Sonntag, 22. November 2020

Ein kleiner Wegweiser für die Ewigkeit

Pompeo Batoni, Herkules am Scheideweg, 1748, hier gefunden

Nicht durch die Ewigkeit, das wäre Anmaßung, zumal nach dem, was wir von ihr wissen können, sie nicht eigentlich räumlichen Charakters ist, eine Wegbeschreibung solcher Art zudem folglich ohne Sinn.

Was wir aber finden, sind gewissermaßen Weg-Kreuzungen, an denen eine besondere Richtung besagtem Ziel näher kommen dürfte. Die Alten kannten das Bild von Herkules am Scheideweg. Herr Moritz berichtet davon in seiner Götterlehre wie folgt:

„Da nun Herkules unter dieſen Beſchaͤftigungen zu den Juͤnglingsjahren gekommen war, begab er ſich einſt, uͤber ſein kuͤnftiges Schickſal nachdenkend in die Einſamkeit, und ſetzte ſich in Betrachtungen vertieft auf einem Scheidewege nieder. 

Hier war es, wo die Wolluſt und die Tugend ihm erſchienen, wovon die erſtre ihm jeglichen Genuß einer frohen ſorgenfreien Jugend anbot, wenn er ihr folgen wollte, die letztre ihm zwar muͤhevolle Tage verkuͤndigte, aber in der Zukunft Ruhm und Unſterblichkeit verhieß, wenn er ſie zur Fuͤhrerin waͤhlte.

Die Tugend ſiegte in dieſem Wettſtreit; der Juͤngling folgte ihr mit ſicherm Schritte, feſt entſchloſſen, jedes Schickſal, das ihm bevorſtehe, mit Muth und Standhaftigkeit zu tragen, ſich keiner Laſt zu weigern, und keine Arbeit, ſey ſie noch ſo ſchwer, zu ſcheuen.“

Karl Philipp Moritz, Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791

Albrecht Dürer, Herkules am Scheideweg, vor 1500, hier gefunden

Auch unser Dürer hat sich an dem Thema versucht, wobei seine Auffassung desselben zuerst irritiert, als wolle sein Herkules die Wollust vor der wütigen Tugend in Schutz nehmen, aber der genauere Blick beruhigt wieder. Immerhin war der Stich so beliebt, daß man Türen danach geschnitzt hat. Dennoch hat die Szene etwas Mehrdeutiges.

Wartburg (Eisenach), sog. "Dürerschrank" (1510/20) - Relief mit Herkules am Scheidewege nach einem Kupferstich von Albrecht Dürer, hier gefunden

Die Dichtungen, die unsere wenigen Gedanken begleiten, sollen auch nicht sozusagen als emblematische Wegzeichen herhalten, zumeist würden sich die Herren Autoren entschieden dagegen verwahren, wenn sie es denn noch könnten (sie haben sämtlich selbst ihren Wohnsitz in der Ewigkeit genommen), aber sie deuten auf Orte, an denen Entscheidungen unvermeidlich werden.

Auch ist dies keine Anleitung zu geistigem Probeliegen was das (nachgetragene) Datum fälschlich vermuten lassen könnte. Die Ewigkeit ist etwas, das weit über den Tod hinausgeht.

1. Die Sehnsucht nach dem Seienden

Johann Sebastian Bach: Wer weiß, wie nahe mir mein Ende?, BWV 27, unter der Leitung von Karl Richter; der Schlußchoral setzt bei 15.42 ein, hier gefunden; der vollständige Text  findet sich dort.


Welt, ade! ich bin dein müde,

Ich will nach dem Himmel zu,

Da wird sein der rechte Friede

Und die ewge, stolze Ruh.

Welt, bei dir ist Krieg und Streit,

Nichts denn lauter Eitelkeit,

In dem Himmel allezeit

Friede, Freud und Seligkeit.


Jacques Réattu (1760–1833), Jakobs Traum, hier gefunden


Friedrich Hölderlin


Die Linien des Lebens sind verschieden

Wie Wege sind, und wie der Berge Gränzen.

Was hier wir sind, kann dort ein Gott ergänzen

mit Harmonien und ewigem Lohn und Frieden.


Seit 1807 lebte Hölderlin bei dem Schreinermeister Ernst Zimmer in Tübingen. Der hatte seinen Hyperion gelesen, ihn im dortigen Nervenklinikum besucht und war besorgt, daß „ein so schönner Herrlicher Geist zu Grunde gehen soll“. Er und seine Tochter haben ihn dann über Jahrzehnte zur Pflege bei sich aufgenommen. Am 19. April 1812 schrieb er an Hölderlins Mutter:

"...so sah Er bey mir eine Zeichnung von einem Tempel Er sagte mir ich solte einen von Holz machen, ich versetzte darauf daß ich um Brod arbeiten müßte, ich sey nicht so glücklich so in Philosofischer ruhe zu leben wie Er, gleich versetzte Er, Ach ich bin doch ein armer mensch, und in der nehmlichen Minute schrieb er mir folgenden Vers mit Bleistift auf ein Brett."

Es ist der obige. Eine Szene wie aus einem Singspiel. Zimmer schildert die Situation, darauf antwortet Hölderlin mit seinem Vierzeiler. Man glaubt, eine Art unkomponierte Arie zu hören, in der er sein Schicksal zusammenfaßt.

Der unvollständige Akkord dieses Lebens wird dort aufgehoben, vollendet und aufgelöst. Dieses Leben ist Ahnung und Erinnerung einer Harmonie, deren Unvollständigkeit gespürt ist, aber nicht als ein Entgegen-Stehendes, Abweisendes mißverstanden wird, sondern als ein abgebrochener Anfang. 

Das Wirkmächtige der Erfahrung. Das Wirkliche verweist auf etwas jenseits des Zeitlichen, Ausgesetzten. Als Seiendes, das in unsere fragmentarische Existenz einbricht, aber dessen Wahrheit und Andauern ohne Zweifel bleibt.

Die Sehnsucht des Fragments nach Vollständigkeit? Auch, aber im Ungenügen flackert die Ahnung des Genügens auf. Das Vollständige im Unvollständigen. Das Fragmentarische nicht als Scheitern oder Verfall, sondern als Anfang eines unendlichen Abenteuers.

Die Frage, die sich ihres Sinns und Grunds bewußt wird. Und nicht zuletzt eine Trauer, die nicht dem Auslöschen verfallen will, sondern widerstehen, den Ort suchend, an dem die Fülle des Verbunden-Seins aufgehoben bleibt.

Nur die klassische Jenseitshoffnung?

begonnen am Ewigkeits-Sonntag und nachgetragen am 3. Dezember – Teil 1 / 4

Freitag, 20. November 2020

Fenster-Blicke

 


Sie war ein Blümlein hübsch und fein, 

Hell aufgeblüht im Sonnenschein.

Er war ein junger Schmetterling,

Der selig an der Blume hing.


Oft kam ein Bienlein mit Gebrumm

Und nascht' und säuselt' da herum.

Oft kroch ein Käfer kribbelkrab

Am hübschen Blümlein auf und ab.


Ach Gott, wie das dem Schmetterling

So schmerzlich durch die Seele ging.


Doch was am meisten ihn entsetzt,

Das Allerschlimmste kam zuletzt.

Ein alter Esel fraß die ganze

Von ihm so heiß geliebte Pflanze.

Wilhelm Busch





Er klagt, daß der Frühling so kortz blüht

Kleine Bluhmen wie aus Glaß
seh ich gar zu gerne,
durch das tunckel-grüne Graß
kukken sie wie Sterne.

Gelb und rosa, roht und blau,
schön sind auch die weißen;
Trittmadam und Himmelstau,
wie sie alle heißen.

Kom und gib mir mitten-drin
Küßgens ohnbemessen.
Morgen sind sie lengst dahin
und wir sälbst - vergessen!

Arno Holz 





Auch die eigenen Dinge wandern

ich will nicht sagen ins Nichts

doch sie waren schon früher bei andern

und im Leuchten ferneren Lichts -

Gottfried Benn

Sonntag, 15. November 2020

Etwas Bach zum Ende des Kirchenjahres

hier gefunden

Johann Sebastian Bach - "Wohl dem, der sich auf seinen Gott", Kantate für den 23. Sonntag nach Trinitatis von 1724, BWV 139


1. Coro

Wohl dem, der sich auf seinen Gott

Recht kindlich kann verlassen!

Den mag gleich Sünde, Welt und Tod

Und alle Teufel hassen,

So bleibt er dennoch wohlvergnügt,

Wenn er nur Gott zum Freunde kriegt.

   

2. Aria (Tenor)

Gott ist mein Freund; was hilft das Toben,

So wider mich ein Feind erhoben!

Ich bin getrost bei Neid und Haß.

Ja, redet nur die Wahrheit spärlich,

Seid immer falsch, was tut mir das?

Ihr Spötter seid mir ungefährlich.

   

3. Recitativo (Alt)

Der Heiland sendet ja die Seinen

Recht mitten in der Wölfe Wut.

Um ihn hat sich der Bösen Rotte

Zum Schaden und zum Spotte

Mit List gestellt;

Doch da sein Mund so weisen Ausspruch tut,

So schützt er mich auch vor der Welt.

   

4. Aria (Baß)

Das Unglück schlägt auf allen Seiten

Um mich ein zentnerschweres Band.

Doch plötzlich erscheinet die helfende Hand.

Mir scheint des Trostes Licht von weiten;

Da lern ich erst, daß Gott allein

Der Menschen bester Freund muß sein.

   

5. Recitativo (Sopran)

Ja, trag ich gleich den größten Feind in mir,

Die schwere Last der Sünden,

Mein Heiland läßt mich Ruhe finden.

Ich gebe Gott, was Gottes ist,

Das Innerste der Seelen.

Will er sie nun erwählen,

So weicht der Sünden Schuld, so fällt des Satans List.

   

6. Choral

Dahero Trotz der Höllen Heer!

Trotz auch des Todes Rachen!

Trotz aller Welt! Mich kann nicht mehr

Ihr Pochen traurig machen!

Gott ist mein Schutz, mein Hilf und Rat;

Wohl dem, der Gott zum Freunde hat!

Eines der kleinen Wunderwerke, die Bach zum heutigen Sonntag des Kirchenjahres schrieb (er tat dies für einen jeden desselbigen). Es ist kein herausragender Sonntag, wir sind kurz vor dem Ende des Kirchenjahres, es folgen noch der Buß- und Bettag sowie der Ewigkeitssonntag, und dann stehen wir auch schon im Advent.

Da ich in allem Wesentlichen ja nie über den Zustand eines Liebhabers hinausgelangt bin, will ich auf diesen Vortrag verweisen, der einen Einblick gibt, wie die unterschiedlichen Charaktere von Stimmen und Stimmungen, unablösbar verbunden mit dem Text, neben und miteinander zu einem Ganzen zusammenwirken.

Dazu kommt wie immer dann noch die Interpretation. Nachfolgend bei Karl Richter singt Peter Schreier die Tenorstimme (4.51) und den Baß-Part übernimmt Dietrich Fischer-Dieskau. Schreier brilliert mit seinem gewohnt klaren, rhetorischen Gestus, während Fischer-Dieskau (12.19), nun ja, sich teilweise mehr lyrisch-stimmungshaft gibt.

Und hier vergleiche man einmal den Baß aus der Aufführung von John Elliot Gardiner von oben (ab 11.10), vielleicht nicht ganz so farbenreich wie Fischer-Dieskau, dafür aber dynamisch-lebendig und ähnlich rhetorisch nahe auf seine Art wie Schreier.

Das ist ja eben das Beeindruckende an großer Musik. Wenn sich Interpreten von Rang daran abmühen, denkt man mitunter, völlig unterschiedliche Stücke vor sich zu haben.


hier gefunden