Montag, 31. August 2009

Zwischendurch-Montag





Zwei Bilder vom heutigen Abend und zwei von gestern, die da nicht recht passen mochten. So bekommt dieses Blog doch noch einen persönlichen Anstrich.



Sonntag, 30. August 2009

Darüber, Augustinus zu lesen



Wenn man leichthin über ihn schreiben wollte, könnte man sagen, er ist derjenige, der die Erbsünde erfunden hat.

„Du hast uns geschaffen auf Dich hin, und ruhelos ist unser Herz als bis es ruhet in Dir.“
Confessiones I,1

Aber warum sollte man das wollen. Er ist wie ein Berg, an dem man entlangläuft, um irgendwie ein perfektes Bild zu bekommen, aber mit jedem Schritt ändert sich das Bild, überragend bleibt es immer. Das hat etwas Einschüchterndes, aber nur solange, bis man beginnt, ihn zu lesen, dann stellt sich eine überraschende Vertrautheit ein, meistens.

„Kehre zu dir selbst zurück; im Inneren des Menschen wohnt die Wahrheit; und wenn du entdeckst, daß deine Natur wandelbar ist, gehe über dich selbst hinaus.“
De vera religione 39,72

Um das Biographische nur kurz anzudeuten (es läßt sich besser hier und hier nachlesen, dies mag auch nützlich sein):

Geboren wurde er am 13. November 354 in Thagaste (heute Souk-Ahras in Algerien) als Sohn des Patricius (ein Heide) und der Monica (eine energische Christin). 370 beginnt er in Karthago zu studieren, seine Konkubine gebiert 372 einen Sohn, Adeodatus. Durch die Lektüre des Hortensius von Cicero begeistert er sich für die Philosophie, die Bibel befriedigt ihn wenig, 373 schließt er sich den Manichäern an, 383 wendet er sich von diesen wieder ab. Ab 375 Lehrer für Rhetorik in Thagaste, zieht er 383 nach Rom und wird 384 als Rhetorikprofessor an die kaiserliche Residenz nach Mailand berufen. Im August 386 hat er ein Bekehrungserlebnis und läßt sich in der Osternacht des folgenden Jahres taufen. Nach Monicas Tod kehrt er 388 nach Thagaste zurück, wo 389 sein Sohn stirbt. 391 empfängt er die Priesterweihe und wird 396 Bischof von Hippo Regius. Am 28. August 430 stirbt Augustinus in der von den Vandalen belagerten Stadt.

„Denn obwohl es mir nicht darum zu tun war zu lernen, was er sprach, sondern nur zu hören, wie er sprach - denn nur diese eitle Sorge war nur geblieben, mir, der ich daran verzweifelte, daß den Menschen überhaupt ein Weg zu dir offenstehe -, kam doch in meine Seele zugleich mit den Worten, die ich gern hörte, noch der Inhalt, den ich geringschätzte, denn ich konnte beides nicht voneinander trennen.“
Confessiones V,14

Vom Bischof Ambrosius spricht er hier, dessen rhetorische Fähigkeiten ihn faszinierten und die ihn sich dem Christentum wieder annähern ließen. Augustinus hatte neben einem scharfen Verstand einen starken Sinn für Schönheit. Und doch schreibt er über sie:

„Spät habe ich dich geliebt, du Schönheit, so alt und doch so neu, spät habe ich dich geliebt! Und siehe, du watest im Innern, und ich war draußen und suchte dich dort; und ich, mißgestaltet, verlor mich leidenschaftlich in die schönen Gestalten, welche du geschaffen. Mit mir warst du und ich war nicht mit dir. Die Außenwelt hielt mich lange von dir fern, und wenn diese nicht in dir gewesen wäre, so wäre sie überhaupt nicht gewesen. Du riefest und schriest und brachst meine Taubheit. Du schillertest, glänztest und schlugst meine Blindheit in die Flucht. Du wehtest und ich schöpfte Atem und atme zu dir auf Ich kostete dich und hungre und dürste. Du berührtest mich und ich entbrannte in deinem Frieden.“
Confessiones X,27



Für solche Sätze hat man ihm vorgeworfen, den Platonismus ins Christentum getragen zu haben. Man könnte aber auch sagen, er hat dem christlichen Denken etwas den Staub der Straße aus den Kleidern geklopft, nicht als erster übrigens, aber sicher als Erfolgreichster. Bei Augustinus hat man bei aller überragenden Größe das Gefühl mit einem Zeitgenossen zu sprechen, jemand, um es etwas hölzern zu sagen, der die gleiche psychologische Konstitution wie wir hat, die gleichen Interessen, Versuchungen, Abwege. Mit dem man sich etwa bei einer Tasse Tee über esoterische Verirrungen unterhalten könnte.

"So geriet ich denn in die Gesellschaft von Menschen voll wahnsinniger Überhebung, allzu irdisch gesinnt und geschwätzig, in deren Munde Schlingen des Teufels waren und ein Vogelleim, bereitet aus einer Mischung toter Buchstaben deines Namens und des Herrn Jesu Christi und unseres Trösters, des heiligen Geistes. Diese Namen wichen nicht von ihren Lippen; aber es war nur leerer Schall und Wortgeklingel, und ihr Herz war ohne die Wahrheit. Und doch war 'Wahrheit' und immer wieder Wahrheit ihr Losungswort und viel sprachen sie nur von ihr, aber Wahrheit war nicht in ihnen."
Confessiones III,6

Er war jemand, dessen Nähe andere suchten und der Nähe stiftete, der zur Freundschaft fähig war, ein uneitler Heiliger vermutlich. Und so war sein Glaube. Für Augustinus gehört der Glaube ins Innerste des Menschen, Glaube ist keine Unterwerfung unter ein äußeres Machtverhältnis, sondern „homo desiderium dei.“ – „Der Mensch ist die Sehnsucht nach Gott" oder „Der Mensch ist die Sehnsucht Gottes", es läßt sich in beiden Richtungen übersetzen und beides ist wahr.

Darum hat er wie wohl kein anderer seit Paulus auf die Gnade Gottes verwiesen, Gnade als Caritas (Römer 5,5 „Denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unser Herz durch den Heiligen Geist, welcher uns gegeben ist.“), und Caritas bedeutet für ihn auch Wille zur Wahrheit und zum rechten und helfenden Handeln.

Und jetzt landen wir doch noch bei der Erbsünde. Eine der heftigsten Auseinandersetzungen, und er konnte ein erbitterter Gegner sein, hatte er mit Pelagius und seinen Anhängern. Kurz gesagt, war Pelagius der Auffassung, daß der Sündenfall zwar ein Makel für die menschliche Natur sei, aber mehr als ein schlechtes Vorbild. Grundsätzlich sei die Sünde überwindbar und daher solle und könne ein Christ ein sündloses Leben anstreben.

In der „Confessio Augustana“, dem „Augsburgischen Bekenntnis“ von 1530 heißt es dazu:

"Der 2. Artikel
Von der Erbsünde

Weiter wird bei uns gelehrt, daß nach Adams Fall alle Menschen, die natürlich geboren werden, in Sünden empfangen und geboren werden, das ist, daß sie alle von Mutterleibe an voll böser Lust und Neigung sind und von Natur aus keine wahre Gottesfurcht und keinen wahren Glauben an Gott haben können:

daß auch dieselbe angeborene Seuche und Erbsünde wahrhaftig Sünde sei, und alle die unter den ewigen Zorn Gottes verdamme, die nicht durch die Taufe und den heiligen Geist neu geboren werden.

Daneben werden verworfen die Pelagianer und andere, die die Erbsünde nicht für Sünde halten, damit sie die Natur fromm machen durch natürliche Kräfte, zu Schmach dem Leiden und Verdienst Christi.“


Exakt genauso hat es Augustinus gesehen:

„Sie nennen die menschliche Natur frei, um keinen Befreier suchen zu müssen. Sie erklären sie für Heil, um den Heiland als überflüssig zu bezeichnen. Sie behaupten, die menschliche Natur sei so stark, daß sie vermöge der von Anfang an bei ihrer Schöpfung empfangenen Kräfte ohne Hilfe des Schöpfers durch den freien Willen alle Begierden bändigen und austilgen und deren Versuchungen überwinden könne.“
Brief177,1

Er wirft den Pelagianern, die energisch widersprochen haben werden, damit vor, sie würden sich mit ihrer Lehre der Gnade Gottes entgegenstellen und der Hybris menschlicher Selbstermächtgung verfallen. Man könne ohne die Hilfe Gottes aber nicht zum eigentlichen Leben finden. Es ging ihm also nicht darum, das menschliche Gemüt zu knechten, sondern er wollte es schützen und ihm helfen. Also keine so abgelegene oder lange überholte Angelegenheit.

Eine der zahlreichen Legenden über Augustinus erzählt, er sei am Ufer des Meeres entlanggehend aus seinem Nachdenken durch einen kleinen Jungen aufgeschreckt worden, der mit einem Löffel Wasser aus dem Meer schöpfte und es in eine Sandgrube goß. Als er ihn fragte, was er da tue, antwortete der: "Dasselbe, was du tust! Du willst die Unergründlichkeit Gottes mit deinen Gedanken aussschöpfen - ich versuche, das Meer auszuschöpfen!" Ein wenig ist es so mit ihm selbst.

Wohl einer der Gründe, warum dieser Beitrag so lange gedauert hat und nicht schon vergangenen Freitag hier stand. Aber wenn selbst Papst Johannes Paul II. feststellt -

„Es ist schwer, sich einen Weg durch das Meer des augustinischen Denkens zu bahnen; noch schwieriger aber – wenn nicht überhaupt unmöglich – ist es, dieses Denken kurz zusammenzufassen.“

- dann ist das wohl nicht so ungewöhnlich.

Samstag, 29. August 2009

Zufalls-Tages-Bilder





Wo ich gerade weiter mit dem Hl. Augustinus kämpfe, zur Auflockerung zwischendurch zwei mißglückte Bilder vom heutigen Tag.

Freitag, 28. August 2009

Über Augustinus und das Ende Roms


San Apollinare Nuovo in Ravenna,
Der Zug der Hl. Märtyrer,
vor 526, Auftraggeber: Theoderich
hier gefunden

Man hat gern behauptet, daß heute das (West-)Römische Reich oder die Antike untergegangen sei, das ist eigentlich Unsinn, Reiche gehen über Nacht allenfalls am Ende eines Krieges unter, so wie Troja etwa. Am 28. August 476 wurde nur der Heermeister Orestes getötet, der seinen halbwüchsigen Sohn unter dem Namen Romulus Augustus als Kaiser-Marionette eingesetzt hatte.

Der Anführer der Rebellion Odoaker setzte ihn daraufhin ab, ließ ihn sogar am Leben und sich von den Truppen zum König von Italien ausrufen. Es gab also keinen weströmischen Kaiser mehr und die oströmischen Kaiser taten so, als würden die germanischen Heerführer und Könige im Westen unter ihrer Oberhoheit regieren, man hatte also nur eine armselige Kulisse beiseite geschoben, denn die Germanen hatten sich des Reiches längst weitgehend bemächtigt.

Wahrscheinlich war die Pointe einfach zu bestechend: Romulus gründet 753 v. Chr. Rom und unter Romulus „Augustulus“ (so war der Spottname - „das Kaiserlein“) geht es unter. Nein richtig zu Ende geht es mit Rom und Italien erst später (ich habe das vor ein paar Tagen schon erwähnt), nämlich ausgerechnet durch die Auswirkungen der oströmisch-byzantinischen Rückeroberung (535 bis ca. 552).

Ich gestehe, ich neige dazu, emotionale Bindungen zur Geschichte aufzubauen, und an dem Untergang Roms habe ich immer ziemlich zu kauen gehabt. Und als Laie darf ich das sagen, wo der Begriff "Niedergang" neuerdings durch den Begriff "Transformation" ausgetauscht wird, ist das einfach neumodische Scharlatanerie, wenn in einer Gegend, wo die Menschen vorher Bibliotheken kannten, die Kenntnis der Schrift nahezu verlorengeht, dann ist das keine neutrale Transformation, es sei denn, man hält Altersdemenz auch für eine solche, aber das ist für mich nicht mehr satisfaktionsfähig.

Es gibt den etwas bösen Gedanken, letztlich sei das weströmische Reich nie untergegangen, sondern habe sich in die römisch-katholische Kirche transformiert, aber das wäre eine weitreichende Erörterung. Womit wir nahe an einem anderen bemerkenswürdigen Datum sind.

Augustinus von Hippo ist am 28. August 430 gestorben.


Ravenna, Baptisterium der Arianer
hier gefunden

Da eine Annäherung an Augustinus offenkundig zu den anstrengenderen Dingen zählt, findet sich eine Fortsetzung erst am folgenden Sonntag.

Donnerstag, 27. August 2009

Über Desprez, Blake und eigentümliche Eigenheiten


Josquin Desprez “Mille regretz“
hier gefunden


Es ist seltsam, wenn einen andere besser verstehen als man sich selbst, aber da das eher einen persönlichen Hintergrund hat, wollen wir die Erklärung dazu ans Ende stellen.

Ich habe sicher schon einmal erwähnt, daß zu den merkwürdigen Vorlieben, die ich irgendwann einmal entwickelt habe, die für die Frühe Musik gehört. Josquin Desprez (auch Josquin des Préz genannt) war ein bedeutender Komponist der frühen Renaissance und starb am 27. August 1521. Das obige Stück ist das Chanson “Mille Regretz“, übrigens ein Lieblingswerk von Kaiser Karl V. Während das untere Beispiel eine Vertonung des 91. Psalms darstellt genauer, seiner ersten 8 Verse. Da die Vertonung auf Latein ist, wollen wir bei dieser Gelegenheit den (ganzen) Psalm in Erinnerung rufen.

Psalm91

1. Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt,

2. der spricht zu dem Herrn: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe!

3. Denn er errettet mich vom Strick des Jägers und von der schädlichen Pestilenz.

4. Er wird dich mit seinen Fittichen decken, und deine Zuversicht wird sein unter seinen Flügeln. Seine Wahrheit ist Schirm und Schild,

5. daß du nicht erschrecken müssest vor dem Grauen des Nachts, vor den Pfeilen, die des Tages fliegen,

6. vor der Pestilenz, die im Finstern schleicht, vor der Seuche, die im Mittag verderbet.

7. Ob tausend fallen zu deiner Seite und zehntausend zu deiner Rechten, so wird es doch dich nicht treffen.

8. Ja, du wirst mit deinen Augen deine Lust sehen und schauen, wie es den Gottlosen vergolten wird.

9. Denn der Herr ist deine Zuversicht, der Höchste ist deine Zuflucht.

10. Es wird dir kein Übels begegnen, und keine Plage wird zu deiner Hütte sich nahen.

11. Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir, daß sie dich behüten auf allen deinen Wegen,

12. daß sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stößest.

13. Auf den Löwen und Ottern wirst du gehen und treten auf den jungen Löwen und Drachen.

14. Er begehrt mein, so will ich ihm aushelfen; er kennet meinen Namen, darum will ich ihn schützen;

15. er rufet mich an, so will ich ihn erhören. Ich bin bei ihm in der Not; ich will ihn herausreißen und zu Ehren machen.

16. Ich will ihn sättigen mit langem Leben und ihm zeigen mein Heil.



Josquin Desprez "Qui habitat"
hier gefunden


William Blake
Inferno, Canto V, 37-138, The Whirlwind of Lovers
hier gefunden

Prof. Aue war so freundlich, mich über seine neueste Übersetzung zu informieren. Es handelt sich um William Blakes Gedicht „London“, sie findet sich hier.

William Blake

To see a world in a grain of sand

To see a world in a grain of sand
And a heaven in a wild flower,
Hold infinity in the palm of your hand
and eternity in an hour.


Eine Welt zu sehn in dem Körnchen Sand

Eine Welt zu sehn in dem Körnchen Sand,
einen Himmel in wilder Blume,
hält Unendlichkeit in der off'nen Hand
und die Ewigkeit einer Stunde.

Übersetzung / Translation
von / by Walter A. Aue


Wie unschwer zu erkennen ist, handelt es sich hier um ein anderes Gedicht Blakes, den berühmten Anfang eines dann des weiteren nicht mehr so berühmten Werkes. Und warum dies, nun, er lag mit seinem Hinweis, dies sei wohl nicht meine Tasse Tee, nicht so falsch, obwohl ich erst halb widersprochen habe. Aber es wäre natürlich armselig, wenn man nur schätzen würde, was man auch mag.

Und es ist in der Tat wieder ganz bemerkenswert, was er dort auf seiner Seite zu Blakes „London“ zusammengetragen und erklärt hat. Nur irgendwie gibt es bei mir ein instinktives Zurückziehen vor dem Unerfreulichen, dem Häßlichen oder Grausamen, obwohl ich natürlich weiß, daß es ein Teil des Lebens ist und also auch zur Kunst dazugehört, ich kann mich sogar an die Faszination, die es haben muß, heranempfinden (zumal man ja oft das am interessantesten findet, was man nicht versteht oder was einem fremd ist), aber am Ende lande ich dann doch lieber bei „To see a world in a grain of sand“.

Mittwoch, 26. August 2009

Dienstag, 25. August 2009

Über Nietzsche, Kanuten und verunglückte Prinzessinnen



Diese Stadt ist ein sehr körperbetonter Ort, Ich habe mich früher schon einmal darüber amüsiert: Auffallend viele herumlaufende Tätowierungen oder ein Sportgymnasium wie auch olympiagestählte Kanuten... Stimmt, ich habe das hier noch gar nicht veröffentlicht, nun dann wird das auch jetzt nicht der Tag dafür sein.



Bei einer meiner extrem seltenen Fernsehbesichtigungen sah ich heute weite Teile einer Dokumentation über die glamourösen (aha) 80er Jahre. Und ein Bild sprang mir in die Augen - die wie eine russische Großfürstin des beginnenden 20. Jahrhunderts agierende und ausstaffierte Prinzessin Diana, wie sie ein ziemlich krank und dunkel aussehendes Kind in den Arm nimmt, also einen Sinn für starke Inszenierungen hatte sie (und nachdem ich mich gerade durch viele verschiedene Diana-Videos gekämpft habe, nehme ich erschöpft dieses).



Aber damit haben wir zwei Pole beschrieben – Stärke und Schwachheit, die jemand brennend interessierten, der heute nach elendigem Siechtum dann endlich starb, so gar nicht seinem eigengeprägten Ideal folgend. Friedrich Wilhelm Nietzsche starb am 25. August 1900 und ich folge einmal mehr meiner abwegigen Neigung, über Dinge zu schreiben, die ich nur widerstrebend interessant finde.

Er wollte sich so unbedingt als stark ansehen und erkannte im Christentum nur das habituelle Ressentiment der Schwachen, die alles Klare zu verweichlichen und verderben suchen. Ihm schwebte wohl eine Art sich selbst ermächtigender Mensch vor, den Moral und Religion nicht mehr zu fesseln vermögen. Nun ja, so krude dabei vieles erscheint, sind seine Aphorismen doch wahrlich nicht frei von tieferen Einsichten und Originalität, auch eine Art Paradoxon. Etwas hatte ich kürzlich schon bei anderer Gelegenheit zitiert.

Mit ein paar weiteren wollen wir enden, wieder aus „Jenseits von Gut und Böse“:

»Das habe ich getan«, sagt mein Gedächtnis. »Das kann ich nicht getan haben« – sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich – gibt das Gedächtnis nach. 68

Wer hat nicht für seinen guten Ruf schon einmal – sich selbst geopfert? – 92

Wie? Ein großer Mann? Ich sehe immer nun den Schauspieler seines eignen Ideals. 97

Vermöge der Musik genießen sich die Leidenschaften selbst. 106

Es ist eine Feinheit, daß Gott griechisch lernte, als er Schriftsteller werden wollte – und daß er es nicht besser lernte. 121

Ein Volk ist der Umschweif der Natur, um zu sechs, sieben großen Männern zu kommen. – Ja: und um dann um sie herumzukommen. 126

Wir machen es auch im Wachen wie im Traume: wir erfinden und erdichten erst den Menschen, mit dem wir verkehren – und vergessen es sofort. 138

Was eine Zeit als böse empfindet, ist gewöhnlich ein unzeitgemäßer Nachschlag dessen, was ehemals als gut empfunden wurde – der Atavismus eines älteren Ideals. 149

Um den Helden herum wird alles zur Tragödie, um den Halbgott herum alles zum Satyrspiel; und um Gott herum wird alles – wie? vielleicht zur »Welt«? – 150

Was aus Liebe getan wird, geschieht immer jenseits von Gut und Böse. 153

Die Liebe bringt die hohen und verborgnen Eigenschaften eines Liebenden ans Licht – sein Seltnes, Ausnahmsweises: insofern täuscht sie leicht über das, was Regel an ihm ist. 163

Das Christentum gab dem Eros Gift zu trinken – er starb zwar nicht daran, aber entartete, zum Laster. 168

Viel von sich reden kann auch ein Mittel sein, sich zu verbergen. 169

Im Lobe ist mehr Zudringlichkeit als im Tadel. 170

Die Vertraulichkeit des Überlegnen erbittert, weil sie nicht zurückgegeben werden darf. – 182

Es gibt einen Übermut der Güte, welcher sich wie Bosheit ausnimmt. 184

»Es mißfällt mir.« – Warum? – »Ich bin ihm nicht gewachsen.« – Hat je ein Mensch so geantwortet? 185

Das also von Nietzsche und weil es ihn vermutlich wahnsinnig verärgert hätte, gern noch 2 Videos von bzw. über Lady Diana am Ende.




Montag, 24. August 2009

Eine gewesene Amsel und andere kleinere Katastrophen


Wandmalerei aus Pompeji aus der "Casa Dei Dioscuri"
Perseus und Andromeda
hier gefunden

Da soll einer sagen, daß ein Gang in den Garten nicht zu tieferen Einsichten zu verhelfen vermag. Als ich heute Abend ein paar Tomaten von den Töpfen an der Hauswand abnehmen wollte, nahm eine der grauen Nachbarskatzen Reißaus. Überrascht trat ich näher und etwas bewegte sich im Gras, eine verletzte kleine Amsel lag zitternd am Boden, neben ihr ein paar Federn. Ich war komplett entscheidungsunsicher, die Nachbarskatze hatte mich wohl erkannt, kam bis auf 1 1/2 Meter zurück und lauerte dort nun, sich das Maul leckend und mich vorwurfsvoll taxierend, und ich überlegte, sollte ich der Natur ihren Lauf lassen, war der Vogel überhaupt zu retten, sollte ich ihn bergen (womit? Vogelfutter kaufen? auch das noch…). Also, ich fand etwas in Reichweite, anderenfalls wäre die Katze sofort dagewesen, tat den doch noch einigermaßen lebendigen Vogel dort hinein, hob ihn vorsichtig hoch, der entwischt, mit einem letzten Laut der Katze ins Maul. So also entflieht man aus falscher Furcht, oder auch Dummheit in seinen Untergang.

Das dazu. Ich weiß nicht, wie ich jemals auf die Idee kam, die Weltgeschichte kommentieren zu müssen, wohl Ideen- oder Lebensmangel, wie auch immer, als ich heute so ein wenig herumschaute, dachte ich, wenn das heutige Datum keinen Mangel kennt, dann einen an Katastrophen, wenn auch recht unterschiedlich verursachten. Pompeii, Herculaneum und Stabiae versanken beim Ausbruch des Vesuvs am 24. August 79.


Verlesung des Rituals der Brautmysterien,
Pompejanischer Maler um 60 v. Chr.,
Villa der Mysterien
hier gefunden

In Paris waren die Folgen der vergangenen Bartholomäusnacht zu besichtigen, in der 1572 Tausende von Hugenotten auf Befehl Katharinas von Medici ermordet worden waren.


Édouard Debat-Ponsan
Un matin devant la porte du Louvre, huile sur toile
hier gefunden

Und Rom fiel in die Hände der Westgoten, die es wohl am 24. August 410 plünderten, ein Schock für die damalige Welt.

Wir sind es gewohnt, die Geschichte von ihrem Ende her zu lesen, aber für jemanden, der darin lebt, ist die Zukunft offen, also wer um 400 in Rom lebte, wußte, daß die Zeiten hart waren, die politischen Verhältnisse unübersichtlich, die germanischen Barbaren frech und anmaßend … Aber er hätte nicht geglaubt, daß diese Welt bald ein Ende haben könnte. So wenig wie wir glauben, in sagen wir 20 Jahren ohne Kühlschrank auskommen zu müssen. Es kam aber so, und 410 erreichte die Römer eine Ahnung davon, keine schöne zugegebenermaßen.

Augustinus schrieb unter diesem Eindruck "De civitate Dei” (Vom Gottesstaat), in dem er das Christentum vom Römer-Sein zu lösen suchte. Denn die verbliebenen Heiden sahen in der Schändung der „Ewigen Stadt“ ein Strafgericht der Götter, zumal sich die Eroberer selbst als Christen sahen, wenn auch als arianische.

Tatsächlich waren die Dinge etwas umständlicher, der tatsächliche Untergang blieb noch mehr als ein Jahrhundert aufgeschoben, es gab eine Spätblüte unter Theoderich in seinem germanisch-römischen Nachfolgereich, aber dann wurde es wirklich sehr dunkel. Und zwar so dunkel, daß die Chance für einen kulturellen Neuanfang nahezu zu vergehen drohte. Der beginnt dann tatsächlich erst wieder mit Karl dem Großen, bis dahin gingen die Lichter aus in Europa, eines nach dem anderen.

Und was lernen wir daraus, nichts ist sicher, was aus Gewohnheit unzerstörbar erscheint, kann sich über Nacht in Staub auflösen, Vertrautheit ist eine Illusion. So kann man es sehen. Oder man nimmt sich Augustinus zum Vorbild, der in einer von Barbaren belagerten Stadt stirbt, aber vorher noch ein Buch schreibt über die zeitliche und die ewige Ordnung.

Meinen 519. Post hätte ich wirklich gern freundlicher enden lassen, hat diesmal nicht funktioniert.

Sonntag, 23. August 2009

Sonntag &



Nichts Spektakuläres, nur ein paar gegenwärtige Rosen und Tomaten (damit es etwas prosaischer wird).









Ich habe heute Nachmittag ein wenig Rotkäppchen gespielt und bin im Wald verlorengegangen. Nein nicht wirklich, ich hatte nur bei der Rückkehr von meiner Tour am See entlang die schwachsinnige Idee, einem Forstweg zu folgen im Glauben, es sei eine Abkürzung. Aber nicht jeder Weg hält einen Ausgang bereit, manchmal endet man auch nur auf einem Platz, auf dem sich Teile von Bäumen in unterschiedlichen Stadien des Zerlegt-Werdens befinden und es findet sich kein weiterer Weg. Wie bildhaft.





Und um noch zu erklären, was das Eingangsbild bedeutet. Als ich gewissermaßen im Kalender blätterte, um erleichtert festzustellen, daß all dies mit mir nicht genug zu tun hat, so daß ich meinem selbstgestellten Auftrag folgen müßte, etwas dazu zu bemerken, stieß ich auf dieses eigentümliche Monument zu Ehren von William Wallace, der am 23. August 1305 hingerichtet wurde.

Da ich kein Schotte bin, muß ich seiner nicht gedenken, aber das Monument wirkt wie dem Herrn der Ringe entsprungen, es hat etwas zeitlos Mythisches, dem überraschenderweise nichts Kulissenhaftes anhaftet.

Samstag, 22. August 2009

Freitag, 21. August 2009

Beiläufig


(c) Walter A. Aue

Gerade noch schrieb ich ermattet von der Hitze, mein Ideal sei leichter anhaltender Regen bei 20°C und dazu etwas Sentimentales von Händel. Nun dieses Ideal ist heute Nachmittag und Abend weitgehend eingetreten. Und das hört sich dann in etwa so an, nur daß auch noch Rameau dazu getreten ist.





Ich habe kürzlich berichtet, daß die Nachbarskatzen immer zutraulicher werden, das werden sie tatsächlich. Ich sitze gerade vor dem erleuchteten Bildschirm bei offener Terrassentür und eben ist der Stapel ungelesener Zeitungen auf der im Dunkel liegenden Couch umgefallen, an den Begleitgeräuschen konnte ich erkennen, daß eine der Nachbarskatzen es offenkundig daraufhin dort nicht mehr recht bequem gefunden hatte.



Und übrigens, als ich meine Musikstücke zusammensammelte, meinte der Algorithmus von YouTube, mir etwas empfehlen zu müssen, neugierig wie ich bin, hörte ich es mir an, es ist wundervoll, aber ich habe keinerlei Ahnung, wer das ist.



Ach, und das obige Nebelbild habe ich aus einer Mail stibitzt, die mir Prof. Aue vor wenigen Augenblicken zugesandt hat, ist es nicht atemberaubend.

Donnerstag, 20. August 2009

Zufälliges & Opitz





Nun, wo wir den Zufall hinter uns gebracht haben (ein paar Impressionen vom heutigen Tag, der mich wieder einmal über den Einfluß übergroßer Hitze auf das menschliche Gemüt nachdenken ließ, aber das wäre doch zu unterirdisch geworden, hab es also dann lieber seinlassen, manchmal muß man seine Erfindungen eben auch wieder eingraben), will ich wenigstens daran erinnern, daß Martin Opitz am 20. August 1639 starb. Meine vorigen Bemerkungen zu ihm findet man hier und ein eher gefälliges Gedicht, übersetzt von Michael Haldane folgt:


Martin Opitz

LAß UNS EILEN

Ach Liebste / laß vns eilen /
Wir haben Zeit:
Es schadet das verweilen
Vns beyderseit.
Der edlen Schönheit Gaben
Fliehn fuß für fuß:
Das alles was wir haben
Verschwinden muß.
Der Wangen Ziehr verbleichet /
Das Haar wird greiß /
Der Augen Fewer weichet /
Die Brunst wird Eiß.
Das Mündlein von Corallen
Wird vngestalt /
Die Händ' als Schnee verfallen /
Vnd du wirst alt.
Drumb laß vns jetzt geniessen
Der Jugend Frucht /
Eh' als wir folgen müssen
Der Jahre Flucht.
Wo du dich selber liebest /
So liebe mich /
Gieb mir / das / wann du giebest /
Verlier auch ich.


MAKE HASTE

Ah, darling, let’s make haste,
We have the time!
To tarry is to waste
Us in our prime.
The gifts of beauteousness
Flee with the wind;
And all that we possess
Time must rescind.
Your blooming cheeks will pale,
Your hair unblack;
Your flashing eyes will fail,
Your breast shall crack;
Your mouth, so coral-lush,
Be wry and cold,
Your fallen hands be slush:
You have grown old.
So let us gather now
The fruits youth bears,
Before we must shadow
The flight of years.
And as you love and live,
So love me too;
Give me so when you give
I lose like you.


Mittwoch, 19. August 2009

Lektüreabenteuer &



Ein sehr interessanter Kalender heute. U.a. ist Blaise Pascal am 19. August 1662 gestorben. Ich habe kürzlich einmal ein paar Zitate von ihm zusammengetragen (wer es hier nachlesen will, muß den banalen Einstieg hinter sich lassen). Von Pascal kam ich zu Nietzsche, von diesem auf die entsetzliche rationalistische Ödnis des vorherrschenden Protestantismus im 19. Jahrhundert... So schlägt der Verstand manchmal merkwürdige Kapriolen, wenn man beginnt zu lesen.

Ich blieb in der Tat an dieser Bemerkung Nietzsches hängen: „‚Ohne den christlichen Glauben‘, meinte Pascal, ‚werdet ihr euch selbst, ebenso wie die Natur und die Geschichte, un monstre et un chaos.‘ Diese Prophezeiung haben wir erfüllt: nachdem das schwächlich- optimistische achtzehnte Jahrhundert den Menschen verhübscht und verrationalisiert hatte.“

Es ist schon eigentümlich, daß er sich gerade an ihm so sehr abmühte, ich weiß nicht, ob Nietzsche jemanden jemals wirklich mochte (sich selbst eingeschlossen, diese Selbstüberhöhungen sind immer ganz verdächtig), aber bei ihm wurde er wohl fast schwankend, es handelt sich übrigens um eine späte Bemerkung aus dem Nachlaß.

Ich werde jetzt bestimmt nicht mit meinen Gedankengängen langweilen, aber zwei Zitate von ihm, am Wege aufgelesen, die ich aus verschiedenen Gründen unterhaltsam fand, sollten es doch sein (übrigens, eine erfreuliche Kurzdarstellung zu Pascal fand ich auch noch hier):

„Der Verbrecher ist häufig genug seiner Tat nicht gewachsen: er verkleinert und verleumdet sie.“
Jenseits von Gut und Böse, 109

„Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, daß er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“
Jenseits von Gut und Böse, 146.

Genug vom übellaunigen Herrn Nietzsche, wer will, mag hier noch weiterlesen.



Andrea di Pietro della Gondola, genannt Palladio starb ebenfalls heute, am 19. August 1580. Und das ist doch einmal ein Name, wo einem das Herz aufgeht, war mir auch schon einmal aufgefallen, obwohl ich bisher, denke ich, nicht recht begründet habe, warum eigentlich.



Vielleicht so: „Wer die Schönheit angeschaut mit Augen / Ist dem Tode schon anheimgegeben…“

Ach und dann starb Kaiser Friedrich III. am 19. August 1493, jemand, der als „des Römischen Reiches Erzschlafmütze“ tituliert wurde, aber seine Feinde schon allein dadurch besiegte, daß er sie alle überlebte.



Und um noch zwei überraschende Volten zu schlagen: Die Schafgarbe habe ich den Nachbarn abgeschwatzt, die sie loswerden wollten.



Und dann werde ich noch zwei Schnipsel von Adele Sandrock anbringen (der Topos ist wirklich mal neu, aber im 2. taucht sie persönlich gar nicht auf), die am 19. August 1863 geboren wurde, so kann ich wenigstens heute heiter enden.







Dienstag, 18. August 2009