Lawrence Alma-Tadema, "The Roses of Heliogabalus"
Aus gewissen Gründen stolperte ich über den Beitrag einer mir gänzlich unbekannten „Kunst-Bloggerin“, die sich anläßlich einer Buchbesprechung u.a. der Frage widmete, warum Salonmalerei 'nicht selten am Kitsch entlang schrappe', der Schlüssel sei wohl laut rezensiertem Autor „der Verzicht auf Ironie“ oder gar von visuellem Skeptizismus. Wo ein ironisches Korrektiv fehle, sei die Gefahr nicht gering, ins Triviale abzugleiten. Doch wer wisse schon, was Kunst im absoluten Sinne sei.
Und sie endet geradezu euphorisch: „Hüten wir uns vor arroganter Urteilsbildung, wie sie einst von den Wortführern der 'authentischen' Avantgarde formuliert wurde. 'Die Rosen von Heliogabal' von Lawrence Alma-Tadema unterziehe ich ignorant keiner Kitschanalyse, sondern freue mich einfach, wann immer ich das dionysisches Traumbild sehe, auf welchem dem Genuss gehuldigt wird.“
Nun, im Originalbeitrag ist nicht nur die Orthographie mitunter etwas wacklig. Aber ich fand den Beitrag amüsant als Beleg für die These, daß man Kunst eben nicht nur „einfach so“ genießen kann, wie viele inzwischen behaupten, bar jeder, wie bruchstückhaft auch immer, Bildung und näheren Kenntnis, zumindest, solange es etwas mit dem Eigentlichen des Kunstwerk zu tun haben soll, und schon gar nicht bei einem anspruchsvollen Stück britischer „Salonkunst“ des 19. Jahrhunderts.
Das dionysische Traum- und Genußbild erzählt unter der tatsächlich berückenden Oberfläche nämlich folgende ganz andere Geschichte, aus zugegebenermaßen recht zweifelhafter Quelle: Heliogabalus, oder besser Elagabal habe bei einem seiner orgiastischen Bankette derart viele Blütenblätter auf seine Gäste herabregnen lassen, daß Dutzende daran erstickten.
Um kurz zu erinnern, wer dieser Elagabal war, zitieren wir einfach die Propyläen – Weltgeschichte (hrsg. von Walter Goetz, 2. Bd., Berlin 1931, S. 421f.):
„Ein Großneffe der Gemahlin des Septimus Severus und angeblich natürlicher Sohn Caracallas, der vierzehnjährige Erbpriester des Sonnengottes Elagabal, wurde von den syrischen Truppen als Aurelius Antoninus zum Kaiser ausgerufen und fand rasch Anerkennung...
Der neue Kaiser hat den angestammten Kult des Schutzgottes seiner syrischen Heimat Emesa nach Rom verpflanzt und sich selbst auch auf dem römischen Kaiserthron als Hohepriester des Sonnengottes Elagabal gefühlt und bezeichnet; daraus erklärt sich der dem Kaiser beigelegte Name Elagabal oder, in volksetymologisch entstellter Form, Heliogabal.
Der junge Elagabal überließ die Regierung seiner ehrgeizigen Großmutter Julia Maesa... Seinen Götzen, den Baal von Emesa, zum Hauptgott des römischen Reiches zu machen, war das Bestreben des in tiefster orientalischer Verkommenheit versunkenen, aber auch von wildem Fanatismus verzehrten Syrers, der keinerlei Rücksicht auf die römische Würde nahm. Die widerwärtigsten Riten des orgiastischen syrischen Kultes suchte der kaiserliche Wüstling in ihrer durch keine Anpassung an westliches Empfinden gemilderten Scheußlichkeit am Tiber heimisch zu machen. Das anstößige Treiben des Elagabal ging selbst der von ihm verhätschelten Soldateska zu weit. Um die Dynastie zu retten, veranlaßte Julia Maesa den Enkel zur Adoption seines nur wenig jüngeren Vetters, des Sohnes der Mamaea, der als Aurelius Alexander zum Cäsar und Mitregenten erhoben wurde. Als Elagabal sich des ihm aufgedrängten Mitregenten zu entledigen trachtete, ergriffen die Soldaten die Partei des Bedrohten und erschlugen den geschminkten, nach Weiberart aufgeputzten kaiserlichen Sonnenpriester. Seine Leiche wurde durch die Straßen Roms geschleift und zuletzt in den Tiber geworfen (März 222).“
Elagabal, Kapitolinische Museen, Rom
Haben wir nun eine schöne Illusion zerstört? Interessanter wäre doch zu fragen, warum Alma-Tadema uns in diese abgründige Idylle führt. Ironiefreiheit dürfte hier jedenfalls kaum vorliegen, womit der Kitschverdacht nach obiger Argumentation ja hinfällig wäre. Aber derartige Definitionsversuche sind sowieso ganz vertrackt (ich hatte es auch einmal versucht, und aufgegeben).
Elagabal nannte man ihn erst später nach seinem syrischen Gott oder auch Sardanapulus oder Tiberinus (weil man seine Leiche in den Tiber warf, wie Cassius Dio sarkastisch erwähnt). Denn unter der wahrlich an seltsamen Exemplaren nicht armen Reihe von Kaisergestalten nimmt dieses halbe Kind schon einen beachtlichen Rang ein, allerdings in der Abteilung der Verirrten, Maßlosen und Abgründigen. Ja, er hat tatsächliche und vermutete Gegner umbringen lassen und womöglich dies mitunter selbst bewerkstelligt. Aber er war wohl nicht von exzessiver Grausamkeit dabei (für die damalige Gewohnheit).
Was die Römer aufbrachte, war sein Bestreben, seinen syrischen Gott, als dessen Werkzeug er sich sah, dem römischen Volk als obersten Gott aufzunötigen, mit allem, was dazugehörte. Und nun steigen wir doch ein wenig in die Gruselgeschichten hinab (oder, wie man gelegentlich versucht ist zu fragen: Wo bleiben die betroffen machenden Bilder?). Um also noch einmal Cassius Dio, einen Gegner und Zeitgenossen zu zitieren:
„Ich übergehe die barbarischen Gesänge, die Sardanapalus zusammen mit seiner Mutter und Großmutter dem Elagabal zu Ehren sang, erst recht die geheimen Opfer von Knaben, die er ihm unter Zauberformeln dahinschlachtete. Ja sogar einen Löwen und einen Affen und eine Schlange sperrte er lebendig in seinen Tempel, denen er männliche Glieder zuwarf; und noch anderen gottlosen Unfug beging er, umhängt mit unzähligen Amuletten.“
Diese Berichte wurden in Zweifel gezogen, der nachfolgende eher nicht, wieder Cassius Dio:
„Endlich wählte er sich ... einen Gemahl, ließ sich Frau, Gebieterin, Augusta heißen... Der Gemahl der neuen Augusta war Hierocles, ein karischer Sklave, früher ein Liebling des Gordius, von dem er auch das Wagenlenken erlernte.“
Cassius Dio berichtet weiter von dessen auffallendem Bedürfnis, als „Ehebrecherin“ ertappt zu werden, wobei er darauf bestanden hätte, von seinem blondgelockten „Gatten“ wüst beschimpft und gezüchtigt zu werden, weshalb er oft ein blaues Auge hatte. Unser Gewährsmann, dem heutzutage ausschließlich verfälschende Parteilichkeit vorgehalten wird, schreibt überraschenderweise weiter: „Jenen aber liebte er nicht nur mit oberflächlichem Ungestüm, sondern ernstlich“. Und bringt später die rührende Notiz, daß bei der vorletzten, fast erfolgreichen Palastrevolte er unter Tränen vor der Soldateska kläglich gebettelt hätte: „Nur den einen laßt mir am Leben, was ihr auch von ihm denken möget, oder tötet lieber mich!“
Doch bevor uns die Rührung darüber wegtragen sollte, wie auch in einem höchst wirren Kopf aufrichtige Gefühle wachsen können, noch ein wenig „Stoff“ für ersteres:
Nachts zog er, mit einer Perücke verkleidet, durch gewisse Etablissements „und versah, was die Wirtinnen in solchen Häusern zu tun pflegten, mehr noch: „er kam in berüchtigte Lusthäuser, jagte die Dirnen heraus und trieb dort mit seinen Lustknaben sein Unwesen“. Schließlich wollte er ganz das Geschlecht wechseln, Ärzte sollten ihn „durch anatomische Kunst zum weiblichen Genuß der Liebe empfänglich machen“ (mit einem Schnitt in den Unterleib wollte er sich eine Vagina verschaffen, ein Versuch, der offenkundig unterblieb).
Dabei heiratete er viele Frauen “und hielt noch viel mehr ohne gesetzlichen Titel in seinem Harem, nicht als ob er ihrer bedurft hätte, sondern um… ihre Kunstgriffe nachzuahmen“.
Was damals den gewöhnlichsten Römer zur Weißglut brachte, bringt ihm in heutigen Tagen eher Sympathien. Ein, dazu gut aussehender, junger Mann, der sich über sein Geschlecht im Unklaren ist, öffentlich nicht nur als Transvestit auftritt, sondern auch sonst keine Gelegenheit verstreichen läßt, seine sexuelle Selbstfindung voranzutreiben, dabei viel herumtanzt. Die Medien wären begeistert.
Und so gibt es bei „modernen“ Historikern auch erwartbare Versuche, das Bild dieses verstörten jungen Mannes (der das alles schließlich auch mit seinem Leben bezahlte) „objektiver“ zu zeichnen. Die Historiker, die ihn tendenziös beschrieben, gehörten alle einer feindlichen Senatspartei an etc. Oder etwas wie dies (gefunden im entsprechenden Wikipedia-Artikel):
„Die Promiskuität und Prostitution, die dem Kaiser Elagabal als persönliche Gewohnheit vorgeworfen wurde, ist als Bestandteil religiöser Riten zu deuten, die nicht zum Kult des Gottes Elagabal, sondern zu dem der Dea Caelestis gehörten. Religiöse Prostitution war in orientalischen religiösen Traditionen im Rahmen des Fruchtbarkeitskults verbreitet.“
Aha. Das klingt doch sehr nach, ich male mir die Welt, wie sie mir gefällt. Zu den Historikern, abgesehen vom Zeitgeist, ist schon zu sagen, daß es da natürlich auch Moden gibt und das Bedürfnis, die eigenen Bücher zu verkaufen. Dabei hilft es nicht unbedingt, das Überkommene wiederzukäuen. Da erklärt man gern einmal alle Quellen für zweifelhaft, um ja, was eigentlich zu tun? Die eigenen Spekulationen an deren Stelle zu setzen, genauer gesagt, das eigene Ego? Wie auch immer.
Ihr Götter! Eigentlich wollte ich nur etwas zu Lawrence Alma-Tadema anmerken, der am 8. Januar 1836 geboren wurde (und ich habe hier wirklich freundlich über ihn geschrieben).
Übrigens. Wie kann man Jeff Koons zum Künstler emporheben und Alma-Tadema als „Kitsch“ abtun. Das funktioniert schlicht nicht mehr. Aber es wäre ein neues Schlachtfeld, für das wir wirklich zu müde sind. Dieser interessante Artikel mäandert sehr an dieser Frage entlang und, durchsetzt von Logikbrüchen, zieht er sich zum Schluß am eigenen Schopf aus dem Sumpf, wie weiland der bekannte Freiherr. Übrigens ist nach meiner unbedeutenden Meinung Alma-Tadema kein Kitsch, aber er regt doch sogar einen derart alternden Kopf wie meinen sehr zum Nachdenken an, über die Zeit, das Verblassen von Maßstäben, die Verwirrung der Gemüter, solches Zeug halt.
Lawrence Alma-Tadema - "Geta and Caracalla"
endlich beendet am 16. Januar
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