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Freitag, 5. November 2021

Zwischendurch - Barock

Christian Hofmann von Hofmannswaldau

Die Welt


WAs ist die Lust der Welt? nichts als ein Fastnachtsspiel /

So lange Zeit gehofft / in kurtzer Zeit verschwindet /

Da unsre Masquen uns nicht hafften / wie man wil /

Und da der Anschlag nicht den Ausschlag recht empfindet.


Es gehet uns wie dem / der Feuerwercke macht /

Ein Augenblick verzehrt offt eines Jahres Sorgen;

Man schaut wie unser Fleiß von Kindern wird verlacht /

Der Abend tadelt offt den Mittag und den Morgen.


Wir Fluchen offt auf dis was gestern war gethan /

Und was man heute küst / mus morgen eckel heissen /

Die Reimen die ich itzt geduldig lesen kan /

Die werd ich wohl vielleicht zur Morgenzeit zerreissen.


Wir kennen uns / und dis / was unser ist / offt nicht /

Wir tretten unsern Kuß offt selbst mit steiffen Füssen /

Man merckt / wie unser Wuntsch ihm selber wiederspricht /

Und wie wir Lust und Zeit als Sclaven dienen müssen.


Was ist denn diese Lust und ihre Macht und Pracht?

Ein grosser Wunderball mit leichtem Wind erfüllet.

Wohl diesem der sich nur dem Himmel dienstbar macht /

Weil aus dem Erdenkloß nichts als Verwirrung quillet.“


Paul Fleming

An sich


Sei dennoch unverzagt, gib dennoch unverloren,

weich keinem Glücke nicht, steh' höher als der Neid,

vergnüge dich an dir und acht' es für kein Leid,

hat sich gleich wider dich Glück, Ort und Zeit verschworen.


Was dich betrübt und labt, halt Alles für erkoren,

nimm dein Verhängnis an, lass' Alles unbereut.

Tu, was getan muss sein, und eh' man dirs gebeut.

Was du noch hoffen kannst, das wird noch stets geboren.


Was klagt, was lobt man doch? Sein Unglück und sein Glücke

ist ihm ein jeder selbst. Schau alle Sachen an,

dies Alles ist in dir. Lass deinen eiteln Wahn,


und eh' du förder gehst, so geh' in dich zurücke.

Wer sein selbst Meister ist und sich beherrschen kann,

dem ist die weite Welt und Alles untertan.


nachgetragen am 22. November

Sonntag, 24. Oktober 2021

Goldener Oktober-Sonntag & zwei lyrische Gegenstimmen







Friedrich Rückert

Herbsthauch


Herz, nun so alt und noch immer nicht klug,

Hoffst du von Tagen zu Tagen,

Was dir der prangende Frühling nicht trug

Werde der Herbst dir noch tragen!


Läßt doch der spielende Wind nicht vom Strauch,

Immer zu schmeicheln, zu kosen.

Rosen entfaltet am Morgen sein Hauch,

Abends verstreut er die Rosen.


Läßt doch der spielende Wind nicht vom Strauch,

Bis er ihn völlig gelichtet.

Alles, o Herz, ist ein Wind und ein Hauch,

Was wir geliebt und gedichtet.





Heinrich Heine

XLII.


Verdroß’nen Sinn im kalten Herzen hegend,

Reis’ ich verdrießlich durch die kalte Welt,

Zu Ende geht der Herbst, ein Nebel hält

Feuchteingehüllt die abgestorbne Gegend.


Die Winde pfeifen, hin und her bewegend

Das rothe Laub, das von den Bäumen fällt,

Es seufzt der Wald, es dampft das kahle Feld,

Nun kommt das Schlimmste noch, es regen’t.

Freitag, 20. November 2020

Fenster-Blicke

 


Sie war ein Blümlein hübsch und fein, 

Hell aufgeblüht im Sonnenschein.

Er war ein junger Schmetterling,

Der selig an der Blume hing.


Oft kam ein Bienlein mit Gebrumm

Und nascht' und säuselt' da herum.

Oft kroch ein Käfer kribbelkrab

Am hübschen Blümlein auf und ab.


Ach Gott, wie das dem Schmetterling

So schmerzlich durch die Seele ging.


Doch was am meisten ihn entsetzt,

Das Allerschlimmste kam zuletzt.

Ein alter Esel fraß die ganze

Von ihm so heiß geliebte Pflanze.

Wilhelm Busch





Er klagt, daß der Frühling so kortz blüht

Kleine Bluhmen wie aus Glaß
seh ich gar zu gerne,
durch das tunckel-grüne Graß
kukken sie wie Sterne.

Gelb und rosa, roht und blau,
schön sind auch die weißen;
Trittmadam und Himmelstau,
wie sie alle heißen.

Kom und gib mir mitten-drin
Küßgens ohnbemessen.
Morgen sind sie lengst dahin
und wir sälbst - vergessen!

Arno Holz 





Auch die eigenen Dinge wandern

ich will nicht sagen ins Nichts

doch sie waren schon früher bei andern

und im Leuchten ferneren Lichts -

Gottfried Benn

Freitag, 30. Oktober 2020

Beim Vorbeigehen






Der Schönheit Dinge sind 

Nicht zum Schein erschaffen;

Wo Seele sich entsinnt

Urgrunds, wohlbeschaffen,

Da führt die Wohlgestalt

Sie heim zurück ins Sein,

Nimmt dann den Aufenthalt

In deren Mitte ein.


nachgetragen am 4. November

Dienstag, 13. Oktober 2020

Oktober


Sehnsucht will den Tag ertränken

Abend blüht aus Nebelbänken

Erdenschwere strebt empor

Hin zu einem lichten Tor.  

Unbegreiflich geh‘n dort ein

Halblicht und Karfunkelstein.




Samstag, 26. September 2020

Von Gräsern &

Alfred Sisley, Meadow (La Prairie), 1875

Eduard Stucken

Schwermut


Durch die Graswiese zieht

Well' auf Welle im Wind

und verebbt wie ein Lied,

das erjauchzend zerrinnt.


Wie ein Lied, das vergaß,

daß die Graberde schwer...

All die Blumen im Gras

sind wie Perlen im Meer.


Und ich lustwandle hier -

(bald gemäht ist das Heu!) -

und die Schwermut folgt mir

wie ein Hund getreu.

August Friedrich Overbeck, Buchweizenfelder am Weyerberg,
etwa 1897, hier gefunden

Friedrich Georg Jünger

Im Grase


Wer sich ins Gras legt,

Wer lang liegt, für den ist

Zeit und Mühn nichts.

Wer liegt, der vergißt.


Was sich um ihn bewegt,

Wenn er liegt,

Bewegt ihn sanft mit.

Er wird gewiegt.


Ihn verläßt, ihn flieht

Zahl und Zeit.

Er entrinnt, ihm verrinnt

Lust und Leid.


Weise wird er, still

Wie das Gras, das grüne Moos.

Er bettet sich tief

In der Himmlischen Schoß.


Der Wind kommt und geht.

Die Wolke zieht.

Der Falter schwebt. Der Bach

Murmelt sein Lied.


Halm und Laub

Zittern und flüstern leis.

Wasser und Wind

Gehen im Kreis.


Was kommt, geht. Was geht, kommt

In der Wiederkehr Gang.

In der Himmlischen Bahn

Wird die Welt Tanz, wird Gesang.

Franz von Lenbach, Hirtenknabe, 1860, hier gefunden


Kurze Nachbemerkung

Meine Mangelbildung enthüllend, muß ich gestehen, daß mir beide Dichter bis vor kurzem unbekannt waren. Einem Hinweis folgend, für den ich dankbar bin, hatte ich mich zuerst auf die Suche nach dem „jüngeren Jünger“ gemacht und stieß dabei zugleich auf den Herrn Stucken unter der Rubrik „Hundert notwendige Gedichte“ auf dem Blog „Le Penseur“. Dort begegnet einem vielerlei, aber hier will ich nur auf das eingehen, was die beiden obigen Dichter betrifft. 

Den Text von „Schwermut“ habe ich zwar woanders gefunden, aber der Autor, Eduard Stucken, wird dort mit seinem bekanntesten Roman „Die weißen Götter“ vorgestellt und seine Person als die eines „in den 1920er-Jahren zu Weltbekanntheit aufgestiegenen deutschen Kulturhistorikers, Ethnologen und Sprachwissenschaftlers“ etc. Jedes weitere Wort von mir wäre frisch angelesen und daher müßig. 

Hier werden seine "Fähigkeit zu virtuoser Reimtechnik und subtil berauschenden Wortkaskaden" gerühmt, die "sich mit einer Gedankentiefe" verbinde, wie sie "in der Literatur jener Zeit nur selten anzutreffen" gewesen wäre. Und in diesem Beitrag wird eines seiner beherrschenden Themen ausgemacht - das „Verhältnis von (scheinbarer) Realität und (vermeintlichem) Traum“. Lesenswert.

Und so man auch noch jenem Hinweis, zu Friedrich Georg Jünger, folgt, findet man nicht nur das obige Gedicht, sondern u.a. das Urteil „Zeitlebens ein wenig im Schatten des älteren und ‚prominenteren‘ Bruders Ernst stehend (mit dem ihn stets eine neidlose, enge Beziehung verband), hat er doch einige der schönsten Gedichte der deutschen Literatur des Zwanzigsten Jahrhunderts geschaffen.“

Albrecht Dürer, Das große Rasenstück, 1503, hier gefunden

Warum ich gerade diese beiden Texte ausgewählt habe. Nun beide haben diese zeitlose Gelöstheit, die rasch mit Leichtigkeit verwechselt werden könnte. Sicher, anderes auch. Aber wollen wirklich mit Versuchen in Tiefsinn ermüden? Jedenfalls nicht an einem so gleichmäßig verregneten Tag.

Johann Wilhelm Schirmer,  Meeresbrandung mit fernen Schiffen

beendet am 27. September

Sonntag, 5. Juli 2020

Jochen Kleppers Königsgedichte

Castel del Monte, hier gefunden

Jochen Klepper


I

Deine Augen werden den König sehen in seiner Schöne; du wirst das Land erweitert sehen, daß sich dein Herz sehr verwundern wird und sagen: Wo sind nun die Schreiber? Wo sind die Vögte? Wo sind die, so die Türme zählten?
Jesaja 33, 17f.

Herr, laß uns wieder einen König sehen,
bevor die Welt die Könige vergißt.
Denn sonst vermögen wir nicht zu verstehen,
nach welchem Maß man deine Ordnung mißt.

Noch leben Königssöhne bei den Vätern
und wissen um Versäumnis und um Schuld
der Kronenträger. Wandle du zu Tätern
des Königswerks die Söhne in Geduld.

Noch gibt es Söhne, welche Kronen sahen
als Wirklichkeit und nicht als altes Bild.
Wann läßt du dir die Söhne wieder nahen?
Wann machst du sie zum Königtum gewillt?

Die Völker haben wider dich gemeutert.
Die Fürsten flohen deines Auftrags Last.
Nun aber hat sie langes Leid geläutert,
und dein Gesetz wird wiederum erfaßt.

Der neue König wird sich nur erheben,
wenn er als Büßer dir zu Füßen lag.
Er pocht nicht mehr auf Recht - nur auf Vergeben
und ohne Fahnen dämmert ihm sein Tag.

Herr, wenn die neuen Könige wieder kommen,
wird nirgends ein Geschrei noch Drängen sein.
Nur Glocken werden läuten, und die Frommen
führen den König mit Gebeten ein.

Germania von Philipp Veit (ca. 1834)

II

Fromm und wahrhaftig sein behütet den König, und sein Thron besteht durch Frömmigkeit.
Sprüche 20.28

Bald wird sich das Jahrtausend wieder neigen,
und Gottes neue Stunde bricht herein.
Wird dann der König seinen Thron besteigen
und deine Ordnung bei den Völkern sein?

Denn wie sie jetzt auf das Jahrtausend warten,
erfüllt die Stillen in dem Land mit Angst,
weil sie zu lange auf den König harrten,
der nur das Reich sucht, das du, Herr, verlangst.

Die Völker stehen ganz erstarrt in Waffen,
und der gilt viel, der neuen Tod erdenkt.
Auch wenn die Sicheln zu den Schwertern schaffen,
bleibt dennoch nur der Untergang verhängt.

Daß sie im guten Wahne noch vernichtet,
das ist die ärgste Wirrnis dieser Welt.
Nun muß der kommen, der dein Kreuz aufrichtet
und dieses Zeichen über alles stellt.

Die Welt in Waffen ist gar sehr entkräftet,
und mancher sieht den Trug in ihrer Macht.
Vom König, der den Blick aufs Kreuz geheftet,
von keinem sonst, wird Hilfe uns gebracht.

Nur werd das Kreuz sieht, hat von fern verstanden
die Heiligkreit im irdischen Gericht.
Wenn Könige dein Golgatha nicht fanden,
so fanden sie auch ihre Throne nicht.

St. Michael, Domenico Ghirlandaio zugeschrieben

III

Viele suchen das Angesicht eines Fürsten; aber eines jeglichen Gericht kommt vom Herrn.
Sprüche 29.26

Kein König wird ein Reich des Glücks erzwingen,
und Friede wird uns nimmermehr beschert.
Niemand wird das Verlorne wiederbringen,
und dein gelobtes Land bleibt uns verwehrt.

Der König wird das Reich der Buße suchen,
ein Richter unter göttlichem Gericht.
Die Starken, Stolzen werden ihn verfluchen.
Er fürchtet nur dein leuchtendes Gesicht.

Die Krone wird ihm bittren Schmerz bereiten.
Die Dornenkrone raubt ihr allen Schein,
und der Gekrönte neigt sich dem Geweihten.
Die Throne werden wieder Gleichnis sein.

Der König sendet wieder nach Propheten;
denn aller  Menschenrat hat jäh versagt.
Was noch geschieht, ersteht nur aus Gebeten.
Dein Wort wird Maß. Dein Wille wird erfragt.

Die Völker waren frevelhaft vermessen,
bevor der König als ein Büßer kam.
Herr, wirst du es uns noch einmal vergessen,
was deinen Zorn erregte, unsre Scham?

Wo Kreuze sind, hast du dich, Gott, gebunden.
Den Fahnen und den Kränzen bist du fern.
Wo Buße ist, dort bist du schon gefunden,
und über solchem Lande steht dein Stern.

Christus thronend zwischen Engeln, Sant'Apollinare Nuovo, Ravenna

IV

Es ist Gottes Ehre, eine Sache verbergen; aber der Könige Ehre ist's, eine Sache erforschen. Der Himmel ist hoch und die Erde tief; aber der Könige Herz ist unerforschlich.
Sprüche 25.2f.

Noch niemals nanntest du uns Menschen Zeiten,
und deine Stunde blieb stets unbekannt.
Du selbst mußt uns erst völlig dir bereiten
und kühnen Augen bleibst du abgewandt.

Die Ehrfurcht sieht auf die Jahrtausendwende,
ob sie der Welt die Könige beschert.
Die Sehnsucht streckt zum Morgen schon die Hände,
als wäre deine Gabe schon gewährt.

Vergib es, daß wir immer wieder fragen.
Vergib dem, der sich schwer bescheiden kann.
Wir leben nur in Stunden und in Tagen
und drängen stets dich Ewgen mit dem „Wann?“

Wir ließen dich – und heißen gottverlassen,
und nun ergreift uns namenlose Angst;
denn jetzt beginnen wir es zu erfassen,
wie früh du schon um unsre Rückkehr rangst.

Gott, laß uns deiner Ordnung nicht entrinnen.
Bekenne dich doch noch zu unsrer Zeit.
Laß uns am späten Abend noch beginnen.
Die große Stunde ist uns noch zu weit.

Noch leben Söhne fürstlicher Geschlechter,
Die du als Ordner unter uns gesandt.
Laß uns nicht ohne Mahner, ohne Wächter;
gib Könige und Propheten allem Land.

Hagia Sophia; die Hl. Jungfrau Maria und Jesus Christus als Kind, umgeben von Johannes II. Komnenos und der Hl. Eirene von Ungarn, hier gefunden

Ein Kommentar soll folgen
nachgetragen am 9. Juli

Mittwoch, 27. Mai 2020

Zu Adolf Friedrich VI. &


Der nüchterne Teil


Aus schwer erfindlichen Gründen (es gibt keinen unmittelbaren Anlaß) meinte ich heute, dem Denkmal für Adolf Friedrich VI. einen Besuch abstatten zu müssen. Es dürfte zu den minder bekannten gehören; man unterstellt da, denke ich, nichts. Es steht gleich hinter der Brücke über den Kammerkanal, noch bevor sich die Straße in Richtung Prälank bzw. Userin teilt.


Folglich mußte ich am Restaurant "Quer Beet" in der Useriner Straße 9 vorbei (die ersten beiden Bilder) und die nächsten 4 sind schon am Kammerkanal aufgenommen. Wenn man will, kommt man zwar auch am Park-Haus vorbei, aber der Anblick mit dem vandalismus-gesicherten Erdgeschoß ist derzeit nicht unbedingt inspirierend.





Der Gedenkstein erinnert an den mutmaßlichen Freitod des letzten Großherzogs dort in der Nähe am 23. Februar 1918. Von Adolf Friedrich VI. , der, wie es so schön heißt, zu größten Hoffnungen Anlaß bot, sind uns 2 Dinge geblieben: Seine Grabsäule auf der Liebesinsel in Mirow und das Park-Haus (oder die Parkvilla) hier.

Und dann eben noch dieser Denkmalstein. Die Aufnahme ist bei nüchternstem Mittagslicht getätigt, so kann man die Tafel zwar recht genau lesen, aber das ist es dann auch. Zum Ende hin wird noch Stimmungsvolleres erscheinen, das ich im Oktober letzten Jahres aufnahm.

Aber wir wollen erst einmal nüchtern enden, obwohl ich gestehen muß, daß mich beim Ortseingangsschild eine gewisse Rührung überkam, vermutlich das Alter.


Der andere Teil


Adolf Friedrich VI. steht mit seinem Tod auch sinnbildlich für die Untergänge, die unser Volk und Land seit 1918 getroffen haben. Man geriete in den Wahnsinn, wollte man sich eine Alternativgeschichte vorstellen, wo er sich nicht erschossen, der erste Weltkrieg mit seinen entsetzlichen Folgen nicht stattgefunden hätte oder doch wenigstens in einer Weise geendigt worden wäre, der alle Beteiligten hätte ihr Gesicht wahren lassen, von dem sie doch wußten, daß sie es sämtlich verspielt hatten. In diesem Jahr lag der Anfang vieler Verhängnisse und Zerstörungen, Untergängen von Kultur und Geist, die den allermeisten gar nicht bewußt sind, die materiellen mitunter noch.

Der Schriftsteller Jochen Klepper hatte eine Vorstellung von den Verlusten und hat sie ergreifend beschrieben. Sein Leben endete ebenfalls tragisch. Am 11. Dezember 1942 ging er gemeinsam mit seiner jüdischen Frau und der jüngeren Tochter in den Freitod.

Das nachfolgende Gedicht ist das erste von 4 Königsgedichten, die er gegen den Wahn des 3. Reiches anschrieb. Sie verkörpern eine geradezu metaphysische Hoffnung auf Läuterung, Heilung und Erneuerung. Und als eine solche bleiben sie zeitlos.


Jochen Klepper

Herr, laß uns wieder einen König sehen, 
bevor die Welt die Könige vergißt. 
Denn sonst vermögen wir nicht zu verstehen, 
nach welchem Maß man deine Ordnung mißt.

Noch leben Königssöhne bei den Vätern
und wissen um Versäumnis und um Schuld
der Kronenträger. Wandle du zu Tätern
des Königswerks die Söhne in Geduld.

Noch gibt es Söhne, welche Kronen sahen
als Wirklichkeit und nicht als altes Bild.
Wann läßt du dir die Söhne wieder nahen?
Wann machst du sie zum Königtum gewillt?

Die Völker haben wider dich gemeutert.
Die Fürsten flohen deines Auftrags Last.
Nun aber hat sie langes Leid geläutert,
und dein Gesetz wird wiederum erfaßt.

Der neue König wird sich nur erheben,
wenn er als Büßer dir zu Füßen lag.
Er pocht nicht mehr auf Recht - nur auf Vergeben
und ohne Fahnen dämmert ihm sein Tag.

Herr, wenn die neuen Könige wieder kommen,
wird nirgends ein Geschrei noch Drängen sein.
Nur Glocken werden läuten, und die Frommen
führen den König mit Gebeten ein.


Montag, 16. März 2020

Von der Kunst, eine Brücke zu bauen &

Rakotzbrücke im Azaleen- und Rhododendronpark Kromlau

Johann Gaudenz Freiherr von Salis-Seewis

Lied zu singen bei einer Wasserfahrt

Wir ruhen vom Wasser gewiegt,
Im Kreise vertraulich und enge;
Durch Eintracht wie Blumengehänge
Verknüpft und in Reihen gefügt:
Uns sondert von lästiger Menge
Die Fluth, die den Nachen umschmiegt.

So gleiten, im Raume vereint,
Wir auf der Vergänglichkeit Wellen,
Wo Freunde sich innig gesellen
Zum Freunde, der redlich es meint!
Getrost, weil die dunkelsten Stellen
Ein Glanz aus der Höhe bescheint.

Ach! trüg’ uns die fährliche Flut
Des Lebens so friedlich und leise!
O drohte nie Trennung dem Kreise,
Der sorglos um Zukunft hier ruht!
O nähm’ uns am Ziele der Reise
Elysiums Busen in Hut!

Verhallen mag unser Gesang,
Wie Flöthenhauch schwinden das Leben;
Mit Jubel und Seufzern verschweben
Des Daseyns zerfließender Klang!
Der Geist wird verklärt sich erheben,
Wenn Lethe sein Fahrzeug verschlang.


Rakotzbrücke, hier gefunden

Nachrangige Nachbemerkung

Diese beiden Dinge stehen in keiner Beziehung zueinander, außer vielleicht der gleichen Stimmung, die behutsam an das Grenzenlose rührt; aber wie wollte man das fassen. Das Gedicht des Schweizer Freiherrn ist von 1782.

Und erst ab 1844 begann der Eigentümer des Gutes Kromlau (Görlitz gibt ein wenig die Richtung an), mit aus verschiedenen Steinbrüchen herangekarrten Basaltsteinen vor allem, einen Landschaftsgarten anzulegen, den wir einfach einmal sehr romantisch nennen.

Doch wir sollen kurz innehalten. Vermögende Leute verbrauchten einst ihr Vermögen, um etwas wunderbar Schönes zu erschaffen, einfach so. Ich weiß nicht warum. (In diesem Falle wüßte ich immerhin jemanden, den ich danach fragen kann. Ich will es später tun.)

Und wenn Dinge aus dem rechten Geist erschaffen werden, gelingen sie auch, wenn nicht, nicht (ich erspare uns dafür die Muster der Gegenwart). Ein Nacheigentümer vollendete dann bis 1882 die obig abgebildete sog. Rakotz- (oder Krebs- oder Teufels-) Brücke. 1952 stürzte die dortige Grotte ein (wie bald anderswo anderes auch), die aber inzwischen wiederhergestellt sein dürfte. Heute nennt sich das Ganze Azaleen- und Rhododendronpark Kromlau und ist offenbar beliebt.

Und dabei ist das Ding (ich spreche von See und Brücke) nicht einmal groß. Aber wenn Größe recht gefaßt ist, stellt sie sich von allein ein und zeigt uns, welche Wunder Landschaftsarchitektur hervorbringen kann. Keine Natur also, sondern alles künstlich? Künstlich wie jeder Garten und die meisten unserer Wälder, durch menschliche Überlegung angelegt.

Es ist fast übermenschlich, sich gegen den Zeitgeist zu stemmen und hat auch seine Gefahren (man mag etwa zur Wunderlichkeit entarten, von anderem zu schweigen). Aber manchmal sind die Dinge eben einfach grundsätzlich falsch und die Dinge des Mißlingens liegen überall im Weg herum. Und es braucht viel Volksaufklärung, sie in der Wahrnehmung vieler unsichtbar zu machen.

Doch wir schweifen bereits zu sehr ab. Also genug davon.

nachgetragen am 19. März

Donnerstag, 16. Januar 2020

Pansmusik

Arnold Böcklin, "Pan im Schilf",  1856/57

Oskar Loerke

PANSMUSIK

Ein Floß schwimmt aus dem fernen Himmelsrande,
Drauf tönt es dünn und blaß.
Wie eine alte süße Sarabande.
Das Auge wird mir naß.

Es ist, wie wenn den weiten Horizonten
Die Seele übergeht,
Der Himmel auf den Ebnen, den besonnten,
Aufhorcht wie ein Prophet

Und eine arme Weise in die Ohren
Der höhern Himmel spricht:
Das Spielen wankt, im Spielen unverloren,
Das Licht wankt durch das Licht.

Heut fährt der Gott der Welt auf einem Floße,
Er sitzt auf Schilf und Rohr,
Und spielt die sanfte, abendliche, große,
Und spielt die Welt sich vor.

Er spielt das große Licht der Welt zur Neige,
Tief aus sich her den Strom
Durch Ebnen mit der Schwermut langer Steige
Und Ewigkeitsarom.

Er baut die Ebenen und ihre Städte
Mit weichen Mundes Ton
Und alles Werden bis in dieses späte
Verspieltsein und Verlohn:

Doch alles wie zu stillendem Genusse
Den Augen bloß, dem Ohr.
So fährt er selig auf dem großen Flusse
Und spielt die Welt sich vor.

So fährt sein Licht und ist bald bei den größern,
Orion, Schwan und Bär:
Sie alle scheinen Flöße schon mit Flößern
Der Welt ins leere Meer.

Bald wird die Grundharmonika verhallen,
Die Seele schläft mir ein,
Bald wird der Wind aus seiner Höhe fallen,
Die Tiefe nicht mehr sein.


Dante Gabriel Rossetti, The Day Dream


Unter- und hinhaltende Nach-Worte


Mitunter erscheinen ein Gedicht und ein Gemälde wie für einander geschaffen, und man weiß nicht, was zuerst da war, obwohl man es natürlich weiß, technisch gesehen. „Pansmusik“ von Oskar Loerke ist das erste und namensgebende Gedicht seines 2. Gedichtbandes von 1916.  Der "Pan im Schilf"von Arnold Böcklin ist etwa von 1856.

Wirkliche Dichtung auf Eindeutigkeit hin festlegen zu wollen, ist so vergeblich, wie Träume sachlich nacherzählen zu suchen. Es bleibt bestenfalls eine schlechte Karikatur übrig. Der Gott, auf einem Floß vorgestellt, das hinter dem Horizont verschwindet, eine Wort-Kaskade über Vergehn, Vergänglichkeit, Ewigkeit, vielleicht.

Und das bei dem Hirtengott Pan, ausgerechnet. Er war seit der Antike, aus der er herstammt, beliebt für Darstellungen wie nachfolgend (Begebenheiten, die wir nur noch von derlei Artefakten kannten, die edleren Seelen mögen die Augen wenigstens zum darauf folgenden Bild retten):

Villa dei Papiri, Herculaneum

Bis zur vorletzten Jahrhundertwende waren mythologische Verweise in der Kunst recht beliebt. Schlichtere „Experten“ wollen uns das damit erklären, daß man damals eine Staffage für das Zudringliche brauchte. Nun dieser Grund ist ja mittlerweile hinreichend weggefallen. Wurde dadurch irgend etwas besser? Außerdem stimmt es so platt auch nicht.

Kunst vergangener Jahrhunderte wirkte in einem Gewebe aus Bedeutungen, Anspielungen, Ebenen, Überlieferungen, Forterzählungen. Der Gott Pan mag für die animalische Seite der Menschheit stehen, bei Böcklin vermag seine Gestalt mit dem obigen Gedicht zu verschmelzen. So wie bei diesem Gemälde das Menschliche unverkennbar über seine Ursprünge hinaustritt.

Adolphe Alexandre Lesrel, Pan und Venus

Doch auch bei Böcklin taucht der Gott Pan mitunter derart auf, daß es nicht wundert, wie seine Attribute von den frühen Christen zur Charakterisierung des Leibhaftigen benutzt werden konnten (wie die geflügelten Amoretten das Vorbild für kindsgestaltige Engel abgaben, wir kommen noch darauf zurück). Dabei spielt er hier nur die Syrinx und es ist gar nicht der Gott selbst, sondern gewissermaßen die Verwandtschaft.

Arnold Böcklin,  Faun, die Syrinx blasend
ca. 1875, hier gefunden

Von der Syrinx weiß Karl Philipp Moritz (Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791) folgendes zu berichten:

Der ſiebenroͤhrigen Floͤte ſchreibt die Dichtung folgenden Urſprung zu: als Pan die Nymphe Syrinx, von Lieb’ entbrannt, verfolgte, und dieſe bis an den Fluß Ladon vor ihm flohe, wo ihr Lauf gehemmt war, ward ſie ploͤtzlich in ein Schilfrohr verwandelt, welches Pan umarmte. —

Der Wind, der in das Rohr blies, brachte klagende Toͤne hervor; und Pan ſuchte dieſe Toͤne wieder zu erwecken, indem er ſieben Rohre, das folgende immer um ein beſtimmtes Maaß kuͤrzer als das vorhergehende, zuſammenfuͤgte, und ſo die Hirtenfloͤte erfand, welche nach dem Nahmen der verwandelten Nymphe Syrinx hieß.

Peter Paul Rubens, Pan und Syrinx
ca. 1636, hier gefunden

Schule von Fontainebleau, Pan schneidet das Schilf, in welches die Nymphe Syrinx entsprungen ist, Mitte 16. Jh., hier gefunden

Herr Moritz weiß wirklich, einen unerfreulichen Vorgang galant zu beschreiben, zumal man das Ganze auch so lesen könnte, daß der Gott also die verwandelte Nymphe in sieben Stücke brach, um darauf spielen zu können. Er ist schon reichlich ambivalent, der Mythos. Aber das wußte auch Herr Moritz (um ihn noch einmal zu zitieren):

Man dachte ſich unter dem Pan ein Weſen, halb wohlthaͤtig und halb furchtbar; — und eben weil dieſer Begriff ſo ſchwankend war, ſchuf ſich die Einbildungskraft unter demſelben allerlei Schreckbilder. — Irgend ein Getoͤſe oder furchtbare Stimmen, die man in naͤchtlicher Stille, oder vom einſamen Ufer her zu vernehmen glaubte, ſchrieb man dem Pan zu; — weswegen man nachher auch ein jedes Entſetzen, wovon man ſelbſt die Urſache nicht wußte, oder wovon der Grund bloß in der Einbildung lag, ein paniſches Schrecken nannte.

Die Hirten, welche vorzuͤglich den Pan verehrten, fuͤrchteten dennoch ſeinen Anblick; ſie flehten ihn aber um den Schutz ihrer Heerden an, und brachten ihm haͤufig Opfer dar. — Denn an dieſe Gottheit, welche ſelber wie ſie die Hirtenfloͤte blies, und den krummen Schaͤferſtab in der Hand trug, durften die Hirten und die Bewohner der Fluren ſich am naͤchſten anſchließen, und theilnehmende Vorſorge und Beiſtand von ihr erwarten.

Rätselhaft ist er, dieser Gott Pan. Um zum letzten Mal Herrn Moritz zu zu Wort kommen zu lassen:

Andre Sagen laſſen ihn unter den aͤlteſten Gottheiten ſchon mit auftreten, wo er auf eine geheimnißvolle Weiſe, das Ganze, und die Natur der Dinge bezeichnet. — Auch den gekruͤmmten Hirtenſtab ließ man nicht ohne Bedeutung ſeyn, ſondern auf die Wiederkehr der Jahreszeiten, und den Kreislauf der Dinge durch ſeine Geſtalt hinweiſen. 

Dabei enthält uns Herr Moritz sogar die Sensation vor, daß er der einzige antike Gott ist, von dem wir Nachrichten haben, er sei tatsächlich (und nicht nur im Ritus) gestorben (z. Z. des  Kaisers Tiberius). Vor einigen Jahren habe ich ausführlicher davon berichtet, und wo ich mich eben selbst bringe und sowieso zurück zum Gemälde will:

Ich hatte bei der Gelegenheit auch erwähnt, daß Unwohlwollende gegen dasselbe einwenden könnten, dies sei alles eine einzige braun - grüne Sauce. Und damit irren würden. Das Beeindruckende, Lebendige eines Gemäldes enträtseln zu wollen, erscheint mir aber sinnlos.

Genauso, wie es unvorhersehbar ist, wie Bilder auf jemanden wirken. Nehmen wir etwa von Arnold Böcklin „Der Einsiedler“ von 1884.


Um es höflich zu sagen, seine Engel (sprich Amoretten) sind eher unverdaulich (auf einem Ausschneidebogen für Damen, um damit Kuverts zu behübschen, ließ man sie sich ja gern gefallen). Und dabei gibt es solch wundervolle Vorbilder:

Eros und Pan, hier gefunden

Und es ist nicht etwa so, daß Meister Böcklin nur bei heidnischen Themen den Pinsel so lebendig zu gebrauchen wußte. Ganz ohne Worte dafür ein Beispiel:

Arnold Böcklin, Kreuzabnahme, 1876

Doch ausgerechnet von dem geigenden Einsiedler ließ sich Max Reger für den 1. Teil seiner Vier Tondichtungen nach A. Böcklin von 1913 inspirieren. Ein recht meditatives Stück. Eine Gesamtaufnahme mag man dort anhören, nachfolgend nur besagtes Stück (noch soviel, die Musik beginnt mit der 31. Sekunde, und vorher darf man noch einiges charmant falsch Geschriebenes bestaunen):



Ich las, die Sache würde an „The Lark Ascending“ von Ralph Vaughan Williams erinnern, der wäre dann ein Jahr später. Vielleicht lag‘s ja in der Luft. Den bringen wir also auch noch, mit dem Herrn dort unten. Und der ganze Aufwand galt letztlich sowieso nur dem von mir hochgeschätzten Arnold Böcklin, der am 16. Januar 1901 in San Domenico bei Fiesole, Florenz verstorben ist.


Nigel Kennedy: The Lark Ascending (Vaughan Williams)

nachgetragen am 26. Januar