Dienstag, 28. Januar 2014

Karl des Großen gedenkend

Autorenporträt des Terenz, um 825 n. Chr.

Vor ein paar Jahren schrieb ich hier so in etwa, am meisten würde mich dieses Bild rühren, weil es nahezu 1000 Jahre nach dessen Tode eines Komödienautors gedächte in einer Weise, als hätte man das die ganze Zeit über so gehalten, das Dazwischenliegende hinwegwischend wie einen bösen Traum.


Silberdenar mit dem Kopf Karls des Großen

Carolus Magnus, Kaiser Karl der Große starb am 28. Januar 814 n. Chr. in Aachen, vor 1200 Jahren folglich. Es gibt viele jüngere „geschichtliche“ Daten, die uns weitaus weniger betreffen. Er hat uns den Hals gerettet, gewissermaßen, genauer, unsere abendländische Identität. Der Faden der Überlieferung dessen, was das Abendland seit den alten Griechen, Römern und Juden ausmachte, wurde ständig dünner und dünner und schwächer und schadhafter. Er hat, um ein wackeliges Bild zu gebrauchen, die Sanduhr der Geschichte beherzt gepackt und umgedreht.

„Bis zu dem Ende des sechsten Jahrhunderts lassen sich die letzten Spuren altrömischer Kultur verfolgen; dann tritt ein Zeitalter entsetzlicher Barbarei ein, in dem fast nirgends im Abendlande ein Funke höheren Geisteslebens aufleuchtet. Alles, was uns aus dieser Zeit in Schrift und Kunstwerken erhalten ist, trägt den Stempel der grauenhaften Verwilderung, die überall nun in jenen Ländern herrschte, die einst unter Roms Herrschaft in herrlicher Blüte gestanden hatten. Es war, als ob die Menschheit sich selbst vergessen und von schwindelnder Höhe in den tiefsten Abgrund gestürzt hätte.“
aus Wilhelm von Giesebrecht "Karl der Große"

Es ist schon merkwürdig mit dem menschlichen Geist. Mitunter schlägt er sogar in einen germanischen Kriegerschädel ein. Der erkennt, was von seinen Vorfahren angerichtet wurde (sicherlich nicht im Sinne eines schlechten Gewissens), und versucht, alles wieder „gut“ zu machen, zu retten, was zu retten ist.

Ja ich weiß, er hat in seinem Glaubenseifer den einen oder anderen widerspenstigen und eidbrüchigen heidnischen Sachsen töten lassen, bis sie keine Heiden mehr waren – er war von seinem Naturell her immer noch ein germanischer Krieger, die waren da nicht so zimperlich, schon gar nicht unter „Stammesbrüdern“ (was die Sachsen nicht einmal waren). Und nur so zum Vergleich, man schaue sich einmal an, unter welchen Begleitständen die bekanntlich so kultivierten Araber ihre „Conquista“ vor der bekannteren „Reconquista“ in Hispanien etc. veranstalteten, was heutzutage auffallend gern unterschlagen wird. Da fällt Karl wirklich nicht aus dem Rahmen.

Aber lassen wir in dieser Sache einmal seinen Freund und Biographen Einhard zu Wort kommen ("Vita Karoli Magni" übers. v. Otto Abel):

"Kein Krieg, den das Volk der Franken unternahm, ist mit solcher Ausdauer, Erbitterung und Anstrengung geführt worden; denn die Sachsen, die wie fast alle Völkerschaften Deutschlands wild, dem Götzendienst ergeben und gegen unsere Religion feindselig waren, hielten es nicht für unehrenhaft, göttliches und menschliches Recht zu übertreten und zu schänden.

Dazu kamen noch besondere Umstände, die jeden Tag eine Störung des Friedens verursachen konnten: die Grenze zwischen uns und den Sachsen zog sich fast durchaus in der Ebene hin, mit Ausnahme weniger Stellen, wo größere Waldungen oder dazwischen liegende Bergrücken eine scharfe Grenzlinie bildeten; so wollten Todtschlag, Raub und Brandstiftungen auf beiden Seiten kein Ende nehmen. Dadurch wurden die Franken so erbittert, daß sie endlich ihren Schaden nicht mehr bloß heimgeben, sondern es auf offenen Krieg mit ihnen ankommen lassen wollten.

Der Krieg wurde also begonnen und von beiden Seiten mit großer Erbitterung, jedoch mehr zum Nachtheil der Sachsen als der Franken drei und dreißig Jahre lang ununterbrochen fortgeführt. Er hätte freilich früher zu Ende gebracht werden können, wenn nicht die Treulosigkeit der Sachsen gewesen wäre. Es ist schwer zu sagen, wie oft sie besiegt waren und flehentlich sich dem König unterwarfen, das ihnen anbefohlene zu leisten versprachen, die ihnen abgeforderten Geißeln ohne Zögern stellten und die zu ihnen geschickten Beamten aufnahmen; waren sie doch einigemal so geschwächt und heruntergebracht, daß sie selbst dem Götzendienst zu entsagen und den christlichen Glauben anzunehmen gelobten.

Aber wenn sie einerseits mehrmals bereit waren, dem nachzukommen, so waren sie andererseits jedesmal sogleich bei der Hand, das Gegentheil zu thun, so daß es schwer zu sagen ist, ob man ihre Geneigtheit zu dem einen oder zu dem andern mit größerem Rechte behaupten darf, denn seitdem der Krieg mit ihnen seinen Anfang nahm, ist kaum Ein Jahr verflossen, in dem nicht ein solcher Wechsel mit ihnen vorging.

Aber in seinem hohen Sinn und seiner in Glück und Unglück sich gleich bleibenden Beharrlichkeit ließ sich der König durch keinen Wankelmuth von ihrer Seite ermüden; noch von dem, was er sich einmal vorgenommen hatte, abbringen; vielmehr ließ er ihnen niemals ihr treuloses Verhalten ungestraft hingehen, sondern entweder zog er in eigener Person gegen sie zu Feld, oder schickte seine Grafen mit Heeresmacht gegen sie aus, um für ihr Thun Rache und eine gerechte Sühne zu nehmen.

Zuletzt nachdem er alle, die ihm Widerstand geleistet hatten, besiegt und unterjocht hatte, riß er zehntausend Mann mit Weib und Kind von ihren Wohnsitzen auf beiden Ufern der Elbe los und siedelte sie in vielen Abtheilungen in verschiedenen Gegenden Deutschlands und Galliens an. Unter der Bedingung aber, die vom Könige gestellt, von den Sachsen angenommen ward, nahm der Krieg, der sich so viele Jahre hingezogen hatte, ein Ende, daß sie dem heidnischen Götzendienst und den heimischen Religionsgebräuchen entsagten, die Sakramente des christlichen Glaubens annähmen und mit den Franken zu Einem Volke sich verbänden."

"Während seines Verlaufs wurden in verschiedenen Ländern so viele und so schwere Kriege, die sich gegen die Franken erhoben, durch die Thätigkeit des Königs durchgeführt, daß man billig im Zweifel ist, ob man an ihm mehr die Ausdauer oder sein Glück bewundern soll."

"Denn zwei Jahre vor dem italischen hatte dieser Krieg seinen Anfang genommen, und obwohl er ununterbrochen fortdauerte, so blieb doch nichts von anderweitigen Geschäften ungethan, noch ging man man irgendwo einem gleich mühevollen Kampfe aus dem Wege. Denn der König, der alle Fürsten seiner Zeit an Klugheit und Seelengröße überragte, ließ sich von nichts; was zu unternehmen und auszuführen war, durch die Mühe abhalten oder durch Gefahren abschrecken, sondern er hatte sich gewöhnt alles, wie es kam, zu bestehen oder zu ertragen, weder im Unglück nachzugeben, noch den falschen Lockungen des Glücks zu folgen."

[Wo wir uns gerade die Rührung aus den Augen wischen, ist jemandem aufgefallen, wie man aus dieser Übersetzung des Herrn Abel das Latein förmlich heraushört? Und der Autor Einhard war Deutscher, nicht einmal Kleriker! Kaiser Ludwig scheint sich in hohem Alter die Mühe gemacht zu haben, ihn nach einem Reichstag durch einen Umweg über den Verlust seiner Gattin trösten zu wollen. Und so vermag sich unser schlichtes Deutsch gewissermaßen mit dem Latein beeindruckend vermählen zu können; das ist auch rührend, übrigens.]

Und noch einmal Einhard: „Unter der Bedingung aber, die vom Könige gestellt, von den Sachsen angenommen ward, nahm der Krieg, der sich so viele Jahre hingezogen hatte, ein Ende, daß sie dem heidnischen Götzendienst und den heimischen Religionsgebräuchen entsagten, die Sakramente des christlichen Glaubens annähmen und mit den Franken zu Einem Volke sich verbänden."

Aachen, Pfalzmodell nach Leo Hugot 1981

Ein leicht polemischer Einschub:

Von den zahlreichen publizistischen Beiträgen, die es angesichts des 1200. Todestages Karls d. Großen dann doch gab, mußte ich mich erst einmal erholen, nachdem ich zu viele davon gelesen hatte. Ein Gipfelpunkt war etwa ein DW-Interview mit dem Historiker und Karl–Biographen Stefan Weinfurter, wir geben ein Stück wieder (es ging darum, warum er nicht mehr als europäische Integrationsgestalt taugen würde):

„... er ist nicht mehr die große Symbolfigur für die politische und gesellschaftliche Einigung eines Kontinents. Das ist längst vorbei.“

„Zumal dieses Bild auch nicht passen würde, da der karolingische Einheitsstaat mit seiner Staatsreligion nichts mit dem transkulturellen, areligiösen Europa zu tun hat, das wir heute sehen.“

„Das ist in der Tat ein Kernpunkt.“

Bei diesem „transkulturellen, areligiösen Europa“ funkelt wohl bei manchem Betrachter ein gieriger Wunsch in den Augen, aber (noch) sind wir nicht ganz da angekommen.

Was mir allgemein auffiel: Zeitgenössische Historiker mögen (mit Abstrichen) über eine breitere Faktenlage verfügen, aber ihnen fehlt zu oft die Gesinnung dazu, daß daraus etwas Rechtes wird. Es mangelt schlicht an Empathie, u.a.

Dazu fügt sich bestens, was ich kürzlich in einem anderen Zusammenhang lesen durfte:
Das ganze Konzept von "Fortschritt", "Kulturstufen" oder "Zivilisationsgraden" gehe auf sozialdarwinistische Theorien des 19. Jahrhunderts zurück. Aus kulturanthropologischer Sicht sei dies schlichtweg unwissenschaftlich und falsch und würde in der modernen Kulturwissenschaft auch nicht mehr verwendet.

Das kann ich mir lebhaft vorstellen. So wie mir jemand von einem Gespräch mit einer „einfühlsamen Pastorin erzählte - nein, dieser „Landstreicher“ (nicht ihr Wort) sei nicht schmutzig, er sei nur „anders gepflegt“. Mit anderen Worten, ob nun einer den Kontrapunkt „vermusiziert“ oder ein anderer seinen Stoffwechsel zu Gehör bringt. Es ist alles irgendwie gleich. Und so sind derartige Äußerungen, indem sie Unterscheidungen und Kategorien diffamieren wollen, eben nichts anderes als Symptome unseres heutigen geistigen Verfalls, den sie bestreiten.

Oder um den herrlichen Matthias Claudius zu zitieren, der das vor 200 Jahren alles schon nur zu deutlich vorhergesehen hat:

Sonst war Verschiedenheit im Schwange,
Und Menschen waren klug und dumm;
Es waren kurze, waren lange,
Und dick und dünne, grad und krumm.
Doch nun, nun sind sie allzumal
Schier eins und gleich, glatt wie ein Aal.


Michelstadt-Steinbach: Einhardsbasilika, von Nordwesten

Michelstadt-Steinbach: Einhardsbasilika, Inneres, von Westen

Die Einhardsbasilika in Steinbach im Hessischen, wovon die Bilder sind, gehört übrigens zu dem Wenigen (neben dem deutlich bekannteren Aachener Münster), was von karolingischer Baukunst etwas erhalten geblieben ist, und sie ist mit dem Namen des erwähnten Vertrauten Karls des Großen verbunden, Einhard. Er hat ihm, wie wir erfahren haben, in mancherlei Hinsicht gedient, noch nach dessen Tode mit seiner Biographie, der „Vita Karoli Magni".

Daß Karl ein erfolgreicher Heerführer war und ein Mehrer seines Reich, das hätte ihn sicher bekannt gemacht, aber es wäre nicht so außergewöhnlich gewesen. Herausgehoben über zahlreiche Herrschergestalten hat ihn etwas anderes (wir zitieren aus 2 Rundschreiben des Imperators an die Geistlichkeit:

„Da es uns am Herzen liegt, daß der Zustand unserer Kirchen ein immer besserer werde, so bemühen wir uns mit wachsamem Eifer, was durch die Lässigkeit unserer Vorfahren beinahe zu Grund gegangen, wiederherzustellen und den Wissenschaften eine neue Stätte zu bereiten, und muntern durch unser eigenes Beispiel wen wir können zu fleißiger Erlernung der freien Künste auf."

"Es sei Eurer Gott wohlgefälligen Frömmigkeit bekannt, wie wir sammt unseren Getreuen es für nützlich erachtet haben, daß die unserer Regierung anvertrauten Bischofssitze und Klöster außer einem der Ordensregel entsprechenden Lebenswandel und der Übung der heilige Religion ihren Fleiß auch auf die Beschäftigung mit den Wissenschaften und die Unterweisung derjenigen richten, die vermöge der Gabe Gottes lernen können, nach der Fähigkeit eines jeden. 

Denn da uns in den letzten Jahre von verschiedenen Klöstern öfters Schreiben zukamen, in denen angezeigt wurde, wie die in denselben wohnenden Brüder mit frommen und heiligen Gebeten für uns streiten, so haben wir aus den meisten Schreiben ihren guten Willen sowohl, als ihre ungebildeten Reden erkannt: denn was die fromme Demuth innerlich treu eingab, das konnte äußerlich wegen des vernachlässigten Unterrichts die ungebildete Sprache ohne Fehler nicht ausdrücken. 

Darum kam die Befürchtung in uns auf, es möchte wie die Kunst des Schreibens eine geringe war, so auch und weit geringer als recht die zum Verständnis der heiligen Schriften nöthige Bildung sein. Daher ermahnen wir Euch, nicht allein Eure wissenschaftliche Bildung nicht zu vernachlässigen, sondern auch das Ziel Eures Lernens darauf zu richten, daß Ihr leichter und richtiger in die Geheimnise der göttlichen Schriften eindringen könnet."

Karl war es ein dringendes Anliegen, die allgemeine Bildung zu heben bzw. diese erst wiederherzustellen. In einigen der „Gedächtnisartikel“ anläßlich seines Todestages, an die ich mich zunehmend nur noch dunkel erinnere, hieß es sinngemäß, die ungeheure Leistung, so (sehr relativ) viel vom antiken Wissen gerettet zu haben, sei nur ein unfreiwilliger Nebeneffekt seines religösen Eifers gewesen. Wie furchtbar. Worte wie die obigen werden dafür wohl benutzt worden sein. Aber so ist es halt, der unterschiedliche Gebrauch derselben Sache sagt mindestens soviel über den Benutzer wie über den Urheber derselben aus.

Nicht geleugnet werden kann, daß sich der zupackende Kriegerkönig (und das mußte er sein, wenn sein Reich Bestand haben sollte) in einem „akademischen“ Mileu wohl fühlte und zu bewegen wußte, er hat diese Umgebung selbst erst hergestellt und im letzten Winkel Europas nach herausragenden Gelehrten gesucht. Man gab sich neue Namen (um den Rangunterschied zurücktreten zu lassen), Karl sprach Latein so gut wie Deutsch und verstand Griechisch recht ordentlich. Er war ein geistiger Mensch.

Einhard: „Während der Tafel hörte er gerne Musik oder einen Vorleser. Er ließ sich die Geschichten und Thaten der Alten vorlesen; auch an den Büchern des heiligen Augustinus hatte er Freude, besonders an denen, die "vom Staate Gottes" betitelt sind.“

Um übrigens auf die auch von Einhard berichteten (was für seine Aufrichtigkeit spricht) mäßigen Erfolge beim Erlernen des Schreibens kurz einzugehen. Wie er richtig schreibt, geschah dies zu spät, die naheliegende Erklärung - die Feinmotorik seiner Hand war zwar von Jugend auf an das Schwert gewöhnt worden, für den Griffel war es aber eben zu spät. Sein Geist jedenfalls konnte schreiben.

Es wäre noch so viel zu erzählen von diesem nie wieder erreichten Vorbild eines christlichen Herrschers, von seinen Bauten, seiner besonderen Fähigkeit zur Freundschaft, seinem Charisma, seinem Wunsch, Rom wieder emporzuheben, seinem Willen zur Milde... Aber es soll genug sein; doch es war richtig und angemessen, an diesen großen Kaiser zu erinnern oder es zumindest zu versuchen, an, um noch einmal Einhard zu zitieren, "das ruhmvolle Leben und die herrlichen von Menschen der neueren Zeit wohl unerreichbaren Thaten des ausgezeichneten und größten Königs seiner Zeit".

Kuppelmosaik des Aachener Doms 

"Mosaike im Oktogon von der Wintersonne angestrahlt"


Der Aachener Königsthron im Dom

Banner des Heiligen Römischen Reiches bis 1806
nachgetragen am 4. Februar

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