Rainer Maria Rilke
Sonett an Orpheus,
Zweiter Teil, XIII
Sei allem Abschied voran, als wäre er hinter
dir, wie der Winter, der eben geht.
Denn unter Wintern ist einer so endlos Winter,
dass, überwinternd, dein Herz überhaupt übersteht.
Sei immer tot in Eurydike -, singender steige,
preisender steige zurück in den reinen Bezug.
Hier, unter Schwindenden, sei, im Reiche der Neige,
sei ein klingendes Glas, das sich im Klang schon zerschlug.
Sei - und wisse zugleich des Nicht-Seins Bedingung,
den unendlichen Grund deiner innigen Schwingung,
dass du sie völlig vollziehst dieses einzige Mal.
Zu dem gebrauchten sowohl, wie zum dumpfen und stummen
Vorrat der vollen Natur, den unsäglichen Summen,
zähle dich jubelnd hinzu und vernichte die Zahl.
Sonnet to Orpheus,
Second Part, XIII
Be ahead of all leaving, as if you already
had left, much like the winter now leaving for sure.
For, among winters, there's one so winterly steady
that, having braved it, your heart will forever endure.
Be always dead in Eurydice - full of elation,
fuller of singing return to pure reference ground.
Here, midst the fading, be, in the world of cessation,
be the chalice of song that cracks in the sound.
Be, and concurrently know the terms of non-being,
know the basis supreme of your innermost seeing:
that you realize it fully, if only this time.
To the used-up, and to numbers that, torpid and dumb,
Nature still holds in reserve - to that infinite sum
add in rapture yourself and extinguish the prime.
Übersetzung / Translation von / by Walter A. Aue
Da Rainer Maria Rilke am 4. Dezember 1875 geboren wurde, konnte ich nicht umhin, mit einer der verdienstvollen Übertragungen Professor Aues an ihn zu erinnern, so daß meine geschätzten englischsprachigen Leser auch endlich wieder einmal etwas Erfreuliches zu lesen haben. Und um den Mißbrauch fremder geistiger Güter vollständig zu machen, habe ich eingangs auch noch eines seiner Photos benutzt - "Three Horizons".
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