Samstag, 22. März 2025
Samstag, 8. April 2023
Dem Karfreitag nachgetragen und aus den Türkenkriegen
Eine Geschichte aus Zeiten, als man sich noch zu wehren wußte, und vor allem wollte, und eine Vorstellung davon hatte, warum. Und noch wichtiger: Als nicht alles zerfallen war zwischen denen, die das Land, in das sie gemeinerweise hineingeboren worden sind, hassen, und denen, die, mühsam erwachend, nicht wissen, wie ihnen geschieht, und was sie mit all dem anfangen sollen.
Agnus Dei - Samuel Barber, von hier
Bach - Agnus Dei - H - moll - Messe, BWV 232, von hier
Bach - Agnus Dei - H - moll - Messe, BWV 232, Karl Richter, 1969
Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, miserere nobis.
Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, dona nobis pacem.
O Lamm Gottes, unschuldig
Unsere Geschichte handelt von einem geistlichen Lied, das in den Türkenkriegen eine überraschende Rolle gespielt hat. Es kommt vom Agnus – Dei – Hymnus her, von dem wir nicht nur die wunderbarsten Vertonungen besitzen, sondern eben auch deutsche Nachdichtungen. Und um eine solche handelt es sich im folgenden. Ich lasse nunmehr ausschließlich Herrn Paul Dorsch und sein deutsches evangelisches Kirchenlied in Geschichtsbildern zu Wort kommen.
"Die alte Kiche liebte besonders solche Lieder, welche ausschließlich Schriftgedanken und Bibelworte enthielten. So wurde denn auch das auf Joh. 1,29 gegründete 'Agnus Dei' schon im siebten Jahrhundert am Sonntagmorgen und bei der Abendmahlsfeier regelmäßig gesungen...
Der Gesang dieses Liedes, dessen heutige Textfassung... in einem Gesangbuch von 1531 erstmals erscheint, hat im Jahre 1717 einem von den Türken bereits gekreuzigten Christen das Leben gerettet.
Aus dem durch die Familie Harms später rühmlich bekannt gewordenen Dorfe Hermannsburg in Hannover war ein Herr von Staffhorst mit zwei Reitknechten in den Türkenkrieg gezogen. Beim Sturm auf Belgrad fiel er, wie kurz zuvor der eine Knecht. Der andere aber, Peter Paasch, geriet in der Hitze der Verfolgung mitten unter die fliehenden Feinde, an denen er den Tod seines Herrn hatte rächen wollen.
Er wurde von ihnen gefangengenommen. Aller Kleider beraubt und an den Schweif seines Pferdes, das jetzt ein Türke ritt, gebunden, mußte er barfuß mitspringen über Stock und Stein, bis am Abend ein Wald erreicht war, der den Türken eine gewisse Sicherheit zu bieten schien.
Hier wurde Paasch unter schrecklichen Drohungen aufgefordert, ein Kreuz, das sie schnell aus Baumzweigen zusammengefügt hatten, anzuspucken, und damit den Herrn Christus zu verleugnen. Er aber weigerte sich dessen und schlug seinerseits jeden, der dies tat, ins Gesicht.
Verlangten die Türken, daß er den Namen 'Mohammed' ausspreche, so sagte er: 'Jesus Christus'. Da schlugen sie ihn mit Peitschen und Stöcken, stachen ihn mit Messern und Dolchen, nagelten ihm zuletzt beide Hände über den Kopf an einen Baumstamm und zündeten zu seinen Füßen ein Feuer an, um ihn entweder zur Verleugnung zu zwingen oder dem Feuertode zu überantworten.
Er hatte im Kampfe mehrere aus dieser Türkenschar niedergehauen, daher kam der besondere Haß gegen ihn. Ruhig erwartete Paasch sein Ende. Er betet laut das Vaterunser, hernach begann er, da ein rechter Geist der Freudigkeit über ihn gekommen war, für seine Mörder zu beten und mit heller Stimme zu singen: 'O Lamm Gottes unschuldig, am Stamm ds Kreuzes geschlachtet.'
Kaum war er mit Vers 3 zu Ende gekommeen, da hörte man von draußen vor dem Walde Trompetengeschmetter, und deutsche Reiter stürmten heran. Zur Verfolgung ausgesandt, hatten sie den Gesang im Walde gehört und zueinander gesagt: ' Drauf! Das muß ein Christ sein!'. So kamen sie gerade noch rechtzeitig, um den treuen Paasch, der ohnmächtig und aus vielen Wunden blutend in ihre Arme fiel, vom Tode zu erretten. Prinz Eugen von Savoyen, der berühmte Feldherr, ließ den Verwundeten aufs beste verpflegen, besuchte ihn selbst mehrmals im Feldspital und freute sich über seinen kindlichen, einfältigen Glauben.
Aber mit dem Kriegsdienst war es nun doch nichts mehr bei Paasch. Dafür wurde ihm eine fröhliche Heimkehr zuteil nach seiner Wiederherstellung. Er starb 1727 auf seinem Paaschenhof, nachdem er eben noch zum letzenmal gesungen: 'O Lamm Gottes unschuldig."
aus Paul Dorsch: "Das deutsche evangelische Kirchenlied in Geschichtsbildern", 3. Aufl. Stuttgart 1940
Was mir nur noch in den Sinn kam: Gegen Irrsinn und Gewalt auch dieser Zeit kommt man am Ende mit Vernunft nicht an, sondern nur mit Glauben.
nachgetragen am 4. Mai
Sonntag, 15. November 2020
Etwas Bach zum Ende des Kirchenjahres
Johann Sebastian Bach - "Wohl dem, der sich auf seinen Gott", Kantate für den 23. Sonntag nach Trinitatis von 1724, BWV 139
1. Coro
Wohl dem, der sich auf seinen Gott
Recht kindlich kann verlassen!
Den mag gleich Sünde, Welt und Tod
Und alle Teufel hassen,
So bleibt er dennoch wohlvergnügt,
Wenn er nur Gott zum Freunde kriegt.
2. Aria (Tenor)
Gott ist mein Freund; was hilft das Toben,
So wider mich ein Feind erhoben!
Ich bin getrost bei Neid und Haß.
Ja, redet nur die Wahrheit spärlich,
Seid immer falsch, was tut mir das?
Ihr Spötter seid mir ungefährlich.
3. Recitativo (Alt)
Der Heiland sendet ja die Seinen
Recht mitten in der Wölfe Wut.
Um ihn hat sich der Bösen Rotte
Zum Schaden und zum Spotte
Mit List gestellt;
Doch da sein Mund so weisen Ausspruch tut,
So schützt er mich auch vor der Welt.
4. Aria (Baß)
Das Unglück schlägt auf allen Seiten
Um mich ein zentnerschweres Band.
Doch plötzlich erscheinet die helfende Hand.
Mir scheint des Trostes Licht von weiten;
Da lern ich erst, daß Gott allein
Der Menschen bester Freund muß sein.
5. Recitativo (Sopran)
Ja, trag ich gleich den größten Feind in mir,
Die schwere Last der Sünden,
Mein Heiland läßt mich Ruhe finden.
Ich gebe Gott, was Gottes ist,
Das Innerste der Seelen.
Will er sie nun erwählen,
So weicht der Sünden Schuld, so fällt des Satans List.
6. Choral
Dahero Trotz der Höllen Heer!
Trotz auch des Todes Rachen!
Trotz aller Welt! Mich kann nicht mehr
Ihr Pochen traurig machen!
Gott ist mein Schutz, mein Hilf und Rat;
Wohl dem, der Gott zum Freunde hat!
Eines der kleinen Wunderwerke, die Bach zum heutigen Sonntag des Kirchenjahres schrieb (er tat dies für einen jeden desselbigen). Es ist kein herausragender Sonntag, wir sind kurz vor dem Ende des Kirchenjahres, es folgen noch der Buß- und Bettag sowie der Ewigkeitssonntag, und dann stehen wir auch schon im Advent.
Da ich in allem Wesentlichen ja nie über den Zustand eines Liebhabers hinausgelangt bin, will ich auf diesen Vortrag verweisen, der einen Einblick gibt, wie die unterschiedlichen Charaktere von Stimmen und Stimmungen, unablösbar verbunden mit dem Text, neben und miteinander zu einem Ganzen zusammenwirken.
Dazu kommt wie immer dann noch die Interpretation. Nachfolgend bei Karl Richter singt Peter Schreier die Tenorstimme (4.51) und den Baß-Part übernimmt Dietrich Fischer-Dieskau. Schreier brilliert mit seinem gewohnt klaren, rhetorischen Gestus, während Fischer-Dieskau (12.19), nun ja, sich teilweise mehr lyrisch-stimmungshaft gibt.
Und hier vergleiche man einmal den Baß aus der Aufführung von John Elliot Gardiner von oben (ab 11.10), vielleicht nicht ganz so farbenreich wie Fischer-Dieskau, dafür aber dynamisch-lebendig und ähnlich rhetorisch nahe auf seine Art wie Schreier.
Das ist ja eben das Beeindruckende an großer Musik. Wenn sich Interpreten von Rang daran abmühen, denkt man mitunter, völlig unterschiedliche Stücke vor sich zu haben.
Mittwoch, 8. April 2020
Zwischendurch
Aber dieses rührende Lied mußte ich mitteilen (obwohl sein Styl gar nicht zu meinen Vorlieben paßt). Aus vielen Gründen, einer, der weit hinten rangiert - dieses reine Verhältnis zwischen Vater und Tochter, von dem uns eingeredet wird, ach vergessen wir einfach diese Kreaturen und den Schmutz dieser Welt, die uns tatsächlich nichts anhaben kann.
Die Jungfrau segne uns alle. Und vor allem und allem - Ihr Sohn!
Freitag, 4. Oktober 2019
Jessye Norman - Im Abendrot
Joseph von Eichendorff
Im Abendrot
Wir sind durch Not und Freude
gegangen Hand in Hand;
vom Wandern ruhen wir [beide]
nun überm stillen Land.
Rings sich die Täler neigen,
es dunkelt schon die Luft.
Zwei Lerchen nur noch steigen
nachträumend in den Duft.
Tritt her und laß sie schwirren,
bald ist es Schlafenszeit.
Daß wir uns nicht verirren
in dieser Einsamkeit.
O weiter, stiller Friede!
So tief im Abendrot.
Wie sind wir wandermüde--
Ist dies etwa der Tod?
At sunset
We have through sorrow and joy
gone hand in hand;
From our wanderings, let's now rest
in this quiet land.
Around us, the valleys bow
as the sun goes down.
Two larks soar upwards
dreamily into the light air.
Come close, and let them fly.
Soon it will be time for sleep.
Let's not lose our way
in this solitude.
O vast, tranquil peace,
so deep in the evening's glow!
How weary we are of wandering---
Is this perhaps death?
Da Jessye Norman davon ausging, eine Amerikanerin zu sein, wollen wir gelegentlich englische Übersetzungen beifügen. Sie selbst bedurfte solcherlei nicht, wie man aus diesem wunderbaren Gespräch leicht ersehen kann (Jessye Norman interviewed by Patrick Watson). Allein nur, in welcher Weise sie dort über das nachfolgende Lied spricht (ab etwa 5.44), zeigt, wie tief sie wußte, was sie sang. Musik solcher Art ist wie ein Haus für die Seele, zugleich in und außer dieser Welt.
"Ich bin der Welt abhanden gekommen"
und den New Yorker Philharmonikern, hier gefunden
Friedrich Rückert
Ich bin der Welt abhanden gekommen
Ich bin der Welt abhanden gekommen,
Mit der ich sonst viele Zeit verdorben,
Sie hat so lange nichts von mir vernommen,
Sie mag wohl glauben, ich sei gestorben!
Es ist mir auch gar nichts daran gelegen,
Ob sie mich für gestorben hält,
Ich kann auch gar nichts sagen dagegen,
Denn wirklich bin ich gestorben der Welt.
Ich bin gestorben dem Weltgetümmel,
Und ruh' in einem stillen Gebiet!
Ich leb' allein in meinem Himmel,
In meinem Lieben, in meinem Lied!
I am lost to the world…
In der Begegnung mit herausragenden Gestalten zeigen Menschen oft mehr von sich, als ihnen offenkundig bewußt ist. So in diesem Gespräch der „berühmte“ BBC Journalist Stephen Sackur, der in schwer erträglicher Weise seine Beschränkungen herausstellt und im Grunde nur in verschiedenen Variationen über Rassismus reden will. Und dabei nicht den Eindruck erweckt, an ihren geistig-musikalischen Einsichten wirklich Anteil zu nehmen. ("You almost suggest positive discrimination", jauchzt er einmal auf, und sie widerspricht heftig (21.50) - der Unterschied zwischen selbstgefälliger Attitüde und wissender Anteilnahme. Das hat zu genügen.) Nur ihrer souveränen Antworten wegen sollte man sich das Ganze antun. Denn dann hört man etwa von ihrem Vorbild Marian Anderson.
Und ausgerechnet der verquere Herr Biolek läßt sie (auf Deutsch!) mit seinen verschusselten Fragen in dieser Sendung von 1993 so authentisch und persönlich erscheinen, wie dies nur tatsächlicher Respekt und aufrichtige Verehrung möglich machen.
„Königin der Oper, Kaiserin des Konzerts, Göttin des Lieds“ überschreibt Herr Manuel Brug seinen Nachruf, der trotz dieses Fanfarenstoßes sehr nuanciert und kenntnisreich ausfällt.
Und Herr Klonovsky schreibt in seinem mehr persönlichen Beitrag: "Die Norman hatte etwas Majestätisches." Und ihr Strahlen nach jedem Lied sei fast noch überwältigender gewesen als ihre Stimme selbst. Und auch in dem, was er sonst zu vermelden hat, tritt der Enthüllungsfaktor auf, den ich oben erwähnte.
Ich selbst möchte mich (auch beim Blick auf mein nächtliches Geschreibsel) von solchem lieber ausnehmen. Ja, sie hatte eine überwältigende Hoheit, mit der sie selbst ihre wundeste Empfindsamkeit der Welt stolz ins Gesicht schleuderte.
Und wie deutsch sie war, wenn sie Wagner oder Mahler sang. (Oder auch französisch. Wenn man viel Zeit hat - "Poème de l'Amour et de la Mer"; op. 19; Ernest Chausson.) Eine königliche Seele, die, durch die Reiche der Musik wandernd, diese singend in Besitz nahm.
Jessye Mae Norman ist jetzt in den Händen der Engel.
Herr schenke ihr Deinen Frieden.
Und das ewige Licht leuchte ihr.
Zum Paradies mögen Engel dich geleiten und die heiligen Märtyrer dich begrüßen und dich führen in die heilige Stadt Jerusalem.
Die Chöre der Engel mögen dich empfangen und durch Christus, der für dich gestorben ist, soll ewiges Leben dich erfreuen.
Oh when I come to die
Oh when I come to die
Oh when I come to die
Give me Jesus
Give me Jesus
Give me Jesus
You can have all this world
Give me Jesus!
Dark midnight was my cry...
Give me Jesus...
You can have all this world
Give me Jesus!
You can have all this world
Give me Jesus!
Samstag, 22. Juni 2019
Feldberger Bilder
Ein paar Aufnahmen, die in Feldberg vor dem dortigen Konzert des Gospelchores entstanden sind. Die Photos von der Kirche im Gegenlicht sind irgendwie originell mißlungen, während die letzten beiden von der Probe sozusagen nur mehr dokumentarischen Charakter haben.
Samstag, 15. Juni 2019
Konzert Neubrandenurg - 20 Jahre Gospel Union
Ich bin mir relativ sicher, daß ich diesen Ort noch nicht für Werbung in eigener Sache genutzt habe. Das mit der eigenen Sache stimmt auch nur bedingt, denn schließlich spielt meine bescheidene Person hier - fast - nur eine Statistenrolle, jedenfalls eine sehr am Rand.
Der Chor, der mich seit inzwischen einer Reihe von Jahren trägt und erträgt, wird 20 Jahre alt. Dazu gibt es heute in Neubrandenburg ein Konzert. Alles weitere mag man der folgenden Ankündigung entnehmen.
Das Bild ist bei der gestrigen Generalprobe entstanden. Linda Psaute, die uns den Rücken zuwendet, dafür aber ihre ganze Aufmerksamkeit dem jungen Mann vor ihr - übrigens zur Unterstützung des Chors aus den "Colonies" angereist, wie die Briten sagen würden - gibt ihm erkennbar gerade Anweisungen, wie er den Chor zu begleiten habe.
Ich hoffe sehr, daß die gegenwärtige Schwüle mich nicht vom Podest werfen wird, aber zumindest bei der Generalprobe war es doch erträglich in den Mauern der Johanniskirche.
Mittwoch, 3. April 2019
Über Bach oder das 5. Evangelium - der andere Teil
Der Anfang dieses Beitrages liegt hier. Aber je näher ich der Neuzeit und damit der Gegenwart kam, um so mürrischer wurde ich, einmal mehr. Da brach ich ab. Darüber bin ich jetzt hinweg. Denn wir wollten ja weiter über Bach reden, oder eher noch, wie andere über Bach redeten.
Er hat etwas von einem magischen Spiegel. Einer meiner lang dauernden Irrtümer lag darin, daß Größe beschämen müßte (ein anderer übrigens, daß Sympathie für eine Sache irgendwie verbinden sollte), und darum, wenn nicht zur Verehrung, dann doch wenigstens zum Schweigen bringen.
Natürlich nicht. Größe bringt auf, macht rachsüchtig, klein etc. etc, zumeist jedenfalls. Man schaue sich nur diesen Artikel eines weiland berühmten Kritikers an, der gierig jeden auch nur denkbaren Charakterfehler Bachs aufzusaugen sucht. Er kratzt noch aus dem abgelegensten Denkmal gewissermaßen den Fugenmörtel, um nach dem Geehrten damit schmeißen zu können. Man soll ja von Toten nur Gutes sprechen (weil sie sonst als Gespenst über einen kommen), aber egal, was für ein Charakter-A.
Goethe über Bach
Wer selbst groß ist, schreibt mehr wie unser Goethe (worüber sich oben geartete Geister natürlich eher lustig machen):
"Wohl erinnerte ich mich bey dieser Gelegenheit an den guten Organisten von Berka; denn dort war mir zuerst, bey vollkommener Gemüthsruhe und ohne äußere Zerstreuung, ein Begriff von Eurem Großmeister [Seb. Bach] geworden. Ich sprach mir's aus: als wenn die ewige Harmonie sich mit sich selbst unterhielte, wie sich's etwa in Gottes Busen, kurz vor der Weltschöpfung, möchte zugetragen haben, so bewegte sich's auch in meinem Innern, und es war mir, als wenn ich weder Ohren, am wenigsten Augen, und weiter keine übrigen Sinne besäße noch brauchte."
Brief an Carl Friedrich Zelter vom 18. Juli 1827
Bachs Musik als die Gedanken Gottes vor (!) der Weltschöpfung, die sich dem Geheimrat hier mitteilen. Ein kühner Gedanke und sehr platonisch. Aber warum eigentlich nicht.
Bach, Mendelssohn Bartholdy und Heines Sottisen zu beiden
Das ist in so vieler Hinsicht derart übel, daß wir daran besser vorbeigehen. Was daran stimmt, ist, daß der sehr junge Felix Mendelssohn Bartholdy es war, der, durch Carl Friedrich Zelter mit ihm bekannt gemacht, Bach wieder die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit gewinnen wollte, als er 1829 die Matthäuspassion mit der Berliner Singakademie nach 100 Jahren, wie er meinte, erneut aufführte.
Und wo wir eben bei dem Schauspieler & Sänger etc. sind, und seine Erinnerungen gern als Steinbruch für alles mögliche benutzt werden, wollen wir uns diesem üblen Brauch anschließen und ebenfalls zitieren. Wie nämlich Mendelssohns Bekanntschaft mit Bach entstand:
„So lernte er die Musikwerke kennen und behandeln, welche Zelter - wie einen geheimnißvollen heiligen Schatz - vor der Welt verborgen hielt, für welche sie, nach seiner Meinung, keinen Werth mehr hatten; hier lernte Felix auch einzelne Stücke aus Bach's Passionsmusiken kennen und sein glühendster Wunsch wurde es, die große Passion nach dem Evangelisten Matthäus zu besitzen, ein Wunsch, den ihm seine Großmutter zu Weihnachten 1823 erfüllte. Es war nicht leicht gewesen, von Zelter, dem eifersüchtigen Sammler, die Erlaubniß der Abschrift zu erbitten.“
Doch endlich:
„Felix zeigte mir am Weihnachtsfeste, zu dem ich mit Therese geladen war, mit ehrfurchtsvoll verklärtem Gesicht die musterhafte Abschrift des heiligen Meisterwerkes, das nun zu seinem Lieblingsstudium diente.“
Als Beleg soll eine (übrigens sehr unterhaltsame und dort nachlesbare) Straßenszene aus den Reisebildern von 1826 herhalten, zunächst die Akteure:
„Es war ein wunderliches Trio... Der eine von jenen beiden, winterlich gekleidet in einen weißen Flausrock, war ein stämmiger Mann, mit einem dickroten Banditengesicht, das aus den schwarzen Haupt- und Barthaaren, wie ein drohender Komet, hervorbrannte, und zwischen den Beinen hielt er eine ungeheure Baßgeige, die er so wütend strich, als habe er in den Abruzzen einen armen Reisenden niedergeworfen und wolle ihm geschwinde die Gurgel abfiedeln; der andre war ein langer, hagerer Greis, dessen morsche Gebeine in einem abgelebt schwarzen Anzuge schlotterten… die Tochter des alten Buffo... akkompagnierte mit der Harfe die unwürdigsten Späße des greisen Vaters, oder stellte auch die Harfe beiseite und sang mit ihm ein komisches Duett... Obendrein schien das Mädchen kaum aus den Kinderjahren getreten zu sein, ja es schien, als habe man das Kind, ehe es noch zur Jungfräulichkeit gelangt war, gleich zum Weibe gemacht, und zwar zu keinem züchtigen Weibe.“
Wir nähern uns dem angekündigten Zitat:
„Es war ein echt italienisches Musikstück, aus irgendeiner beliebten Opera buffa, jener wundersamen Gattung, die dem Humor den freiesten Spielraum gewährt, und worin er sich all seiner springenden Lust, seiner tollen Empfindelei, seiner lachenden Wehmut, und seiner lebenssüchtigen Todesbegeisterung überlassen kann. Es war ganz Rossinische Weise, wie sie sich im »Barbier von Sevilla« am lieblichsten offenbart. Die Verächter italienischer Musik, die auch dieser Gattung den Stab brechen, werden einst in der Hölle ihrer wohlverdienten Strafe nicht entgehen, und sind vielleicht verdammt, die lange Ewigkeit hindurch nichts anderes zu hören, als Fugen von Sebastian Bach.
Heine nahm dem Mendelssohn dessen Bachabhängigkeit, wie er es sah, recht übel und hielt ihm Rossini als leuchtendes Gegenbild vor. Auch hier noch ein Zitat (aus Lutetia – Zweiter Teil, Artikel XLIII, Paris, Mitte April 1842):
„Der Himmel bewahre mich, gegen einen so verdienstvollen Meister wie der Verfasser des »Paulus« hierdurch einen Tadel aussprechen zu wollen, und am allerwenigsten wird es dem Schreiber dieser Blätter in den Sinn kommen, an der Christlichkeit des erwähnten Oratoriums zu mäkeln, weil Felix Mendelssohn Bartholdy von Geburt ein Jude ist. Aber ich kann doch nicht unterlassen, darauf hinzudeuten, daß in dem Alter, wo Herr Mendelssohn in Berlin das Christentum anfing (er wurde nämlich erst in seinem dreizehnten Jahr getauft), Rossini es bereits verlassen und sich ganz in die Weltlichkeit der Opernmusik gestürzt hatte. Jetzt, wo er diese wieder verließ und sich zurückträumte in seine katholischen Jugenderinnerungen... jetzt, wo die alten Orgeltöne wieder in seinem Gedächtnis aufrauschten und er die Feder ergriff, um ein ‚Stabat‘ zu schreiben: da brauchte er wahrlich den Geist des Christentums nicht erst wissenschaftlich zu konstruieren, noch viel weniger Händel oder Sebastian Bach sklavisch zu kopieren...“
Das zu Heine. Und zurück zu Mendelssohn. Jener hat nämlich auch das älteste Bach-Denkmal von 1843 gestiftet, das hier schon mehrfach auftauchte, da es so reizvoll erscheint.
Ich hatte oben aus Eduard Devrients "Erinnerungen an Felix Mendelssohn Bartholdy" zitiert und dort abgebrochen, wo es für andere erst richtig interessant wird, also noch einmal:
"Wir besprachen den wunderlichen Zufall, daß gerade hundert Jahre seit der letzten Leipziger Aufführung vergangen sein mußten, bis diese Passion wieder an's Licht komme, 'und' rief Felix übermüthig, mitten auf dem Opernplatz stehen bleibend, 'daß es ein Komödiant und ein Judenjunge sein müssen, die den Leuten die größte christliche Musik wiederbringen!'
Felix vermied sonst entschieden seiner Abstammung zu gedenken, hier riß ihn das Frappante der Bemerkung und die fröhliche Stimmung hin."
Und damit wären wir dann schon im folgenden, unerfreulichen Jahrhundert, doch das soll seine eigene, kürzere Fortsetzung finden.
Samstag, 9. Juli 2016
Nachträge
Zeit für Nachträge (wir waren etwas schreibmüde u.a.). Das Warten, Unterhaltsames geschähe vielleicht, welches das Pausieren der Essensbeiträge etwa aufwöge, sollte nicht belohnt werden. Also bleiben wir ereignisarm. Am 26. Juni durfte ich mit dem Chor den Herrn loben, in Feldberg, es war, einmal abgesehen davon, daß ich mir fast die Seele aus dem Leib geschwitzt hätte, angenehm. Das Eingangsbild zeigt besagte Kirche.
Zufällige Begegnungen sind mitunter recht kurios. Es gibt da ein Stück – Our God is three in one – Creed (das Credo), eigentlich christliche Populärmusik aus Australien, ich finde das Arrangement unserer Frau Chorleiterin besser, um nicht zu sagen erwachsener, der Chor mag es, aber ich kann mich natürlich täuschen, die Zuhörer oft weniger. Wie auch ein offenkundig empfindsame junger Mann, der bemerkte, es habe ihn ganz traurig gemacht (aber als Zugabe gab dann ja immerhin etwas rhythmisch Fröhliches, das riß es wohl wieder heraus). Das obige Stück ist das Original in Spanisch, ich mag es eher noch, obwohl ich gar kein Spanisch kann.
Da dies bisher Essensbeiträgen vorbehalten war, ein kleiner Einschub, ich hatte für besagten Sonntag sogar etwas recht Nettes vorgekocht. Fleischklöße in Gemüsesuppe. Die Klöße wurden ziemlich gut - gemischtes Hackfleisch, Eier, gehackte Zwiebeln, wenig Semmelmehl, Muskat, soweit so bekannt, aber dazu gab es eine Art von Gewürz-Supergau - Mittelmeerkräuter, frisch gehackt als auch getrocknet, viel frischer Pfeffer, Einheimisches, wie Petersilie, das als grobe Zusammenfassung, mir fällt auch nicht mehr alles ein. Das Ergebnis war umwerfend, im guten Sinne. Aber ich hatte das Vergnügen nur für mich, daher auch keine Bilder.
Ach ja, die Katzen, sie kamen und sind wieder fort. Die Katzen-Mutter schaut mir gerade beim Schreiben zu. 4 Stück hatte sie vertrauensselig im Korbsessel hinter der Terrassentür abgelegt, und irgendwann entwickelten sie einen großen Eifer, unter den Küchenschränken zu verschwinden, wenn die Tür einmal auf war. Nett waren sie ja, aber es war zuviel. Freundliche Mitmenschen haben sie jetzt in ihren Garten verschleppt.
Um mit etwas Kuriosem fortzufahren: „Ach, ist schon wieder Kinderlandverschickung?“ Die Kaufhalle (Supermarkt) war am Abend auffallend belagert von jungen Menschen, die irgendwie, unter ethnologischen Gesichtspunkten, merkwürdig aussahen (aber ich bin ja auch aus dem vorvorigen Jahrhundert, mindestens, und da wird man etwas fremd zur Gegenwart). Nach meiner Frage stutzte die freundliche Dame an der Kasse kurz, verneinte dann aber ganz sachlich: „Nein, ist doch wieder Festival in Lärz“. Es gibt also doch noch Erinnerungen, die allgemein mitschwimmen.
Das Festival nennt sich Fusion, begann am 29. d. M. und zelebriert nach eigener Aussage eine Art „Ferienkommunismus“. Um die sozusagen poetische Eigenbeschreibung nicht vorzuenthalten: „Fernab des Alltags entsteht für vier Tage eine Parallelgesellschaft der ganz speziellen Art. Im kollektiven Ausnahmezustand entfaltet sich an einem Ort ohne Zeit ein Karneval der Sinne, indem sich für uns alle die Sehnsucht nach einer besseren Welt spiegelt.“
Es ist zum Glück ganz weit weg, jedenfalls nicht in Hörweite, wahrscheinlich schrecklich laut und subversiv, und wie eben gesagt, weit weg und schon wieder vorbei. Was man vom anderen Extrem nicht behaupten kann, es ist sehr wohl in Hörweite, und noch nicht vorbei, allerdings die Proben, und das ist der schlimmere Teil.
Sollten Sie etwas, daß sie sowieso nie mochten, in einer Dauerschleife ertragen müssen, wie etwa: „Was kann der Sigismund dafür, daß er so schön ist“, nach der Hälfte abgebrochen und wiederholt, oder nach ¾ oder 7/8, gefühlt ewige Mal (oder: „Es muß was Wunderbares sein, von Dir geliebt zu werden.“ Oder: „Die ganze Welt ist himmelblau.“ Oder als Krönung des Ganzen: „Im Salzkammagut, doa kamma gut lustig sein, wenn die Musi spielt, holdrio“), dann werden Sie für jeden Wolkenbruch dankbar, der das unvermeidliche Eintreten des Wahnsinnig-Werdens hinauszögert. Man kann natürlich auch bis nach Mitternacht Mozart hören, falls sich kein Regen einstellen will.
Die Schloßfestspiele führen diesmal folglich „Im weißen Rößl“ auf (etwa 200 Meter entfernt), inzwischen war verregnete Premiere, man weiß ab jetzt also wenigstens, wann Schluß ist. Und damit beenden wir den ersten Teil unserer Nachträge.
Sonntag, 27. Dezember 2015
Sehr nächtlich, ein kleiner Weihnachtsnachtrag
Loreena McKennitt - Emmanuel
Es folgt ein sehr seltsamer Irrgarten des Religiösen.
Oh Come, Oh Come, Emmanuel by The Franz Family
hier gefunden
Chelsea Moon with the Franz Brothers - What Wondrous Love Is This?
hier gefunden
HeartSong Cedarville University - A Mighty Fortress
hier gefunden
Montag, 2. November 2015
Sonntag & (nachgetragen)
Dürfen wir das diesmal ganz kurz machen bitte? Danke. Das gestrige Sonntagsessen hat eine Vorgeschichte, die wir bereits angedeutet hatten, unter dem Titel „Reformationstag - der nette Teil 1“. Das hätten wir also hinter uns.
Aber es sollte doch endlich etwas Ordentliches geben, und ich erinnerte mich an eine Rezept-Empfehlung, die nun vollzogen werden sollte, kurioserweise von derselben Person, die der Frau W. anrufshalber den Vorwand in die Hand gab, vor dem Herd hocken bleiben zu dürfen, um halb eins; sie fand das sehr lustig, zunächst, ich deute wieder nur an.
Ich habe also wenig später sehr viel Zwiebeln angebraten, dieselben beiseite getan. Einen guten Schweinebraten in mundgerechte Stücke zerschnitten, und die ebenfalls scharf angebraten. Pfeffer und Salz schauten auch vorbei. Das wurde dann mit 2 Flaschen Köstritzer Schwarzbier abgelöscht, und hinzu kamen – und schon wieder kommt die anonym bezeichnete Bekannte ins Spiel, sie ist eine große Liebhaberin selbst gezogener Kräuter...
Ich durfte mir also dabei zuschauen, wie ich getrockneten Liebstöckel und Oregano zerstieß, die Strünke entfernte und das übrige in den Sud bröselte, zusammen mit Kochsahne und besagten Zwiebeln natürlich. Das war es eigentlich und durfte fast zugedeckt vor sich hin schmoren, sollte nur nicht ansetzen, gelegentliches Umrühren half dabei, bei mäßigen Temperaturen.
Ach übrigens Herr P., gerade höre ich Deine Sendungswiederholung als Klangtapete, und an der Stelle mit den Affen liefen distinguiert tuende Leute am Panorama-Fenster vorbei - nu is mein nicht vorhandener Ruf hierorts endgültig ruiniert, da half auch kein Wegducken mehr.
Zum Essen. Der Geschmack fiel etwas zu sehr ins Säuerliche, also gab ich noch Balsamico-Essig dazu, und einen (großen) Teelöffel Honig, das glich sich darauf irgendwie aus. Ach jetzt habe ich doch das Wichtigste vergessen – braune Champignons und Austernseitlinge, die wurden leicht gesäubert, ihnen wurde kurz ein wenig Wasser angedroht, aber schnell wieder weggezogen - die schmorten grob geschnitten mit.
Frau W. wollte alles erst noch schälen. Aber das wäre dann wohl ein Nachtessen geworden, zum Zweiten, und zum Ersten wäre es Blödsinn gewesen, davon hatten wir jüngstens schon genug.
Die Geburtstagsblumen sind inzwischen etwas angetrocknet. Dabei ist es draußen hinreichend feucht.
Kleiner Einschub. Ich hatte heute viel Nebel photographiert, ich fand das unterwegs auch faszinierend. Aber zurück, beim Sichten der Aufnahmen - und ich hab ja hier diesen Panoramablick - wenn man hinaus sah, waren die wenigen Jogger, die ich inzwischen am Getrapse auseinanderhalten kann, und die vielen vor allem jung-männlichen Hundeausführer nach wenigen Metern wieder ins Grau verschluckt. Also überall Nebel, draußen und drinnen, und vorher schon, das wird einem denn doch zu viel.
Bevor übrigens ein Anflug von Mißgunst aufsteigen sollte: „Kuck ma Herta, da sind ganz schwarze Katzen, und da unten die kleinen, is' das süß, und da sitzt son Komischer an Computa...“. Die Aussichten haben immer mindestens 2 Richtungen.
Ach so, das Gericht kam ziemlich gut heraus.
Und es gab durchaus Lichtblicke. Eine kultivierte Nachbarin empfahl mir, am frühen Abend Arte einzuschalten, und zwar Verdis-Requiem aus der Mailänder Scala unter Daniel Barenboim. Mir erschien Verdi bisher ja eher als Unterhaltungs-Künstler. Aber das war unglaublich. Ich tue hiermit Abbitte.
Man sah den herausragenden Sängern förmlich an, wo sie mimisch verstimmt wurden, weil sie nicht vollständig perfekt waren, sondern nur ganz nahezu. Menschen eben. Aber es ist schon grenzwertig, so vorgeführt zu werden, von der Kamera, aber dann dachte ich, es sind Künstler, die kennen das. Wie auch immer (ich weiß übrigens nicht, wie lange dieser Link noch funktionieren wird, vermutlich nicht sehr lang).
Wollen wir wir wirklich mit einem Requiem enden. Es bleibt uns nichts Besseres übrig, für diesen Tag. Aber die Ewigkeit darf, persönlich gesprochen, schon noch etwas warten.
Montag, 13. Oktober 2014
Sonntag & (nachgetragen)
Ich bin ein wenig in Verlegenheit, nämlich in der, die sich regelmäßig einstellt, wenn man Begünstigter von Zuwendungen wird, und dazu dann auch noch etwas sagen soll.
Doch beginnen wir mit einem Detail: Ein Bild des wunderbaren Rotkohls fehlt, den ich meinte, wenigstens beitragen zu müssen. Der von der Lebensmittelbranche freundlicherweise schon weitgehend vorbereitete, tiefgefrorene Rotkohl wurde von mir in einen Topf getan, zum Kochen gebracht und dabei mit frischen Boskoop-Äpfeln, viel Nelken und etwas Ingwer (und frischem Pfeffer) verbessert, roch bald auch ganz wunderbar, und brannte dann ganz schnöde an. Mir ein Rätsel, da halfen auch alle Honig-Beifügungs-Rettungsmaßnahmen etc. nichts (und ich stand die ganze Zeit sogar daneben, völlig merkwürdig)!
So waren wir also vollständig auf das zurückgeworfen, was uns freundliche Menschen angedeihen lassen wollten. Nämlich einen Rehbraten (von der Schulter, wenn ich recht orientiert bin), einige Tage eingelegt und gespickt... und ja, er sah dann so aus.
Ich bin ein Fan von Wild, insbesondere Reh, vor allem gebraten (an dieser Stelle bin ich restlos unsentimental) und der zuvor geschilderte Zubereitungsprozeß klang auch recht überzeugend, allerdings... Ach, brechen wir hier einfach ab.
Frau Mutter mag, neben vielem anderem, auch keine Kartoffel-Klöße, also hatte ich die mitgelieferten ganz für mich. Der ebenso mitgelieferte Rotkohl war übrigens sehr anerkennenswert, ging mehr in die von mir ansonsten nicht so goutierte süß-saure Richtung, aber er war angenehm, gleiches gilt für die Sauce. Nur der Rehbraten selbst erwies sich leider als eine sehr hartnäckige Angelegenheit. *Seufz.
Der Anlaß für diesen Akt des Wohlwollens war, glaube ich, meine Mitteilung, daß ich am Sonntag in unserem vorigen Wohnort den Herrn preisen müsse (ein Gospelgottesdienst), so daß der Zeitpunkt unseres Essens eher ungewiß etc. etc. Wir wurden also gewissermaßen zu einem Betätigungsfeld christlicher Barmherzigkeit. Ist es nicht schön?
Aber wo wie wir gerade bei Musik sind, sozusagen (und wo bleibt schließlich das Positive?). Der Abend zuvor war sehr erfreulich. Ich halte die Stadtkirche zwar für einen eher öden Kasten (anders lautend siehe hier oder hier), zumindest innen, auch wenn sie ein wenig älter ist (selbst früher ist nicht alles gelungen), aber nichtsdestotrotz wird ihr Turm gerade mit großem Enthusiasmus renoviert, und dazu gab es ein weiteres Benefizkonzert:
„Benefizkonzert für die Außensanierung der Stadtkirche / „Elektro-Barock“ / Cellosuiten von Johann Sebastian Bach (1685-1750) / improvisatorisch erweitert von Torsten Harder (*1965) mit Torsten Harder (E-Cello, Synthesizer) und Michael Voigt (Orgel)“.
Eine Ahnung von dem Ganzen bekommt man vielleicht durch diese beiden Videos am Ende, bei denen besagter Herr Harder zu hören ist. Ich gestehe, daß ich eingangs etwas ambivalent gestimmt hinging, aus Sorge, mein geliebter Bach würde dabei vor allem „zerschrammelt“ (ein wenig wurde er das auch). Aber abgesehen von der unbestreitbaren interpretatorischen Qualität des Ganzen, die ich im übrigen sowieso nicht beurteilen kann, ist es wohl mitunter so: Gerade, wenn man Bach im eigenen, schon länger andauernden Leben hier und da (also ziemlich oft) gehört hat, hat er sich doch dabei in einer Weise im Gedächtnis abgelagert, die, wie soll ich es sagen, wenig Raum für Überraschungen läßt.
Daß von dem durchaus Verlorenen bald etwas aufgefunden wird, darauf ist leider kaum zu hoffen, also, wenn da auf einmal mitten in dem Vertrauten „Weiterungen“ auftauchen, die mal sehr weit weg führen, aber dann auch wieder zurück, und auf einmal sieht so eine Sonate aus wie ein frisch aufgebürsteter Rock (despektierlich gesprochen), das kann durchaus erfrischend sein, und war es.
Sonntag, 22. Dezember 2013
4. Advent &
Mitunter erheitert sogar das Geräusch von der Straße (so wie heute; es war kurz, ich dürfte den Lautstand daher einigermaßen zutreffend wiedergeben): „Ey Alta, kuck ma, so viele Bücher, Sch*** is ja krass!“ Was für nette junge Menschen es heutzutage wieder gibt. Das Lustige daran ist die unterschiedliche Perspektive, man selbst fühlt sich vor allem wie ein Hochstapler, wegen all dessen, was von rechts wegen dort auch zu stehn hätte, es aber nicht tut.
Die Marinade war - Balsamico-Essig, Oliven- und Sonnenblumenöl, Rotwein, Chilisauce, brauner Zucker, weißer Pfeffer, feingehackter frischer Rosmarin und Thymian, gehackter Knoblauch und Zwiebeln.
Dahinein kam also das Filet vom Schwein. Das wurde später angebraten und weitergeschmort. Der Zucker hat es etwas dunkel aussehen lassen (vulgo „verbrannt“). Dazu Blumenkohl mit Muskat. Eines meiner besseren Gerichte, vermute ich, und vor allem, etwas Neues (nur ein wenig zuviel an Balsamico-Essig, aber Mensch lernt ja, wenn er denn will).
Samstag, 14. Dezember 2013
Johann Wilhelm Hertel - "Wie brünstig sie kommen von Ephratas Auen..."
In der hiesigen Stadtkirche wurde heute Johann Wilhelm Hertels "Die Geburt Jesu Christi" aufgeführt, ein Weihnachtsoratorium. Nun wohne ich in der Hertelstraße, die, wenn ich mich nicht völlig täusche, exakt 2 Adressen umfaßt, also war ich gewissermaßen moralisch verpflichtet, dort hinzugehen, und habe jetzt natürlich das alberne Bedürfnis, darüber auch noch zu schreiben. Zum Glück besitze ich über Musik keinerlei tiefere Kenntnis, was mir folglich förmlich erlaubt, fröhlich darauflos zu schwadronieren.
Um kurz die Programmzettel aufzurufen: „Anna-Elisabet Muro – Sopran, Meinderd Zwart – Alt, Roger Quintana – Tenor, Miroslav Stricevic – Bass; Singakademie Neustrelitz (gegr. 1840); Telemannisches Collegium Michaelstein; Leitung: Michael Voigt“.
Hm. Die Sopranistin erschien mir ordentlich und recht nett, etwas matt vielleicht (möglicherweise war sie auch bloß ein wenig erkältet). Der Alt irritierte seltsamerweise, und das wohl nicht, weil er eigentlich ein Countertenor war. Doch im Duett („Da prangt der Sieger ohne Heere!“) mit der eben erwähnten Sopranistin entwickelten beide zusammen etwas sehr Charmantes. Das mag auch auch an der Musik gelegen haben, denn Herr Hertel reißt nicht eben ständig die Tiefen des Menschlichen auf, aber gewinnt sehr, wenn Stimmen zusammenkommen, wenn es sozusagen „dialogisch“ wird, ob im Duett, oder bei Einzelstimme vor Chor oder wenn eine Stimme gewissermaßen mit dem Orchester „spricht". Wie auch immer.
Für einen bekennenden Atheisten (ich sollte mir das Googeln abgewöhnen) war der Baß stellenweise fast innig empathisch; gut, Empathie vermag vieles, und man erwartet von einem Darsteller des Macbeth ja auch nicht, daß er in Wirklichkeit ständig Menschen umbringt.
„Wie brünstig sie kommen von Ephratas Auen,
die Hirten, die Frommen, den König zu schauen,
ihm Herzen zu opfern am Krippenaltar.
Nun kehrt sie zurücke mit Himmel im Blicke,
die Schar der Getreuen, sich lange zu freuen,
wie selig sie dorten zu Bethlehem war.“
Dies ist der Text einer Tenor - Arie, und er gibt einen leichten Eindruck vom Libretto, das zwischen bisweilen nicht uninteressant und oft sehr schauerlich schwankt. Die Arie selbst war nicht übel (ich fand hier eine Gesamtaufnahme mit „Einstiegsschnipseln“), wie überhaupt Herr Hertel offenbar irgendwie nicht weiß, ob er noch Telemann und schon Mozart sein will.
Sein Stil hat oft etwas Lautmalerisches, Tänzelndes, ist effektvoll begabt und rhetorisch überzeugend, nicht frei von Erfindungen und, wie bereits erwähnt, im Dialogischen stark, aber er schafft auch überraschende Stimmungen, kurz gesagt, er ist in einer sehr unterhaltenden Weise angenehm, sogar originell mitunter (so daß man beim Zuhören auf einmal deutlich hustet, weil man ganz vergißt, daß man in einem Konzert ist). Hertel klingt irgendwie recht, nun ja, sensibel, oder von mir aus auch „empfindsam“, es überrascht jedenfalls nicht, daß er so etikettiert wird.
Ach so, zum Interpreten, abgesehen davon, daß sein Akzent mitunter leicht „putzig“ klang, uns hat er durchaus „conveniert“ (so wie auch Chor und Orchester).
Der „Produktinfo“ der oben erwähnten Aufnahme durfte ich übrigens entnehmen, daß das Werk einst beliebt war, wohl wegen des „harmonisch ausdrucksstarken“ Eingangschores, „den schlicht gesetzten Chorälen über bekannte Weihnachtsliedmelodien“, der „in Trompetenglanz erstrahlende(n) Engelsverkündigung“ sowie wegen des groß angelegten achtstimmigen Schlußchores. Verschiedene Einflußbereiche würden in Hertels Weihnachtskantate zusammenwirken, so „die Tradition der beliebten lyrischen Hirtenidylle“ neben dem dramatischen Oratorium, „barockes Affektdenken“ würde mit „sinfonischem Gestaltungswillen“ zusammentreten. Das mag so sein.
Das hiesige Bemühen um Hertel hat einen erkennbar regionalen Hintergrund: Johann Wilhelm Hertel (geboren am 9. Oktober 1727) stammt zwar aus einer Eisenacher Musikerfamilie (sein Vater wirkte am Eisenacher Hof und leitete seit 1741 die Strelitzer Hofkapelle), wurde aber überwiegend im Mecklenburgischen als Hofmusiker und Komponist tätig. Er entwickelte sein Talent unter nicht uninteressanten Einflüssen (was manches verständlich macht): Der Bach-Schüler Johann Heinrich Heil unterwies ihn im Cembalo, Violinunterricht erhielt er bei dem Zerbster Karl Höckh und dem Berliner Franz Benda, Carl Heinrich Graun, ebenfalls Berlin, beriet ihn in der Komposition.
Er folgte seinem Vater an den Strelitzer Hof als Geiger und Cembalist (ein Graf Chasôt, Freund des Kronprinzen Friedrich aus dem nahen Rheinsberg hatte sich im Auftrag Herzog Adolph Friedrich III. um die Hofkapelle verdient gemacht, nur leider wurde diese nach dem Tod des Herzogs 1752 von dessen Nachfolger wieder aufgelöst (dem berühmt-berüchtigten „Dörchläuchting“, Herzog Adolph Friedrich IV.)).
Nach 1754 wurde er als „Hof- und Capell-Compositeur“ in Schwerin angestellt, nur starb sein kunstsinniger Dienstherr Herzog Christian Ludwig II. bereits 1756. Dessen frommer Nachfolger Friedrich verlegte die Residenz von Schwerin nach Ludwigslust, wohin Hertel nicht folgen mochte, allerdings war auch dieser Herzog bei aller Schrulligkeit durchaus ein Musikliebhaber und beauftragte Hertel vor allem mit der Verfassung geistlicher Werke. Er wurde Privatsekretär der Prinzessin Ulrike Sophie (seit 1770 Hofrat), gab Musikunterricht und suchte, unterstützt vom Adel, ein Konzertleben aufrechtzuerhalten.
Als Komponist war er durchaus produktiv, er gilt als Vertreter des „empfindsamen Stils“ der deutschen Frühklassik, lese ich gerade, nicht ganz überrascht. 1789 starb er in Schwerin. Erfreulicherweise findet man einiges von ihm im „Netz“, wovon ich ein paar Beispiele anbringe.