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Donnerstag, 21. April 2022

Eichendorff über Lessing – eine Lektüre

Anna Rosina de Gasc: Gotthold Ephraim Lessing, ca. 1767-1768, 

„Aber die halb zaghaften Versuche des Pietismus, wo es das Höchste im menschlichen Leben galt, dieses unsichere Umhertasten des bloßen Gefühls nach dem Lichte, konnte zwei mächtigeren Geistern nicht genügen, die schon damals das Saatkorn einer neuen Zeit für die Nachwelt ausgeworfen; wir meinen: Lessing und Hamann.

Lessing ist… hier zuerst zu nennen. Er hatte das zweischneidige Schwert der Kritik, das der Protestantismus in die Welt gelegt, mutig aufgenommen, aber nicht um des Protestantismus willen, sondern um neue Bahnen zu brechen. Denn so lose, falb und ungewiß, das fühlte er tief, durfte das deutsche Wesen nicht länger hängenbleiben; alles Halbe war ihm in den Tod verhaßt. Der Hochwächter seiner Zeit, wie ihn Gervinus nennt, klopfte er an Hütten und Paläste, rüttelte unbarmherzig Unglauben wie Aberglauben, den eigensinnigen Hochmut und die weichlichen Träumer auf und zwang die Welt, in den Dingen sich so oder so zu entscheiden. Und den gemeinen Schwindel kannte er nicht; auf den unwirtbarsten Höhen, wo anderen die Sinne vergehen, atmete er nur um so frischer auf.

Vor allem begann er damit, in der totalen Verwirrung die ungehörig verschwommenen Elemente der Bildung zu scheiden und zu ordnen. So löste er auch die Poesie aus ihren damaligen Banden französischer Altklugheit, sie sollte fernerhin weder der Moral noch dem Verstande dienen, ihre eigene Schönheit sollte ihre einzige Berechtigung sein. Schon damals, der herrschenden Modebegeisterung entgegen, ignorierte er den Ossian und rühmte Shakespeare, den noch niemand kannte.

Es konnte nicht fehlen, ein solcher Mann mußte die tiefste Bewegung der Zeit, die religiöse, auch am mächtigsten erfassen. In dieser Beziehung sind seine »Wolfenbüttler Fragmente« und »die Erziehung des Menschengeschlechts« besonders berühmt geworden. In den Fragmenten wird Christi Leben und Lehre als ein Versuch dargestellt, den Römern zum Trotz ein irdisches Messiasreich zu gründen, welcher Versuch, als er mißglückte, von den Jüngern dann in den Evangelien schlauerweise bloß geistig gedeutet worden sei. – Die andere Schrift dagegen nimmt die Offenbarung nicht für alle Zeiten geschlossen an, sondern als einen stufenweisen Akt der Erziehung Gottes, einstweilen an dem einzelnen Volke der Juden durchgeführt, weiterhin aber unausgesetzt über Christus hinausgehend.

Wir wollen hier kein Gewicht darauf legen, daß Lessing selbst nur Herausgeber der Fragmente und der Erziehung des Menschengeschlechts ist; die ersteren werden nämlich dem Hamburger Reimarus, die anderen sogar von manchen dem bekannten Landwirt Albrecht Thaer zugeschrieben.

[Lessing hatte die Fiktion in die Welt gesetzt, die Erziehungs-Schrift sei von einem „guten Freund“, der sich gern „allerlei Hypothesen und Systeme“ mache, „um das Vergnügen zu haben, sie wieder einzureißen“ (Brief an H.S. Reimarus, 16. April 1778). Die zweite Schrift ist also von ihm selbst.] 

Postkarte des Eichendorff-Denkmals in Ratibor. Bild von hier

Aber wenn man den ganzen Mann ins Auge faßt, fühlt man jedenfalls, indem er jene Schriften in die Welt sandte, konnte es seine Absicht nicht sein, der Richtung seiner Zeit zu schmeicheln, vielmehr dieser gradezu den Fehdehandschuh hinzuwerfen, um sie, seiner scharfen unverblendeten Natur gemäß, aus aller Schöntuerei und Halbheit kühn bis zu dem Kulminationspunkte zu treiben, wo es Christ oder Nichtchrist gilt; er wollte keine Scheinheiligkeit, er wollte keinen Scheinfrieden zwischen Vernunft und Religion. 

Er tat es – und das unterscheidet ihn himmelweit von seiner Zeit –, er tat es nicht aus eitler, frivoler Lust am Verneinen, sondern mit dem furchtbaren Ernst, der den Zweifel als eine blanke Waffe ergreift, um sich zu positiver Überzeugung durchzubauen. »Ich hungere«, sagte er von sich selbst, »nach Überzeugung so sehr, daß ich wie Erysichthon alles verschlinge, was einem Nahrungsmittel nur ähnlich sieht.

Die Inspiration der Evangelien ist der breite Graben, über den ich nicht kommen kann, so oft und ernstlich ich auch den Sprung versucht habe. Kann mir jemand herüber helfen, der tue es; ich bitte ihn, ich beschwöre ihn, er verdient einen Gotteslohn an mir.« Hiernach war er auch – wiederum ganz verschieden von seiner Zeit – weit davon entfernt, seine Zweifel für maßgebend oder für mehr als redliche Bestrebung auszugeben. »Ich besorge nicht erst seit gestern«, gesteht er schon im Jahre 1771, »daß, indem ich gewisse Vorurteile weggeworfen, ich ein wenig zuviel weggeworfen habe. Es ist unendlich schwer zu wissen, wenn und wo man bleiben soll.«

Unsäglich aber haßte er insbesondere den flachen Rationalismus der »neumodischen Theologen«. »Man macht uns«, schreibt er an seinen Bruder, »unter dem Vorwande, uns zu vernünftigen Christen zu machen, zu höchst unvernünftigen Philosophen. Ich weiß kein Ding in der Welt, an welchem sich der menschliche Scharfsinn mehr gezeigt und geübt hätte als an ihm (dem alten Religionssystem). 

Flickwerk von Stümpern und Halbphilosophen ist das Religionssystem, das man jetzt an die Stelle des alten setzen will, und mit weit mehr Einfluß auf Vernunft und Philosophie, als sich das alte anmaßte. Und doch verdenkst Du es mir, daß ich das alte verteidige? – Ich bin von solchen schalen Köpfen auch sehr überzeugt, daß, wenn man sie aufkommen läßt, sie mit der Zeit mehr tyrannisieren werden, als die Orthodoxen jemals getan haben.« 

E. Eichens: Joseph von Eichendorff, Stahlstich aus Werke, Berlin, Simion, 1842, Bild von hier

Das sind Worte, die heute noch ebenso schneidend treffen wie dazumal, und wie viele, die sich jetzt auf Lessing stützen, weil sie ihn nicht kennen, würden wieder das: kreuzigt ihn! über ihn ausrufen. Denn er dringt unerschrocken noch unmittelbarer vor, indem er ferner sagt: »Eine gewisse Gefangennehmung der Vernunft unter den Gehorsam des Glaubens beruht auf dem wesentlichen Begriff einer Offenbarung. 

Oder vielmehr die Vernunft gibt sich gefangen; ihre Ergebung ist nichts als das Bekenntnis ihrer Grenzen, sobald sie von der Wirklichkeit der Offenbarung versichert ist. Dies also, dies ist der Posten, in welchem man sich schlechterdings behaupten muß; und es verrät entweder armselige Eitelkeit, wenn man sich durch hämische Spötter hinauslachen läßt, oder Verzweiflung an den Beweisen der Offenbarung, wenn man sich in der Meinung hinauszieht, daß man es alsdann mit den Beweisen nicht mehr so streng nehmen werde.«

So ist es durchaus eine ernste tiefe Sehnsucht, die durch sein unruhiges Leben wie durch seine Schriften geht. Er ist ohne Zweifel der tragischeste Charakter unserer Literatur: wie er überall treu, offen und gewaltig nach der Wahrheit ringt und dennoch vom Dämon des Scharfsinns (wie Hamann es nennt) endlich überwältiget wird und an der Schwelle des Allerheiligsten unbefriedigt untergeht; aber sein großartiger Untergang ist für alle Zeiten eine belehrende Mahnung an alle, die da ehrlich suchen wollen.

Eine gleich hohe Erscheinung der deutschen Literatur war Hamann (1730–1788), wenngleich auf sehr verschiedenem Standpunkt. Wenn Lessing das religiöse Bewußtsein durch Kritik zu erobern suchte und von Zweifel zu Zweifel langsam, aber sicher vordrang, so war bei Hamann die Erleuchtung wie ein Wetterstrahl, der den Verirrten mitten in der Nacht eines fast verlorenen Lebens getroffen…“

[An späterer Stelle, nachdem Eichendorff Christoph Friedrich Nicolai als rationalistischen Eiferer von zweifelhaftem Charakter gezeichnet hatte, vergleicht er dazu Lessing.]

Daniel Chodowiecki: Profilbildnis von Friedrich Nicolai, Bild von hier

„Lessing, sagt man, war ein Freund von Nicolai. Eine gewisse Kriegskameradschaft hat allerdings zwischen ihnen bestanden, wie überall bei Kampfgenossen, die unter einer Fahne streiten. Aber nicht alle Kameraden sind Helden; es kommt eben nur darauf an, wie sie kämpfen; und beide haben sehr verschieden gefochten. 

Lessing, der, nie sich selber genügend, immer weiter und weiter bis ins Unendliche sich seine Ziele steckte, suchte erst, was Nicolai, in seinem bornierten Gesichtskreise, bereits gefunden und erobert zu haben und daher hartnäckig behaupten zu müssen glaubte. Wir haben oben gesehen, mit welchem tiefen Ernste Lessing auf dem religiösen Gebiete alle schneidenden Waffen des Zweifels gegen das Christentum wandte, damit die Welt ihn widerlege und belehre und sich und ihn endlich aus dem schwankenden Halbwesen zur vollen Klarheit hindurchschlage.

Ebenso gab er seine dramatischen Versuche keinesweges etwa als endgültige Muster…, sondern um andere anzuregen und auf die Bahn zu weisen, auf der sie aus der allgemeinen französischen Lüge auch hier vielleicht zur Wahrheit gelangen könnten. Auch Lessing gehört… wesentlich der Verstandespoesie an. 

Wir statuieren freilich keinen Dichter ohne, wo möglich, recht großen Verstand, aber wir müssen ihm durchaus etwas vindizieren, das über dem Verstande liegt oder vielmehr diesen in einem weiteren Umkreise mit umfaßt; und eben dieses fehlte Lessing.

Gotthold Ephraim Lessing: Emilia Galotti - Titelblatt der Erstausgabe, 1772, Bild von hier

Seine »Miß Sara Sampson«, sowie »Emilie Galotti« sind eben nur ein tief durchdachtes Schachspiel scharfumrissener Charaktere gegeneinander: Exposition, Szenenfolge, Handlung, alles notwendig Zug um Zug, kein Auftritt kann herausgenommen oder verschoben werden, ohne den ganzen Organismus zu zerstören; die geistvollsten und lehrreichsten Skizzen zu künftigen Tragödien. 

Aber man vermißt die schöpferische Wärme des Gefühls, jene wunderbare Zauberei der Phantasie, welche die Figuren erst lebendig macht; der Dialog ist epigrammatisch oder »lakonisch«, wie ihn Goethe nennt, und beiden Tragödien fehlt der versöhnende Schluß einer durchblickenden höheren Leitung, den auch die geistreichst kombinierte Wirklichkeit niemals zu geben vermag…

Lessing, G. E.: Minna von Barnhelm, oder das Soldatenglück. Zweite Auflage. Berlin: C. F. Voß 1770, Wikimedia: Foto H.-P.Haack

Mit »Minna von Barnhelm« dagegen trat Lessing unmittelbar seinem Ziele näher, ja gewissermaßen schon über dasselbe hinaus. Was er vorhatte, war nämlich nichts Geringeres, als das Schauspiel aus der ganz konventionellen Unnatur des französischen Hoftheaters zur Naturwahrheit einer nationalen Bühne zurückzuführen. 

Zu diesem Zwecke wollte er Stoff und Form zugleich reformieren, er wollte einerseits den Heroismus von dem Kothurn eines angeblich klassischen Altertums möglichst auf den realen Boden der Gegenwart stellen, andrerseits das aufgeblasene Pathos wieder dem natürlichen Konversationstone zu nähern suchen. Beides gelang ihm vollkommen in dem genannten Lustspiel, das eine außerordentliche Wirkung machte und bei vornehm und gering populär wurde, weil hier dem modernen Heldenleben in der bewegten Zeit des Siebenjährigen Krieges ein großer nationaler Hintergrund gegeben war. 

Anders verhält es sich, wo dieser Boden künstlich erst geschaffen werden mußte, wie in Miß Sara Sampson, oder, wie in Emilie Galotti, die alte rauhe Römertugend willkürlich mitten in die neuen Verhältnisse verpflanzt werden sollte. Jedenfalls aber war der Weg, den Lessing zur Lösung seiner kühnen Aufgabe eingeschlagen, keineswegs der richtige und wenigstens für die Tragödie ein sehr bedenklicher Umweg. 

Denn die Tragödie bedarf, wie das Epos, eines weiten Horizonts, einer poetischen Ferne, wo die Phantasie ihre blauen Berge und großen Konturen fein und ungehindert ziehen kann, während das Heldenbild von dem Rahmen der unmittelbaren Gegenwart fast jederzeit erdrückt wird, gleich wie es keinen Helden für seinen Kammerdiener gibt, weil ihn dieser nur in dem kleinlichen Kreise der gewöhnlichen Alltäglichkeit erblickt. Ja, auf diesem Gebiet üben in so unmittelbarer Nähe selbst die zudringlichen Kapricen der geselligen Konvention und des Kostüms eine störende und doch nicht zu beseitigende Gewalt aus…

Auch die von Lessing versuchte, im Nathan jedoch wieder aufgegebene Herabstimmung der Tragödie vom Verse zu Prosa können wir ebensowenig… als einen Fortschritt anerkennen. Die Rede wurde freilich dadurch natürlicher, aber das Natürliche darum nicht poetischer. 

Wir wissen recht wohl…, wie leicht sich aus Jamben hohle Phrasen drechseln lassen; allein der bloße Mißbrauch kann doch nirgend das an sich Rechte unrecht machen… Und so hat denn Lessing, überall verkannt, mißverstanden und kläglich nachgeahmt, in der Tat durch seinen reformatorischen Vorgang allmählich auf ein Heldentum im häuslichen Schlafrock, zu der bürgerlichen Tragödie geführt, die im Grunde doch nur ein lederner Schleifstein ist.“

Lessing und Johann Caspar Lavater zu Gast bei Moses Mendelssohn, Gemälde von Moritz Daniel Oppenheim (1856), Bild von hier

[Nachdem Eichendorff einige recht verschiedenrangige Literaten des ausgehenden 18. Jahrhunderts beschrieben hat, um den Zeitgeist vorzustellen, kommt er noch einmal auf Lessing zu sprechen.]

„Es ist aus allen diesen Vorgängen leicht ersichtlich: das positive Christentum war, unter den Gebildeten wenigstens, so gut wie abgetan. Die ebenso wissensreichen als glaubensarmen Geister mußten daher auf eine Restauration in anderem Wege, auf eine Surrogatreligion, Bedacht nehmen. 

So erfand man die Humanität, d.h. das in allen anarchischen Übergangszeiten geltende Recht der Selbsthülfe, wonach die Menschheit, ohne höhere Autorität, sich aus sich selber durch die bloße Kraft der eigenen Vernunft selig machen sollte…

Auch hier, wie bei allen tiefgreifenden geistigen Bewegungen, sehen wir Lessing abermals im Vordertreffen. In seinem »Nathan der Weise« wirft er ein vorläufiges Probestück dieser modernen Religion ohne Religion, gleichsam als einen Zankapfel, der orthodoxen Borniertheit mutig ins Angesicht. 

Es ist keineswegs etwa der gewöhnliche Indifferentismus; mit der größten Entschiedenheit vielmehr wird hier aller Nachdruck eines übermächtigen Geistes auf die sittliche Kraft im Menschen gelegt und an dieser allein die Bedeutung aller Religionen gemessen; denn die göttliche Abstammung aller positiven Religionen lasse sich nur an ihren Früchten erkennen: »ob sie vor Gott und Menschen angenehm machen«.

Daher sind in dem eingeflochtenen Gleichnis von den drei Ringen Judentum, Islam und Christentum völlig gleichberechtigte Offenbarungen der Menschennatur. Ja, das Christentum mit seinen etwas verblaßten Vertretern wird hier von den leuchtenden Heldengestalten Saladins, Nathans, von dem aufgeklärten Tempelherrn und der wunderlieblichen Recha sehr fühlbar in den Hintergrund gedrängt. Eben diese geständlich polemische Färbung aber stört einigermaßen den vollen künstlerischen Eindruck dieses Meisterwerks...

War nun einmal auf solche Weise alle positive Glaubensbasis weggenommen, so blieb auch in der Tat nichts anderes übrig, als an die menschliche Perfektibilität zu appellieren, an den Glauben, daß die Menschheit auch ohne übernatürliche Hülfe sich selbst erlösen, mithin zu diesem Zwecke alle ihre natürlichen Gaben und Kräfte selbständig bis ins Unendliche herausbilden könne und müsse. Und dies ist der eigentliche Grundgedanke der Humanität und dessen nähere Begründung die Lebensaufgabe Herders...“

aus Joseph von Eichendorff, Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands, Paderborn 1857

Schloß Lubowitz 1788, Bild von hier

Ruine des Schlosses Lubowitz mit Porträt und Zitat Joseph von Eichendorffs, Bild von hier


Mittwoch, 5. Mai 2021

Vier letzte Lieder, Richard Strauss & Jessye Norman

Richard Strauss, Vier letzte Lieder, Frühling, hier gefunden 


Hermann Hesse

Frühling


In dämmrigen Grüften

Träumte ich lang

Von deinen Bäumen und blauen Lüften,

Von deinem Duft und Vogelsang.


Nun liegst du erschlossen

In Gleiss und Zier,

Von Licht übergossen

Wie ein Wunder vor mir.


Du kennst mich wieder;

Du lockst mich zart.

Es zittert durch all meine Glieder

Deine selige Gegenwart!


Spring


In twilit clefts

I dreamed long

Of your trees und blue breezes,

Of your scent and birdsong.


Now you lie revealed again

In gleaming adornment

Flooded with light

Like a miracle before me.


You know me again,

You entice me tenderly.

Through all my limbs trembles

Your blissful presence!

Translation: © David Paley


Richard Strauss, Vier letzte Lieder, September, hier gefunden 


Hermann Hesse

September


Der Garten trauert,

Kühl sinkt in die Blumen der Regen.

Der Sommer schauert

Still seinem Ende entgegen.


Golden tropft Blatt um Blatt

Nieder vom hohen Akazienbaum.

Sommer lächelt erstaunt und matt

In den sterbenden Gartentraum.


Lange noch bei den Rosen

Bleibt er stehen, sehnt sich nach Ruh.

Langsam tut er die großen,

Müdgewordenen Augen zu.


September


The garden mourns,

Rain sinks coolly into the flowers.

Summer shudders

Peacefully towards its end.


Golden, one leaf after another

Drops from the high Acacia tree.

Summer smiles astonished and weak

Into the dying garden dream.


But still, by the roses,

It pauses and longs for peace.

And slowly closes its large

Now tired, worn eyes.

Translation: © David Paley


Richard Strauss, Vier letzte Lieder, Beim Schlafengehen,

hier gefunden 


Hermann Hesse

Beim Schlafengehen


Nun hat der Tag mich müd gemacht,

Soll mein sehnliches Verlangen

Freundlich die gestirnte Nacht

Wie ein müdes Kind empfangen.


Hände, laßt von allem Tun

Stirn, vergiß du alles Denken,

Alle meine Sinne nun

Wollen sich in Schlummer senken.


Und die Seele unbewacht

Will in freien Flügen schweben,

Um im Zauberkreis der Nacht

Tief und tausendfach zu leben.


Going to sleep 


Now that I am wearied of the day,

my ardent desire shall happily receive

the starry night

like a sleepy child.


Hands, stop all your work.

Brow, forget all your thinking.

All my senses now

yearn to sink into slumber.


And my unfettered soul

wishes to soar up freely

into night's magic sphere

to live there deeply and thousandfold.


Richard Strauss, Vier letzte Lieder, Im Abendrot, hier gefunden 


Joseph von Eichendorff

Im Abendrot  


Wir sind durch Not und Freude

gegangen Hand in Hand;

vom Wandern ruhen wir [beide]

nun überm stillen Land.


Rings sich die Täler neigen,

es dunkelt schon die Luft.

Zwei Lerchen nur noch steigen

nachträumend in den Duft.


Tritt her und laß sie schwirren,

bald ist es Schlafenszeit.

Daß wir uns nicht verirren

in dieser Einsamkeit.


O weiter, stiller Friede!

So tief im Abendrot.

Wie sind wir wandermüde--

Ist dies etwa der Tod?


At sunset


Through sorrow and joy

we have gone hand in hand;

we are both at rest from our wanderings

now above the quiet land.


Around us, the valleys bow,

the air already darkens.

Only two larks soar

musingly into the haze.


Come close, and let them flutter,

soon it will be time to sleep -

so that we don't get lost

in this solitude.


O vast, tranquil peace,

so deep in the afterglow!

How weary we are of wandering--

Is this perhaps death?

Translation from here

Die beigefügten englischen Übersetzungen sind gewissermaßen eine Geste des Respekts für Jessye Norman, die selbst derlei nicht bedurfte.

Freitag, 4. Oktober 2019

Jessye Norman - Im Abendrot


Richard Strauss - Vier letzte Lieder, IV., „Im Abendrot“ 
Jessye Norman & Gewandhausorchester Leipzig mit Kurt Masur,
 1982, hier gefunden 

Joseph von Eichendorff

Im Abendrot

Wir sind durch Not und Freude
gegangen Hand in Hand;
vom Wandern ruhen wir [beide]
nun überm stillen Land.

Rings sich die Täler neigen,
es dunkelt schon die Luft.
Zwei Lerchen nur noch steigen
nachträumend in den Duft.

Tritt her und laß sie schwirren,
bald ist es Schlafenszeit.
Daß wir uns nicht verirren
in dieser Einsamkeit.

O weiter, stiller Friede!
So tief im Abendrot.
Wie sind wir wandermüde--
Ist dies etwa der Tod?

At sunset

We have through sorrow and joy
gone hand in hand;
From our wanderings, let's now rest
in this quiet land.

Around us, the valleys bow
as the sun goes down.
Two larks soar upwards
dreamily into the light air.

Come close, and let them fly.
Soon it will be time for sleep.
Let's not lose our way
in this solitude.

O vast, tranquil peace,
so deep in the evening's glow!
How weary we are of wandering---
Is this perhaps death?

Übersetzung hier gefunden

Da Jessye Norman davon ausging, eine Amerikanerin zu sein, wollen wir gelegentlich englische Übersetzungen beifügen. Sie selbst bedurfte solcherlei nicht, wie man aus diesem wunderbaren Gespräch leicht ersehen kann (Jessye Norman interviewed by Patrick Watson). Allein nur, in welcher Weise sie dort über das nachfolgende Lied spricht (ab etwa 5.44), zeigt, wie tief sie wußte, was sie sang. Musik solcher Art ist wie ein Haus für die Seele, zugleich in und außer dieser Welt.

Gustav Mahler / Friedrich Rückert: 
"Ich bin der Welt abhanden gekommen"
Jessye Norman mit Zubin Mehta 
und den New Yorker Philharmonikern, hier gefunden

Friedrich Rückert

Ich bin der Welt abhanden gekommen

Ich bin der Welt abhanden gekommen,
Mit der ich sonst viele Zeit verdorben,
Sie hat so lange nichts von mir vernommen,
Sie mag wohl glauben, ich sei gestorben!

Es ist mir auch gar nichts daran gelegen,
Ob sie mich für gestorben hält,
Ich kann auch gar nichts sagen dagegen,
Denn wirklich bin ich gestorben der Welt.

Ich bin gestorben dem Weltgetümmel,
Und ruh' in einem stillen Gebiet!
Ich leb' allein in meinem Himmel,
In meinem Lieben, in meinem Lied!

I am lost to the world…


Jessye Norman (2014)

Jessye Norman, geboren am 15. September 1945 in Augusta (Georgia), starb am 30. September in New York. Ich hätte gern ein Photo der Kirche (Mount Calvary Baptist Church) eingefügt, in der sie bereits als Vierjährige sang. Doch nicht nur in Leipzig kann man häßliche Kirchenneubauten errichten. Daher nehme ich stattdessen lieber eines der First Baptist Church, ebenfalls Augusta. Die Stadt wurde übrigens nach Augusta von Sachsen-Gotha-Altenburg benannt, der Mutter König Georgs III. 

First Baptist Church, Augusta, Georgia

In der Begegnung mit herausragenden Gestalten zeigen Menschen oft mehr von sich, als ihnen offenkundig bewußt ist. So in diesem Gespräch der „berühmte“ BBC Journalist Stephen Sackur, der in schwer erträglicher Weise seine Beschränkungen herausstellt und im Grunde nur in verschiedenen Variationen über Rassismus reden will. Und dabei nicht den Eindruck erweckt, an ihren geistig-musikalischen Einsichten wirklich Anteil zu nehmen. ("You almost suggest positive discrimination", jauchzt er einmal auf, und sie widerspricht heftig (21.50) - der Unterschied zwischen selbstgefälliger Attitüde und wissender Anteilnahme. Das hat zu genügen.) Nur ihrer souveränen Antworten wegen sollte man sich das Ganze antun. Denn dann hört man etwa von ihrem Vorbild Marian Anderson.


Marian Anderson; J. S. Bach: Johannespassion,"Es ist vollbracht"
(englisch), hier gefunden

Und ausgerechnet der verquere Herr Biolek läßt sie (auf Deutsch!) mit seinen verschusselten Fragen in dieser Sendung von 1993 so authentisch und persönlich erscheinen, wie dies nur tatsächlicher Respekt und aufrichtige Verehrung möglich machen.

„Königin der Oper, Kaiserin des Konzerts, Göttin des Lieds“ überschreibt Herr Manuel Brug seinen Nachruf, der trotz dieses Fanfarenstoßes sehr nuanciert und kenntnisreich ausfällt.

Und Herr Klonovsky schreibt in seinem mehr persönlichen Beitrag: "Die Norman hatte etwas Majestätisches." Und ihr Strahlen nach jedem Lied sei fast noch überwältigender gewesen als ihre Stimme selbst. Und auch in dem, was er sonst zu vermelden hat, tritt der Enthüllungsfaktor auf, den ich oben erwähnte.

Ich selbst möchte mich (auch beim Blick auf mein nächtliches Geschreibsel) von solchem lieber ausnehmen. Ja, sie hatte eine überwältigende Hoheit, mit der sie selbst ihre wundeste Empfindsamkeit der Welt stolz ins Gesicht schleuderte.

Und wie deutsch sie war, wenn sie Wagner oder Mahler sang. (Oder auch französisch. Wenn man viel Zeit hat - "Poème de l'Amour et de la Mer"; op. 19; Ernest Chausson.) Eine königliche Seele, die, durch die Reiche der Musik wandernd, diese singend in Besitz nahm.

Jessye Mae Norman ist jetzt in den Händen der Engel.

Herr schenke ihr Deinen Frieden.
Und das ewige Licht leuchte ihr.

Zum Paradies mögen Engel dich geleiten und die heiligen Märtyrer dich begrüßen und dich führen in die heilige Stadt Jerusalem.

Die Chöre der Engel mögen dich empfangen und durch Christus, der für dich gestorben ist, soll ewiges Leben dich erfreuen.


Jessye Norman "Give Me Jesus", 1990

Give me Jesus

Oh when I come to die
Oh when I come to die
Oh when I come to die
Give me Jesus
Give me Jesus
Give me Jesus
You can have all this world
Give me Jesus!

Dark midnight was my cry...
Give me Jesus...
You can have all this world
Give me Jesus!
You can have all this world
Give me Jesus!

Mittwoch, 17. Februar 2016

Nachtverse

Caspar David Friedrich "Spaziergang in der Abenddämmerung"

Manchmal, wenn ich partout nicht schlafen kann (warum diese französischen Einsprengsel – pure Nostalgie, nein, nicht weil ich die Sprache gern beherrschen würde, bloße Erinnerung an die Gewohnheiten der Vorfahren), kommt etwas zurück. In diesem Fall war es Johann Klaj, verstorben am 16. Februar 1656, ein Dichter des Barock, von dem ich endgültig für mich beschlossen habe, daß er in seinen weltlichen Hervorbringungen unlesbar ist. Monotones, selbstverliebtes, exaltiertes, pedantisches Wortgeklingel, und das bei einem trunksüchtigen Geistlichen. Da hätte wirklich mehr 'rüberkommen müssen; bei all dem Aufwand. Von den geistlichen Dichtungen schweigen wir.

Da ich weiter nicht schlafen konnte, versenkte ich mich in Anthologien des 19. Jahrhunderts (was nach meinem philisterhaften Urteil nahe lag, über vorherige deutsche Dichtung), und das half (ich habe versucht, die erinnerten Stellen, die ich am nächsten Morgen diesmal nicht ganz vorenthalten wollte, kommod zu bebildern; das letzte fällt heraus, es sollte ja alles recht unpersönlich bleiben, aber dieser Hahn sucht tatsächlich Zuflucht hinter dem rechten hiesigen Küchenfenster seit gestern, er ist da immer noch). Aber gegen Wirklichkeitseinbrüche haben wir schließlich bewährte Hausmittel vorrätig.



Joseph von Eichendorff „Nachtzauber"
Rezitation: Fritz Stavenhagen, hier gefunden

Joseph Freiherr von Eichendorff

Nachtzauber

Hörst du nicht die Quellen gehen
Zwischen Stein und Blumen weit
Nach den stillen Waldesseen,
Wo die Marmorbilder stehen
In der schönen Einsamkeit?
Von den Bergen sacht hernieder,
Weckend die uralten Lieder,
Steigt die wunderbare Nacht,
Und die Gründe glänzen wieder,
Wie du's oft im Traum gedacht.
Kennst die Blume du, entsprossen
In dem mondbeglänzten Grund?
Aus der Knospe, halb erschlossen,
Junge Glieder blühend sprossen,
Weiße Arme, roter Mund,
Und die Nachtigallen schlagen,
Und rings hebt es an zu klagen,
Ach, vor Liebe todeswund,
Von versunknen schönen Tagen –
Komm, o komm zum stillen Grund!


Jopengasse, Danzig, zwischen 1890 und 1900

In Danzig

Dunkle Giebel, hohe Fenster,
Türme wie aus Nebel sehn.
Bleiche Statuen wie Gespenster
Lautlos an den Türen stehn.

Träumerisch der Mond drauf scheinet,
Dem die Stadt gar wohl gefällt,
Als läg' zauberhaft versteinet
Drunten eine Märchenwelt.

Ringsher durch das tiefe Lauschen,
Über alle Häuser weit,
Nur des Meeres fernes Rauschen.
Wunderbare Einsamkeit!

Und der Türmer wie vor Jahren
Singet ein uraltes Lied:
Wolle Gott den Schiffer wahren,
Der bei Nacht vorüberzieht.



"Täuschung" aus "Die Winterreise" von Franz Schubert,
Thomas Quasthoff & Daniel Barenboim, hier gefunden

Wilhelm Müller

Täuschung

Ein Licht tanzt freundlich vor mir her,
Ich folg' ihm nach die Kreuz und Quer;
Ich folg' ihm gern und seh's ihm an,
Daß es verlockt den Wandersmann.
Ach! wer wie ich so elend ist,
Gibt gern sich hin der bunten List,
Die hinter Eis und Nacht und Graus
Ihm weist ein helles, warmes Haus.
Und eine liebe Seele drin. –
Nur Täuschung ist für mich Gewinn!


Caspar David Friedrich "Meeresküste bei Mondschein"

Franz Grillparzer

Der Halbmond glänzet am Himmel

Der Halbmond glänzet am Himmel,
Und es ist neblicht und kalt.
Gegrüßet sei du Halber dort oben,
Wie du, bin ich einer, der halb.
Halb gut, halb übel geboren,
Und dürftig in beider Gestalt,
Mein Gutes ohne Würde,
Das Böse ohne Gewalt.

Halb schmeckt' ich die Freuden des Lebens,
Nichts ganz als meine Reu;
Die ersten Bissen genossen,
Schien alles mir einerlei.

Halb gab ich mich hin den Musen,
Und sie erhörten mich halb;
Hart auf der Hälfte des Lebens
Entfloh'n sie und ließen mich alt.

Und also sitz ich verdrossen,
Doch läßt die Zersplitterung nach:
Die leere Hälfte der Seele
Verdrängt die noch volle gemach.


Caspar David Friedrich "Zwei Männer in Betrachtung des Mondes"

Christian Friedrich Hebbel

Nachtlied

Quellende, schwellende Nacht,
Voll von Lichtern und Sternen:
In den ewigen Fernen,
Sage, was ist da erwacht!

Herz in der Brust wird beengt,
Steigendes, neigendes Leben,
Riesenhaft fühle ich's weben,
Welches das meine verdrängt.

Schlaf, da nahst du dich leis,
Wie dem Kinde die Amme,
Und um die dürftige Flamme
Ziehst du den schützenden Kreis.




Detlev von Liliencron

Für und für

Im ersten matten Dämmer thront
Der blasse, klare Morgenmond.

Den Himmel färbt ein kühles Blau,
Der Wind knipst Perlen ab vom Tau.

Der Friede zittert: ungestüm
Reckt sich der Tag, das Ungetüm,

Und schüttelt sich und brüllt und beißt
Und zeigt uns so, was leben heißt.

Die Sonne hat den Lauf vollbracht,
Und Abendröte, Mitternacht.

Im ersten matten Dämmer thront
Der blasse, klare Morgenmond.

Und langsam frißt und frißt die Zeit
Und frißt sich durch die Ewigkeit.

Donnerstag, 26. November 2015

Eichendorff



"Mondnacht" 1837 / Robert Schumann 1840 / Peter Schreier
Joseph Freiherr von Eichendorff

Mondnacht

Es war, als hätt der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müßt.

Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.

Moonlit Night

It was like Heaven's glimmer
caressing Terra's skin,
that in Her blossoms' shimmer
She had to dream of Him.

The breeze was gently walking
through wheatfields near and far;
the woods were softly talking
so bright shone ev'ry star.

And, oh, my soul extended
its wings through skies to roam:
O'er quiet lands suspended,
my soul was flying home.

Translation  by Walter A. Aue

Schloss Lubowitz, zerstört seit März 1945
hier gefunden

Der Isegrimm

Aktenstöße nachts verschlingen,
Schwatzen nach der Welt Gebrauch,
Und das große Tretrad schwingen
Wie ein Ochs, das kann ich auch.

Aber glauben, daß der Plunder
Eben nicht der Plunder wär,
Sondern ein hochwichtig Wunder,
Das gelang mir nimmermehr.

Aber andre überwitzen,
Daß ich mit dem Federkiel
Könnt den morschen Weltbau stützen,
Schien mir immer Narrenspiel.
Und so, weil ich in dem Drehen
Da steh oft wie ein Pasquill,
Läßt die Welt mich eben stehen –
Mag sies halten, wie sie will!

The Curmudgeon

Spending nights at dossier reading,
prattling, as the custom is,
and the giant treadmill speeding
like an ox: I could do this.

Thinking, though, that this baloney
were not just a bunch of crap,
but high heaven's testimony:
I could never manage that.

To bamboozle everybody
that I could, with just my quill,
underpin world's frail and shoddy
structure seems so imbecile.

Thus, since folks in all that turning
see me as lampooner still,
they will leave me churning, burning -
let them fancy what they will!

Translation by Walter A. Aue


Der Einsiedler / Schläft ein Lied in allen Dingen: Gert Westphal / Katharina Neubronner

Wünschelrute

Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.

Wishing-Wand

Songs repose in things abounding
that keep dreaming to be heard,
and the world shall start resounding
if you hit her magic word.

Translation  by Walter A. Aue


Elisabeth Schwarzkopf, "Im Abendrot", aus "Vier letzte Lieder" Richard Strauss

Im Abendrot

Wir sind durch Not und Freude
Gegangen Hand in Hand:
Vom Wandern ruhen wir beide
Nun überm stillen Land.

Rings sich die Täler neigen,
Es dunkelt schon die Luft.
Zwei Lerchen nur noch steigen
Nachträumend in den Duft.

Tritt her und laß sie schwirren,
Bald ist es Schlafenszeit.
Dass wir uns nicht verirren
in dieser Einsamkeit.

O weiter, stiller Friede!
So tief im Abendrot.
Wie sind wir wandermüde -
Ist dies etwa der Tod?

At sunset

We have through sorrow and joy
gone hand in hand;
From our wanderings, let's now rest
in this quiet land.

Around us, the valleys bow
as the sun goes down.
Two larks soar upwards
dreamily into the light air.

Come close, and let them fly.
Soon it will be time for sleep.
Let's not lose our way
in this solitude.

O vast, tranquil peace,
so deep in the evening's glow!
How weary we are of wandering---
Is this perhaps death?

Übersetzung hier gefunden

Mein Gott, soviel Untergang. Ich habe mich an Eichendorff erst wieder heranlesen (und hören) müssen, ein Grund für die Verspätung. Meine aufrichtige Hochachtung vor denen, die das Geschäft der Übersetzung betreiben, dem die Verzweiflung geradezu innewohnen muß. Das wird unnötig flapsig klingen, ist aber so weit fern davon. Ich grübel noch, ob ich hier weiterschreiben sollte, wo doch die Fremdheit nach und nach abgefallen ist...

Ab jetzt geht es aber nur noch kurz ausschließlich in Deutsch weiter.


Joseph von Eichendorff „Winternacht" / Fritz Stavenhagen

Winternacht

Verschneit liegt rings die ganze Welt,
Ich hab' nichts, was mich freuet,
Verlassen steht der Baum im Feld,
Hat längst sein Laub zerstreuet.

Der Wind nur geht bei stiller Nacht
Und rüttelt an dem Baume,
Da rührt er seinen Wipfel sacht
Und redet wie im Traume.

Er träumt von künft'ger Frühlingszeit,
Von Grün und Quellenrauschen,
Wo er im neuen Blütenkleid
Zu Gottes Lob wird rauschen.


"Zwielicht" / Robert Schumann / Emmi Leisner, Berlin 1944

Zwielicht

Dämmrung will die Flügel spreiten,
Schaurig rühren sich die Bäume,
Wolken ziehn wie schwere Träume -
Was will dieses Graun bedeuten?

Hast ein Reh du lieb vor andern,
Laß es nicht alleine grasen,
Jäger ziehn im Wald und blasen,
Stimmen hin und wieder wandern.

Hast du einen Freund hienieden,
Trau ihm nicht zu dieser Stunde,
Freundlich wohl mit Aug und Munde,
Sinnt er Krieg im tückschen Frieden.

Was heut müde gehet unter,
Hebt sich morgen neugeboren.
Manches bleibt in Nacht verloren -
Hüte dich, bleib wach und munter!


INaBlaze - Nachtlicht

Die Nacht

Wie schön, hier zu verträumen
Die Nacht im stillen Wald,
Wenn in den dunklen Bäumen
Das alte Märchen hallt.

Die Berg im Mondesschimmer
Wie in Gedanken stehn,
Und durch verworrne Trümmer
Die Quellen klagend gehn.

Denn müd ging auf den Matten
Die Schönheit nun zur Ruh,
Es deckt mit kühlen Schatten
Die Nacht das Liebchen zu.

Das ist das irre Klagen
In stiller Waldespracht,
Die Nachtigallen schlagen
Von ihr die ganze Nacht.

Die Stern gehn auf und nieder -
Wann kommst du, Morgenwind,
Und hebst die Schatten wieder
Von dem verträumten Kind?

Schon rührt sich's in den Bäumen.
Die Lerche weckt sie bald -
So will ich treu verträumen
Die Nacht im stillen Wald.

Wappen derer von Eichendorff

nachgetragen am 29. November

Dienstag, 21. Januar 2014

Von und über Matthias Claudius


Von Matthias Claudius

Ein Lied
hinterm Ofen zu singen

Der Winter ist ein rechter Mann,
Kernfest und auf die Dauer;
Sein Fleisch fühlt sich wie Eisen an,
Und scheut nicht süß noch sauer.

War je ein Mann gesund, ist er’s;
Er krankt und kränkelt nimmer,
Weiß nichts von Nachtschweiß noch Vapeurs,
Und schläft im kalten Zimmer.

Er zieht sein Hemd im Freien an,
Und läßt’s vorher nicht wärmen;
Und spottet über Fluß im Zahn
Und Kolik in Gedärmen.

Aus Blumen und aus Vogelsang
Weiß er sich nichts zu machen,
Haßt warmen Drang und warmen Klang
Und alle warme Sachen.

Doch wenn die Füchse bellen sehr,
Wenn’s Holz im Ofen knittert,
Und um den Ofen Knecht und Herr
Die Hände reibt und zittert;

Wenn Stein und Bein vor Frost zerbricht,
Und Teich’ und Seen krachen;
Das klingt ihm gut, das haßt er nicht,
Denn will er sich todt lachen. –

Sein Schloß von Eis liegt ganz hinaus
Beym Nordpol an dem Strande;
Doch hat er auch ein Sommerhaus
Im lieben Schweizerlande.

Da ist er denn bald dort bald hier,
Gut Regiment zu führen.
Und wenn er durchzieht, stehen wir
Und sehn ihn an und frieren.

[Anmerkung: „Vapeurs“ – Blähungen, üble Laune. „Zahnfluß“ - rheumatische bzw. entzündliche Erkrankung im Rachenraum.]


So legt euch denn, ihr Brüder,
In Gottes Namen nieder;
Kalt ist der Abendhauch.
Verschon uns, Gott! mit Strafen,
Und laß uns ruhig schlafen!
Und unsern kranken Nachbar auch!

[Anm.: Schluß von: „Abendlied“ oder „Der Mond ist aufgegangen...“, siehe auch hier]


Ex tempore

In dichtverwachsnem Laub verborgen,
Sang eine Nachtigall einst einen Frühlingsmorgen;
Bald tönten Lieder überall,
Sie sangen ihm aus vollem Halse Lieder,
Und Tal und Hügel hallten wider; –
Da schwieg die Nachtigall.


Ein Versuch in Versen

Die Römer, die vor vielen hundert Jahren,
    Das erste Volk der Erde waren,
Doch wenigstens sich dünkten, es zu sein;
    Die großen Schreiber ihrer Taten
Und Dichter auch, und große Redner hatten,
    Und Weise, groß und klein;
Die stolz auf ihrer Helden Scharen
Auf ihre Regulos und ihre Scipione waren,
    Und Ursach' hatten, es zu sein;
Die fingen endlich an und aßen Ochsenbraten,
    Frisierten sich, und tranken fleißig Wein –
Da war's geschehn um ihre Heldentaten,
    Um ihrer Dichter edlen Reih'n,
    Um ihre Redner, ihre Schreiber;
Da wurden's große dicke Leiber,
    Und Memoirs- und Zeitungsschreiber,
    Und ihre Seelen wurden klein;
Da kamen Oper und Kastraten,
    Und Ehebruch und Advokaten,
    Und nistelten sich ein.
O, die verdammten Ochsenbraten!
O, der verdammte Wein!


Vergleichung

Voltaire und Shakespeare: der eine
Ist, was der andre scheint,
Meister Arouet sagt: ich weine;
Und Shakespeare weint.


Aus dem Englischen

Es legte Adam sich im Paradiese schlafen;
Da ward aus ihm das Weib geschaffen.
Du armer Vater Adam, du!
Dein erster Schlaf war deine letzte Ruh.


Ein gülden ABC       
  
A
Armut des Geistes Gott erfreut;
Armut und nicht Armseligkeit.

G
Geduldig sein - Herr, lehr' es mich,
Ich bitte Dich, ich bitte Dich.

I
In Dir ein edler Sklave ist,
Dem Du die Freiheit schuldig bist.

T
Treib Tugend jeden Augenblick;
Wer nicht voran geht, geht zurück.

U
Und wenn sie alle Dich verschrein,
So wickle in Dich selbst dich ein.


Ein silbern ABC

Aus Nichts wird Nichts, das merke wohl,
Wenn aus dir etwas werden soll. 

Cränz’ einen Welterob’rer nicht,
Schlepp’ lieber ihn zum Hochgericht.

Greif nicht leicht in ein Wespennest;
doch wenn du greifst, so stehe fest.

Nichts ist so elend als ein Mann,
der alles will, und der nichts kann. 

Wer Pech angreift, besudelt sich;
Vor Kritikastern hüte dich. 

Xerxes verließ sich auf sein Heer;
Allein das Heer auf ihn nicht sehr. 

[Anm: Vollständig zu finden hier und hier]


Klage

(Aus dem Jahr 1793)

Sie dünkten sich die Herren aller Herrn,
Zertraten alle Ordnung, Sitt und Weise,
Und gingen übermütig neue Gleise
Von aller wahren Weisheit fern,
Und trieben ohne Glück und Stern

Im Dunkeln hin, nach ihres Herzens Gelüste,
Und machten elend nah und fern.
Sie mordeten den König, ihren Herrn,
Sie morden sich einander, morden gern,
Und tanzen um das Blutgerüste.

Der Chor

Erbarm dich ihrer!
Sie wollten ohne Gott sein, ohn ihn leben
In ihrem tollen Sinn;
Und sind nun auch dahingegeben,
Zu leben ohne ihn.
Der Keim des Lichtes und der Liebe,
Den Gott in unsre Brust gelegt,

Der seines Wesens Stempel trägt,
Und sich in allen Menschen regt,
Und der, wenn man ihn hegt und pflegt,
Zu unserm Glücke freier schlägt,
Als ob er aus dem Grabe sich erhübe –
Der Keim des Lichtes und der Liebe
Der ist in ihnen stumm und tot;
Sie haben alles Große, alles Gute Spott.
Sie beten Unsinn an, und tun dem Teufel Ehre,
Und stellen Greuel auf Altäre.

Der Chor

Erbarm dich ihrer!

[Anm: Ludwig XVI. August von Frankreich, König von Frankreich und Navarra wurde am 21. Januar 1793 in Paris getötet (merkwürdigerweise verstarb am gleichen Tage im Jahre 1815 auch Claudius)]

Matthias Claudius (* 15. August 1740; † 21. Januar 1815)

„Die Löwin, die ihre Jungen verteidigt, pflegt wohl nicht mit dem Schwanz zu wedeln.“

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„Mich dünkt, der bloße Eindruck in einer heiteren Nacht lehrt's einen auch schon, daß die mit so unbeschreiblicher Freundlichkeit leuchtenden Sterne nicht kalte müßige Zuschauer sind, sondern Angehörige der Erde und Freunde vom Hause.“

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„Du reibst Dir auch die Stirne, Andres, über den Unfug mit der Bibel, und daß die Menschen »sich so bald abwenden lassen auf ein ander Evangelium, so doch kein andres ist, ohne daß etliche sind, die uns verwirren und wollen das Evangelium Christi verkehren«...
Aber es hält nichts hinter dem Berge, es hält alles vor dem Berge und vor Augen; und ist, worauf ihrer, so viele und von allen Parteien, ausgehen mehr oder weniger, nichts anders als ihre Vernunft in der Religion den Meister spielen zu lassen, und alles was sie nicht begreifen und darin allein die Religion und der Glaube besteht, herauszutun, um in den Zeiten der Vernunft auch ihres Orts nicht müßig zu sein, und ihre Ehre in Sicherheit zu bringen.
Und da nehmen sie nun alles zu Hülfe..., um den offenbaren Verstand und die klaren Worte der Heiligen Schrift unmündig und aus Weiß Schwarz zu machen. Und andere, die noch wohl lieber beim Weißen blieben, laufen mit, weil sie den Wert ihrer Sache nicht kennen, und es ihnen an Kraft und Mut fehlt, den Verdacht der alten Einfalt und des Zurückebleibens auf sich zu laden...
Aber, Andres, Du bist der Meinung, es sei immer solcher Unfug gewesen; man solle schweigen und zusehen, bis auch dieser Schwindel wie der Revolutionsschwindel vorübergehe und sie aus Schaden klug werden.
Der Meinung bin ich aber nicht. Es ist wohl immer solcher Unfug gewesen, aber er ist doch mit mehr Zurückhaltung getrieben worden und so nahe ist er uns noch nicht gekommen..., in einer Sache, die alle Menschen so nahe angeht, kann man nicht zu früh und zu viel widersprechen; ich denke in einer solchen Sache darf kein ehrlicher Mann schweigen und die Pluralität scheuen, er muß unverhohlen seine Meinung sagen, und vorliebnehmen was darauf folgt...
Die Menschen sind doch einmal unwissend und blind über das Unsichtbare, sie kennen doch ihren unsterblichen Geist nicht und wissen ihm keinen Rat; Gott weiß einen, und promulgiert eine Arzenei, die sich bei Tausenden bewährt hat und sich bei allen bewährt, die sie nach Vorschrift gebrauchen – und da kommen sie und wollen Gott meistern und seine Arzenei nach ihrem Dispensatorio einrichten und ändern! ... Kann es einen größern Unsinn geben? Und können sie es für die verantworten, die durch sie verführt werden, die Arzenei Gottes ungebraucht zu lassen, und ihren Quacksalbereien nachzulaufen?...
Wenn das Christentum weiter nichts wäre, als ein klares allen einleuchtendes Gemächte der Vernunft; so wäre es ja keine Religion und kein Glaube; und warum wäre denn gesagt, daß die Welt den Geist des Christentums nicht sehe und nicht kenne, und wie hätte seine Einführung unter den Menschen so viel Widerspruch und Blut kosten können? –
Und das, wozu tausend Jahre Zeit nötig gewesen sind um es allgemein in Europa einzuführen...,  wofür unsre Väter und Vorfahren so viel gelitten und Leib und Leben gewagt und hingegeben haben, und was wir alle, ein jeder von uns, heiligzuhalten und zu bewahren mit Mund und Hand gelobt und versprochen haben, was unsre Seelen selig machen kann – das sollten wir uns ohne Schwertschlag, unter dem Schein der Aufklärung und einer bessern Einsicht, unvermerkt und unter der Hand, nehmen und aus den Händen winden lassen ... das sei ferne! das wolle Gott nicht! das werden unsre Könige und Fürsten nicht wollen; das wird keiner wollen, der sich und die Seinen liebhat.
Was aber auch werden mag, Andres, Dir und mir soll es niemand nehmen, weder Schwachheit noch Klugheit, weder Süß noch Sauer. Wir wollen es, nach Moses Rat, »in unsre Seelen fassen, und zum Zeichen auf unsre Hand binden, daß es ein Denkmal vor unsern Augen sei; wir wollen es unsre Kinder lehren, und davon reden, wenn wir im Hause sitzen oder auf dem Wege gehen, wenn wir uns niederlegen und wenn wir aufstehen.«

Dabei bleibt's. Andres. Leb wohl.“

aus „Über die neue Theologie, an Andres“ (hier zum Volltext)

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„Der Mensch ist für eine freie Existenz gemacht, und sein innerstes Wesen sehnet sich nach dem Vollkommnen, Ewigen und Unendlichen, als seinem Ursprung und Ziel. Er ist hier aber an das Unvollkommne gebunden, an Zeit und Ort; und wird dadurch gehindert und gehalten, und von dem väterlichen Boden getrennt.

Und darum hat er hier keine Ruhe, wendet und mühet sich hin und her, sinnet und sorgt, und ist in beständiger Bewegung zu suchen und zu haben, was ihm fehlt und ihm in dunkler Ahndung vorschwebt.
Da er sich aber nicht anders, als in und mit seinem Hindernis, bewegen kann; so ist sein Mühen umsonst und vergebens, was er auch tue und welchen Fleiß er auch anwende. Er kann, rundum in seinem Zirkel, Entdeckungen machen, viel und mancherlei finden, Schönes und Nützliches, Scharfsinniges und Tiefsinniges; aber zu dem Vollkommnen kann er, sich selbst gelassen, nicht kommen; denn er bringt, wie gesagt, gerade was ihm im Wege ist und hindert in alles mit, was er beginnet und tut, und kann nicht über sich selbst hinaus.

Soll er zu seinem Ziel kommen; so muß für ihn ein Weg einer andern Art sein, wo das Alte vergeht und alles neu wird, wo das Hindernis, das ihm im Wege ist und hindert und das er selbst nicht abtun kann, durch eine fremde Hand abgetan; und er, nicht sowohl belehrt, als verwandelt und über sich und diese Welt gehoben und so der vollkommnen Natur teilhaftig wird.

Und diesen Weg, der das Geheimnis des Christentums ist, lästern und verbessern die Menschen, und wollen lieber auf ihrem Bauch kriechen und Staub essen...
Wenn nun gleich hier mit »Weisheit« und »Kunst« nichts ausgerichtet ist, und die Gabe Gottes nicht um Geld und um keine zeitliche Gesinnung verkauft wird, und der Mensch nichts nehmen kann, es werde ihm denn vom Himmel gegeben; so kann er sich doch, durch eine gewisse fortgesetzte Behandlung und Richtung Seiner-Selbst, empfänglicher machen, und der fremden Hand den Weg bereiten.

Von diesem Wegbereiten und Empfänglichmachen etc. handelt der Erzbischof Fénelon ... und teilt darin, nicht als ein Klügling und Urteiler des Weges und als Menschen zu gefallen, sondern als einer, der die Sache versucht hat und dem an seiner und anderer Menschen Seligkeit gelegen ist, seine Erfahrungen und seinen Rat einfältig und unbefangen mit...

Und vielleicht werden selbst von den Nicht-Christen und Un-Christen, einige durch die Milde und den Ernst dieses liebenswürdigen Schriftstellers veranlaßt, ihren Weg noch einmal in Überlegung zu nehmen, sosehr sie auch glauben, desselben gewiß zu sein....“

„Vorrede zu der Übersetzung von Fénelons Werken religiosen Inhalts“ (hier der vollständige Text)

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„Wir sind nicht umsonst in diese Welt gesetzt; wir sollen hier reif für eine andre werden, und man kann unsern Körper als ein Gradierhaus ansehen, wo das wilde Wasser von dem guten geschieden werden soll. Es ist nur Einer der dazu helfen kann, und dem sei Ehre in Ewigkeit.
Gehabt Euch wohl.“

Schluß von "Valet an meine Leser" (hier zum vollständigen Text)


Über Matthias Claudius

„Jena, den 23. October 1796
„Humboldt hofft in acht Tagen hier seyn zu können. Ich freue mich darauf, wieder eine Weile mit ihm zu leben. Stolbergen, schreibt er, habe er in Eutin nicht gefunden, weil er gerade in Kopenhagen gewesen sey, und von Claudius wisse er durchaus nichts zu sagen, er sey eine völlige Null.“
Schiller an Goethe

„Albano, den 5. Oktober 1787
Mit den Genannten [gemeint sind Claudius und Lavater, (eigene Anm.)] war unser Verhältnis nur ein gutmütiger Waffenstillstand von beiden Seiten, ich habe das wohl gewußt, nur was werden kann, kann werden. Es wird immer weitere Entfernung und endlich, wenn's recht gut geht, leise, lose Trennung werden. Der eine ist ein Narr, der voller Einfaltsprätensionen steckt. »Meine Mutter hat Gänse« singt sich mit bequemerer Naivetät als ein: »Allein Gott in der Höh' sei Ehr.« Er ist einmal auch ein -: »Sie lassen sich das Heu und Stroh, das Heu und Stroh nicht irren« etc. etc. Bleibt von diesem Volke! der erste Undank ist besser als der letzte. Der andere denkt, er komme aus einem fremden Lande zu den Seinigen, und er kommt zu Menschen, die sich selbst suchen, ohne es gestehn zu wollen. Er wird sich fremd finden und vielleicht nicht wissen warum... Hole oder erhalte ihn der Teufel, der ein Freund der Lügen, Dämonologie, Ahnungen, Sehnsuchten etc. ist von Anfang!“
Johann Wolfgang von Goethe (aus: „Italienische Reise“)

„Weit entfernt von dieser Unruhe [bei Jung-Stilling (eigene Anm.], von diesem Schwanken zwischen Angst und maßlosem Vertrauen, ist Matthias Claudius, der wackere Wandsbecker Bote, der zwischen Diesseits und Jenseits unermüdlich auf und ab geht und von allem, was er dort erfahren, mit schlichten und treuen Worten fröhliche Botschaft bringt. Er gehört allerdings zu den Pietisten jener Zeit, insofern auch bei ihm ein starkgläubiges Gefühl den Kampf gegen Unglauben und toten Buchstabenglauben aufgenommen, aber er ist durchaus heiter und erscheint unter ihnen wie einer, der gefunden hat, was jene so rastlos suchen. Wie der Abendglockenklang in einer stillen Sommerlandschaft, wenn die Ährenfelder sich leise vor dem Unsichtbaren neigen, weckt er überall ein wunderbares Heimweh, weiß aber mit seinen klaren Hindeutungen dieses Sehnen, wie schön oder vornehm es in Natur oder Kunst sich auch kundgeben mag, von dem Ersehnten gar wohl zu unterscheiden. Denn »der Mensch«, sagt er, »trägt in seiner Brust den Keim der Vollkommenheit und findet außer ihr keine Ruhe. Und darum jagt er ihren Bildern und Konterfeis in dem sichtbaren und unsichtbaren Spiegel so rastlos nach und hängt sich so freudig und begierig an sie, um durch sie zu genesen. Aber Bilder sind Bilder. Sie können, wenn sie getroffen sind, sehr angenehm täuschen und überraschen, aber nimmermehr befriedigen. Befriedigen kann nur das Wesen selbst, nur freies Licht und Leben – und das kann niemand geben, als der es hat.«“

Joseph von Eichendorff: 
„Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands“
 (Zitat aus dem Kapitel: „Die Poesie der modernen Religionsphilosophie“)

Teil 1 nachgetragen und beendet am 23. Januar
Teil 2 am selben Tage hier