Torso im Belvedere
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"Diese vorzügliche und edle Form einer so vollkommenen Natur ist gleichsam in die Unsterblichkeit eingehüllt, und die Gestalt ist bloß wie ein Gefäß derselben; ein höherer Geist scheint den Raum der sterblichen Teile eingenommen und sich an die Stelle derselben ausgebreitet zu haben...
Oh, möchte ich dieses Bild in der Größe und Schönheit sehen, in welcher es sich dem Verstande des Künstlers geoffenbart hat, um nur allein von dem Überreste sagen zu können, was er gedacht hat und wie ich denken sollte! Mein großes Glück nach dem seinigen würde sein, dieses Werk würdig zu beschreiben. Voller Betrübnis aber bleibe ich stehen, und so wie Psyche anfing, die Liebe zu beweinen, nachdem sie dieselbe kennengelernt, bejammere ich den unersetzlichen Schaden dieses Herkules, nachdem ich zur Einsicht der Schönheit desselben gelangt bin.
Die Kunst weint zugleich mit mir, denn das Werk, welches sie den größten Erfindungen des Witzes und Nachdenkens entgegensetzen und durch welches sie noch jetzt ihr Haupt wie in ihren goldenen Zeiten zu der größten Höhe menschlicher Achtung erheben könnte, dieses Werk, welches vielleicht das letzte ist, an welches sie ihre äußersten Kräfte gewendet hat, muß sie halb vernichtet und grausam gemißhandelt sehen. Wem wird hier nicht der Verlust so vieler hundert anderer Meisterstücke derselben zu Gemüte geführt! Aber die Kunst, welche uns weiter unterrichten will, ruft uns von diesen traurigen Überlegungen zurück und zeigt uns, wie viel noch aus dem Übriggebliebenen zu lernen ist und mit was für einem Auge es der Künstler ansehen müsse."
Ich bedaure, daß ich mich heute zu keiner bedeutenderen Würdigung Winckelmanns aufzuraffen vermag, der am 9. Dezember 1717 in Stendal geboren wurde. Es wird in Bezug auf ihn gern davon gesprochen, inwieweit sein Bild des antiken Griechenlands ein beschränktes gewesen sei, das man hätte überwinden müssen. So richtig das sein mag und sein „edle Einfalt, stille Größe“ in der Tat auch kaum dessen Wesen ausreichend beschreiben dürfte, so kommt ihm doch das Verdienst zu, den Sinn für Größe und Schönheit der antiken Kunst und Lebenssicht entscheidend wiedererweckt zu haben.
3 Kommentare:
Der einleitende Paragraph von Winckelmann (Diese vorzuegliche...) scheint mir eine Vorherahnung des Rilke'schen Sonetts - inhalts-, nicht sprachenweise natuerlich. Schoen - aber wie aendert man sein Leben in meinem Alter?
What a nice photograph, as if made to illustrate not just Winckelmann's feelings, but also those of Rilke's famous sonnet. And no, even if I change my life, I won't dare to translate that one...
Das kam mir auch in den Sinn, der Gedanke dürfte aber nicht fern liegen, daß Rilke diesen berühmten Winckelmann-Text gekannt hat, das nennt man dann wohl lebendige Überlieferung (ich hoffe, ich hatte den Link zum ganzen Text nicht zu sehr versteckt).
Ich muß gestehen, daß ich diesen letzten Satz von Rilke in seinem Torso-Gedicht immer etwas fremd abstehend, sperrig, fast gewaltsam fand, als wolle er aus seinem Dichten ausbrechen, eine Form von Selbsterlösung gewissermaßen, Sie wären dann folglich in der selben Verlegenheit wie er, wenn ich so sagen darf.
Wie ich es im Moment sehe, gilt hier für Rilke und Winckelmann vor allem, daß sie den Leser mit der Nase darauf stoßen, falls er noch keine Ahnung davon mitbekommen hat, daß wirkliche Kunst etwas ist, das bis an die Wurzel der eigenen Existenz geht. Die Kunst erklärt das Leben und ohne sie bleibt es dumpf und bewußtseinslos.
Wie wahr - und wie gut formuliert! Wer koennte solchem widersprechen?
How true - and how well expressed! Could one deny it? No. Could one neglect it? Yes. This is the way the culture cookie crumbles...
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