Mittwoch, 31. Oktober 2018

Zum Reformationstag


Hilff, lieber Herr Gott, das der selige tag deiner heiligen zukunfft bald komme, das wir aus der argen welt, des Teuffels reich, erloset und von der greulichen plage, die wir von auswendig und inwendig beide von bosen leutten und unsern eigen gewissen leiden mussen, frey werden. Wurge immer hin den alten sack, daß wir doch ein mahl einen andern leib kriegen, der nicht so voll sunde und tzu allem bosen und unzucht geneigt sey, wie ehr itzt ist, sondern der von allem ungluck leiblich und geistlich erlost ehnlich werde deinem vorklertten leibe, lieber Herr Jesu Christe, und wir also entlich kommen mögen tzu unser herrlichen erlosung. Amen.

Martin Luther, Tischrede


Freitag, 26. Oktober 2018

Beim Abschütteln des Zeitgeistes

 Thomas Edwin Mostyn, Gather Ye Rosebuds While Ye May

..., der in sich hinein zerfällt:

Es ist beiläufig interessant, wie selbst in den abwegigsten Phänomenen der Gegenwart eine Art abgesunkenes Christentum wieder auftaucht. Im Schrei "Ich bin auch ein Opfer" schwingt ja unüberhörbar die Erwartung mit, daß dadurch mindestens Aufmerksamkeit, wenn nicht gar unabsehbare Genugtuung, wofür auch immer, zu erlangen wäre; während in archaischeren Gesellschaften ein solcher Todesruf nur die Frage auslöste: "Kann man das essen?".

Sinead O'Connor, lese ich, „konvertiert...“ Dann brach die Schlagzeile ab und ließ mich erschrocken zurück. ‚Nein! Bitte nicht zum Katholizismus‘, und erleichtert erfahre ich – zum Islam. Sie nenne sich jetzt Shuhada' Davitt. Dann ist ja alles wieder in bester Ordnung.

Ein britisches Filmgesicht, das sich auch an der amerikanischen Westküste tummelt, hat kürzlich erklärt, warum ihre 3jährige Tochter gewisse Filme nicht sehen darf (von Vorlesen war nicht die Rede, es handelt sich um Märchen): Aschenputtel würde auf einen reichen Typen warten, der sie retten solle, das müßten Frauen schon selbst tun. Die kleine Meerjungfrau gäbe ihre Stimme für einen Mann auf – „Hallo?!“ Eine Gesinnungskollegin springt ihr bei – ein Mann dürfe keine Prinzessin küssen, die gerade schläft - das sei unentschuldbar übergriffig!

Franz Jüttner (1865–1925), Illustration zu Schneewittchen,

Dienstag, 23. Oktober 2018

Montag, 22. Oktober 2018

Niobe oder über die Abgründe des Stolzes

Niobe, 1860/65, Zinkguss nach der römischen Kopie
einer Statue aus der Zeit um 330/20 v. Chr., Angaben hier gefunden 

Andere Städte der Umgebung haben dort, wo einmal das älteste Gedächtnis der Stadt war, eine Tiefgarage hineingegraben. Neustrelitz hat Götterbilder. Genauer, es haben sich - trotz aller Brüche der Zeiten - immer noch viele Erinnerungsbilder erhalten, die diesen Ort im Strom tiefer abendländischer Überlieferung halten. Eine Stärke, die man äußerlich nicht erwartet. Um das wohlüberlegte Pathos etwas zurückzunehmen.

Es ist mir bis jetzt rätselhaft geblieben, ob es einmal eine Art Bildprogramm für das alles gab, ich meine, im 19. Jahrhundert. Wenn ja, ist es eine Mischung aus erwartbaren und sehr abgründigen Dingen, wie bei der Gestalt der Niobe an der Auffahrt zum derzeit nicht vorhandenen Schloß. Karl Philipp Moritz beschreibt sie in seiner Götterlehre von 1791 in seiner liebenswürdig bündigen Art wie folgt:

„Mit dem Könige Amphion, der über Theben herrschte, war Niobe, die Tochter des Tantalus, vermählt; sie gebar dem Amphion sieben Söhne und sieben Töchter und spottete einst übermütig der Verehrung der Latona, welche nur einen Sohn und eine Tochter geboren.

Kaum waren die frevelnden Worte über ihre Lippen, so flogen schon die unsichtbaren Pfeile des Apollo und der Diana in der Luft. Mit dem nie verfehlenden Bogen tötete Apollo ihre sieben Söhne, und Diana mit furchtbarem Geschoß tötete ihre sieben Töchter. Auf einmal aller ihrer Kinder beraubt, ward Niobe, in Tränen aufgelöst, in einen Stein verwandelt, der auf dem Berge Sipylon, noch immer von Tränen träufelnd, ein Zeuge ihres ewigen Kummers ward.“

Es gibt bei den Alten die verbreitete Gewißheit, daß man sich vor den Göttern vor allem in Acht nehmen müsse. Aber wie kann ein Gott, der doch von Natur aus alles besitzt, auf Sterbliche eifersüchtig sein? Es ist wie bei den Märchen: Daß Dinge abgründig sind, macht nicht, daß wir sie weniger interessant finden, gar mögen. Wieso also Leto (lat. Latona) auf Niobes Anmaßung so maßlos reagiert, erschließt sich nicht sogleich. Allerdings, die Sache ist verwickelt. Leto ist eher eine Halbgöttin, die Tochter von Titanen, Zeus zeugt jedoch mit ihr zwei mächtige Götter, eben Diana (Artemis) und Apollon. Die wenig erbaute Zeusgattin Hera versucht noch mit allen Mitteln, sich dem entgegenzustellen, letztlich vergeblich, es wird buchstäblich eine schwere Geburt und ist eine Geschichte für sich. Leto war also schon mal sehr empfindlich, was ihren Status angeht. Und bei Niobe lag der Stolz gegen die Götter gewissermaßen in der Familie.

Uffizien, Florenz, Saal der Niobe

Jetzt müssen wir einfach ein wenig, nun ja, Ovid zumuten (in der Übersetzung von Voß).

Doch nicht warnte die Strafe der Volksgenossin Arachne,
Himmlischen nachzustehn, und in kleinerem Laute zu reden.
Vieles erhöhte den Mut. Doch weder die Kunst des Gemahles,
Noch ihr beider Geschlecht, und der Glanz des mächtigen Reiches,
Gab ihr solches Behagen, wie sehr auch alles behagte,
Als der Kinder Gedeihn. Glückseligste unter den Müttern,
Niobe, wärst du genannt, wenn du nicht es geschienen dir selber.
Denn des Tiresias' Tochter, die zukunftahnende Manto,
Ging durch die Gassen der Stadt, von göttlichem Geiste gereget,
Einst weissagend umher: Kommt, kommt, ismenische Weiber!
Bringt der Latona, und bringt den Zwillingen unsrer Latona,
Weihrauch dar mit Gebet; und fügt um die Haare den Lorbeer!
Solches gebeut Latona durch mich! – Man gehorcht; und es wandeln
Alle thebischen Frau'n, geschmückt mit befohlenem Laube,
Weihrauch heiligen Flammen, und bittende Worte, zu bringen.

Aber Niobe kommt im Gewühl des begleitenden Schwarmes,

Prangend in phrygischen Prunk der golddurchwirkten Gewande,
Und, wie der Zorn es gestattet, auch schön; und bewegend ihr stattlich
Angesicht mit den Locken, die jegliche Schulter umwallten,
Stand sie, und hoch die Augen umhergewendet voll Stolzes:

Welch ein Wahnsinn, rief sie, gehörete Götter gesehnen

Vorzuziehn! Was, wenn ihr Latona verehrt an Altären,
Fehlt noch meiner Gewalt der Weihrauch? Mich ja erzeugte
Tantalus, welcher allein zum Mahl der Unsterblichen einging;
Und mich gebar die Plejade Taygete, Tochter des Atlas,
Der den ätherischen Pol hoch trägt mit erhabenem Nacken!
Jupiters Sohn ist der Vater, und Jupiters Sohn der Gemahl auch!
Mir sind die Völker gebeugt in Phrygia; mir auch gehorchet
Kadmus' Burg; und die Mauern, gefügt von den Saiten Amphions,
Werden, und was sie bewohnt, von mir und dem Gatten verwaltet!
Welchem Teil des Palastes ich auch zuwende die Augen,
Unermeßliche Hab' erscheinet mir! Aber ich selber
Rag' als Göttin an Wuchs; und sieben Töchter umblühn mich,
Jünglinge ebensoviel, und bald auch Eidam' und Schnüre!
Fragt noch, aus was für Grunde der Niobe Stolz sich erhebet;
Und dann wagt, die von Coeus, ich weiß nicht welchem, entsproßne
Titanide Latona mit vorzuziehn, der die Erde,
Groß wie sie ist, den winzigen Raum zum Gebären versagt hat!
Himmel und Land und Gewässer verbanneten euere Göttin!
Flüchtlingin war sie der Welt! bis Delos endlich voll Mitleid:
Du durchirrest das Land, ihr zurief, ich das Gewässer:
Und unbefestigten Grund einräumte. Zweier Gebornen
Freute sie sich; das ist von unserem Segen ein Siebteil!
Selig bin ich; wer leugnet mir das? und selig beharr' ich:
Wer auch bezweifelt mir dies? Zur Sicherheit hebt mich der Reichtum!
Höher schau' ich herab, als wo Fortuna mir schade!
Ob sie auch vieles entreißt, weit mehreres wird sie mir lassen!
Schon stieg über die Furcht mir die Seligkeit! Denkt euch, gekürzet
Könne mir etwas sein von der Heerschar meiner Gebornen;
Doch nicht sänk' ich hinab zu der Doppelzahl der Latona,
Die mit dem sämtlichen Schwarm nur weniges mehr ist, denn fruchtlos!
Weit, o weit von dem Opfer entfernt; und dem Lorbeer des Hauptes
Niedergesenkt! – Sie senken; es bleibt unvollendet das Opfer;
Und sie flehn, wie man darf, mit leiserer Stimme zur Gottheit.


Agostino Steffani: „Niobe, regina di Tebe“
Philippe Jaroussky, hier gefunden

Niobe vergleicht sich also nicht nur mit Leto, zu deren Nachteil. Sie verhindert deren Verehrung und nimmt diese für sich in Anspruch. Ein wahrliches Meisterstück menschlicher Anmaßung, so daß der Absturz um so dramatischer ausfällt. Denn der Rest ist schnell erinnert. Leto ruft ihre beiden mächtigen Kinder auf, ihr Genugtuung zu verschaffen, am Ende erstarrt Niobe zu einem weinenden Stein. Den entsprechenden Schilderungen Ovids mag man dort folgen.

Die Figur von 1860, die bei uns steht, zeigt sie in dem Moment, wo sie in einer hilflosen Gebärde die letzte verbliebene Tochter vor dem Göttinnenzorn umsonst zu schützen sucht. Die Nachbildung eines „Originals“, das Teil einer Figurengruppe ist, die sich heute in den Uffizien von Florenz befindet, eine 1583 ausgegrabene römische Kopie eines hellenistischen Originals aus dem Tempel des Apollo Sosianus in Rom (Näheres hier).

Mehr Tradition geht eigentlich kaum noch (und eine sehr schöne dazu). Daß der Stoff die Phantasie vielfach angeregt hat, muß kaum erwähnt werden. Der Diplomat und Kleriker Agostino Steffani hat 1688 „Niobe, regina di Tebe“ komponiert,eine Oper mit einem offenkundig kruden Libretto, aber sehr ergreifender Musik, wovon das obige Stück zeugt. Das abschließende Bild ist vom heutigen Abend. Ich wollte eigentlich über etwas ganz anderes schreiben und nur schauen, ob die Arbeiten am Schloßgarten schon anzeigen, ob die damit verbundenen Hoffnungen berechtigt sind (wir werden sehen), aber nachdem ich mehr beiläufig ein paar Photos gemacht hatte, kam es am Ende hierzu. Vor 5 Jahren hatte ich schon einmal einen Versuch unternommen, den Kunstführer zu geben. Vielleicht kommt es zu einer Fortsetzung. An Statuen hat Neustrelitz glücklicherweise ja noch einiges. Aber was der Großherzog uns mit dieser Figur sagen wollte? Nun, fragen können wir ihn nicht mehr. Aber wir dürfen ja selbst ein wenig nachzudenken versuchen.


Freitag, 19. Oktober 2018

Im allerletzten Licht





All das an einem Ort, von dem man dachte, daß Verirren gar nicht möglich wäre. Ich denke, die Aussicht geht auf etwas namens Fuhlenseebruch. Und ich fand ja auch zurück. Als ich dabei durch eine der vielen Kleingartenanlagen mußte, gab es da nur ein einsames Licht, von wo offenkundig jemand seinem Hund netterweise zurief, das sei nur einTourist, er solle ruhig sein. Klang trotzdem traurig irgendwie. Warum auch immer. 

Wo ich dann also endlich die Stadt wiedergefunden hatte, war es zunächst die Rückseite des sog. Wildhofs. Das erfreute mich aus zwei Gründen - das Gebäude ist wieder lebendig, das ist immer ein Plus & ich war kurz vor zu Hause. 

Es war sehr belebt. Offensichtlich ging etwas dem Ende zu. Und dann hörte ich in diesem Gewusel jemanden: "Also ich muß sagen, den Schwiegersohn hast du gut ausgesucht." Nun ja, mit solchen Leuten muß man diesen Ort eben auch teilen (wo man so außer sich ist, hört man einfach zu viel). 

Aber dem jungen Mann (von der Stimme her) mit dem Hund, will ich heute einen Platz in meinem Abendgebet einräumen.

nachgetragen am 21. Oktober

Samstag, 13. Oktober 2018

Herzogin Olga zu ihrem Geburtstag

Alcina: Overture · Karina Gauvin · Jeanne Lamon

Jetzt sind wir schon in freudiger Stimmung. Zu Recht. Herzogin Olga, genauer Helene Olga Feodora Donata Maria Katharina Theresia von Mecklenburg - der Herr segne die Zeit, die vor ihr liegt - wurde heute vor wenigen Decennien geboren.

Donnerstag, 11. Oktober 2018

Andreas Gryphius: 1 & 3 Gedichte über die Vergänglichkeit &



Es ist alles eitel

Du siehst, wohin du siehst nur Eitelkeit auf Erden.
Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein:
Wo itzund Städte stehn, wird eine Wiese sein
Auf der ein Schäfers-Kind wird spielen mit den Herden:

Was itzund prächtig blüht, soll bald zertreten werden.
Was itzt so pocht und trotzt ist Morgen Asch und Bein;
Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein.
Itzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden.

Der hohen Taten Ruhm muß wie ein Traum vergehn.
Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch bestehn?
Ach! was ist alles dies, was wir für köstlich achten,

Als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind;
Als eine Wiesen-Blum, die man nicht wiederfind't.
Noch will was Ewig ist kein einig Mensch betrachten!

All is vanity

Look over Earth, you’ll see but vanity at large.
What this man builds today, that man tears down tomorrow;
Where towns are standing now, one soon will see a meadow
On which a shepherd’s boy is playing with his charge.

What swells in gorgeous bloom, will soon be trampled under.
What vaunts and flouts right now, next sun is ash and bone;
Nothing may hope to last, no metal and no stone.
Now fortune smiles at us, in no time troubles thunder.

The fame of noble deeds must like a dream fall past.
So shall the toy of time, this flimsy man, stand fast?
Ah! what is everything, this all we deem sublime,

But dismal nothingness, but shadow, dust and pain;
A meadow flower one can never find again.
Yet not one man will give eternity his time!

transl. © Michael Haldane




Menschliches Elende

Was sind wir Menschen doch? ein Wohnhaus grimmer Schmerzen
Ein Ball des falschen Glücks / ein Irrlicht dieser Zeit /
Ein Schauplatz herber Angst / besetzt mit scharfem Leid /
Ein bald verschmelzter Schnee / und abgebrannte Kerzen.

Dies Leben fleucht davon wie ein Geschwätz und Scherzen.
Die vor uns abgelegt des schwachen Leibes Kleid /
Und in das Toten-Buch der großen Sterblichkeit
Längst eingeschrieben sind / find' uns aus Sinn und Herzen.

Gleich wie ein eitel Traum leicht aus der Acht hinfällt /
Und wie ein Strom verfließt / den keine Macht aufhält /
So muß auch unser Nam' / Lob / Ehr und Ruhm verschwinden.

Was itzund Atem holt, muß mit der Luft entfliehn /
Was nach uns kommen wird / wird uns ins Grab nachziehn /
Was sag ich? Wir vergehn' wie Rauch von starken Winden.




Einsamkeit

IN diser Einsamkeit / der mehr denn öden Wüsten
Gestreckt auff wildes Kraut / an die bemoßte See:
Beschau ich jenes Thal und dieser Felsen Höh'
Auf welchem Eulen nur und stille Vögel nisten.

Hier / fern von dem Palast; weit von des Pöbels Lüsten /
Betracht ich: wie der Mensch in Eitelkeit vergeh'
Wie auf nicht festem Grund' all unser Hoffen steh'
Wie die vor Abend schmähn / die vor dem Tag uns grüßten.

Die Höhl' / der rauhe Wald / der Todtenkopf / der Stein /
Den auch die Zeit auffrißt / die abgezehrten Bein /
Entwerfen in dem Mut unzählige Gedancken.

Der Mauren alter Grauß / diß ungebau'te Land
Ist schön und fruchtbar mir / der eigentlich erkannt /
Daß alles / ohn ein Geist / den Gott selbst hält / muß wancken.


Betrachtung der Zeit

Mein sind die Jahre nicht, die mir die Zeit genommen,
Mein sind die Jahre nicht, die etwa mögen kommen.
Der Augenblick ist mein, und nehm ich den in acht,
so ist der mein, der Jahr und Ewigkeit gemacht.


Anschluß - Betrachtungen

Wir Deutsche sind vertraut mit Untergängen, oder, um Grass zu zitieren: „Teutschland, das herrlichste Kaiserthumb der Welt, ist nun mehr auff den Grund außgemergelt, verheeret und verderbet...“.  Ach, und die Deutschen hätten „fremdländischen Horden das Vaterland preisgegeben“, diese hätten sich Deutschland als Tummelplatz auserkoren, so daß es zerstückelt und nach dem „Verlust seiner Schönheit“ nicht mehr kenntlich - „ohne alte Ordnung“ sei „alle Treu verloren“. In der Tat.

Dieser historisch gewordene Charakter führt auf der einen Seite zu überspannten Naturen wie etwa Schelling oder Nietzsche, um nur zwei zu nennen, auf der anderen (natürlich ist das alles selbstgefällig, aber man gruselt sich schon bei jedem Beispiel) etwa dem Wahn, das Weltklima anhalten zu wollen. Nur, daß die einen sich ihrer wohl im Übermaß bewußt waren, während andere, heutige vollkommen ohne das auskommen.

Wir wischen das jetzt einfach beiseite.  Zuvor noch: Die Zitate waren aus dem „Treffen in Telgte“. Mein früheres Ich hatte dazu einmal ein paar Gedanken.

Andreas Gryphius war einst ein sehr berühmter Dichter im Reich, das gerade verbrannte. Über die Vergänglichkeit solchen Ruhms hätte man gar nicht erst anfangen müssen, ihn zu belehren. Er wußte das alles bereits hinreichend, und ist wohl an einem 2. Oktober A.D. 1616 geboren worden (die frühere Elf war demnach ein Verleser der römischen II, ich bin auch wieder darauf hineingefallen, hatte aber schon angefangen, wie auch immer). Wer mehr wissen will, nehme mit diesem oder auch diesem Vorlieb.

Wenn wir sie denn kennen, haben wir eine Dichtung, die uns auf alles vorbereitet, die Abgründe des Grauens und die Wertschätzung des Schönen, destotrotz. Um nur das zu sagen:

Grypius hat den wesentlichen Teil seines Lebens in der wahrscheinlich grausamsten Zeit zubringen müssen, die Deutschland je befallen hat. Angesichts dessen, was in späteren Jahrhunderten nachfolgen soll, mag ein solches Urteil anmaßend klingen, aber wenn man nüchtern auf die Totenwaage schaut, ist es so. Ihm war es aber, wie den meisten seiner Zeitgenossen, dabei vergönnt, zwar das Grauen zu erleben und zu beschreiben (dafür hat er eine gewisse Bekanntheit behalten), aber nicht auch in eine seelische Obdachlosigkeit zu fallen.

(Ich kann nur erahnen, was das bedeutet, etwa wenn ich nachts öfters fremde Alpträume übergeholfen bekomme. Mir genügen bereits die wenigen eigenen Erfahrungen. Man merkt, ich schreibe dies gerade nachts, darum diese Rosen, die lange vergangen sind und in meine Erinnerung eingegangen. Mit der sich zugleich die Ratlosigkeit verbindet gegenüber dem Bedürfnis von Menschen, schöne Dinge, die ihnen zufallen, zerstören zu müssen. Als Rache wofür? Wir werden das Böse nie verstehen.)


Wir sind wieder bei Gryphius.

Andreas Gryphius wurde also 1616 zu  Glogau in Schlesien geboren, an einem 2. Oktober. Das dortige Theater von 1799, daher das obige Bild, wurde irgendwann nach ihm benannt, bevor es, wie der ganze Ort, im letzten Krieg vernichtet wurde. Er dürfte heute auch aus dem Bewußtsein der meisten Deutschen verschwunden sein, wofür man bei Gryphius schon die passenden Kommentare findet.

Aber: Seit 2017 baut man wieder daran. Wie immer das Ergebnis schließlich aussehen wird, die Erkenntnis des Untergangs wie das Bedauern darüber scheinen einen Umweg gesucht und gefunden zu haben, um der Vergänglichkeit aller Dinge noch einmal zu entgehen. Nur nicht hier, hinreichend, fürchte ich. Insofern haben die heutigen Bewohner des Ortes uns etwas voraus. Man mag einwenden, wie sehr das Bemühen um das Wiedergewinnen von Verlorenem auch bei uns eingesetzt hat. Das stimmt zwar, aber wie weit reicht dies nach innen? Also hoffen wir weiter.

Gryphius-Büste am Stadttheater

Mittwoch, 3. Oktober 2018

Dem 3. Oktober hinterhergetragen








Auch ein kleiner See vermag, große Wellen hervorzubringen, jedenfalls gefühlt. Dieser 3. Oktober war windig und kühl, was erst einmal nicht unangenehm ist, und das haben die schon länger so an sich, immerhin dräut kein Gletscher am Horizont.

Unter den Zufallsbildern waren einige überraschend unübel, also teilen wir sie doch mit.

Es ist immer wieder schön, wenn man beim persönlichen Wiedertreffen nach einem Jahr, oder so (und zuvor nur die inzwischen vorherrschenden virtuellen Kontakte, was noch einmal ein Thema an sich wäre) mit den Worten begrüßt wird: "Herr Wisser, Du siehst aus wie ein Gespenst!"

Dann weiß man, Menschen schauen noch hin, nehmen Dinge war, die man selbst längst weiß… Aber, wer sich nur noch mit älteren Dingen beschäftigt, sieht ausweglos wohl auch eher so aus irgendwann dann, von der Erbarmungslosigkeit der Biologie abgesehen, wie auch immer.

Das Café am Chinesischen Pavillon war also erwartungsgemäß zu, es wäre auch ein absurder Kampf mit den Elementen gewesen, das taugt wenig zur Nachmittagserbauung.

Aber vorher hatten wir ein lustiges Erlebnis. Wir gingen also über unseren schrägen Markt, und wo wir über die Mitte hinaus waren, wurde ich gefragt, wo denn dieser Soldat abgeblieben sei (Bauhof) und ob das gerade ein Brunnen gewesen wäre. Und ich antwortete natürlich in meiner selbstgefälligen Selbstgewißheit, ja, aber der wäre wohl abgeschaltet, wegen der Jahreszeit, inzwischen.

Nun ja, 7 bis 10 Sekunden danach (glücklicherweise erst dann) hatte sich die Jahreszeit offenkundig geändert und ich war um eine Erfahrung reicher: Trau keinem Springbrunnen und vor allem frisch angelernten Gewißheiten!

Auf dem Rückweg kamen wir am ehemaligen Amtsgericht vorbei und dem schönen Landeswappen ebendort (endlich konnte ich einmal den Unterschied zum Schwerin‘schen erklären),  der Greif sollte übrigens unbedingt was mit seinem rechten Unterschenkel machen.

Und da konnte ich passenderweise noch die neuesten Neuigkeiten zum Schloß nachtragen. Das Land erkläre sich bereit, „nicht nur den Keller zu stabilisieren und begehbar zu machen, sondern auch den Bau eines Turms auf dem Schlossberg zu unterstützen“ (gut, das war jetzt das passende Zitat im Nachhinein)! Wenn die üblichen Verdächtigen nicht wieder alles zuverlässig ruinieren, dürften wir also vielleicht tatsächlich bald endlich einen Anfang vom Schloß haben. Das sind die Momente, wo man ungläubig anfängt, der Wirklichkeit wieder zu trauen. Sehr vorsichtig.

Zum guten Schluß also: Gott segne Mecklenburg-Strelitz! Obwohl es das so lange nicht mehr gibt. Aber das Schloß gibt es ja fast genauso lang ebenso nicht mehr.

nachgetragen am 4. Oktober