Dienstag, 28. Januar 2014

Karl des Großen gedenkend

Autorenporträt des Terenz, um 825 n. Chr.

Vor ein paar Jahren schrieb ich hier so in etwa, am meisten würde mich dieses Bild rühren, weil es nahezu 1000 Jahre nach dessen Tode eines Komödienautors gedächte in einer Weise, als hätte man das die ganze Zeit über so gehalten, das Dazwischenliegende hinwegwischend wie einen bösen Traum.


Silberdenar mit dem Kopf Karls des Großen

Carolus Magnus, Kaiser Karl der Große starb am 28. Januar 814 n. Chr. in Aachen, vor 1200 Jahren folglich. Es gibt viele jüngere „geschichtliche“ Daten, die uns weitaus weniger betreffen. Er hat uns den Hals gerettet, gewissermaßen, genauer, unsere abendländische Identität. Der Faden der Überlieferung dessen, was das Abendland seit den alten Griechen, Römern und Juden ausmachte, wurde ständig dünner und dünner und schwächer und schadhafter. Er hat, um ein wackeliges Bild zu gebrauchen, die Sanduhr der Geschichte beherzt gepackt und umgedreht.

„Bis zu dem Ende des sechsten Jahrhunderts lassen sich die letzten Spuren altrömischer Kultur verfolgen; dann tritt ein Zeitalter entsetzlicher Barbarei ein, in dem fast nirgends im Abendlande ein Funke höheren Geisteslebens aufleuchtet. Alles, was uns aus dieser Zeit in Schrift und Kunstwerken erhalten ist, trägt den Stempel der grauenhaften Verwilderung, die überall nun in jenen Ländern herrschte, die einst unter Roms Herrschaft in herrlicher Blüte gestanden hatten. Es war, als ob die Menschheit sich selbst vergessen und von schwindelnder Höhe in den tiefsten Abgrund gestürzt hätte.“
aus Wilhelm von Giesebrecht "Karl der Große"

Es ist schon merkwürdig mit dem menschlichen Geist. Mitunter schlägt er sogar in einen germanischen Kriegerschädel ein. Der erkennt, was von seinen Vorfahren angerichtet wurde (sicherlich nicht im Sinne eines schlechten Gewissens), und versucht, alles wieder „gut“ zu machen, zu retten, was zu retten ist.

Ja ich weiß, er hat in seinem Glaubenseifer den einen oder anderen widerspenstigen und eidbrüchigen heidnischen Sachsen töten lassen, bis sie keine Heiden mehr waren – er war von seinem Naturell her immer noch ein germanischer Krieger, die waren da nicht so zimperlich, schon gar nicht unter „Stammesbrüdern“ (was die Sachsen nicht einmal waren). Und nur so zum Vergleich, man schaue sich einmal an, unter welchen Begleitständen die bekanntlich so kultivierten Araber ihre „Conquista“ vor der bekannteren „Reconquista“ in Hispanien etc. veranstalteten, was heutzutage auffallend gern unterschlagen wird. Da fällt Karl wirklich nicht aus dem Rahmen.

Aber lassen wir in dieser Sache einmal seinen Freund und Biographen Einhard zu Wort kommen ("Vita Karoli Magni" übers. v. Otto Abel):

"Kein Krieg, den das Volk der Franken unternahm, ist mit solcher Ausdauer, Erbitterung und Anstrengung geführt worden; denn die Sachsen, die wie fast alle Völkerschaften Deutschlands wild, dem Götzendienst ergeben und gegen unsere Religion feindselig waren, hielten es nicht für unehrenhaft, göttliches und menschliches Recht zu übertreten und zu schänden.

Dazu kamen noch besondere Umstände, die jeden Tag eine Störung des Friedens verursachen konnten: die Grenze zwischen uns und den Sachsen zog sich fast durchaus in der Ebene hin, mit Ausnahme weniger Stellen, wo größere Waldungen oder dazwischen liegende Bergrücken eine scharfe Grenzlinie bildeten; so wollten Todtschlag, Raub und Brandstiftungen auf beiden Seiten kein Ende nehmen. Dadurch wurden die Franken so erbittert, daß sie endlich ihren Schaden nicht mehr bloß heimgeben, sondern es auf offenen Krieg mit ihnen ankommen lassen wollten.

Der Krieg wurde also begonnen und von beiden Seiten mit großer Erbitterung, jedoch mehr zum Nachtheil der Sachsen als der Franken drei und dreißig Jahre lang ununterbrochen fortgeführt. Er hätte freilich früher zu Ende gebracht werden können, wenn nicht die Treulosigkeit der Sachsen gewesen wäre. Es ist schwer zu sagen, wie oft sie besiegt waren und flehentlich sich dem König unterwarfen, das ihnen anbefohlene zu leisten versprachen, die ihnen abgeforderten Geißeln ohne Zögern stellten und die zu ihnen geschickten Beamten aufnahmen; waren sie doch einigemal so geschwächt und heruntergebracht, daß sie selbst dem Götzendienst zu entsagen und den christlichen Glauben anzunehmen gelobten.

Aber wenn sie einerseits mehrmals bereit waren, dem nachzukommen, so waren sie andererseits jedesmal sogleich bei der Hand, das Gegentheil zu thun, so daß es schwer zu sagen ist, ob man ihre Geneigtheit zu dem einen oder zu dem andern mit größerem Rechte behaupten darf, denn seitdem der Krieg mit ihnen seinen Anfang nahm, ist kaum Ein Jahr verflossen, in dem nicht ein solcher Wechsel mit ihnen vorging.

Aber in seinem hohen Sinn und seiner in Glück und Unglück sich gleich bleibenden Beharrlichkeit ließ sich der König durch keinen Wankelmuth von ihrer Seite ermüden; noch von dem, was er sich einmal vorgenommen hatte, abbringen; vielmehr ließ er ihnen niemals ihr treuloses Verhalten ungestraft hingehen, sondern entweder zog er in eigener Person gegen sie zu Feld, oder schickte seine Grafen mit Heeresmacht gegen sie aus, um für ihr Thun Rache und eine gerechte Sühne zu nehmen.

Zuletzt nachdem er alle, die ihm Widerstand geleistet hatten, besiegt und unterjocht hatte, riß er zehntausend Mann mit Weib und Kind von ihren Wohnsitzen auf beiden Ufern der Elbe los und siedelte sie in vielen Abtheilungen in verschiedenen Gegenden Deutschlands und Galliens an. Unter der Bedingung aber, die vom Könige gestellt, von den Sachsen angenommen ward, nahm der Krieg, der sich so viele Jahre hingezogen hatte, ein Ende, daß sie dem heidnischen Götzendienst und den heimischen Religionsgebräuchen entsagten, die Sakramente des christlichen Glaubens annähmen und mit den Franken zu Einem Volke sich verbänden."

"Während seines Verlaufs wurden in verschiedenen Ländern so viele und so schwere Kriege, die sich gegen die Franken erhoben, durch die Thätigkeit des Königs durchgeführt, daß man billig im Zweifel ist, ob man an ihm mehr die Ausdauer oder sein Glück bewundern soll."

"Denn zwei Jahre vor dem italischen hatte dieser Krieg seinen Anfang genommen, und obwohl er ununterbrochen fortdauerte, so blieb doch nichts von anderweitigen Geschäften ungethan, noch ging man man irgendwo einem gleich mühevollen Kampfe aus dem Wege. Denn der König, der alle Fürsten seiner Zeit an Klugheit und Seelengröße überragte, ließ sich von nichts; was zu unternehmen und auszuführen war, durch die Mühe abhalten oder durch Gefahren abschrecken, sondern er hatte sich gewöhnt alles, wie es kam, zu bestehen oder zu ertragen, weder im Unglück nachzugeben, noch den falschen Lockungen des Glücks zu folgen."

[Wo wir uns gerade die Rührung aus den Augen wischen, ist jemandem aufgefallen, wie man aus dieser Übersetzung des Herrn Abel das Latein förmlich heraushört? Und der Autor Einhard war Deutscher, nicht einmal Kleriker! Kaiser Ludwig scheint sich in hohem Alter die Mühe gemacht zu haben, ihn nach einem Reichstag durch einen Umweg über den Verlust seiner Gattin trösten zu wollen. Und so vermag sich unser schlichtes Deutsch gewissermaßen mit dem Latein beeindruckend vermählen zu können; das ist auch rührend, übrigens.]

Und noch einmal Einhard: „Unter der Bedingung aber, die vom Könige gestellt, von den Sachsen angenommen ward, nahm der Krieg, der sich so viele Jahre hingezogen hatte, ein Ende, daß sie dem heidnischen Götzendienst und den heimischen Religionsgebräuchen entsagten, die Sakramente des christlichen Glaubens annähmen und mit den Franken zu Einem Volke sich verbänden."

Aachen, Pfalzmodell nach Leo Hugot 1981

Ein leicht polemischer Einschub:

Von den zahlreichen publizistischen Beiträgen, die es angesichts des 1200. Todestages Karls d. Großen dann doch gab, mußte ich mich erst einmal erholen, nachdem ich zu viele davon gelesen hatte. Ein Gipfelpunkt war etwa ein DW-Interview mit dem Historiker und Karl–Biographen Stefan Weinfurter, wir geben ein Stück wieder (es ging darum, warum er nicht mehr als europäische Integrationsgestalt taugen würde):

„... er ist nicht mehr die große Symbolfigur für die politische und gesellschaftliche Einigung eines Kontinents. Das ist längst vorbei.“

„Zumal dieses Bild auch nicht passen würde, da der karolingische Einheitsstaat mit seiner Staatsreligion nichts mit dem transkulturellen, areligiösen Europa zu tun hat, das wir heute sehen.“

„Das ist in der Tat ein Kernpunkt.“

Bei diesem „transkulturellen, areligiösen Europa“ funkelt wohl bei manchem Betrachter ein gieriger Wunsch in den Augen, aber (noch) sind wir nicht ganz da angekommen.

Was mir allgemein auffiel: Zeitgenössische Historiker mögen (mit Abstrichen) über eine breitere Faktenlage verfügen, aber ihnen fehlt zu oft die Gesinnung dazu, daß daraus etwas Rechtes wird. Es mangelt schlicht an Empathie, u.a.

Dazu fügt sich bestens, was ich kürzlich in einem anderen Zusammenhang lesen durfte:
Das ganze Konzept von "Fortschritt", "Kulturstufen" oder "Zivilisationsgraden" gehe auf sozialdarwinistische Theorien des 19. Jahrhunderts zurück. Aus kulturanthropologischer Sicht sei dies schlichtweg unwissenschaftlich und falsch und würde in der modernen Kulturwissenschaft auch nicht mehr verwendet.

Das kann ich mir lebhaft vorstellen. So wie mir jemand von einem Gespräch mit einer „einfühlsamen Pastorin erzählte - nein, dieser „Landstreicher“ (nicht ihr Wort) sei nicht schmutzig, er sei nur „anders gepflegt“. Mit anderen Worten, ob nun einer den Kontrapunkt „vermusiziert“ oder ein anderer seinen Stoffwechsel zu Gehör bringt. Es ist alles irgendwie gleich. Und so sind derartige Äußerungen, indem sie Unterscheidungen und Kategorien diffamieren wollen, eben nichts anderes als Symptome unseres heutigen geistigen Verfalls, den sie bestreiten.

Oder um den herrlichen Matthias Claudius zu zitieren, der das vor 200 Jahren alles schon nur zu deutlich vorhergesehen hat:

Sonst war Verschiedenheit im Schwange,
Und Menschen waren klug und dumm;
Es waren kurze, waren lange,
Und dick und dünne, grad und krumm.
Doch nun, nun sind sie allzumal
Schier eins und gleich, glatt wie ein Aal.


Michelstadt-Steinbach: Einhardsbasilika, von Nordwesten

Michelstadt-Steinbach: Einhardsbasilika, Inneres, von Westen

Die Einhardsbasilika in Steinbach im Hessischen, wovon die Bilder sind, gehört übrigens zu dem Wenigen (neben dem deutlich bekannteren Aachener Münster), was von karolingischer Baukunst etwas erhalten geblieben ist, und sie ist mit dem Namen des erwähnten Vertrauten Karls des Großen verbunden, Einhard. Er hat ihm, wie wir erfahren haben, in mancherlei Hinsicht gedient, noch nach dessen Tode mit seiner Biographie, der „Vita Karoli Magni".

Daß Karl ein erfolgreicher Heerführer war und ein Mehrer seines Reich, das hätte ihn sicher bekannt gemacht, aber es wäre nicht so außergewöhnlich gewesen. Herausgehoben über zahlreiche Herrschergestalten hat ihn etwas anderes (wir zitieren aus 2 Rundschreiben des Imperators an die Geistlichkeit:

„Da es uns am Herzen liegt, daß der Zustand unserer Kirchen ein immer besserer werde, so bemühen wir uns mit wachsamem Eifer, was durch die Lässigkeit unserer Vorfahren beinahe zu Grund gegangen, wiederherzustellen und den Wissenschaften eine neue Stätte zu bereiten, und muntern durch unser eigenes Beispiel wen wir können zu fleißiger Erlernung der freien Künste auf."

"Es sei Eurer Gott wohlgefälligen Frömmigkeit bekannt, wie wir sammt unseren Getreuen es für nützlich erachtet haben, daß die unserer Regierung anvertrauten Bischofssitze und Klöster außer einem der Ordensregel entsprechenden Lebenswandel und der Übung der heilige Religion ihren Fleiß auch auf die Beschäftigung mit den Wissenschaften und die Unterweisung derjenigen richten, die vermöge der Gabe Gottes lernen können, nach der Fähigkeit eines jeden. 

Denn da uns in den letzten Jahre von verschiedenen Klöstern öfters Schreiben zukamen, in denen angezeigt wurde, wie die in denselben wohnenden Brüder mit frommen und heiligen Gebeten für uns streiten, so haben wir aus den meisten Schreiben ihren guten Willen sowohl, als ihre ungebildeten Reden erkannt: denn was die fromme Demuth innerlich treu eingab, das konnte äußerlich wegen des vernachlässigten Unterrichts die ungebildete Sprache ohne Fehler nicht ausdrücken. 

Darum kam die Befürchtung in uns auf, es möchte wie die Kunst des Schreibens eine geringe war, so auch und weit geringer als recht die zum Verständnis der heiligen Schriften nöthige Bildung sein. Daher ermahnen wir Euch, nicht allein Eure wissenschaftliche Bildung nicht zu vernachlässigen, sondern auch das Ziel Eures Lernens darauf zu richten, daß Ihr leichter und richtiger in die Geheimnise der göttlichen Schriften eindringen könnet."

Karl war es ein dringendes Anliegen, die allgemeine Bildung zu heben bzw. diese erst wiederherzustellen. In einigen der „Gedächtnisartikel“ anläßlich seines Todestages, an die ich mich zunehmend nur noch dunkel erinnere, hieß es sinngemäß, die ungeheure Leistung, so (sehr relativ) viel vom antiken Wissen gerettet zu haben, sei nur ein unfreiwilliger Nebeneffekt seines religösen Eifers gewesen. Wie furchtbar. Worte wie die obigen werden dafür wohl benutzt worden sein. Aber so ist es halt, der unterschiedliche Gebrauch derselben Sache sagt mindestens soviel über den Benutzer wie über den Urheber derselben aus.

Nicht geleugnet werden kann, daß sich der zupackende Kriegerkönig (und das mußte er sein, wenn sein Reich Bestand haben sollte) in einem „akademischen“ Mileu wohl fühlte und zu bewegen wußte, er hat diese Umgebung selbst erst hergestellt und im letzten Winkel Europas nach herausragenden Gelehrten gesucht. Man gab sich neue Namen (um den Rangunterschied zurücktreten zu lassen), Karl sprach Latein so gut wie Deutsch und verstand Griechisch recht ordentlich. Er war ein geistiger Mensch.

Einhard: „Während der Tafel hörte er gerne Musik oder einen Vorleser. Er ließ sich die Geschichten und Thaten der Alten vorlesen; auch an den Büchern des heiligen Augustinus hatte er Freude, besonders an denen, die "vom Staate Gottes" betitelt sind.“

Um übrigens auf die auch von Einhard berichteten (was für seine Aufrichtigkeit spricht) mäßigen Erfolge beim Erlernen des Schreibens kurz einzugehen. Wie er richtig schreibt, geschah dies zu spät, die naheliegende Erklärung - die Feinmotorik seiner Hand war zwar von Jugend auf an das Schwert gewöhnt worden, für den Griffel war es aber eben zu spät. Sein Geist jedenfalls konnte schreiben.

Es wäre noch so viel zu erzählen von diesem nie wieder erreichten Vorbild eines christlichen Herrschers, von seinen Bauten, seiner besonderen Fähigkeit zur Freundschaft, seinem Charisma, seinem Wunsch, Rom wieder emporzuheben, seinem Willen zur Milde... Aber es soll genug sein; doch es war richtig und angemessen, an diesen großen Kaiser zu erinnern oder es zumindest zu versuchen, an, um noch einmal Einhard zu zitieren, "das ruhmvolle Leben und die herrlichen von Menschen der neueren Zeit wohl unerreichbaren Thaten des ausgezeichneten und größten Königs seiner Zeit".

Kuppelmosaik des Aachener Doms 

"Mosaike im Oktogon von der Wintersonne angestrahlt"


Der Aachener Königsthron im Dom

Banner des Heiligen Römischen Reiches bis 1806
nachgetragen am 4. Februar

Sonntag, 26. Januar 2014

Sonntag &



„Sic transit gloria mundi“, oder in anderen Worten, der Weihnachtsbaum hat es denn doch nicht mehr bis zu „Mariä Lichtmeß“ geschafft. Zum Trost gibt es etwas von Loreena McKennitt (und damit man den Text wiedererkennt, füge ich ihn auch gleich mit bei).



Veni, veni Emmanuel:
Captivum solve Israel,
Qui gemit in exilio,
Privatus Dei Filio,

Gaude! Gaude! Emmanuel
Nascetur pro te, Israel.

Veni, veni, O Oriens;
Solare nos adveniens;
Noctis depelle nebulas,
Dirasque noctis tenebras.

Gaude! Gaude! Emmanuel
Nascetur pro te, Israel.

Veni, Clavis Davidica;
Regna reclude coelica;
Fac iter tutum superum,
Et claude vias inferum.

Gaude! Gaude! Emmanuel
Nascetur pro te, Israel.

Veni, veni, Adonai!
Qui populo in Sinai
Legem dedisti vertice,
In maiestate gloriae.

Gaude! Gaude! Emmanuel
Nascetur pro te, Israel.




Man könnte vermuten, ich hätte das Sonntagsessen aus Verschämtheit so lange aufgespart. Das aber wäre falsch, glücklicherweise. Es war eine Art Auflauf aus Zwiebeln, Porree, viel Sahne, Petersilie, diversen Schnitzeln vom Schwein (und ein paar Hilfsmitteln der Lebensmittelindustrie), und es war ziemlich gut. Dazu Rosenkohl mit Muskat. Und da die Woche schon so weit fortgeschritten ist, wollen wir es auch dabei belassen.



nachgetragen am 29. Januar

Freitag, 24. Januar 2014

Über kaiserliche Ungeheuer

Marmorbüste des Caligula (mit Farbresten)

Marmorbüste des Caligula; 
daneben Rekonstruktion der Polychromie an einer Gipsreplik,
Ny Carlsberg Glyptotek, Kopenhagen, hier gefunden

„Mit allen seinen Schwestern lebte er in unzüchtigem Verkehr und ließ sie öffentlich an der Tafel eine um die andere neben sich unterhalb (zur Linken) Platz nehmen, während seine Gattin oberhalb (zu seiner Rechten) lag.“ „Selbst kannte er keine Scham, noch schonte die eines anderen.“

„Die Grausamkeit seiner Natur bekundete er vorzüglich durch folgende Handlungen. Als einmal das Fleisch zur Fütterung der für ein Tiergefecht angeschafften wilden Bestien sehr teuer im Preise kam, bezeichnete er unter den gefangen sitzenden Missetätern diejenigen, welche den wilden Tieren zum Zerfleischen vorgeworfen werden sollten. Bei der Musterung, welche er deshalb in allen Gefängnissen nach der Reihe vornahm, warf er bei keinem einzigen der Gefangenen auch nur einen Blick auf dessen Schuldregister, sondern blieb eben nur mitten in der Halle stehen und befahl: die Gefangenen 'von einem Kahlkopfe bis zum anderen abzuführen'“.

„Einmal, als das Opfertier bereits am Altare stand, erschien er als Opferschlächter aufgeschürzt, schwang die Opferaxt hoch in die Luft und – schlug den Opferstecher tot! Als er einmal bei einem fröhlichen Mahle plötzlich in wildes Gelächter ausbrach und die beiden Konsuln, welche neben ihm lagen, ihn sehr zuvorkommend fragten, weshalb er denn lache, erwiderte er: 'Worüber sonst, als daß es nur eines Winkes von mir bedarf, um euch allen beiden auf der Stelle die Kehle abschneiden zu lassen?'“.

„Seiner Großmutter Antonia, die ihm Vorstellungen machte, gab er, als sei es noch nicht genug, daß er denselben nicht Folge leistete, zur Antwort: Bedenke, daß mir alles und gegen alle zu tun erlaubt ist! Als er seinen Bruder ermorden zu lassen beabsichtigte, den er im Verdacht hatte, sich aus Furcht vor Vergiftung durch Nehmen von Gegengift zu schützen, rief er aus: Gegengift gegen Cäsar!“

„Selbst in den Stunden der Erholung, des Spieles und des Mahles verließ ihn diese Grausamkeit der Reden und Handlungen nicht. Oft wurden, wenn er frühstückte oder ein Gelage hielt, unter seinen Augen ernsthafte peinliche Verhöre mit Anwendung der Folter angestellt oder mußte ein Soldat, der im Köpfen Meister war, irgend welchen Gefangenen die Köpfe abschlagen.“

„Ebenso neidisch und boshaft, als übermütig und grausam, wütete er fast gegen die Menschen aller Zeiten. Die Statuen berühmter Männer, welche Augustus vom Kapitolplatze wegen der Enge desselben auf das Marsfeld versetzt hatte, ließ er umstürzen und so verstümmeln, daß man später nicht imstande gewesen ist, sie mit den richtigen Inschriften wiederherzustellen.“

Ptolemaios von Mauretania,

„Unbedeutend und uninteressant dürfte es sein, hiernach noch weiter zu erzählen, auf welche Weise er seine Verwandten und Freunde behandelt hat, wie z.B. den Ptolemäus, König Jubas Sohn, seinen Vetter – denn auch Ptolemäus war ein Enkel Mark Antons von dessen Tochter Selene –, und vor allen selbst den Macro und die Ennia, die ihm zum Throne verholfen hatten und denen allen er statt dessen, was sie als Verwandte zu fordern oder wegen ihrer Verdienste um ihn zu erwarten berechtigt waren, mit grausamem Tode lohnte. Nicht achtungsvoller oder milder behandelte er den Senat.“

„Den Ptolemäus, ...den er aus seinem Königreiche zu sich nach Rom entboten und freundlich aufgenommen hatte, ließ er ganz unvermutet aus keiner anderen Ursache umbringen, als weil er sah, daß derselbe bei seinem Eintritt in das Amphitheater, wo Caligula ein Gladiatorenspiel gab, die Augen aller Zuschauer durch den Glanz seines prächtigen Purpurmantels auf sich zog.“

(aus C. Sueton Tranquillus: „De vita Caesarum“, übers. v. Adolf Stahr, 1912)

Kameo: Kaiser Caligula und Roma

Caesar, den man wohl den ersten Kaiser nennen könnte - jedenfalls hat dies die spätere Zeit offensichtlich so gesehen, daher ja auch das Wort (das seinen Namen zum Titel machte und die zeitgenössische Aussprache dabei recht getreulich wiedergibt, wie wir alle wissen) – starb bekanntermaßen unter grauslichen Umständen.

Einer seiner frühen Nachfolger tat es ihm (unfreiwillig) gleich (die älteren Römer hatten überhaupt ein vertrautes Verhältnis zur Gewalt, im Vergleich dazu sind amerikanische Waffennarren eher mecklenburgischen Diakonissinnen verwandt) – Caligula! Nach den eben zitierten Schandtaten überrascht das auch nicht. Am 24. Januar 41 n. Chr. wurde er von seinen „engsten“ Vertrauten mit dem Schwert geradezu zerstückelt, am Vorabend seiner Abreise nach Alexandria. Man sagt ihm nach, er habe vorgehabt, seinen Herrschaftssitz von Rom dorthin zu verlegen.

Das wäre dann der endgültige Affront gegen die römische Tradition gewesen, Vorher hatte er schon geplant, sein Pferd Incitatus zum Konsul zu machen. Nicht allein, daß Caligula die Senatoren und ihre Angehörigen äußerst grausam bedrängte und verfolgte. Er richtete ein Bordell auf dem Palatin ein und rekrutierte das Personal aus den besseren römischen Schichten, um, so berichtet es Sueton, „keine Quelle, Gewinn zu machen, unerprobt zu lassen“. Am Ende habe er sich gar als lebenden Gott verehren lassen.

Man sehe mir nach, daß ich keinen seriösen Beitrag über diesen Kaiser bringen mag, man findet hier das pure Widerstreben vor, u.a. deshalb, weil ich zur Zeit der „Wende“, als die Schranken fielen und fielen und (fast) alles für einen Moment möglich war, als (nahezu) unschuldiger Theologiestudent mit damaligen Freunden in einem Rostocker Kino (ich erinnere mich dunkel, gesagt zu haben, oh etwas Klassisches, das könnte doch interessant sein) den bekannten Skandalfilm sah (für den Gore Vidal das Drehbuch schrieb)  - ungekürzt vermutlich. Schockstarre!

Einige Jahrzehnte und filmische Eindrücke später würde man jetzt wohl allenfalls unwillig oder gelangweilt reagieren, aber die Erinnerung bleibt eben. Es hatte etwas von älteren öffentlichen Hinrichtungen, wo manche im Publikum entsetzt durch die Finger gelugt haben mögen, unangenehm das alles.

Jeder, der sich dunkel an die untergegangenen Römer erinnert, weiß, es gab die guten und die schlechten Kaiser. Caligula war ein schlechter, ein sehr schlechter sogar, er gab überhaupt das Muster für alle nachfolgenden schlechten Kaiser ab, die in ihren üblen Vorlieben mal eher zur grausamen oder mehr zur unsittlichen Seite hin variierten.

Sein Vater Germanicus hingegen gab das Muster eines vollkommenen Kaisers ab, besser, er hätte es abgegeben, wenn er es denn geworden wäre, aber vermutlich wurde er vergiftet, so startete sein Sohn mit einem beträchtlichen Sympathievorschuß, den er nach 2 verheißungsvollen Jahren um so gründlicher verspielte.

Wo ich gerade ein wenig im Sueton und Cassius Dio geblättert habe (in Übersetzung natürlich, ich bin gänzlich ungebildet), kam mir ein ganz anderer Gedanke. Sueton wird gern als zweifelhafter Gefälligkeitsautor abgetan. Wenn das, was ich gerade gelesen habe, oberflächlich war, dann auf einem beachtlichen Niveau. Und ein paar Jahrhunderte später hockten unsere Vorfahren beinahe wieder auf den Bäumen. Und Buchstaben kannten allenfalls ein paar verstreute Mönche! Geschichte ist mitunter doch eine sehr trübsinnige Angelegenheit.

Beide genannten Historiker stimmen darin überein, daß Caligula geisteskrank geworden sei. Das Wort „Cäsarenwahnsinn“ gab es noch nicht, das hat sich Ludwig Quidde erst 1894 ausgedacht, um Kaiser Wilhelm II. zu ärgern.

Ein anderer Historiker hat kürzlich herausgefunden, daß das mit dem geistesgestörten Kaiser in Wahrheit alles ganz anders gewesen sei (Aloys Winterling: Caligula: Eine Biographie. München, 2012). Und da ich nur enthusiastische, mindestens wohlwollende Besprechungen vorgefunden habe, will ich (aus meiner Halbbildung heraus) etwas dazu sagen (das ist letztlich auch der Grund, warum ich diesen Beitrag doch noch bringe). Man kann dem Herrn übrigens in einem ¾ stündigen Gespräch bei seinen Thesen zuhören, wenn man sich das nachfolgende Video anschaut.


"Prof. Dr. Aloys Winterling im Gespräch mit Alexander Kluge"

Ich gestehe, ich wurde durch das durchaus unterhaltsame Video zeitweise etwas schwankend in meinem Vorurteil, bis kurz vor Schluß, um mir dann selbst zu sagen: „Ach daher der Name Bratkartoffel“, und flugs zu meinem Vorurteil zurückzuschwenken (das ist jetzt eine Art Bilderrätsel für denjenigen, der sich die 44 Minuten antun will).

Der Begriff vom „eingefrorenen Bürgerkrieg“, der in dem Gespräch fällt, ist ja nicht so abwegig. Augustus hatte nach dem Beenden des Bürgerkrieges mit dem Prinzipat in der Tat ein politisches System geschaffen, das schizophren war, aber vermutlich nicht anders möglich. Das Königtum der Frühzeit war verrufen, Cäsar mit seiner Idee der Herrschaftsausübung final gescheitert, die Republik mit ihren hergebrachten Institutionen aber war zu einer dauerhaften Befriedung nicht mehr in der Lage.

Also ließ Augustus den Senat, die Magistrate etc. äußerlich den Anschein erwecken, die alte Republik bestehe fort und damit die Herrschaft der Aristokratie, de facto errichtete er eine kaum verhüllte Monarchie. Sein Nachfolger ist möglicherweise auf Grund dieses anstrengenden Spagats, der permanente Verstellung von allen Seiten verlangte, nach Capri ausgewichen. Und unser jugendlicher Held soll nun nach den ersten Senatsverschwörungen beschlossen haben, das ganze alte System zu zertrümmern, indem er die alten Eliten systematisch terrorisierte u.a.

Das klingt als These ganz nett und logisch. Das Problem ist nur. Die Quellen sprechen eine dezidiert andere Sprache, die erhaltenen ausführlicheren Darstellungen sind zwar deutlich später (Suetons Kaiserbiographien um 120 n.Chr.), was nicht bedeuten muß, daß die zeitgenössischen Darstellungen etwa eine ganz andere Tendenz gehabt haben müßten. Winterling behilft sich, indem er das  „monströse“ Caligula-Bild zum Konstrukt einer feindlich eingestellten senatorischen
Geschichtsschreibung macht, das gleich auch noch das unrühmliche Agieren des Senats gegenüber dem selbstherrlichen Imperator verwischen sollte.

Er mißtraut also den Quellen, hat aber natürlich keine anderen, also liest er sie „kritisch“ neu. Was dazu führt, daß wir statt den antiken Autoren nun seinen Konstruktionen vertrauen sollen. An die Stelle der obsoleten Meinung der Quellen tritt die eigene Deutung vulgo Konstruktion: Ein Beispiel: das bei Sueton erwähnte Bordell sei in Wirklichkeit ein Teil des Palastes gewesen, in dem die Frauen und Kinder der vornehmsten Familien als eine Art von Geiseln unter der Aufsicht Caligulas gelebt hätten.

Es gibt einige Logikbrüche in der Argumentation (nach meiner ephemeren Meinung), Cassius Dio schrieb sein Geschichtswerk 229 n. Chr., da war von der alten Senatsaristokratie der frühen Kaiserzeit nicht mehr viel übrig, es soll aber eine fortbestehende Meinungskaste von senatorischen Historikern existieren. Das rutscht doch arg in die Richtung von Verschwörungsphantasien.

Zu Zeiten eines Severus Alexander ist die „Verkaiserung“ weit fortgeschritten (was die Zeiten nicht sicherer machte, die katastrophale Reichskrise des 3. Jahrhunderts stand unmittelbar bevor), aber deren Protagonisten müssen mehr und dämonisiert werden, hm, bald werden die Soldatenkaiser den Senat endgültig marginalisieren. Demnach würde ein Cassius Dio einem politischen Lager zuzurechnen sein, das etwa 200 Jahre früher bestand. Das wäre selbst für einen Historiker reichlich anachronistisch.

Und schließlich, auch Winterling räumt ein, daß Caligula wohl ein zynischer und grausamer Herrscher gewesen sei, nur eben mit Methode, nicht aus Geistesgestörtheit. Da mag es Grauzonen geben, ich erinnere nur an die „Gewaltherrscher“ des 20. Jahrhunderts. Daß Caligulas Ausfälle hier und da eine rationale Absichten gehabt haben mögen, dies mag so sein, daß die Vielzahl von verstörenden Berichten sämtlich erfunden und tendenziös sind, erscheint mir unglaubhaft. Und letztlich werden die Motive sowieso im Dunkel bleiben müssen, ob Caligula nun ein Soziopath, Geisteskranker, ein Machtzyniker oder schlicht von verworfenem Charakter war.

Ob der Charakter der frühen Jugend bis in den Beginn der Regierung Verstellung oder echt, ob er an den Möglichkeiten seines Amtes irre wurde und den Halt verlor..., letztlich werden wir das alles wohl nie mit wirklicher Klarheit wissen können. Aber Raum für Spekulationen bleibt immer, und Bücher müssen schließlich geschrieben werden.
beendet am 28. Januar

Donnerstag, 23. Januar 2014

Kalter Spaziergang


Diese Photos sollten eigentlich kommentarlos erscheinen, nun ja, aber da ich mich hinter diesen Säulen - bei denen ich selbst innen mich immer wieder nur daran erinnern kann, daß sie draußen  noch da sind - letztens etwas an Matthias Claudius abmühte, wollte ich heute nur noch Bilder zeigen.


Nun ist zwar gerade das passende Wetter für Weihnachtsdekorationen, aber jetzt sind doch nahezu aus der Zeit; wie das im Leben so geht, man kriegt die Dinge am Ende meist dann doch - wenn man sie nicht mehr brauchen kann. Also wollte ich noch eine Aufnahme von diesem netten Kranz machen, bevor ich ihn auswechsle, und versuchte es mal mit, dann ohne Innenbeleuchtung, chancenlos.


Wo es nun so überraschend Winter geworden ist, sollte es doch einmal einige Bilder geben davon, von einem realen Erledigungsgang heute Nachmittag zur Apotheke etc. Wir beginnen mit diesem herrlich manieristischen Balkon in der nahe vorbeilaufenden Tiergartenstraße.


Am Beginn einer Seitenstraße dieses Gebäude des Amtsgerichts und ein paar Häuser aus derselbigen. Diese ganze Stadt ist in eine Hügellandschaft hineingebaut, man geht ständig bergab und bergauf auf engstem Raum; ob dies ein praktischer Ort für so eine Gründung war, sei dahingestellt, aber es gibt doch den häufig etwas schlichten Häusern zumindest etwas Malerisches.




Die Vorderseite einer ehemaligen Kaserne aus der zur Tiergartenstraße parallel verlaufenden Strelitzer Straße und ein zum Areal gehörendes Gebäude auf dem Hof. Heute befindet sich hier u.a. die größte Einkaufsgelegenheit der Innenstadt, es ist überhaupt die Haupteinkaufsstraße.




Es folgen zuerst die Stadtkirche auf dem Markt, sodann die Schloßkirche, und damit sind wir zurück.



beendet am 24. Januar

Mittwoch, 22. Januar 2014

Von und über Matthias Claudius, der andere Teil

Gedenkstein für Matthias Claudius im Wandsbeker Gehölz

Nachdem der gestrige Beitrag wie Hefeteig immer größer wurde, nun der andere Teil, der vor allem Claudius' Verhältnis zur Aufklärung erhellen soll (soweit mir das gelingen mag). Das Biographische wollen wir nur kurz streifen:

Geboren wurde Claudius am 15. August 1740 in Reinfeld. Aus einer alten Pfarrersfamilie stammend, hat er diesen vorgezeichneten Weg zwar kurz beschritten (er wechselte noch zur Juristerei, brachte es dort aber bloß zum „Iuris Utriusque Baccalaureus“), es aber bald vorgezogen, sich als freier Schriftsteller und Journalist durchzuschlagen. Anekdotisch wird gern berichtet, wie er in die nüchternen Meldungen seines Wandsbecker Boten typischerweise auch das Nachfolgende einrückte: „Wandsbeck, den 25. April. Gestern hat hier die Nachtigall zum erstenmal wieder geschlagen.“

Als fest angestellter Redakteur arbeitet er nur von 1768 bis 1775, die Tätigkeit für den „Wandsbecker Bothen“ machte ihn bekannt, zumal er eine Reihe namhafter deutscher Geistesgrößen für das Blatt gewinnen konnte, das so von einem Lokalblatt zu einer nationalen Berühmtheit avancierte, nur leider ohne dauerhaften wirtschaftlichen Erfolg.

In Wandsbeck ehelichte Claudius 1772 die sehr junge Tochter des örtlichen Zimmermanns Anna Rebecka Behn, sie gebar ihm 12 Kinder, die Verbindung war offenkundig glücklich. Die durch Herder vermittelte Anstellung 1776 als Obercommissarius in Darmstadt scheiterte bald, und er kehrt nach Wandsbeck zurück, um fortan als freier Autor zu leben und unter dem Namen seiner alten Zeitung zu veröffentlichen.

Claudius' finanzielle Lage wurde erst ab 1785 sicherer, als ihm der dänische Kronprinz Friedrich einen Ehrensold gewährte und wenige Jahre später eine kaum in Anspruch nehmende Stelle bei der Speciesbank in Altona verschaffte. 1813 verließ er wegen der Kriegswirren seinen Heimatort und hielt sich zuletzt bei seinem Schwiegersohn, dem Verleger Friedrich Christoph Perthes in Hamburg auf, wo er am 21. Januar 1815 starb.

[Anm: Wie ich zugeben muß, stehe ich der Freimaurerei fern, um das mindeste zu sagen, wem dies aber zu knapp war, eine, wenn auch stark aus freimaurerischer Sicht, doch recht ausführlich, vor allem auch sehr warmherzig geschriebene Lebensbeschreibung findet sich hier.]

Grab von Matthias Claudius und seiner Frau, 
Historischer Friedhof Hamburg-Wandsbek

Es gibt Menschen, die stellen sich klug, und es besteht die seltenere Variante, daß sich jemand schlicht stellt, worauf dann etwa ein Goethe in seiner Eitelkeit nur zu gerne hereinfallen will. Warum das, rätseln wir nun: Ist es eine Art Spiel, intellektuelle Barmherzigkeit, Entgegenkommen, Demut? Vielleicht von all dem etwas, aber das ist auch nur ein Satz, hinter dem tatsächlich Verlegenheit steckt. Wir wissen es mitunter einfach nicht. Unaufrichtigkeit war es jedenfalls keinesfalls. Möglicherweise war es einfach eine herrliche Subversionsstrategie gegenüber all diesen von sich selbst besoffenen Herrschaften.

Matthias Claudius wurde von den literarischen Halb- und Viertelgöttern, deren Zeitgenosse er äußerlich war, ganz überwiegend allenfalls mit freundlicher Herablassung betrachtet, wenige blieben ihm aufrichtig freundschaftlich verbunden, obwohl er die meisten persönlich kannte. Der fromme Familienvater, Dichter und Journalist war ein Mann von geradem Charakter, natürlicher Sprechart, unprätentiösem Auftreten und dabei von profunder Bildung, die er aber durchaus nicht als „Bauchladen“ vor sich her tragen mochte. Herder hat überwiegend freundlich von ihm gesprochen, der so andere Lessing blieb ihm in allen Differenzen gewogen. Von Eichendorffs Urteil haben wir im vorigen Beitrag ausführlich zitiert, die Romantiker sahen ihn sowieso generell eher auf ihrer Seite.

Man hat gesucht, ihm die sich widersprechendsten Etiketten anzuheften – man nannte ihn einen Aufklärer und Volksfreund, anderen blieb er ein reaktionärer Fürstenknecht, dazu gesellen sich diejenigen, die einen pietischen Frömmler und altbackenen Hausdichter vor sich sehen, wieder andere finden in ihm bis ans Ende den freimaurerischen Bruder (er selbst nannte sich wohl sogar einmal einen „eklektischen Mystiker“). Man könnte es fortsetzen, wenn es nicht so müßig wäre. Denn keine von diesen Uniformen will ihm recht stehen.

Einen Aufklärer mag man ihn insofern nennen, als ihm unvernünftige Zustände, die Menschen zu Unrecht bedrückten, ohne Ansehen der Person zuwider waren. Aber Rationalismus in der Religion, den verachtete er und sah seine Haltlosigkeit als einer der ersten kristallklar. Ein Thema, das uns leider bis heute beschwerlich fällt. Ein Benedikt XVI. dürfte ihm aus vollstem Herzen zustimmen.

Claudius entlarvt als eitel anmaßende Selbstgefälligkeit, wo die Vernunft sich durch ihre selbsternannten Exponenten absolut setzt. Vernunft gehört in die Schranken der Erfahrung, dort hat sie ihre Würde und ihr Recht. Greift sie jedoch in die Sphäre des Glaubens über, wird sie zur Selbstermächtigung, macht sich zum Götzen und aus den Menschen lauter kleine konkurrierende Göttlein. [Nur als Anmerkung: Darüber ließe sich wohl einiges sagen, weil der Glaube in seiner Entfaltung natürlich schon der Vernunft bedarf, aber Ursprung und Ziel von Religion sind ihrem Richterstuhl entzogen, hier hat Claudius völlig recht, da wildert sie auf einer Weide, die ihr nicht angehört und wo ihr auch die Ortskenntnis völlig abgeht, aber er sagt das alles viel unterhaltsamer, daher jetzt eine längere Passage von ihm (aus „Eine Korrespondenz zwischen mir und meinem Vetter“, zum vollständigen Text gelangt man durch diesen Link) und nachfolgend ein Gedicht].

Wandlung des Straßburger Münsters in einen „Tempel der Vernunft“

„Aber, ob es vielleicht mehr als eine Vernunft gibt, ich kann in die heurige mich nicht finden. Sie nennen Dinge vernünftig, die ich unvernünftig, und Dinge unvernünftig, die ich vernünftig finde. Da bin ich nun zwischen Tür und Angel, und weiß nicht: ob ich eine unvernünftige Vernunft, oder eine vernünftige Unvernunft vorziehen soll. Als zum Exempel, da haben sie das bekannte Ding von der permanenten Aufklärung, und daß von nun an alles mit Vernunftgründen getrieben und gezwungen werden soll. Das Ding scheint mir gar artig und bequem und ich habe es so gerne begreifen wollen; aber ich kann es nicht begreifen. Das kann ich wohl begreifen, daß Vernunftgründe da hingehören, wo sie hingehören; aber das kann ich nicht begreifen, daß sie da hingehören wo sie nicht hingehören, und ich komme immer darauf zurück: wo sie nicht dienen, da gehören sie nicht hin, und wo sie nicht hingehören, was sollen sie da?“

„Der Herr Vetter mag nun sagen, wer recht hat: der, der sich klug dünkt; oder der, der sich dumm stellt? Und ob alte Leute nicht Kinder- und Kälbermaß wissen müssen usw. Und soviel von dem ersten Punkt, oder von Aufklärung und Aberglauben.

Der zweite Punkt betrifft Glauben, und den allgemeinen Sturm, den die Vernunft itziger Zeit auf geoffenbarte Religion läuft. Und da habe ich mich bei Ew. Hochedelgeborn gehorsamst erkundigen wollen: ob es damit auch wohl Not haben sollte?

Ich zwar kann es mir kaum einbilden. Denn sieht der Herr Vetter, ich habe, sans compraison, nur ein Geheimnis: Dinte zu machen, und das ist ja nur ein kleines und schlechtes Geheimnis; alle Welt macht Dinte. Aber laß die Vernunft mir doch einmal a priori mein Rezept raten. Und was einer nicht raten kann und nicht weiß, darüber kann er, dünkt mich, doch eigentlich nicht urteilen und richten.

Doch die Vernunft soll so überaus kunstreich sein, daß sie das kann. Nun so mag sie denn beweisen und bewiesen haben, so viel sie will: daß meine Kunst Dinte zu machen nicht tauge, und daß es gar solch eine Kunst nicht gebe. Aber was geht das mein Rezept an? Hab ich's darum weniger? Und wird es darum keine gute Dinte machen? – Und doch will die Vernunft über das Geheimnis der Religion richteln!

Und wenn der Schäker noch was Bessers an ihrer Stelle zu geben hätte. Aber das fehlt viel.
Was sie »natürliche Religion« nennen, ist wohl eine feine äußerliche Zucht, aber es ist nicht würdig und wohlgeschickt.

Dem Menschen muß etwas wahr und heilig sein! Und das muß nicht in seinen Händen und nicht in seiner Gewalt sein; sonst ist auf ihn kein Verlaß, weder für andre noch für ihn selbst. Was soll doch einer für Furcht vor Götter haben, die er selbst inventiert und gemacht hat? Und was kann er von ihnen für Trost erwarten?“

„Und nun zum Beschluß noch eine Frage: Soll ich meine Kinder die »kritische Philosophie« studieren lassen oder nicht studieren lassen? Die Meinungen über diese Philosophie sind so verschieden. Einige sagen, daß sie von nichts zu etwas, und andre wieder, daß sie von etwas zu nichts führe. Nun ist mir das Nichts von jeher in der Seele zuwider gewesen, und ich habe nie können recht dahinterkommen, was es eigentlich für ein Ding ist.“

Daniel Chodowiecki, 
"Natürliche und affektierte Handlungen des Lebens" 

Urians Nachricht von der neuen Aufklärung, oder Urian und die Dänen

URIAN:

Ein neues Licht ist aufgegangen,
Ein Licht, schier, wie Karfunkelstein!
Wo Hohlheit ist, es aufzufangen,
Da fährt's mit Ungestüm hinein.
Es ist ein sonderliches Licht;
Wer es nicht weiß, der glaubt es nicht.

DIE DÄNEN:
Erzähl Er doch von diesem Licht!
Was kann es? Und was kann es nicht?

URIAN:
Erst lehrt es euch die Menschenrechte.
Seht, wie die Sache euch gefällt!
Bis jetzo waren Herr und Knechte,
Und Knecht und Herren in der Welt;
Von nun an sind nicht Knechte mehr,
Sind lauter Herren hin und her.

DIE DÄNEN:
Sind also keine Knechte mehr!
Sind alles Herren hin und her!

URIAN:
Sonst war Verschiedenheit im Schwange,
Und Menschen waren klug und dumm;
Es waren kurze, waren lange,
Und dick und dünne, grad und krumm.
Doch nun, nun sind sie allzumal
Schier eins und gleich, glatt wie ein Aal.

DIE DÄNEN:
Nun aber sind sie allzumal
Schier eins und gleich, glatt wie ein Aal!

URIAN:
Man nannte Freiheit bei den Alten,
Wo Kopf und Kragen sicher war,
Wo Ordnung und Gesetze galten,
Und niemand krümmete kein Haar.
Doch nun ist frei, wo jedermann
Radschlagen und rumoren kann.

DIE DÄNEN:
Doch nun ist frei, wo jedermann
Radschlagen und rumoren kann!

URIAN:
Vernunft, was man nie leugnen mußte,
War je und je ein nützlich Licht.
Indes was sonsten sie nicht wußte,
Das wußte sie doch sonsten nicht.
Nun sitzt sie breit auf ihrem Steiß,
Und weiß nun auch, was sie nicht weiß!

DIE DÄNEN:
Das macht sie gut! ... auf ihrem Steiß –
Und weiß nun auch, was sie nicht weiß!

URIAN:
Religion war hehre Gabe
Für uns bisher, war Himmelbrot;
Und Menschen gingen drauf zu Grabe:
Sie sei, und komme her, von Gott.
Nun kommt sie her, weiß selbst nicht wie? –
Man saugt nun aus dem Finger sie.

DIE DÄNEN:
Nun kommt sie her, wir wissen, wie?
Sie saugen aus dem Finger sie.

URIAN:
Auch wißt ihr wohl vom Potentaten,
Wie der großmächtiglich regiert,
Und wie, ohn Streit und Advokaten,
Dem Szepter Ehr und Furcht gebührt.
Doch nun ist Szepter gar nicht viel,
Nicht besser, als ein -stiel.

DIE DÄNEN:
Uns ist und bleibt der Szepter viel!
Euch lassen wir den – andern Stiel.
Wir fürchten Gott, wie Petrus schreibet,
Und ehren unsern König hoch.
Was Wahrheit ist, und Wahrheit bleibet
Im Leben und im Tode noch;
Das ist uns heilig, ist uns hehr!
Ihr Fasler, faselt morgen mehr.

SCHLUSSCHOR:
Was himmelan die Menschen treibet;
Sie besser macht; was Probe hält;
Was Wahrheit ist und Wahrheit bleibet
Für diese und für jene Welt;
Das ist uns heilig, ist uns hehr!
Ihr Fasler, faselt morgen mehr.


geschrieben am 23. Januar

Dienstag, 21. Januar 2014

Von und über Matthias Claudius


Von Matthias Claudius

Ein Lied
hinterm Ofen zu singen

Der Winter ist ein rechter Mann,
Kernfest und auf die Dauer;
Sein Fleisch fühlt sich wie Eisen an,
Und scheut nicht süß noch sauer.

War je ein Mann gesund, ist er’s;
Er krankt und kränkelt nimmer,
Weiß nichts von Nachtschweiß noch Vapeurs,
Und schläft im kalten Zimmer.

Er zieht sein Hemd im Freien an,
Und läßt’s vorher nicht wärmen;
Und spottet über Fluß im Zahn
Und Kolik in Gedärmen.

Aus Blumen und aus Vogelsang
Weiß er sich nichts zu machen,
Haßt warmen Drang und warmen Klang
Und alle warme Sachen.

Doch wenn die Füchse bellen sehr,
Wenn’s Holz im Ofen knittert,
Und um den Ofen Knecht und Herr
Die Hände reibt und zittert;

Wenn Stein und Bein vor Frost zerbricht,
Und Teich’ und Seen krachen;
Das klingt ihm gut, das haßt er nicht,
Denn will er sich todt lachen. –

Sein Schloß von Eis liegt ganz hinaus
Beym Nordpol an dem Strande;
Doch hat er auch ein Sommerhaus
Im lieben Schweizerlande.

Da ist er denn bald dort bald hier,
Gut Regiment zu führen.
Und wenn er durchzieht, stehen wir
Und sehn ihn an und frieren.

[Anmerkung: „Vapeurs“ – Blähungen, üble Laune. „Zahnfluß“ - rheumatische bzw. entzündliche Erkrankung im Rachenraum.]


So legt euch denn, ihr Brüder,
In Gottes Namen nieder;
Kalt ist der Abendhauch.
Verschon uns, Gott! mit Strafen,
Und laß uns ruhig schlafen!
Und unsern kranken Nachbar auch!

[Anm.: Schluß von: „Abendlied“ oder „Der Mond ist aufgegangen...“, siehe auch hier]


Ex tempore

In dichtverwachsnem Laub verborgen,
Sang eine Nachtigall einst einen Frühlingsmorgen;
Bald tönten Lieder überall,
Sie sangen ihm aus vollem Halse Lieder,
Und Tal und Hügel hallten wider; –
Da schwieg die Nachtigall.


Ein Versuch in Versen

Die Römer, die vor vielen hundert Jahren,
    Das erste Volk der Erde waren,
Doch wenigstens sich dünkten, es zu sein;
    Die großen Schreiber ihrer Taten
Und Dichter auch, und große Redner hatten,
    Und Weise, groß und klein;
Die stolz auf ihrer Helden Scharen
Auf ihre Regulos und ihre Scipione waren,
    Und Ursach' hatten, es zu sein;
Die fingen endlich an und aßen Ochsenbraten,
    Frisierten sich, und tranken fleißig Wein –
Da war's geschehn um ihre Heldentaten,
    Um ihrer Dichter edlen Reih'n,
    Um ihre Redner, ihre Schreiber;
Da wurden's große dicke Leiber,
    Und Memoirs- und Zeitungsschreiber,
    Und ihre Seelen wurden klein;
Da kamen Oper und Kastraten,
    Und Ehebruch und Advokaten,
    Und nistelten sich ein.
O, die verdammten Ochsenbraten!
O, der verdammte Wein!


Vergleichung

Voltaire und Shakespeare: der eine
Ist, was der andre scheint,
Meister Arouet sagt: ich weine;
Und Shakespeare weint.


Aus dem Englischen

Es legte Adam sich im Paradiese schlafen;
Da ward aus ihm das Weib geschaffen.
Du armer Vater Adam, du!
Dein erster Schlaf war deine letzte Ruh.


Ein gülden ABC       
  
A
Armut des Geistes Gott erfreut;
Armut und nicht Armseligkeit.

G
Geduldig sein - Herr, lehr' es mich,
Ich bitte Dich, ich bitte Dich.

I
In Dir ein edler Sklave ist,
Dem Du die Freiheit schuldig bist.

T
Treib Tugend jeden Augenblick;
Wer nicht voran geht, geht zurück.

U
Und wenn sie alle Dich verschrein,
So wickle in Dich selbst dich ein.


Ein silbern ABC

Aus Nichts wird Nichts, das merke wohl,
Wenn aus dir etwas werden soll. 

Cränz’ einen Welterob’rer nicht,
Schlepp’ lieber ihn zum Hochgericht.

Greif nicht leicht in ein Wespennest;
doch wenn du greifst, so stehe fest.

Nichts ist so elend als ein Mann,
der alles will, und der nichts kann. 

Wer Pech angreift, besudelt sich;
Vor Kritikastern hüte dich. 

Xerxes verließ sich auf sein Heer;
Allein das Heer auf ihn nicht sehr. 

[Anm: Vollständig zu finden hier und hier]


Klage

(Aus dem Jahr 1793)

Sie dünkten sich die Herren aller Herrn,
Zertraten alle Ordnung, Sitt und Weise,
Und gingen übermütig neue Gleise
Von aller wahren Weisheit fern,
Und trieben ohne Glück und Stern

Im Dunkeln hin, nach ihres Herzens Gelüste,
Und machten elend nah und fern.
Sie mordeten den König, ihren Herrn,
Sie morden sich einander, morden gern,
Und tanzen um das Blutgerüste.

Der Chor

Erbarm dich ihrer!
Sie wollten ohne Gott sein, ohn ihn leben
In ihrem tollen Sinn;
Und sind nun auch dahingegeben,
Zu leben ohne ihn.
Der Keim des Lichtes und der Liebe,
Den Gott in unsre Brust gelegt,

Der seines Wesens Stempel trägt,
Und sich in allen Menschen regt,
Und der, wenn man ihn hegt und pflegt,
Zu unserm Glücke freier schlägt,
Als ob er aus dem Grabe sich erhübe –
Der Keim des Lichtes und der Liebe
Der ist in ihnen stumm und tot;
Sie haben alles Große, alles Gute Spott.
Sie beten Unsinn an, und tun dem Teufel Ehre,
Und stellen Greuel auf Altäre.

Der Chor

Erbarm dich ihrer!

[Anm: Ludwig XVI. August von Frankreich, König von Frankreich und Navarra wurde am 21. Januar 1793 in Paris getötet (merkwürdigerweise verstarb am gleichen Tage im Jahre 1815 auch Claudius)]

Matthias Claudius (* 15. August 1740; † 21. Januar 1815)

„Die Löwin, die ihre Jungen verteidigt, pflegt wohl nicht mit dem Schwanz zu wedeln.“

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„Mich dünkt, der bloße Eindruck in einer heiteren Nacht lehrt's einen auch schon, daß die mit so unbeschreiblicher Freundlichkeit leuchtenden Sterne nicht kalte müßige Zuschauer sind, sondern Angehörige der Erde und Freunde vom Hause.“

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„Du reibst Dir auch die Stirne, Andres, über den Unfug mit der Bibel, und daß die Menschen »sich so bald abwenden lassen auf ein ander Evangelium, so doch kein andres ist, ohne daß etliche sind, die uns verwirren und wollen das Evangelium Christi verkehren«...
Aber es hält nichts hinter dem Berge, es hält alles vor dem Berge und vor Augen; und ist, worauf ihrer, so viele und von allen Parteien, ausgehen mehr oder weniger, nichts anders als ihre Vernunft in der Religion den Meister spielen zu lassen, und alles was sie nicht begreifen und darin allein die Religion und der Glaube besteht, herauszutun, um in den Zeiten der Vernunft auch ihres Orts nicht müßig zu sein, und ihre Ehre in Sicherheit zu bringen.
Und da nehmen sie nun alles zu Hülfe..., um den offenbaren Verstand und die klaren Worte der Heiligen Schrift unmündig und aus Weiß Schwarz zu machen. Und andere, die noch wohl lieber beim Weißen blieben, laufen mit, weil sie den Wert ihrer Sache nicht kennen, und es ihnen an Kraft und Mut fehlt, den Verdacht der alten Einfalt und des Zurückebleibens auf sich zu laden...
Aber, Andres, Du bist der Meinung, es sei immer solcher Unfug gewesen; man solle schweigen und zusehen, bis auch dieser Schwindel wie der Revolutionsschwindel vorübergehe und sie aus Schaden klug werden.
Der Meinung bin ich aber nicht. Es ist wohl immer solcher Unfug gewesen, aber er ist doch mit mehr Zurückhaltung getrieben worden und so nahe ist er uns noch nicht gekommen..., in einer Sache, die alle Menschen so nahe angeht, kann man nicht zu früh und zu viel widersprechen; ich denke in einer solchen Sache darf kein ehrlicher Mann schweigen und die Pluralität scheuen, er muß unverhohlen seine Meinung sagen, und vorliebnehmen was darauf folgt...
Die Menschen sind doch einmal unwissend und blind über das Unsichtbare, sie kennen doch ihren unsterblichen Geist nicht und wissen ihm keinen Rat; Gott weiß einen, und promulgiert eine Arzenei, die sich bei Tausenden bewährt hat und sich bei allen bewährt, die sie nach Vorschrift gebrauchen – und da kommen sie und wollen Gott meistern und seine Arzenei nach ihrem Dispensatorio einrichten und ändern! ... Kann es einen größern Unsinn geben? Und können sie es für die verantworten, die durch sie verführt werden, die Arzenei Gottes ungebraucht zu lassen, und ihren Quacksalbereien nachzulaufen?...
Wenn das Christentum weiter nichts wäre, als ein klares allen einleuchtendes Gemächte der Vernunft; so wäre es ja keine Religion und kein Glaube; und warum wäre denn gesagt, daß die Welt den Geist des Christentums nicht sehe und nicht kenne, und wie hätte seine Einführung unter den Menschen so viel Widerspruch und Blut kosten können? –
Und das, wozu tausend Jahre Zeit nötig gewesen sind um es allgemein in Europa einzuführen...,  wofür unsre Väter und Vorfahren so viel gelitten und Leib und Leben gewagt und hingegeben haben, und was wir alle, ein jeder von uns, heiligzuhalten und zu bewahren mit Mund und Hand gelobt und versprochen haben, was unsre Seelen selig machen kann – das sollten wir uns ohne Schwertschlag, unter dem Schein der Aufklärung und einer bessern Einsicht, unvermerkt und unter der Hand, nehmen und aus den Händen winden lassen ... das sei ferne! das wolle Gott nicht! das werden unsre Könige und Fürsten nicht wollen; das wird keiner wollen, der sich und die Seinen liebhat.
Was aber auch werden mag, Andres, Dir und mir soll es niemand nehmen, weder Schwachheit noch Klugheit, weder Süß noch Sauer. Wir wollen es, nach Moses Rat, »in unsre Seelen fassen, und zum Zeichen auf unsre Hand binden, daß es ein Denkmal vor unsern Augen sei; wir wollen es unsre Kinder lehren, und davon reden, wenn wir im Hause sitzen oder auf dem Wege gehen, wenn wir uns niederlegen und wenn wir aufstehen.«

Dabei bleibt's. Andres. Leb wohl.“

aus „Über die neue Theologie, an Andres“ (hier zum Volltext)

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„Der Mensch ist für eine freie Existenz gemacht, und sein innerstes Wesen sehnet sich nach dem Vollkommnen, Ewigen und Unendlichen, als seinem Ursprung und Ziel. Er ist hier aber an das Unvollkommne gebunden, an Zeit und Ort; und wird dadurch gehindert und gehalten, und von dem väterlichen Boden getrennt.

Und darum hat er hier keine Ruhe, wendet und mühet sich hin und her, sinnet und sorgt, und ist in beständiger Bewegung zu suchen und zu haben, was ihm fehlt und ihm in dunkler Ahndung vorschwebt.
Da er sich aber nicht anders, als in und mit seinem Hindernis, bewegen kann; so ist sein Mühen umsonst und vergebens, was er auch tue und welchen Fleiß er auch anwende. Er kann, rundum in seinem Zirkel, Entdeckungen machen, viel und mancherlei finden, Schönes und Nützliches, Scharfsinniges und Tiefsinniges; aber zu dem Vollkommnen kann er, sich selbst gelassen, nicht kommen; denn er bringt, wie gesagt, gerade was ihm im Wege ist und hindert in alles mit, was er beginnet und tut, und kann nicht über sich selbst hinaus.

Soll er zu seinem Ziel kommen; so muß für ihn ein Weg einer andern Art sein, wo das Alte vergeht und alles neu wird, wo das Hindernis, das ihm im Wege ist und hindert und das er selbst nicht abtun kann, durch eine fremde Hand abgetan; und er, nicht sowohl belehrt, als verwandelt und über sich und diese Welt gehoben und so der vollkommnen Natur teilhaftig wird.

Und diesen Weg, der das Geheimnis des Christentums ist, lästern und verbessern die Menschen, und wollen lieber auf ihrem Bauch kriechen und Staub essen...
Wenn nun gleich hier mit »Weisheit« und »Kunst« nichts ausgerichtet ist, und die Gabe Gottes nicht um Geld und um keine zeitliche Gesinnung verkauft wird, und der Mensch nichts nehmen kann, es werde ihm denn vom Himmel gegeben; so kann er sich doch, durch eine gewisse fortgesetzte Behandlung und Richtung Seiner-Selbst, empfänglicher machen, und der fremden Hand den Weg bereiten.

Von diesem Wegbereiten und Empfänglichmachen etc. handelt der Erzbischof Fénelon ... und teilt darin, nicht als ein Klügling und Urteiler des Weges und als Menschen zu gefallen, sondern als einer, der die Sache versucht hat und dem an seiner und anderer Menschen Seligkeit gelegen ist, seine Erfahrungen und seinen Rat einfältig und unbefangen mit...

Und vielleicht werden selbst von den Nicht-Christen und Un-Christen, einige durch die Milde und den Ernst dieses liebenswürdigen Schriftstellers veranlaßt, ihren Weg noch einmal in Überlegung zu nehmen, sosehr sie auch glauben, desselben gewiß zu sein....“

„Vorrede zu der Übersetzung von Fénelons Werken religiosen Inhalts“ (hier der vollständige Text)

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„Wir sind nicht umsonst in diese Welt gesetzt; wir sollen hier reif für eine andre werden, und man kann unsern Körper als ein Gradierhaus ansehen, wo das wilde Wasser von dem guten geschieden werden soll. Es ist nur Einer der dazu helfen kann, und dem sei Ehre in Ewigkeit.
Gehabt Euch wohl.“

Schluß von "Valet an meine Leser" (hier zum vollständigen Text)


Über Matthias Claudius

„Jena, den 23. October 1796
„Humboldt hofft in acht Tagen hier seyn zu können. Ich freue mich darauf, wieder eine Weile mit ihm zu leben. Stolbergen, schreibt er, habe er in Eutin nicht gefunden, weil er gerade in Kopenhagen gewesen sey, und von Claudius wisse er durchaus nichts zu sagen, er sey eine völlige Null.“
Schiller an Goethe

„Albano, den 5. Oktober 1787
Mit den Genannten [gemeint sind Claudius und Lavater, (eigene Anm.)] war unser Verhältnis nur ein gutmütiger Waffenstillstand von beiden Seiten, ich habe das wohl gewußt, nur was werden kann, kann werden. Es wird immer weitere Entfernung und endlich, wenn's recht gut geht, leise, lose Trennung werden. Der eine ist ein Narr, der voller Einfaltsprätensionen steckt. »Meine Mutter hat Gänse« singt sich mit bequemerer Naivetät als ein: »Allein Gott in der Höh' sei Ehr.« Er ist einmal auch ein -: »Sie lassen sich das Heu und Stroh, das Heu und Stroh nicht irren« etc. etc. Bleibt von diesem Volke! der erste Undank ist besser als der letzte. Der andere denkt, er komme aus einem fremden Lande zu den Seinigen, und er kommt zu Menschen, die sich selbst suchen, ohne es gestehn zu wollen. Er wird sich fremd finden und vielleicht nicht wissen warum... Hole oder erhalte ihn der Teufel, der ein Freund der Lügen, Dämonologie, Ahnungen, Sehnsuchten etc. ist von Anfang!“
Johann Wolfgang von Goethe (aus: „Italienische Reise“)

„Weit entfernt von dieser Unruhe [bei Jung-Stilling (eigene Anm.], von diesem Schwanken zwischen Angst und maßlosem Vertrauen, ist Matthias Claudius, der wackere Wandsbecker Bote, der zwischen Diesseits und Jenseits unermüdlich auf und ab geht und von allem, was er dort erfahren, mit schlichten und treuen Worten fröhliche Botschaft bringt. Er gehört allerdings zu den Pietisten jener Zeit, insofern auch bei ihm ein starkgläubiges Gefühl den Kampf gegen Unglauben und toten Buchstabenglauben aufgenommen, aber er ist durchaus heiter und erscheint unter ihnen wie einer, der gefunden hat, was jene so rastlos suchen. Wie der Abendglockenklang in einer stillen Sommerlandschaft, wenn die Ährenfelder sich leise vor dem Unsichtbaren neigen, weckt er überall ein wunderbares Heimweh, weiß aber mit seinen klaren Hindeutungen dieses Sehnen, wie schön oder vornehm es in Natur oder Kunst sich auch kundgeben mag, von dem Ersehnten gar wohl zu unterscheiden. Denn »der Mensch«, sagt er, »trägt in seiner Brust den Keim der Vollkommenheit und findet außer ihr keine Ruhe. Und darum jagt er ihren Bildern und Konterfeis in dem sichtbaren und unsichtbaren Spiegel so rastlos nach und hängt sich so freudig und begierig an sie, um durch sie zu genesen. Aber Bilder sind Bilder. Sie können, wenn sie getroffen sind, sehr angenehm täuschen und überraschen, aber nimmermehr befriedigen. Befriedigen kann nur das Wesen selbst, nur freies Licht und Leben – und das kann niemand geben, als der es hat.«“

Joseph von Eichendorff: 
„Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands“
 (Zitat aus dem Kapitel: „Die Poesie der modernen Religionsphilosophie“)

Teil 1 nachgetragen und beendet am 23. Januar
Teil 2 am selben Tage hier

Sonntag, 19. Januar 2014

Sonntag &

poorly translated (at the end)


Manche Menschen haben was von einem falsch eingefädelten Reißverschluß. Den kann man dann hochziehen, soviel man will, das macht die Ansicht nie besser, es bleibt für immer alles schief.

Herr Roloff, der selbstredend gerade nicht gemeint war, das war mehr so eine allgemeine Betrachtung nach 5 Stunden unfreiwilligem Nachmittagsschlaf, hat heute Geburtstag, und wir gratulieren ihm aufrichtig:

Sein in der Flut verlorenes Haus hat ihn letztens ein wenig zu sehr verstört (das ist an der Grenze der Indiskretion, ich weiß, und ich habe darüber auch ziemlich gezögert). Also lieber Thomas, nimm Dir Deine eigenen Predigten zur Hand, Du findest sie hier wohl dokumentiert, und höre Dir selbst zu. Und alles Gute natürlich!

Das wären dann nachfolgend die Blumen dazu, nicht ganz passend selbstredend. Und das wiederum erinnert mich an eine hübsche Geschichte, die sich vor gut 20 Jahren zutrug. Einer ganz und gar liebenswürdigen Dame der besten Hamburger Gesellschaft überreichte ich einen Strauß roter Rosen, sie war erfreut und heimlich entsetzt (und dachte sich wohl, nun ja, er ist aus dem Osten, er hat es nett gemeint und weiß es nicht besser), wenig später traf Herr Roloff ein, mit einem Strauß weißer Rosen. Und alle Anspannung fiel von ihr sichtlich erleichtert ab: „Ach, die Hamburger Farben, wie schön!“


Wir waren heute früh dran, der Blick auf meine kitschige Küchenuhr verrät es. Das ganz rechts sind übrigens Aufnahmen vom Schloß, wie es sich präsentieren würde, wenn man aus der hiesigen Terrassentür hinausblickte, und es denn noch stünde.


Wir harren des Essens, ich weiß. Und ich will es kurz machen, da ausnahmsweise meine Frau Mutter kochte, etwas, das es in ihrem jahrzehntelangen Kochschema immer nur am Heiligen Abend gab, früher, lange früher: Hühnerfrikassee.

Es ist eine Art Ragout und sieht dann so aus:


In ihrer Variante läuft das so ab: Ein Suppenhuhn wurde gestern mit etwas Gemüse gekocht und heute auseinander genommen. Die Brühe wurde mit dem ausgelösten Fleisch und Kapern aufgekocht, hinzu kamen Essig und Zucker. Am Ende eine Mehlschwitze: Butter wurde ausgelassen, Mehl hinzugegeben und das Ganze unter ständigem Rühren angeschwitzt. Die Mehlschwitze wurde mit der Hühnerbrühe abgelöscht und am Ende kam alles in eine große Terrine. Ich müßte es nicht jeden Tag haben. Aber immerhin hat es seinen Charakter.




Some people are like a wrong threaded fastener. You can pull up as much as you want then, it makes the view never better, everything stays wrong forever. Mr. Roloff, who was of course not meant with this remark (it was rather from a general pondering after 5 hours of an involuntary nap) has his birthday today, and therefore we congratulate sincerely:

Having lost his house from the flood last year made him a bit too upset lately I fear (to say this is on the border of indiscretion, I know, and I've been thinking about it also with considerable hesitation). So dear Thomas, take your own sermons at hand, you can find them well - documented here and listen to yourself. And all the best of course!

And here are the flowers, not quite fitting, I know. And this reminds me of a nice story that occurred 20 years ago or so. At one utterly lovable lady of Hamburg's better parts of society I handed over a bouquet of red roses, she was pleased and secretly appalled (and probably thought, well, he is from the East, he meant it nice and doesn't know it better). Shortly afterwards, Mr. Roloff arrived with a bouquet of white roses. And all the tension fell from her relieved with "Oh, the colours of Hamburg, how beautiful!"

We were early today, the view of my kitschy kitchen clock tells it. By the way, on the far right side are photographs of the Grand Dukes house, how it would look like from our terrace door, if still existing (the house, not the door).

We await the meal, I know. And I'll try to make it short since this time dear mother cooked, something she was used to cook only on Christmas Eve, for decades following her cooking scheme, earlier, long before: chicken fricassee.

It is a kind of stew and then looks like this.

In her version, it runs like: A chicken soup was cooked yesterday with some vegetables and taken apart today. The broth was boiled with the untacked (?) meat and capers. Vinegar and sugar were added. At the end a roux: butter was melted, some flour added and the whole stirred constantly. The roux was quenched with the chicken broth and at the end it all came in a large tureen. I wouldn't need this every day. But at least it has its own character.