr Thomas Roloff war so freundlich, mir heute, am Tag einer anderen, verflossenen Republik, seine Ansprache zukommen zu lassen, die er am 3. Oktober im Gottesdienst zum Tag der Deutschen Einheit bei sich in Schönhausen / Altmark, dem Geburtsort Bismarcks, gehalten hat, da ich sie wirklich ganz bemerkenswert finde, will ich sie gern nachfolgend dokumentieren, auch wenn es den kleinen Schönheitsfehler gibt, daß man sich das in Rede stehende Bild gewissermaßen imaginieren muß:
Ansprache zum Tag der Deutschen Einheit 2008
Gnade sei mit euch und Friede von dem der da war und der da ist und der da kommt, dem Herren über Zeit und Ewigkeit!
Amen
Liebe Gemeinde,
die Enthüllung des nun auch mit seinem prachtvollen Rahmen wieder vollständig restaurierten Gemäldes „Heilige Nacht“ in unserem heutigen Gottesdienst zum „Tag der Deutschen Einheit“, läßt einen Zusammenhang aufscheinen, den auch die Lesungen der Liturgie unterstrichen haben, und der mir die Möglichkeit eröffnet, über das Wesen des Staates in der Geschichte zu sprechen.
Da ist es zunächst wichtig festzustellen, daß Geschichte sich nicht im „Irgendwo“ abspielt, das schnell zum „Nirgendwo“ wird, und man sich ihr entziehen könnte. Es ist eben nicht so, daß es irgendwo die großen und bedeutenden Ereignisse gibt, die die Historie ausmachen, und dann sich hier im Nirgendwo unser kleines Leben abspielt, das für das Weltgeschehen nicht viel wiegt.
Das auf unserem Gemälde so stimmungsvoll abgebildete Weihnachtsgeschehen war zunächst das Schicksal zweier Menschen, die auch unter größten Schwierigkeiten beieinander blieben. Das Evangelium, welches wir gehört haben, läßt deutlich werden, wie verstörend viele Dinge, die geschahen, auf die Eltern Jesu wirkten, und wie wenig sie auch nur ahnten, daß sie schon längst im Mittelpunkt eines kosmischen Geschehens standen. Sie versuchen schlicht, als Familie ihren vertrauten und frommen Bahnen zu folgen. Sie kehren wieder heim nach Galiläa in ihre Stadt Nazareth. Sie leben ihr Leben.
Erst im Glauben konnten Menschen erblicken, daß die einstmals Großen der Welt an den Rand gerückt waren und Maria und Joseph wurden mit ihrem Kind ins Zentrum gerückt, ja waren selbst die Mitte. Das eben ist der Unterschied zwischen dem Tun der Menschen und dem Handeln Gottes.
Etwas sehr ähnliches stellt die Epistel aus dem 2. Thessalonicherbrief und noch mehr die Tradition ihrer Auslegung heraus. Diese Passage des Briefes wurde nämlich sehr bald auf den Zusammenhang hin gedeutet, den auch schon die lukanische Weihnachtsgeschichte, und zwar keineswegs nur zeitlich, zwischen dem Römischen Imperium und dem Heilsgeschehen herstellte. Der Widersacher, um den dieser Text kreist, wird von etwas aufgehalten, von dem recht geheimnisvoll gesagt wird: „Ihr wisset, was ihn noch aufhält, bis er offenbart werde zu seiner Zeit.“ Diese Stelle wurde traditionell auch auf das Reich der Römer gedeutet, und die oft sogar großartigen Bemühungen, nicht nur die Idee von diesem Imperium, sondern auch das Reich selbst wieder und wieder zu erneuern und zu erhalten, haben darin eine ganz wesentliche Ursache. So war es der ganz tiefe Sinn der weltlichen Ordnung, ein Gleichnis zu geben und Verheißung zu sein der ewigen Ordnung, selbst wenn ihr dies ähnlich dunkel und nur ahnungsvoll war, wie dem heiligen Paar das Geschehen um sein Kind.
Für unsere Region sind in diesem Zusammenhang natürlich besonders die Anstrengungen der ottonischen Kaiser beispielhaft. Es ist aber auch gar nicht unwahrscheinlich, das selbst noch dem Bismarckreich etwas von der Vorstellung einer alles ordnenden, Mitte seienden und darum vermittelnden Macht anhaftete.
Die staatliche Ordnung, die sich ein Volk gibt, die Aufgaben, von denen es sich bestimmt sieht, die Hoffnungen und Sehnsüchte, die es antreiben, kommen nicht zufällig und schon gar nicht von alleine zustande. In dem Text der Barmer Erklärung, den wir aus gutem Grund an diesem Tage als Bekenntnis besprochen haben, heißt es: „Die Kirche erkennt die Wohltat die Anordnungen (des Staates) an.“ Es heißt aber auch: „Sie erinnert in genau diesem Zusammenhang an Gottes Reich, an sein Gebot und an seine Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und der Regierten.“
Liebe Gemeinde,
das genau ist der alles entscheidende Punkt, der auch jeden von uns berühren muß! Das Anerkennen staatlicher, wie aller weltlichen Ordnung geht einher mit der Erinnerung an Gottes Reich und an seine Gerechtigkeit. Darin nehmen wir, die Regierten unsere Verantwortung gegen Gott aber auch gegenüber den Regierenden wahr. Der Staat, kein weltlich Ding, darf aus eigenem Ermessen, aus eigener Willkür - das Wort Willkür bezeichnet ja sehr schön, die Wahl, die Kür, allein aus dem Willen heraus - wirkliche Gerechtigkeit und wahren Frieden setzen. Gerechtigkeit, die Gott nicht kennt, nicht kennen will, sich an ihn nicht erinnern und gemahnen lässt wird sehr schnell zu einem schönen Wort, hinter dem sich aber nur die Habgier der einen und die Ohnmacht der anderen verbergen. Oft erlebt man dann noch, daß die einstmals Ohnmächtigen, wenn sie nur erst die Möglichkeit dazu bekommen, genauso maßlos werden, wie es diejenigen waren, die sie bekämpften. Gerechtigkeit und Frieden werden zur Worthülse, mit der alle operieren, die ja genau wissen, daß sie ihre eigentlichen Absichten verbergen müssen.
So wie Maria und Joseph, obgleich sie zunächst nur dunkel ahnen, welche wahre Bewandtnis es mit ihrem Leben und mit dem ihres Kindes hat, nicht ihrer Willkür, sondern der leisen Stimme Gottes und der Tradition ihres Volkes folgen, sollen wir hier an diesem Ort, in unserem kleinen Dorf auf die leise Stimme Gottes hören und der Tradition unseres Volkes folgen, ja ihr wieder zur Geltung verhelfen. Diese gute Tradition, von der ich rede, ist das Maß, in dem wir Deutschen in so vielen Zeiten nach dem Verbindenden unter den Menschen und Völkern gesucht haben, den Frieden beförderten, die Suche nach Wahrheit, nach Schönheit, nach Erkenntnis in die Mitte unseres Wettbewerbs mit anderen stellten.
Denken sie an das Reich, in dem der Verteidiger der Kirche und eine auch die Völker verbindende Kraft im Abendland gesehen wurde, an die Reformation, die nicht die Kirche spalten, sondern den Glauben erneuern und fundamentale Aussagen des Christentums in die moderne Zeit übersetzen wollte und an die Zeit der Dichter, Denker und Forscher, in der die Welt neugierig und voller Bewunderung auf die Mitte Europas blickte.
Durch die Wiedererlangung der Einheit unseres Landes, noch mehr aber durch die Wiederfindung der Freiheit des ganzen Kontinents können wir wieder an diese Traditionen anknüpfen. Wir müssen die offene, freie Welt nicht fürchten. Wir müssen sie am wenigsten als Christen fürchten, denn das, was heute so gern als Gefahrenszenario der Globalisierung skizziert wird, ist gar nicht so neu, wie immer getan wird. Die Kirche kennt seit ihrem Anfang den Begriff der Ökumene und meint darin die weltumspannende Einheit der Menschen vor Gott, in dem sie Gebot und Gerechtigkeit findet. Eine entfesselte Welt aber, die diesen Regierende und Regierte verpflichtenden Gott nicht kennt, wird doch nur ein Opfer der eigenen Maßlosigkeit werden.
Auch als klares Bekenntnis gegen diese Überhebung der Maßlosigkeit halten wir an der treuen Erfüllung unserer kleinen Pflichten fest. Darum ist es so ein schönes Zeichen, dass wir heute dieses Bild wieder zeigen, und es seinen Platz in diesem Hause wieder finden wird. Es gehört uns allen, es war ein Geschenk, das wir uns erhalten haben, und in dessen Anblick uns zu jeder Stunde, in der wir vor ihm stehen, weihnachtlich werden kann. Das Beglückende an weihnachtlicher Stimmung ist es nun, daß man gewahr wird: In uns und mit uns und durch uns geschehen große, überwältigende Dinge. Im Leben jedes Einzelnen hier, entscheidet sich der Sinn der ganzen Schöpfung.
Amen
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen
Dienstag, 7. Oktober 2008
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