Sonntag, 28. Februar 2016

Sonntag &


Nur eine kleine Vorbemerkung, warum Beiträge hier mitunter nicht stattfinden: König Manfred, ein Sohn unseres Kaisers Friedrich II. fiel am 26. Februar 1266, er hat zuvor u.a. noch eine Stadt gegründet. Die Bürger von Manfredonia erinnerten sich seiner und haben ihm vergangenes Jahr eine beeindruckende Reiterstatue errichtet.

Darauf wollte ich eigentlich nur hinweisen, aber wie es so ist, man will ein wenig gründlicher sein, vertieft sich wieder in seine Bücher und spürt irgendwann erneut die blanke Galle hochkochen. Das Papsttum dieser Jahrhunderte ist einfach eine zu unerfreuliche Erscheinung. Vielleicht schreibe ich doch noch über ihn, denn selbst Dante gedenkt seiner schließlich sehr schön und versetzt ihn ins Fegefeuer, während die Päpste seines Verderbens in der Hölle schmoren. Doch genug davon, für jetzt.


Zum Essen. Frau W. hatte die grandiose Idee, daß ich ihr diesen Sonntag fettes Bauchfleisch in der Pfanne kross braten könne, nun ja. Ich mußte sie darauf etwas aus ihrer Nostalgie reißen und daran erinnern, daß sie inzwischen die Rinde von allzu harten Brotscheiben abschneidet...

Dann eben gekocht. Nun finde ich das Zeug ja per se gruselig, habe also keinerlei Erfahrung und bin bei der Suche nach einem Rezept prompt an das falsche geraten. Sagen wir es so, den aufgefangenen Kochsud hätte man gut dafür gebrauchen können, die Terrassenfliesen wieder vorzeigbar zu machen. Es war schlicht zuviel Essig, der Vorschlag war etwa 1/3 Essig auf 2/3 Wasser, das Fleisch darin aufkochen und anschließend ziehen lassen, ich hatte noch Lorbeer, Piment, Pfeffer, Salz und Sauerkraut dazugetan. Wie gesagt, falls es noch einmal dazu kommen sollte, deutlich weniger Essig, dann wäre auch der Sud vielleicht genießbar. Immerhin gab es einen 2. Anlauf am überfolgenden Tag ohne Flüssigkeit, dafür Bratkartoffeln, soll eßbar gewesen sein.


Ich erfreute mich an 2 Rumpsteaks (also nicht zur gleichen Zeit, sondern eins nach dem anderen) und Bohnen mit brauner Butter. Allerdings war mir das Bohnenkraut ausgegangen bzw. ich konnte es nicht finden, also habe ich wieder von dem reichlichen selbstgetrockneten Oregano genommen, mit dem eine Bekannte uns vor einiger Zeit bedacht hat, Bohnenkraut ist besser (also mitgekocht, nicht draufgestreut, wie ich mal eine Anverwandte aufklären durfte, der ihr Mann vorwarf, sie würde mit den Bohnen was falsch machen, nach deren Besuch bei uns).



Die Strelitzie auf dem Teller übrigens ist nicht ohne Bedacht gewählt; sagen wir, ich mußte meiner Freude über einen sehr freundlichen Anruf irgendwie Luft machen. Ein Sonntag von der wechselhafteren Sorte folglich, aus diesen und auch anderen Gründen.

nachgetragen am 1. März

Donnerstag, 25. Februar 2016

Über den Hl. Matthias und kalendarische Vertracktheiten

Abtei St. Matthias, Trier (vor 1883, aber sicher nicht vor 1867)

Kalenderblatt
St. Matthias und das Schaltjahr

Im evangelischen Heiligenkalender wird der Gedenktag des Hl. Matthias in diesem Jahr nicht auf dem 24., sondern auf dem 25. Februar begangen. Damit scheint noch ein Überbleibsel des römisch-julianischen Kalenders auf, der auch unserem Kalender zugrunde liegt. Der Februar, der „Reinigungsmonat“, war der letzte im römischen Amtsjahr. Ihm wurde folglich auch alle vier Jahre der notwendige Schalttag eingefügt. Allerdings geschah dies durch Verdoppelung des 24. Februars. Da die Römer die Monatstage nun zur Monatsmitte, den Iden, und dann zum Monatsende hin rückwärts zählten, war der 24. Februar der VI. Tag unter Einschluss der „Kalenden des Märzes“. Wird nun der 24. Februar im Schaltjahr verdoppelt, dann rückt der Gedenktag des Matthias, um auf „seinem sechsten Tag“ zu bleiben, auf den 25. Februar, und so hält es die protestantische Kirche bis heute. Die römische Kirche hat diese kalendarische Feinsinnigkeit wie so vieles mit dem II. Vaticanum aufgegeben.

St. Matthias in Trier, Statue über dem Apostelgrab

Für uns Deutsche ist dabei der Heilige Matthias von ganz besonderer Bedeutung. Hatte doch die Heilige Kaiserinmutter Helena einstmals seine Reliquien nach Germanien bringen lassen. So werden sie bis heute in der Benediktinerabtei St. Matthias in Trier verehrt. Es ist damit das einzige Apostelgrab nördlich der Alpen und Matthias einer der Patrone unseres Landes. Matthias hat eine besondere Stellung im Kreise der Zwölf, weil er erst nach der Himmelfahrt Jesu als Ersatz für den Verräter Judas gewählt worden ist, wie man in der Apostelgeschichte 1, 15-26 nachlesen kann. Natürlich verbinden sich auch mit diesem Heiligengedenktag auf der Grenze zum Frühjahr eine ganze Reihe schöne Bauernregeln. Zwei davon lauten: St. Matthias hab' ich lieb, denn er gibt dem Baum den Trieb“ und „Ist's zu St. Matthias kalt, hat der Winter noch lange Gewalt“.
Thomas Roloff

Mittwoch, 24. Februar 2016

Ein Nachtrag zu Luther & die Verteidigung des Schönen

Giovanni Battista Piranesi, Curia Hostilia

Ludwig XVI. wies einst den Vorschlag, den Erzbischof von Toulouse, Loménie de Brienne, für den Pariser Bischofssitz zu nomenieren, mit den Worten zurück: Wenigstens müsse der Erzbischof von Paris an Gott glauben (er ernannte ihn aber dann 1787 zum Generalkontrolleur der Finanzen). Übrigens hat den geistreichen Kopf später selbst seine öffentliche Abkehr vom Katholizismus nicht vor den Revolutionären gerettet, er starb, vermutlich nicht ganz freiwillig, 1794.

Eine Randbemerkung: Von Herrn Theweleit, einem der Säulenheiligen des links-feministischen etc. pp Milieus durfte ich irgendwann einmal hören, die Phantasmagorien des Marquis de Sade seien eine Reaktion auf die „mörderische Lebensweise des französischen Adels vor der französischen Revolution“ (wer immer das braucht, kann es hier nachhören). Wo genau findet man eigentlich diese Exzesse, wie etwa die Massenmorde des Ancien Régime? Wenn es an etwas zugrunde gegangen ist, dann an seiner Liberalität (und vermutlich der Unterstützung des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges, das es zusätzlich finanziell ruinierte).

Doch wir wollen eigentlich in ein anderes schwieriges Zeitalter, nämlich das der italienischen Renaissance.

Giovanni Battista Piranesi, Porta Maggiore

Ich habe kürzlich geschrieben, insonderheit um den Vater Luther an seinem Todestag zu ehren, wie er sich für die Künste den Schwärmern entgegenwarf.

Es gibt hier eine ganz merkwürdige Verbindung. Kaiser Maximilian I. starb am 12. Januar 1519, am 28. Juni 1519 wurde sein Nachfolger Karl V. gewählt, den Papst Leo X. energisch zu verhindern gesucht hatte, etwa indem er Luthers Landesherren, Kurfürst Friedrich den Weisen zu einer Gegenkandidatur zu überreden versuchte mit dem Angebot: Er würde einen Kandidaten seiner Wahl zum Kardinal ernennen. Er spricht einiges dafür, daß damit Luther gemeint war, dessen Auslieferung zu einem Ketzerprozeß seit August 1518 eingefordert wurde, von anderem zu schweigen.

Wenn sich Italiener wieder für Römer zu halten beginnen, kann das sehr übel ausgehen wie bei den Renaissaince-Päpsten, für die Religion offenkundig nicht mehr war als ein einträgliches Mittel in einem Machtspiel. Julius II. etwa, der sich eher für einen wiedergeborenen Cäsar hielt, gilt zwar als tatkräftig, rücksichtslos und gewalttätig, nicht selbstbereicherungssüchtig, aber schon Zeitgenossen meinten, daß einzige Priesterhafte an ihm seien Kleidung und Name. Erasmus von Rotterdam schrieb, natürlich nach dessen Tod und anonym, über ihn die hübsche Satire „Julius exclusus e coelis“.

Um sich sogleich dem Nachfolger an den Hals zu werfen: „Aber die Hoffnungen, welche ihn nach England zurückgeführt hatten, erfüllten sich nicht. Bald reute es ihn, daß er Rom verlassen hatte, und nachdem Johann von Medici als Leo X. Papst geworden war, verrieth er durch ein an diesen gerichtetes Schreiben, wie lebhaft er bedauerte, unter dem für Kunst und Wissenschaft so erfreulichen Regimente dieses Papstes nicht in Rom leben zu können.“

Über diesen Papst finden sich eine Reihe kurioser Attribute – gebildet, kunstsinnig, ausschweifend, unbeschwert, vergnügungssüchtig, extravagant, abseitig, verschlagen und doppelzüngig, persönlich umgänglich und höflich, wenn es die Umstände zuließen, immer machtbesessen und ein emsiger Förderer seiner Familie.

Irgendein religiöser Zug ist von ihm nicht überliefert. Warum ich das so betone. Nun, viele Italiener dieser Zeit empfanden sich wohl wirklich als neugeborene Römer des Altertums, nicht, daß sie deswegen dessen Relikten mit Pietät und Hingabe entgegen getreten wären. Man suchte eher auf den Trümmern des Vergangenen seinen neuen Ruhm, der das übrig Gebliebene weiter in den Staub sinken lassen sollte. Geistig gesehen war es wohl der Fall in ein neugeschaffenes Heidentum, das einen von allen Verpflichtungen befreien sollte, eine Art Regression, die aber zugleich befreiend Neuartiges und zeitlos Gültiges hervorbrachte. Ein abgrundtief grausames, aber auch sehr kunstsinniges Zeitalter. Das ist das Verstörende.

Es hat vieles Überlieferte zerstört, zugegebenermaßen Bedeutendes an dessen Stelle gesetzt (persönlich würde ich St. Peter zu Rom davon ausnehmen wollen, das kam mir früh vor wie ein aus den Fugen geratenes Opernhaus), und die katholische Kirche hat es überlebt. Letzteres bleibt kaum erklärlich.

Giovanni Battista Piranesi, Mausoleum der Helena

Und diese lange Vorrede sollte eigentlich nur dazu dienen, um das Umfeld eines Briefes zu skizzieren, den Raffael an Leo X. schrieb:

„Meine Kenntnis verschafft mir einerseits wahre Genugtuung, weil ich eine hervorragende Sache kennengelernt habe; andererseits ist sie auch Ursache tiefen Schmerzes, wenn ich gleichsam den Leichnam der edlen Vaterstadt, die einst die Welt regierte, traurig zerfleischt sehe.

Gleich wie für jeden einzelnen die Pietät den Eltern und dem Vaterland gegenüber Pflicht ist, ebenso fühle ich mich verpflichtet, alle meinen geringen Kräfte daranzusetzen, daß soweit als möglich ein Stück von dem Bild lebendig bleibe oder vielmehr der Schatten dessen, was in Wahrheit das Vaterland aller Christen ist, welches einst so vornehm und mächtig war, daß die Menschen zu glauben begannen, dieses einzige Reich stehe über dem Schicksal und sei gegen den Lauf der Natur dem Tod entzogen, um zu dauern in Ewigkeit.

Doch es scheint, daß die Geschichte, als neide sie den Sterblichen den Ruhm und mißtraue den eigenen Kräften, sich mit dem launischen Glück und mit den unwissenden und ruchlosen Barbaren verbündete, welche zum nagenden Zahn der Zeit und zu dessen vergiftetem Biß ihre ungezügelte Kraft, die eisernen Waffen und das versengende Feuer fügten. So wurden denn jene berühmten Werke, die heute mehr denn je in blühender Schönheit dastehen könnten, im Gegenteil von der maßlosen Wut und von dem gnadenlosen Ansturm der schlechten Menschen verwüstet, versengt und zerstört, obgleich nicht dermaßen, daß nicht wenigstens das des Schmuck entkleidete Gerüst davon bleibt, gleichsam das Skelett des Körpers ohne das Fleisch.

Giovanni Battista Piranesi, San Giovanni in Laterano

Allein, weshalb beklagen wir uns über die Goten, die Vandalen und andere arglistigen Feinde, wenn gerade diejenigen sich lange und eifrig um die Zerstörung von Roms geplagten Überresten bemühten, die sie als Väter und Beschützer hätten verteidigen müssen?

Wie viele Päpste, Heiliger Vater, die dasselbe Amt hatten wie Eure Heiligkeit, nicht aber dieselbe Einsicht, Tugend und Großmut: wie viele Päpste, sage ich, haben es zugelassen, daß antike Tempel, Statuen, Triumphbögen und andere ruhmreiche Bauten ruiniert und zerstört wurden! Wie manche haben dazu beigetragen, daß Fundamente ausgegraben wurden, allein um Puzzolanerde zu gewinnen, so da die Bauten binnen kurzem einstürzten. Wieviel Kalk wurde aus Statuen und anderem antiken Schmuck gebrannt! Ja, ich wage zu sagen: Dieses ganze neue Rom, das man heute sieht, wie groß es auch sein mag, wie schön, wie reich an Palästen, Kirchen und anderen Bauwerken, die wir érblicken: Alles ist mit dem Kalk aus antikem Marmor errichtet. Nicht ohne tiefes Bedauern entsinne ich mich, dass, seit ich in Rom bin, also in weniger als 12 Jahren, so viele schöne Dinge zugrunde gerichtet worden sind...“
nachgetragen am 26. Februar

Sonntag, 21. Februar 2016

Sonntag & (nachgetragen)


Also doch noch einen Nachtrag. Ich wurde wegen des Ausbleibens dieses Beitrages bereits moralisch angeklagt (und irgendwie verstehe ich das sogar).

Man hat mich schon oft sagen hören (übertragen gesprochen), daß die Bilder ganz furchtbar geworden seien. Diesmal ist es einfach zu offensichtlich. Sagen wir es so, bei den Bällen, mit denen zu jonglieren war, fielen die Photobeweise irgendwie hinten runter und wurden zunächst nicht weiter vermißt. Genauer, ich hatte sie einfach zu sehr nebenher gemacht.


Diese deutlich ins Unbestimmte verwischten Beispiele können also allenfalls die Einbildungskraft motivieren. Es war ein Hackbraten, den Frau W. sofort zurückwies (immerhin ist es eine alte Erfahrung, solange die Leute noch Widerworte geben, sind sie ausgesprochen lebendig). Sie bekam also dafür ihre Klopse, auch als Bouletten bekannt. Was mir das nachfolgende ausgesprochen erleichterte.

Der Hackbraten bestand je zur Hälfte aus Schweine- und Rinderhack, zwei erst eingeweichten und dann ausgedrückten alten Brötchen, Paniermehl, klein gehackten Schalotten und zwei Eiern. Das wäre das übliche, hinzu kam zerkleinerte eingelegte Paprika, Muskat, ein paar Mittelmeerkräuter, Pfeffer und Salz. Als Füllung zwei hartgekochte Eier und zur Abdeckung dünn geschnittener Schinkenspeck.

Irgendwas habe ich jetzt bestimmt vergessen. Aber es ist immerhin schon drei Tage her. Ich finde das in Krimis immer so albern. So in etwa: 'Wo waren Sie vor 17 Tagen vormittags um 10.47 Uhr?'. Ich hätte große Mühe, mir in Erinnerung zu rufen, was ich gestern um diese Zeit angestellt hatte, ich bekäme es wirklich nur im Groben zusammen. Folglich muß auch dieser Beitrag als eine solche grobe Erinnerung stehenbleiben.

nachgetragen am 24. Februar

Donnerstag, 18. Februar 2016

Über Luther & auch die Verteidigung des Schönen

Martin Luther auf dem Sterbebett

Unser Vater Luther hat einmal eine ausgewählte Übersetzung des Koran eingeleitet, ich habe seinen Text auch fleißig gelesen und glossiert, allein ich finde es nicht wieder. Wie ich dazu kam? Nun er starb heute, vor 470 Jahren (und ich denke, bisher nicht nur Unnützes über ihn geschrieben zu haben, das fände man dann hier).

Auch das Christentum hat seinen erklecklichen Anteil an Narren, Schwärmern, Fanatikern, Mordbuben und Brandstiftern gehabt. Aber ihnen wurde oft genug, als einer Abirrung, entgegengetreten.

Martin Luther als Junker Jörg, Lucas Cranach d. Ä.

Zum Beispiel eben von unserem Luther mit seinen berühmten Invokavitpredigten 1522 zu Wittenberg:

„Ich habe nicht in meiner Hand die Herzen der Menschen, wie der Hafner den Leimen. Wir haben wohl das Recht der Rede, aber nicht das Recht der Vollziehung. Das Wort sollen wir predigen, aber die Folge soll allein in seinem Gefallen sein. So ich nun darein falle, so wird dann aus dem Gezwang oder Gebot ein Spiegelfechten, ein äußerlich Wesen, ein Affenspiel, aber da ist kein gut Herz, kein Glaube, keine Liebe. Wo diese drei fehlen, ist ein Werk nichts... Also wirkt Gott mit seinem Wort mehr, denn wenn du und ich alle Gewalt auf einen Haufen schmelzen. Also wenn du das Herz hast, so hast du ihn nun gewonnen…

Predigen will ich‘s, sagen will ich‘s, schreiben will ich‘s; aber zwingen, dringen mit der Gewalt will ich niemand, denn der Glaube will willig und ohne Zwang angezogen werden. Nehmt ein Exempel an mir. Ich bin dem Ablaß und allen Papisten entgegen gewesen, aber mit keiner Gewalt. Ich hab allein Gottes Wort getrieben, gepredigt und geschrieben, sonst hab ich nichts getan. Das hat, wenn ich geschlafen habe… also viel getan, daß das Papsttum also schwach geworden ist, daß ihm noch nie kein Fürst noch Kaiser so viel abgebrochen hat. Ich habe nichts getan, das Wort hat es alles gehandelt und ausgericht. Wenn ich hätte wollen Ungemach fahren, ich wollte Deutschland in ein groß Blutvergießen gebracht haben. Aber was wär es? Ein Verderbnis an Leib und Seele. Ich habe nichts gemacht, ich habe das Wort lassen handeln.“

In seiner vierten Wittenberger Predigt gegen die Schwärmer, am Mittwoch nach dem Sonntage Invocavit, kam Luther auf Dinge zu sprechen, nachdem das Fundament zurückgewonnen war, die ihm ebenso wichtig erschienen. Wir wollen ihn, wenig gekürzt, wieder selbst zu Wort kommen lassen.

Palmyra, 2005

„Und sonderlich von den Bildern hab ich am letzten also geredt, daß man sie solle abthun, wenn sie angebetet; sonst mag man sie wohl leiden. Wiewohl ich wollte, die Bilder wären in der ganzen Welt abgethan, um des leidigen Mißbrauchs willen, welchen Mißbrauch ja niemand leugnen kann. Denn wenn Einer ein Bild in der Kirche setzen läßt, der meinet bald, er thue Gott einen Dienst und Wohlgefallen dran, und habe ein gut Werk gethan, damit er Etwas von Gott wolle verdienen, welches denn recht Abgötterei ist. Dieß ist die größte und vornehmste Ursach, warum die Bilder wären abzuthun.

Aber diese Ursach habt ihr nicht getrieben, sondern gar viel eine geringere; nämlich die, wenn Einer ein Bild hätte, so hielt ers dem gleich, deß das Bild wäre; als, wenn Einer ein Crucifix hätte, der hielte es nicht anders, denn als wäre es Christus, Gott und Mensch selbst, und dergleichen. Das sind gar geringe Ursachen. Denn ich halts dafür, daß Keiner hie sei, der den groben unsinnigen Verstand habe, daß er denke: Dieß Crucifix da ist mein Christus und mein Gott; sondern er halts allein für ein Zeichen, dabei er des Herrn Christi und seines Leidens gedenke. Des andern Mißbrauchs aber ist die Welt voll. Denn wer wollte irgend ein hölzern, schweig denn ein silbern oder goldenes Bild in die Kirche stellen, wenn er nicht gedächte, Gotte einen Dienst dran zu thun...

Hadrianstor, Palmyra, zerstört Oktober 2015

Darum können wir das nicht verdammen, sollens auch nicht so bald verdammen, deß noch irgend ein Mensch wohl kann brauchen; sondern das wäre der rechte Weg gewesen, wie auch vorhin gesagt, daß man gepredigt hätte, daß die Bilder Nichts wären, Gott fragete nichts darnach, man thäte auch Gott keinen Dienst noch Wohlgefallen dran, wenn gleich alle Winkel voll Bilder gemacht wären...

Derhalben müssen wir uns wohl vorsehen, denn der Teufel suchet uns durch seine Apostel aufs allerlistigste und spitzigste: und müssen nicht so bald zufahren, wenn ein Mißbrauch eines Dings vorhanden ist, daß wir dasselbige Ding umreißen oder zunichte machen wollten. Denn wenn wir Alles wollten verwerfen, deß man mißbraucht, was würden wir für ein Spiel zurichten? Es sind viel Leute, die die Sonne, den Mond, und das Gestirn anbeten; wollen wir darum zufahren und die Sterne vom Himmel werfen, die Sonne und den Mond herab stürzen? Ja, wir werden es wohl lassen.

Der Wein und die Weiber bringen Manchen in Jammer und Herzeleid, machen Viele zu Narren und wahnsinnigen Leuten; wollen wir drum den Wein wegschütten, und die Weiber umbringen? Nicht also! Gold und Silber, Geld und Gut stiften viel Böses unter den Leuten: soll man drum Solches alles wegwerfen?

Palmyra,  Baal-Schamin-Tempel,  zerstört  22. August 2015

Nein, wahrlich! Ja, wenn wir unsern nächsten Feind vertreiben wollten, der uns am allerschädlichsten ist, so müßten wir uns selbst vertreiben und tödten. Denn wir haben keinen schädlicheren Feind, denn unser eigen Herz; wie der Prophet Jeremias sagt C. 17., V. 9.: Das menschliche Herz ist krumm; oder, wie ichs deutschen soll, böse und ungerade, das immerdar zur Seiten, hinaus weichet. Lieber, was wollten wir wohl anrichten, wenn wir ihm also thäten? Nichts Gutes wollten wir anrichten, sondern Alles zu unterst und oberst umkehren. Es ist gewißlich der Teufel vorhanden; aber wir sehens nicht. Es muß Einer gar eine gute Kohle haben, wenn man den Teufel will schwarz machen: denn er will auch gerne schön sein, wenn er auf die Kirchmesse geladen wird.

Aber damit kann ich noch nicht allenthalben genugsam erstreiten, daß darum die Bilder nicht sein sollen, oder daß man sie müsse zerbrechen und umreißen. Derhalben müssen wir schließen, und es dabei bleiben lassen, daß die Bilder weder sonst noch so, weder gut noch böse sind; sondern man lasse es frei sein, sie zu haben oder nicht zu haben, allein daß der Glaube oder Wahn davon sei, daß wir mit unserm Bilderstiften Gotte keinen Dienst noch Wohlgefallen thun.

Der Teufel hat euch hie Etwas abgejagt, das er mir nicht hätte nehmen sollen, nämlich, daß wir die Bilder frei sein lassen müssen... Den Trotz hat er erlanget, und ich muß es zugeben; dahin sollt ers noch lange nicht gebracht haben, wäre ich hie gewesen. In dem Hochmuth und Trotz hat er uns ein groß Stück abgejagt; wiewohl es dem Worte Gottes keinen Nachtheil bringet.

Ihr habt den Teufel wollen schwarz machen, habt aber der Kohlen vergessen, und für die Kohlen Kreide ergriffen. Derwegen muß man gar wohl drauf sehen, wenn wir mit dem Teufel fechten wollen, daß wir der Schrift wohl wissen zu gebrauchen...“

Mit anderen Worten, der Mißbrauch einer Sache rechtfertigt nicht ihre Zerstörung. Das ist zwar noch keine Ästhetik, aber eine erste Klärung. Weit genauer, es ist eine Einsicht, nämlich, daß jede Erschaffung eines Gegenstandes von Schönheit Gottes Schöpfung heilt, weil sie sich an ihn erinnert, während deren Zerstörung vom Satan herrührt, wie immer er sich anmalt, der eigentlich nur ein Herr des Nichts ist. Wer ein Ding von Schönheit zerstört, verrät sich als Gefolgsmann Satans.

Palmyra, Theater

Das dazu. Wenn man den Schlaf sucht, findet man ihn nicht, aber wenn man ihn nicht sucht, findet er einen um so eher. Aber das wollen wir dennoch noch sagen, wo wir einiges von ihm gelesen und es uns uns jedesmal war, als würde die Seele ein Stück mehr zusammengeflickt, obwohl der Herr Luther eher harte Reden führt, und das gar nicht hierher gehört. Beim übernächsten Zitat geht es darum, ob man vor der Pest fliehen solle.

„Das ist der Trost, welchen der Herr in dem heutigen Evangelium uns vorhält, daß die Christen, ob sie gleich sterben, nicht tot sind, sondern sie schlafen, und schlafen so leise, daß Christus sie mit einem Finger, ja, mit einem einzigen Wort wecken kann.“

„Herr Gott, ich bin schwach und furchtsam, darum fliehe ich das Übel und tue so viel dazu, wie ich kann, daß ich mich davor hüte. Aber ich bin gleichwohl in deiner Hand, in diesem und allem Übel, die mir begegnen können, dein Wille geschehe. Denn meine Flucht wird’s nicht tun, sintemal allenthalben nichts als Übel und Gefahr ist; denn der Teufel feiert und schläft nicht, welcher ein Mörder von Anfang an ist und allenthalben nichts als Mord und Unglück anzurichten sucht.“

„Wo nun das Sterben hinkommt, da sollen wir, die da bleiben, uns rüsten und trösten, besonders die wir aneinander verbunden sind..., daß wir uns nicht verlassen noch voneinander fliehen können; erstens damit, daß wir gewiß sind, es sei Gottes Strafe, uns zugeschickt, nicht allein um die Sünde zu strafen, sondern auch um unsern Glauben und Liebe zu versuchen. Den Glauben, auf daß wir sehen und erfahren, wie wir uns gegen Gott stellen wollen, die Liebe aber, auf daß man sehe, wie wir uns gegen den Nächsten stellen wollen.“

wird fortgesetzt, 
nachgetragen am 20 Februar 

Mittwoch, 17. Februar 2016

Nachtverse

Caspar David Friedrich "Spaziergang in der Abenddämmerung"

Manchmal, wenn ich partout nicht schlafen kann (warum diese französischen Einsprengsel – pure Nostalgie, nein, nicht weil ich die Sprache gern beherrschen würde, bloße Erinnerung an die Gewohnheiten der Vorfahren), kommt etwas zurück. In diesem Fall war es Johann Klaj, verstorben am 16. Februar 1656, ein Dichter des Barock, von dem ich endgültig für mich beschlossen habe, daß er in seinen weltlichen Hervorbringungen unlesbar ist. Monotones, selbstverliebtes, exaltiertes, pedantisches Wortgeklingel, und das bei einem trunksüchtigen Geistlichen. Da hätte wirklich mehr 'rüberkommen müssen; bei all dem Aufwand. Von den geistlichen Dichtungen schweigen wir.

Da ich weiter nicht schlafen konnte, versenkte ich mich in Anthologien des 19. Jahrhunderts (was nach meinem philisterhaften Urteil nahe lag, über vorherige deutsche Dichtung), und das half (ich habe versucht, die erinnerten Stellen, die ich am nächsten Morgen diesmal nicht ganz vorenthalten wollte, kommod zu bebildern; das letzte fällt heraus, es sollte ja alles recht unpersönlich bleiben, aber dieser Hahn sucht tatsächlich Zuflucht hinter dem rechten hiesigen Küchenfenster seit gestern, er ist da immer noch). Aber gegen Wirklichkeitseinbrüche haben wir schließlich bewährte Hausmittel vorrätig.



Joseph von Eichendorff „Nachtzauber"
Rezitation: Fritz Stavenhagen, hier gefunden

Joseph Freiherr von Eichendorff

Nachtzauber

Hörst du nicht die Quellen gehen
Zwischen Stein und Blumen weit
Nach den stillen Waldesseen,
Wo die Marmorbilder stehen
In der schönen Einsamkeit?
Von den Bergen sacht hernieder,
Weckend die uralten Lieder,
Steigt die wunderbare Nacht,
Und die Gründe glänzen wieder,
Wie du's oft im Traum gedacht.
Kennst die Blume du, entsprossen
In dem mondbeglänzten Grund?
Aus der Knospe, halb erschlossen,
Junge Glieder blühend sprossen,
Weiße Arme, roter Mund,
Und die Nachtigallen schlagen,
Und rings hebt es an zu klagen,
Ach, vor Liebe todeswund,
Von versunknen schönen Tagen –
Komm, o komm zum stillen Grund!


Jopengasse, Danzig, zwischen 1890 und 1900

In Danzig

Dunkle Giebel, hohe Fenster,
Türme wie aus Nebel sehn.
Bleiche Statuen wie Gespenster
Lautlos an den Türen stehn.

Träumerisch der Mond drauf scheinet,
Dem die Stadt gar wohl gefällt,
Als läg' zauberhaft versteinet
Drunten eine Märchenwelt.

Ringsher durch das tiefe Lauschen,
Über alle Häuser weit,
Nur des Meeres fernes Rauschen.
Wunderbare Einsamkeit!

Und der Türmer wie vor Jahren
Singet ein uraltes Lied:
Wolle Gott den Schiffer wahren,
Der bei Nacht vorüberzieht.



"Täuschung" aus "Die Winterreise" von Franz Schubert,
Thomas Quasthoff & Daniel Barenboim, hier gefunden

Wilhelm Müller

Täuschung

Ein Licht tanzt freundlich vor mir her,
Ich folg' ihm nach die Kreuz und Quer;
Ich folg' ihm gern und seh's ihm an,
Daß es verlockt den Wandersmann.
Ach! wer wie ich so elend ist,
Gibt gern sich hin der bunten List,
Die hinter Eis und Nacht und Graus
Ihm weist ein helles, warmes Haus.
Und eine liebe Seele drin. –
Nur Täuschung ist für mich Gewinn!


Caspar David Friedrich "Meeresküste bei Mondschein"

Franz Grillparzer

Der Halbmond glänzet am Himmel

Der Halbmond glänzet am Himmel,
Und es ist neblicht und kalt.
Gegrüßet sei du Halber dort oben,
Wie du, bin ich einer, der halb.
Halb gut, halb übel geboren,
Und dürftig in beider Gestalt,
Mein Gutes ohne Würde,
Das Böse ohne Gewalt.

Halb schmeckt' ich die Freuden des Lebens,
Nichts ganz als meine Reu;
Die ersten Bissen genossen,
Schien alles mir einerlei.

Halb gab ich mich hin den Musen,
Und sie erhörten mich halb;
Hart auf der Hälfte des Lebens
Entfloh'n sie und ließen mich alt.

Und also sitz ich verdrossen,
Doch läßt die Zersplitterung nach:
Die leere Hälfte der Seele
Verdrängt die noch volle gemach.


Caspar David Friedrich "Zwei Männer in Betrachtung des Mondes"

Christian Friedrich Hebbel

Nachtlied

Quellende, schwellende Nacht,
Voll von Lichtern und Sternen:
In den ewigen Fernen,
Sage, was ist da erwacht!

Herz in der Brust wird beengt,
Steigendes, neigendes Leben,
Riesenhaft fühle ich's weben,
Welches das meine verdrängt.

Schlaf, da nahst du dich leis,
Wie dem Kinde die Amme,
Und um die dürftige Flamme
Ziehst du den schützenden Kreis.




Detlev von Liliencron

Für und für

Im ersten matten Dämmer thront
Der blasse, klare Morgenmond.

Den Himmel färbt ein kühles Blau,
Der Wind knipst Perlen ab vom Tau.

Der Friede zittert: ungestüm
Reckt sich der Tag, das Ungetüm,

Und schüttelt sich und brüllt und beißt
Und zeigt uns so, was leben heißt.

Die Sonne hat den Lauf vollbracht,
Und Abendröte, Mitternacht.

Im ersten matten Dämmer thront
Der blasse, klare Morgenmond.

Und langsam frißt und frißt die Zeit
Und frißt sich durch die Ewigkeit.

Sonntag, 14. Februar 2016

Sonntag &


In der linken Ecke der Unsichtbarkeit versteckt sich tatsächlich Frau W. Ich war so rücksichtslos, Pasteten darzubieten, mit einer Füllung aus sog. Lachsforelle, Schmelzkäse sowie wechselnd Dill und Petersilie.


Der Fisch war nicht der ursprünglich intendierte. Aber vielleicht kennt das jemand. Man hat einfach keine Lust mehr einzukaufen und landet folgerichtig dann bei dem Einkaufgeschäft, das z.B. in unserem Residenzdorf am längst auf hat, und die hatten an dem Abend Inventur (die armen Frauen mußten selbst die unverbrauchten Plastiktüten zählen!), folglich gab es leichte Löcher in den Kühltruhen. Wie auch immer, es ging eigentlich.


Jetzt, wo ich das Bild sehe, der Leuchter ist natürlich gruselig  kitschig, aber fügt sich so passend ins Ambiente. Mitunter steht man halt nur noch neben sich und schaut sich grinsend zu.


Das auf den Salzkartoffeln ist Petersilie. Und die Sauce bestand aus Fischfond, Kochsahne und gehacktem Dill, etwas Pfeffer und Salz selbstredend ebenfalls.


Eigentlich hatte ich ein D für Dill und ein P für Petersilie in die Pasteten geritzt, die zunächst auch noch gut sichtbar waren, aber nach einer Stunde warmhalten nicht mehr ganz so sehr. Die Idylle hat also Risse, aber es ist doch auch schön wenn man Momente des Gewohnten aufrechterhalten kann. Auch wenn der Aufwand dafür ansteigt. Ein vergleichsweise entspannter Sonntag also.

Samstag, 13. Februar 2016

Selig, wer in Träumen stirbt


Clemens Brentano

Hörst du, wie die Brunnen rauschen?

Hörst du, wie die Brunnen rauschen?
Hörst du, wie die Grille zirpt?
Stille, stille, laß uns lauschen,
Selig, wer in Träumen stirbt;
Selig, wen die Wolken wiegen,
Wem der Mond ein Schlaflied singt;
O! wie selig kann der fliegen,
Dem der Traum den Flügel schwingt,
Daß an blauer Himmelsdecke
Sterne er wie Blumen pflückt:
Schlafe, träume, flieg, ich wecke
Bald dich auf und bin beglückt.


Do you hear 
the fountains whisper?

Do you hear the fountains whisper? 
Do you hear the crickets sing? 
Silent, silent, let us listen, 
blessed dreams departure bring. 
Blessed, who in clouds is lying, 
whom the moon a nightsong sings, 
blessed he, who will be flying 
on the dream of golden wings; 
there, from heaven's azure cover 
stars like flowers will he pluck. 
Sleep and dream and fly and hover: 
soon I'll wake you to my luck.
Translation by Walter A. Aue

Herr Simm hat das auch schon interpretiert, in der anderen Zeitung aus Frankfurt/M., nein nicht in der dazugekauften, wo doch inzwischen eh alles egal wurde, nein, das war in der, die mal als Schlepper deutschen Bildungsbürgertums galt.

Doch all das ist wertloser Alltagsmüll. Dinge entstehen und vergehen. Ich bitte um Entschuldigung.

Dichtung aber, die bleibt, weil sie den dauerhafteren Dingen zugehört.

Es ist ein berührendes Gedicht. Wenn man jemanden umbringen wollte, und er wäre kein Tropf, würde dieser Satz genügen: „Selig, wer in Träumen stirbt.“ Aber Träume sind oft auch trügerisch, dieser wohl nicht, aber wir dürfen ihn trotzdem zurückweisen, ausharrend auf unserem imaginierten Felsen der Tapferkeit.

Mittwoch, 10. Februar 2016

Zu Handball & Irrsinn, eine Glosse

Albrecht Dürer, Melencolia

Spätestens morgen wird dieser sog. Philosoph seinen kleinen Notausgang genommen haben, und alles wird so laut brüllend lachen: „Das war doch Satire, ihr Idioten“, damit man sich ja beschämt zurückziehen solle. Die Satire seid ihr.

Immer wieder sage ich mir, nein, du schreibst zu diesem zeitgenössischen Irrsinn nichts, solange du noch von deinem virtuellen Beobachtungsturm aus auf das Gewusel blicken kannst, und danach ist es auch egal.

Es ging um Handball. Kaum etwas liegt mir persönlich ferner, gut Auto-Tuning würde es vielleicht toppen (aber nur des Interesses wegen). Die deutsche Handball-Nationalmannschaft wurde also Europameister in Krakau. Und was stieß dem Zeit-Schreiber als erstes auf. Die Mannschaft war zu weiß, reinweiß sozusagen. „Das frische Erfolgsteam hat keinen einzigen Spieler mit dunkler Hautfarbe oder auch nur südländischem Teint. Es handelt sich, mehr noch, um eine Mannschaft ohne jeglichen Migrationshintergrund. 100 Prozent kartoffeldeutsche Leistungsbereitschaft.“

Nun sind Kartoffeln meistens gelblich und auch eine eher späte Errungenschaft, aber so'n Philosoph sieht natürlich das große Ganze, mittlerweile neuzeitlich soziologisch aufgepeppt. Eine neu erspürte Landlust „lebensästhetisch voll im Trend: urwüchsig, herkunftsstark, heimatverbunden“. Als ob das nicht genug sei, die Handballbundesliga wäre als einzige der großen Sportligen mit Teams aus Magdeburg, Leipzig und Eisenach eine wahrhaft gesamtdeutsche. Die Rache der Provinz sozusagen.

Aber es kommt noch schlimmer. Mit seiner auf maximale Körperintensität ausgelegten Spiellogik verspreche der Handball eben jenes Sehnsuchtsloch zu füllen, das ein rundum familientauglich gemachter, oberflächengeglätteter und spieltaktisch feminisierter Profifußball ins Herz vieler Nostalgiker gerissen habe. „Zwei-Meter-Hünen, die aus vollem Lauf permanent aufeinanderkrachen, nur ohne Rüstung, lästige Pausen und affiges Event-Buhei. Handball, der neue Männersport für alle, denen Cage-Fighting zu krass, American Football zu amerikanisch und Darts zu fett ist.“ Das war wahrscheinlich als Pointe gemeint.

Authentizität im Auftritt mische sich mit schmerzaffiner Unmittelbarkeit: Kein Winseln, kein Wälzen, kein Reklamieren. Keine eingestickten Hundenamen auf Finalschuhen! Ehrlicher Sport von ehrlichen Männern für ehrliche Bürger, herzhaft, blutnah, widerständig.

Und deshalb, wenn Fußball Merkel sei, wäre Handball Petry.

Großer Gott!

Sonntag, 7. Februar 2016

Sonntag &


Selbst zu mir ist durchgedrungen, daß Weihnachten vorbei ist, spätestens mit Mariä Reinigung am 2. Februar. Dazu wollte ich eigentlich auch noch etwas schreiben. Wie auch immer. Etwas in mir sträubt sich, das alles abzuräumen, auch wenn die Luft schon angenehm frühlingshaft daherkommt. Daher die Eingangsbilder.


Herr Pohlmann aus Neubrandenburg ist teilweise schuld am heutigen Gericht, jedenfalls was den Nudeln – Frühlingszwiebeln - Teil angeht. Das im Bild sind also keine Algen oder Schlimmeres. Pfannengemüse wollte ich vorher schon machen. Da habe ich mich auch nicht wirklich verrenkt und ein Fertigprodukt benutzt, nun, nicht ganz, zuvor hatte ich Schalotten angebraten und Mairübchen angeschmort, und ein paar Kräuter kamen auch noch dazu. Und es gab Rumpsteak.


Kurioserweise hämmerte es heute heftig an der Terrassentür, während ich gerade telefonierte, Freunde wähnten mich zu der Zeit in der Küche, wo ich aber absent war, was mich dann ärgerte, sonst hätten sie das ganze Zeug aufessen können, das eine Stunde später fertig war. Nicht, daß das schlecht gewesen wäre, aber meinen letzten Auflauf bekamen gerade die Katzen (und haben's sogar gefressen, ich kann einfach nicht soviel). Frau W. fällt derzeit aus, die liegt im Krankenhaus und ärgert die Schwestern, ihr geht es also schon wieder besser.


Montag, 1. Februar 2016

Sloterdijk - Es gibt keine moralische Pflicht zur Selbstzerstörung

Peter Sloterdijk, hier gefunden

Kriegsflüchtlinge müßten laut Grundgesetz und Genfer Konvention aufgenommen werden. So beginnt das Lügen inzwischen typischerweise. Nein, man darf, aber man muß nicht, das nur nebenbei. Doch, um das noch hinzuzufügen: Wer vom guten Gewissen, vulgo selbstgefälligen Gerechtigkeits-Simulationen lebt, braucht darauf nicht zu achten. Tatsachen stören regelmäßig bei der Wahrheitsauffindung. Oder um jemanden aus einem Lebensabschnitt zu zitieren, dem seine damalige Familie einen Mitschnitt seiner letzten nächtlichen Äußerungen hinhielt: „Ich werde mir das nicht anhören, ich weiß, daß ich das nicht gesagt habe“.

Herr Sloterdijk, der gerade die ziemlich vakante Stellung eines Philosophen in diesem Land einnimmt, hat Menschen erschreckt, Personen, die dachten, er sei doch Fleisch von ihrem Fleisch, aus dem selbigen Stall. Und nun das: „καὶ σὺ τέκνον“ oder „Et tu, Brute?“, wäre wohl angemessen, wenn es der Gegenstand wäre, also eher nicht. Er ist hinübergewandert zur bösen Seite, offensichtlich.

Wie ich darauf komme? An diesem Tag erschrak sich in einer links-bürgerlichen (wir wollen höflich sein) kleinen Berliner Tageszeitung jemand unter der Schlagzeile „Deutsche Denker gegen Angela Merkel“. Inzwischen hat ein Verderber einer noch auflagenstärkeren Tageszeitung nachgelegt, ebenso erschrocken und vor sich hin fabulierend von der „bitteren Wahrheit über den neuen deutschen Hass“.

Mit anderen Worten, die deutsche Mitte drehe gerade durch, aber, das seien immer noch vereinzelte, verbale Entgleisungen, auch Entgrenzungen, die man vor allem vielen derer, die sich jetzt damit hervortun, nicht zugetraut hätte. Die Erklärung:

Die Flüchtlinge hätten es an den Tag gebracht: In dem Volk, das vor etwas mehr als 70 Jahren in zerstörerischer und vernichtender Absicht West- und Osteuropa sowie Russland überfallen habe, sei trotz aller Abwendung vom kriegerischen Geist zumindest ein Rest archaischen, völkischen und selbstmitleidigen Denkens erhalten geblieben.

Jemand fragte zurecht nach dem Erklärungsmuster für die anderen Europäer, die das „deutsche“ Verhalten weit mehrheitlich inzwischen für ziemlich Gaga hielten, aber... (siehe oben).

Ich habe mir inzwischen das Original, sprich den entsprechenden „Cicero“ widerwillig zugelegt (das Netz hilft da nicht viel, die schreiben sowieso nur noch bis in die Wortfolge voneinander ab), hm.

Herr Sloterdijk erzählt einiges, über den Euro, oder den Islam: Der sei geradezu eine Religion des Feldlagers, die permanente Bewegung sei inhärent, und jeder Stillstand müsse als Beginn des Glaubensverfalls beargwöhnt werden. Zudem sei der Islam ein juristisches Konstrukt, das fast ohne Theologie auskomme.

Da fällt mir noch ein anderes Zitat wieder ein, nachdem man einen Anfang in der Hand hatte, der einem das Zurückweichen erklärte, das Unbehagen. Aber darüber werde ich in solchen Zeiten sicher nicht mehr gründlicher nachdenken wollen:

Frage: „Sie schreiben, dass das Ornament in der islamischen Kunst durch seine fortlaufende, gleichmäßige, endlos anmutende Struktur Gottes Unendlichkeit versinnbildliche.“

Kermani antwortet: „Ja, das Ornament füllt nicht die Leere, sondern bringt sie zum Ausdruck und damit die Gestaltlosigkeit Gottes.“ Die Monotonie der Leere also ist das Wesen der islamischen Kunst? Das fügt sich zur Abwesenheit der Theologie, die oben erwähnt wurde, eine Religion des Abwesenheit. Nun, wir wollen all das hinter uns lassen.

Zurück zum Ausgangspunkt unseres kleinen Exkurses: Die Diskussion um die Flüchtlingspolitik werde militanter. Einige von denen, die sich jetzt zu Wort meldeten, hätten schon den Stahlhelm aufgesetzt. Stacheldraht ersetze die Argumentation. Metaphern würden entsichert. Mein Jott.

Die postmodernisierte Gesellschaft, so Sloterdijk dem „Cicero“ u.a., existiere in einem „surrealen Modus von Grenzenvergessenheit“. Sie genieße ihr Dasein in einer Kultur der dünnwandigen Container. An die Stelle starkwandiger Grenzen seien schmale Membranen getreten, die jetzt überlaufen würden. Die deutsche Regierung habe sich in einem Akt des Souveränitätsverzichts der Überrollung preisgegeben.

Ach, jetzt müssen wir doch einmal aus einem der beiden Schlicht-Artikel zitieren: Eine starkwandige Grenze, könne man ergänzen, habe beispielsweise die DDR besessen. Der Denker wundere sich über die Naivität der Deutschen: „Man glaubt hierzulande immer noch, eine Grenze sei nur dazu da, um sie zu überschreiten.“ Genau darauf, auf der Überzeugung, daß Grenzen überwunden werden könnten, basiere die EU. Auch die liberale Marktwirtschaft brauche offene Grenzen. Sonst ließe sich kein Auto mehr zusammenbauen.

Herr, wirf Hirn vom Himmel, möchte man ausrufen. Gibt es noch ein Denken außerhalb von 0 und 1? Also geschlossene Grenzen versus offene Grenzen? Vollständig offene Grenzen sind keine mehr, durchlässige, aber beherrschte schon. Eine Zelle ohne intakte Grenzen steht direkt vor dem Zelltod, ist das so schwer zu verstehen? Außerdem galt das Versprechen für die weitgehende Offenhaltung der Grenzen nur für den europäischen Raum (grob gesprochen), was ja auch wunderbar funktioniert hat.

Wären wir auch in der Stimmung, selbstgerecht zu sein, so müßten wir sagen, das Linke lebt doch geradezu von der Verstörtheit der Gefühle und der Betäubung der Vernunft, setzt Selbstgerechtigkeit für Gewissen etc. etc. Aber wozu das? Die Wirklichkeit fängt gerade an, wirklich verstörend zu werden. Welchen der offenen Fäden nehmen wir also auf?

Die Verhältnisse fangen wieder an zu tanzen (das klingt so abgeschmackt, wie es tatsächlich ist). Muß man das mögen, nein, man muß gar nichts. Und es wird nicht angenehm sein. Einige der verbliebenen deutschen Stardenker wechseln also gerade die Seiten. Schon im Dezember habe Rüdiger Safranski der „Kanzlerin“ (also Frau M.) eine Staatsrechtslektion erteilt: Zu einem souveränen Staat gehöre, dass er seine Grenzen kontrolliere. Wenn eine Staatschefin wie Angela Merkel sage: „Wir können die Grenzen nicht mehr kontrollieren“, reihe man sich ein unter die zerfallenden Staaten, wie jene in Afrika.“

Das sagen so oder ähnlich inzwischen viele. Es dürfte selten so eine Nichtübereinstimmung zwischen der öffentlich vorgetragenen Moral und der persönlich wahrgenommenen geben in diesem Beritt wie vielleicht seit 1988 nicht mehr. Anderen wird es anders gehen, aber für mich ist das längst zu einem absurden Theater geworden (die Metapher ist unzureichend), wo man an seinem Wirklichkeitssinn irre zu werden beginnt. Ich agitiere folglich nicht, ich beobachte.

Aber mit diesen 2 wirklich originellen Zitaten muß ich einfach enden: Das Wort „Lügenpresse“ setze mehr Harmlosigkeit voraus, als es in diesem Metier gäbe. „Der Lügenäther ist so dicht wie seit den Tagen des Kalten Krieges nicht mehr“. Die angestellten Meinungsäußerer würden für das Sich-Gehen-Lassen bezahlt und nähmen den Job an.

Und: „Es gibt schließlich keine moralische Pflicht zur Selbstzerstörung.“

nachgetragen am 6. Februar