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Freitag, 1. Juli 2022

Über Jahreszeiten und die aufschließende Wirklichkeit von Gesten.

 

A Masque for the Four Seasons by Walter Crane, hier gefunden
nachgetragen am 5. August

Samstag, 11. April 2020

Die Nacht der Gottesmutter nach von Stuck

Franz von Stuck, Pietà, 1891
Ausschnitt, hier gefunden

Todesbläue und wächsernes Fleisch, das ist es, was ein Kind dieser Welt auf jenem Gemälde eines vor mehr als 100 Jahren hochberühmten Malers, der heute allenfalls noch als dekoratives Kuriosum bekannt ist, sieht, und versteinerte Trostlosigkeit.

Doch Blau ist die Farbe Mariens. Und: Die Heiligkeit ist nicht erloschen, ein dünner gerade noch sichtbarer goldener Ring aus Licht um das Haupt der Gottesmutter. Diese schmale Grenze scheidet das Göttliche vom Menschlichen.

Der wie zu Stein gewordene Leichnam – zermartert, doch aufrecht und ungebrochen - leuchtet unwirklich auf der Grenze von Leben und Tod. Nur noch ein Grabmal, ein Ritter ruhend vom heiligen Kampf?

Sie verbirgt nicht ihr Antlitz. Auch dieser Schein trügt. Mit ihren ihr Haupt stützenden Händen hört sie nicht in sich, sondern in die Abgründe der Welt. Sie übernimmt diese Last, für ihn, der nicht mehr das Vermögen hat zu hören, sondern sich ganz in sich zurückgezogen hat.

Sie nimmt die Verlassenheit der Welt auf sich. Die Verzweiflungsleere ohne Gott. Das Zerfallen der Schöpfung, ihres Lebensgeistes entzogen. Die doch mit ihrem Ja letztlich das Geschehene in Gang gesetzt hat. Sie steht in statuarischer Trauer, aber hört weit darüber hinaus. Sie ist dem Unerwarteten gewachsen.

Das dunkle Mysterium der Spanne zwischen Karfreitag und Ostern. Maria geht ganz in der Dunkelheit auf, scheint es. Löst sie sich in ihr auf oder löst sie sie auf? In eine sehende Dunkelheit.

Da ist keine Berührung im Körperlichen mehr nötig, wie wir sie vielfach von Darstellungen der Pietà gewohnt sind. Sie sind lange beieinander. Und sie steht hier, um den Abgrund zu überbrücken, eine Wächterin.

Nicht, daß sie selbst etwas zu sein forderte, außer zu helfen in diesem gefährdeten Moment. Es ist ihr zweites Ja. Und ihren mütterlichen Schmerz nimmt sie in dies alles ganz mit hinein.

Die Legenden berichten, Maria wäre bei ihrem erflehten Tode ein Engel erschienen, mit einem Palmzweig, der war grün als ein junger Zweig und funkelte wie der Morgenstern. Der  Engel grüßte die Mutter seines Herrn mit großer Ehrfurcht. Sie aber bittet, daß ihre lieben Söhne und Brüder, die Apostel, in dieser Stunde allesamt um sie seien. Also wurden sie zu ihr entrückt und waren alle bei ihr in ihrem Hinübergang.

Franz von Stuck, Pietà, 1891,

Nachtrag

Obiges taucht ein in die Wahrheit des Bildes. Die Beschreibung der Evangelien ist eine andere. Danach ruhte unser Herr am Karsamstag in Grabtüchern in einer Felsenhöhle, vor die ein Stein gerollt lag, der am Ostersonntagmorgen auf wundersame Weise beiseite gekommen war. Dies mag verwirren. 

In die Abfolge der Evangelien paßt der obige Moment nur kurz vor die Grablegung. Nehmen wir daher das erstere einfachen als einen weiteren apokryphen Text, über die es bei Luther so schön heißt: "so der heiligen Schrift nicht gleich gehalten werden und doch nützlich und gut zu lesen". Oder vielleicht besser als ein geistiges Bild.

nachgetragen am 14. April

Freitag, 10. April 2020

Karfreitag nach Max Klinger

Max Klinger: Die Kreuzigung Christi
Leipzig, Museum der bildenden Künste, hier gefunden

Die nachfolgende Werkbeschreibung ist ein Abschnitt aus „Max Klinger“ von Paul Kühn (Leipzig 1907, S. 316 ff.).

Die Werkbeschreibung ist rein ästhetisch, man könnte sie auch areligiös nennen. „Klingers Christusidee“ sei der „Triumph des siegenden Gedankens des großen, schöpferischen Einzelmenschen“. Mag sein. Ihren Wert kann sie für denjenigen, dem das zu wenig ist, aber dennoch durch ihre Genauigkeit, in der sie das Gemälde sieht und beschreibt, entfalten. Nennen wir es eine Sehhilfe.

Um über die markierten Kürzungen Rechenschaft zu geben: Der Text ist gekürzt worden, wo der Autor Vergleiche innerhalb des Klingerschen Werks zieht, auf Kritiker eingeht, Einzelheiten wie die Charakterisierung vorbereitender Studien ausführlich darstellt, Fundorte und den Verbleib derselben angibt u.dgl. Weder wurde in den Stil eingegriffen, noch inhaltlich Wesentliches verkürzt, selbst wenn die Versuchung zum stärkeren Redigieren mitunter heftig war.

Der Stil ist auch in seinem Enthusiasmus der Darstellung und den emotional gefärbten Urteilen nicht untypisch für seine Zeit. Ein Jahrhundert später würde niemand so zu schreiben wagen, schon weil er Angst haben müßte, sich lächerlich zu machen. Und so wie die Zeitgenossen sich an der naturalistischen Nacktheit stießen, wird es heute anderes geben, das Anstoß erregt. Aber ob kunstkritische Texte nach der Mode der Gegenwart gehaltvoller oder gar lesbarer geworden wären als dieser hier, darf man bezweifeln.

Es wird auffallen, daß ich auf verschiedene zugängliche Abbildungsvorlagen zurückgegriffen habe. Ich kann nur empfehlen, sich einen guten Kunstdruck zu verschaffen oder besser gleich das Original anzusehen.

Max Klinger: Die Kreuzigung Christi

Die Kreuzigung

„1891 wurde das Bild in Rom vollendet, die Studien gehen zurück in die Jahre 1888 und 1889... Die Kreuzigung ist... ein Hauptwerk der neudeutschen Kunst; sie ‚birgt ein so hohes Stück Menschenwürde, bildet ein Stück Kunst, wie es so selten von Menschenhand geschaffen wurde‘ (Fritz Mackensen, Worpswede); darum mußte sie auch verlästert werden, am meisten von denen, die sich als Pächter des Idealismus fühlen. In diesem Gemälde ist ein solcher Reichtum an Einzelschönheiten, eine solche Fülle emsigsten Naturstudiums, daß man vor ihm beständig im Bann gehalten wird; es geht das ‚Klingersche Fluidum‘ von ihm aus, das ‚auf schwache Gemüter atemversetzend wirkt, stärkere aber mit eigentümlicher Gewalt angreift'.

Die Komposition, die Anordnung der Gestalten im Räume ist... statuarisch frei auf… einem flachen, mit Quadersteinen gepflasterten Plateau. Aus diesem künstlerischen Grunde sind der gekreuzigte Christus und die beiden Schächer nicht nach traditionellem Schema hoch am Kreuze aufgerichtet; an den aus roh zugehauenen Balken gefügten Kreuzen hängen die nackten Körper nur wenig über Manneshöhe, rittlings auf einem Sitzbrett sitzend und mit den Füßen auf angenagelten Hölzern stehend. Die Arme sind breitgestreckt, nur ein wenig nach oben gezogen...

Die Monumentalität des Gemäldes liegt in dieser klaren Anordnung großartiger Einzelgestalten, die sich durch die Tiefe der Charakteristik, die Stärke der Empfindung und die Größe der Form dem Gedächtnis einprägen. Diese statuarische Gruppierung gibt dem Künstler Gelegenheit, alles Können von der menschlichen Gestalt aufs äußerste zu steigern, in jeder einzelnen Gestalt die seelische Charakteristik zu isolieren und erschöpfend herauszuarbeiten, Individuen hinzustellen, alles Beiwerk auszuscheiden und die Aufmerksamkeit ganz auf den mimischen Ausdruck der Gestalten zu sammeln. Zugleich wurde das Problem der Klingerschen Malerei weitergeführt, die farbigen Gestalten von freiem Licht umgeben im farbigen Raume als plastisch und wirklich luftverdrängend erscheinen zu lassen...

Gewiß stehen die Figuren auch im Verhältnis zur Raumweite des Bildes in einer verhältnismäßig schmalen Raumschicht. Daraus zu folgern, daß die malerische Vertiefung in den Hintergrund für die Personen fast vollständig fehle, fordert zu der Bemerkung heraus, sich das Bild doch recht genau anzusehen. Ich kenne kein Gemälde, in dem die Figuren räumlicher erschienen als in den Gemälden Klingers…

Man sehe den einen Schächer ganz rechts vorn, dann Christus, dann die beiden nackten Knechte neben dem zweiten Schächer, und man muß sehen, wie jede Gestalt in einer besonderen Raumschicht steht. Eine ähnliche räumliche Perspektive ergibt die linke Seite von der römischen Kurtisane bis zum Hohenpriester. Jede Gestalt löst sich nach der Tiefe zu von den anderen ab... Daß er einer der größten Meister des Raumes ist, sehen wir an seinen Landschaften. Daß ihm auch nicht an einem dramatischen Ineinandergreifen der Gestalten gelegen sein konnte, lehrt uns gerade die Komposition dieses Bildes. Zunächst bietet es genug Überschneidungen und einheitliche Gruppen, namentlich die der linken Seite. Die beiden Hauptgestalten aber, die Träger des Ganzen, Christus und Maria, stehen vollkommen isoliert, in statuarischer Klarheit…

[In den ausgelassenen Passagen beschreibt Kühn Vorstudien, denen offensichtlich von manchen ein höherer Wert zugemessen wurde als dem fertigen Gemälde selbst, wogegen er sich energisch wendet.]

Klingers Farbenskizze 

Im ausgeführten Gemälde endlich sind die markanten Einzelgestalten aus der malerischen Einheit emporgewachsen; die Menschenmasse links verdichtet sich zu sieben Figuren, die lauter Individualitäten repräsentieren. Die Farbenskizze verwandelt sich in das monumentale Figurenbild. Was will die geschlossene malerische Masse gegen solche Naturnähe der Charakteristik sagen! Wo ist der Gefühlsausdruck vehementer, wo ist er reicher, konzentrierter und individualisierter! Wer könnte die Gestalten einer Maria, einer Magdalena, eines Christus, des Johannes und des Hohenpriesters je wieder vergessen, wenn er sie einmal gesehen hat, diese wunderbaren Charakterköpfe mannigfachster Art, diese hageren Profile, diese scharfen, prägnanten Formen, diese Menschen, die die Nächte in heiligen Schmerzen durchwacht haben. Ein Werk, in dem eine Großheit der Gefühle lebt, in der sich die Inbrunst des Mittelalters und die Formenkenntnis und -freudigkeit der Renaissance mit dem stärksten Geiste unserer Zeit verbinden.

Das Gemälde wird links durch die beiden griechisch-römischen Gestalten, rechts durch den unbußfertigen Schächer abgeschlossen und wie durch Pfeiler flankiert; diese Figuren bestimmen die vorderste Raumschicht des Bildes, sind also für die Tiefenwirkung von größter Bedeutung. In der ruhigen Schönheit griechischer Plastik steht die Griechin (oder römische Kurtisane), scheinbar unberührt von dem gewaltigen Schicksal, das sich hier abspielt, mit ihrem leicht ironischen Lächeln eine Art Salomenatur…

Max Klinger: Die Kreuzigung Christi
Ausschnitt, hier gefunden

Überaus wirksam ist auch der Gegensatz dieser Frauengestalt zur Maria und Magdalena, ein feiner Zug, den Klinger den alten Meistern abgelauscht hat; auch diese liebten es, die Gruppierung ihrer heiligen Gestalten durch Gegensätze zu erhöhen und damit der Komposition einen reicheren und großartigeren Charakter zu geben. Auch der römische Krieger daneben, ein athletischer Jüngling mit der Lanze, erinnert an italienische Renaissancefiguren... Die auf diese Repräsentanten des Heidentums folgende, in einer tieferen Raunischicht angeordnete Gruppe, die in sich am meisten geschlossene der Komposition, vereint die Repräsentanten des Judentums...; zunächst eine engere Gruppe von drei Männern, zwei jüdischen Schriftgelehrten und dem sitzenden Schreiber. Der verbissene, bartlose Pharisäer diktiert mit befehlender Geste; sein Gesicht ist Christus zugewandt; seine ganze Erscheinung ist eifernder Haß.

Ein jüdischer Greis mit langem Bart... neigt sich dem Schreiber zu, und wie zum Beweise seiner Argumentation fingert er in die linke Handfläche. Der schwarzhaarige Schreiber, der wohl die Schrifttafel für das Kreuz schreibt, schließt diese überaus lebendige, von drastischer Mimik erfüllte Gruppe ab…

Isoliert, psychisch zur Gruppe gehörend und sie nach innen abschließend, steht der Hohepriester, die ‚kirchenpolitische Behörde‘, hoch und hager, mit langem Graubart, in rotseidenem Kaftan und gelbem Gürtel, ein rotes Käppchen auf dem Scheitel, kalt, hart und ruhig die Hände über dem Rücken verschränkt, wie ein Kardinal der römischen Kirche; für ihn, der den unbeugsamen Kirchengedanken verkörpert, vollzieht sich hier nur die Wiederherstellung der verletzten Staatsidee. Hinter der ganzen Gruppe tauchen noch zwei Charakterköpfe auf, ein kahlköpfiger, mürrischer Römerkopf und der eines rothaarigen Juden.

Bis ins einzelne wohlerwogen ist die Farbigkeit dieser linken Gruppen, die von der Griechin bis zum Kardinal in den bunten Gewändern, der Verschiedenheit der Gesichtsfarbe, des Haares ein reiches, buntes Farbenspiel ergeben, in dem, wie in einem Orchesterwerk, jede Farbe in Ton und Helligkeit die anderen bestimmt und hebt. In diesen prachtvoll gestimmten Farben, zu denen sich die feine Empfindung für geschlossene, in den Einzelformen sorgfältig durchgebildete Gruppe gesellt,  erscheint uns mit dem bunten Spiel der Welt zugleich die Wucht und Macht der kompakten Majorität,die ‚Welt‘, die sich mit Grausamkeit, aber Größe des Prinzips gegen die revolutionierende Einzelmacht des Genies durchsetzt; im Gegensatz dazu links zwischen der Mittelgruppe und dem einen Schächer und ganz isoliert der gekreuzigte Christus, allein, mit der weit durchscheinenden Landschaft...

Max Klinger: Die Kreuzigung Christi
Ausschnitt, hier gefunden

Die zweite Gruppe des Bildes schließt sich im Zentrum zusammen, die Gruppe der Leidtragenden..., zunächst Magdalena, die Salome (der Evangelien), Johannes und hinter diesen drei, die durch ihre Gebärden eng verbunden sind, als Hintergrundsfolie der eine Schächer am Kreuz in breiter Frontstellung und die beiden nackten Knechte, die sich am Kreuz zu schaffen machen; sie schließen die Gruppe nach rechts ab. Für sich allein steht Maria, bewegungslos wie eine Statue, wie Christus in scharfer Profilstellung und mit diesem korrespondierend. Eine formal und seelisch tief durchdachte Komposition, in der die psychologischen Abstufungen der Teilnahme, von der lächelnden, gleichgültigen Ironie der Griechin bis zum tiefinnerlichen Schmerz, mit höchster Meisterschaft durchgebildet sind.

Die ernste Gestalt des Johannes, des Offenbarungsdichters, trägt wieder die Züge Beethovens; seine Blicke sind starr; er vermag nicht einmal sein Haupt hinzuwenden zu dem Herrn; hart ist sein Antlitz und ohne Trost, aber nicht kühl, sondern von innerem Trotz, in dem sein Schmerz keine Äußerung findet. Diese heroische Beherrschtheit der Empfindung ist noch keine ‚Kühlheit der Gebärde‘, wie man gesagt hat… (Sehr schön sagt Felix Zimmermann: ‚Johannes schaut in äußerlich starrer Ruhe vor sich hin, aber die ganze Welttiefe einer unendlich mitleidsfähigen Seele spielt auf diesem vibrierenden Antlitz‘.) Gemeinsam mit der Salome stützt Johannes die in ihrem Schmerz zusammenbrechende Magdalena.

In dieser Figur mit ihrer dramatischen Leidenschaft findet der psychische Schmerz, der die ganze Leidensszene erfüllt, äußerlich seinen mächtigsten Ausdruck. Die Gebärde des Schmerzes, der schräg vorgestreckten Arme und verschlungenen Hände bei zurücksinkendem Haupte, ist wieder eine echt Klingersche Erfindung... Wie kann man vor so ergreifender Schönheit beseelter Gebärde von ‚theatralischer Pose‘ reden! In dieser Magdalena ist eine wunderbare Sinnenschönheit, die als Macht wirkt; ‚in ihr schreit der Schmerz des Sinnenmenschen um den Tod der Schönheit‘. Die tiefe, leidenschaftlich-schöne, lebenerfüllte Liebe des Weibes bricht hier in wehen, händeringenden Schmerz aus... Wie weiß Klinger dieser Schönheit tiefe Seele zu geben! Er hat diese Figur auch mit einer augenscheinlichen Liebe vorbereitet. Der in Kreide gezeichnete Studienkopf…, ist einer der schönsten weiblichen Charakterköpfe, die aus Klingers Hand hervorgegangen sind...

Max Klinger: Die Kreuzigung Christi
Ausschnitt, hier gefunden

Und nun die beiden Hauptgestalten, Christus und Maria… Daß das Auge Christi mit den vertränten, im Schmerze fast erloschenen Augen der Mutter zusammentrifft, ist das seelische Hauptmotiv, das über der großartigen Gestaltenreihe schwebt. Wunderbar ist dieses unsichtbare Fluidum seelisch-innerlicher Beziehungen, dieser merkwürdig magnetische Blick. So tief und erschütternd wirkt, so entscheidend ist er wie Wagners große Pausen (im ‚Holländer‘ u. a.). Klinger ist darin Meister...

Ein Wort Lionardos sagt: ‚Wenn du den tiefsten Schmerz darstellen willst, dann male die Gestalt hoch aufgerichtet in tränenloser Erstarrung.‘* (* Carl Schuchardt, Max Klingers Kreuzigung in Hannover. (Hannover 1899.)) Damit ist Klingers Maria charakterisiert. Eine hagere, alte Frau, steht die Mutter Jesu... wie zu Stein erstarrt, in tiefem Gram, aber voll Seelengröße und ungebeugt und blickt stumm und tränenlos auf ihr Liebstes hin.

Ein besonders feiner Zug ist ihre völlige Isolierung von der Mittelgruppe. Klinger hat sie in schärfstem Profil gegeben; die magere, düstere Gestalt hebt sich in einfachen Umrissen dunkel von dem landschaftlichen Hintergrunde ab. Gerade in dieser Umrißlinie liegt eine Stärke individueller Charakteristik, die in der gesamten Kunst wohl kaum übertroffen wird; sie besonders ist es, die diese Maria zu einer der großartigsten Gestalten der Kunst macht. Maria hat ein schwarzes Umhängetuch über dem hellen Kleid ganz eng an sich gezogen. Den Kopf deckt eine schwarze Haube aus Stoff, darüber ist ein Spitzentuch gelegt, das vorn dachförmig tief über die Stirn herabfällt. Die Vertikale ist fast ausschließlich betont, wie bei der Magdalena das Völlige, das Sinnlich-Schwellende.

Die Rückenlinie der Maria, der lange hagere Hals, das fest angezogene schwarze Obergewand, die harten Vertikalfalten des hellen Kleides, die eng angelegten Arme und über die Brust gefalteten Hände lassen an die Körperanschauung der gotischen Plastik denken. Welcher erschütternde Schmerz spricht aus dieser Regungslosigkeit der Vertikalstellung! Die ganze Figur ist ‚versteinerte Tragik‘. Ein solcher Schmerz ist wortlos; hier entringt sich kein Klagelaut den harten, zusammengepreßten Lippen, hier rinnt keine Träne mehr aus den dunklen, wie erloschenen Augensternen; selbst die Gebärde ist stumm.

Man hat daran Anstoß genommen, daß Klinger diesen äußersten tränenlosen Schmerz durch ‚entzündete Lidränder, eingefallene Augäpfel, die die Lidspalte geradezu sich schließen lassen‘ angedeutet habe. Keineswegs kann ich finden, daß diese mit den feinsten Mitteln arbeitende Charakteristik mehr an den Verstand, an das Nachdenken, als an das unmittelbare Gefühl des Beschauers appelliere.

Auch Christus ist ganz im Profil gegeben; der rechte Arm des Gekreuzigten ist unsichtbar; man sieht nur den linken, der ein. wenig schräg nach oben aus dem Bilde herausführt, in divergierender Richtung zu dem Arme des Schächers. Um das blasse Antlitz fallen goldene Locken. In seiner archaischen Gebundenheit, dem schematisch geordneten Haar, dem gestutzten Bart, dem festen einfachen Profil erinnert dieser Christuskopf an die frühgriechischen Apollostatuen.

Aber die Züge sind erfüllt von einem ungeheueren Ernst; in den Augen liegt ein eigentümliches, hellsichtiges Staunen, ein Blick wie aus weiter Ferne, der, ganz erfüllt von einer großen Idee und einer Vision der Zukunft, das unmittelbar Gegenwärtige kaum zu sehen scheint. Und doch liegt neben diesem heimlichen Triumph des Genies noch etwas ganz anderes darin: ein tiefer Schmerz, ein wortloses Mitleid mit den Seinen, mit diesen Menschen vor ihm. Am längsten aber haftet er auf der Gestalt der Mutter, und in diesem Blick liegt eine göttlich erhabene Stille.

Neben dem tiefen, klaren Ernst, der ganz Geist ist, dieser Blick voll Wehmut, der ganz Seele ist; in der ganzen Gestalt aber der Triumph des siegenden Gedankens des großen, schöpferischen Einzelmenschen. Das ist Klingers Christusidee. Sie ist moderner, aber im Innersten verwandt mit der Dürers.

Albrecht Dürer (Schweißtuche der Veronika)
Veronika zwischen Petrus und Paulus, 1509, hier gefunden

Schweißtuche der Veronika (Ausschnitt)

Dürer ist es gewesen, der eine neue Christusidee gebracht hat, indem er das Leiden und die Ergebung mit Männlichkeit und Stärke durchsetzt und das Wesen Christi auf die stärksten menschlichen Charaktereigenschaften zurückführt. Sein männlicher, kämpfender Christus hat in dem Christushaupt auf dem Schweißtuche der Veronika seinen reifsten Ausdruck gefunden; er ist der gewiß schönste aller Christusköpfe; nie sind ergreifendere Augen dargestellt worden. Das Große war, daß Dürer diesem Kopfe eine neue Tiefe und Innerlichkeit bedeutenden Menschentums gab.

Bis auf den heutigen Tag hat dieser Typus seine Geltung nicht verloren, und auch Klinger hat ihn nicht überboten. In seinem Christus ist aber eine ähnliche Heldenhaftigkeit des Kämpfens und Leidens und eine so erhabene, kühle Gelassenheit, die ruhig die angetane Schmach hinnimmt, daß wir hierin die besondere Auffassung Klingers erkennen dürfen.

Die Kreuzigung ist ein Hohes Lied auf die menschliche Charaktergestalt und den menschlichen Körper. Mit der malerisch-plastischen Durchbildung des Körpers Christi, wie der Schächer und der beiden nackten Schergen hat Klinger einen neuen Maßstab der Körperdarstellung gegeben. Man kann wohl sagen, daß die Modellierung dieser Körper ihresgleichen sucht. Menschengestalten von so anatomischer Wahrheit und lebendiger Wiedergabe des organischen Gefüges, auch in den schwierigen Verkürzungen, hat die deutsche und wohl auch die italienische Kunst nur wenige hervorgebracht.

Schon aus diesem Grunde bedeutet die ‚Kreuzigung‘ einen Markstein in der Geschichte der deutschen Kunst. Mit welcher erstaunlichen Charakterisierungskunst sind diese nackten Körper... voneinander unterschieden, in Form und Farbe. Der Körper Christi ist feinnervig, die Formen sind ‚durchgeistigt‘, der Körper des rechten Schächers ist in seiner strotzenden Muskelkraft erfüllt von animalischen Energien, in denen man die Gewalt des Trotzes noch am Pfahle zu erkennen meint. Überaus sprechend ist die Bewegung, wie er im schrecklichsten Schmerz den Kopf zur Seite neigt und sich aufbäumt, indem er das Kreuz einzieht. An diesem seitlichen Rückenakt ist alles äußerste Muskelenergie. Wie ergreifend wirkt im Kontraste dazu die grausame Qual des langsamen Sterbens in dem müden Neigen des Hauptes.

Mit den beiden nackten Schergen, die sich am Kreuz des anderen Schächers zu schaffen machen, hat man nichts anzufangen gewußt, auch nicht mit ihrer etwas absonderlichen Haltung. Psychisch sind sie auch ohne Bedeutung; sie erfüllen nur eine formale Aufgabe, darum also eine nicht minder künstlerische. Die Renaissance wußte derartige künstlerische Erwägung zu würdigen, indem sie mit der Frische der Naivetät das Kunstwerk, das sie schaute, genoß. Wem sonst verdanken die sich tummelnden Aktfiguren auf dem Hintergrunde von Michelangelos Rundgemälde der heiligen Familie in den Uffizien ihre Existenz als der Künstlerfreude an der Schönheit des Nackten. Auch sie haben psychisch nichts zu sagen; ihre formale Existenz bedurfte keiner Erklärung.

Die Freude am Nackten, dem ‚Schönsten, was wir uns vorstellen können‘, hat auch Klinger in dieser gewaltigen Figurenkomposition geleitet. Wie ihm die Darstellung des menschlichen Körpers ‚Kern und Mittelpunkt aller Kunst, die alleinige Grundlage einer gesunden Stilbildung‘ ist, so ist sie ihm im besonderen das A und das O der Monumentalkunst. Daß er aus diesem Grunde Christus, die Schächer und die Schergen nackt dargestellt hat, können freilich die ‚Kirchlichen‘ nimmer begreifen, und die im Grunde doch recht komisch und trivial wirkenden Entrüstungen, wie ‚Profanierung‘, ‚abschreckend realistisch‘ u. a., werden verhallen, soweit sie nicht Cornelius Gurlitt in seiner ‚Geschichte der deutschen Kunst‘ festgenagelt hat. (S. 614—616...; solcher pharisäerhafte Dilettantismus richtet sich auch von selbst, indem er sich der Lächerlichkeit preisgibt.)

Als Kenner und leidenschaftlicher Bewunderer des menschlichen Körpers hat Klinger eine entschiedene Vorliebe für magere, sehnige Bildungen, die das komplizierte Formenspiel ganz deutlich machen. Die Anordnung der nackten Körper im Raume ist meisterhaft, besonders die Christi und des linken Schächers; jeder Körper gibt nicht nur eine andere Ansicht, er ist zugleich als künstlerisches Mittel der Raumgestaltung in glänzender Weise verwertet durch die klare Betonung verschiedener Richtungslinien. Die Formencharakteristik der nackten Körper unterstützt Klinger durch die feinen Unterschiede der Haut; die Aufeinanderfolge der Leibesfarbe des rechten Schächers, Christi, der beiden prächtig gebräunten Schergen und des linken Schächers beweist schon allein, wie er die harmonische Farbenabstimmung seiner großen Gemälde, das symphonische Ineinandergreifen der Töne abwägt. Die Art, wie sich alle Gestalten in ihrer Farbenzusammenstimmung von der in bläulichen Duft gehüllten Landschaft abheben, bietet dem Auge einen hohen reinen Genuß.

Max Klinger: Die Kreuzigung Christi

Hinter dem steinernen Plateau und der farbigen Gestaltenreihe dehnt sich in die Tiefe und die Weite die südliche Landschaft. Dieser Blick von Golgatha auf Jerusalem ist in Wahrheit der entzückende Blick, der sich dem Auge über Siena von der Höhe von San Domenico bietet. Ein Aquarell dieser Landschaft, die Naturstudie zur Kreuzigungslandschaft, schmückte lange Zeit das Vestibül von Klingers Haus...

Wie auf dem Parisurteil und der Pietá ist der Landschaft wiederum eine großartige Wirkung eingeräumt, die im Beschauer jenes wunderbare Ferngefühl weckt, das ihm zugleich den höchsten Begriff der Freiheit gibt, wobei aber die Monumentalität der Figuren noch eine Steigerung erfährt. Die Weite der Atmosphäre erdrückt nicht die menschliche Größe. Unmittelbar hinter dem Plateau senkt sich der Blick in ein tiefes Tal, das den stadt- und mauergekrönten Hügel in eine zarte Ferne rückt. Das ‚blaue Auge‘ eines kleinen Sees und weißes Torgemäuer, die tief unten zwischen schwarzen Zypressen aufleuchten, geben an, wie hoch vorn Golgatha und hinten das prachtvolle Jerusalem, die Königin unter den Städten, emporsteigen. Auch das sind Kunstmittel der Raumgestaltung.

Auf dem Hügelgelände türmt sich im zarten Fernduft die Stadt mit ihren hochragenden Türmen; über der Hauptbrücke, die sich über gähnendem Abgrund wölbt, erhebt sich ein gewaltiger viereckiger Torturm. Eine schwül-heitere Bläue liegt über diesem reichen südlichen Stadtbild wie die Ahnung eines Unheils. Am hellen, grünblauen Himmel, den der Abend schon rosig färben will, zieht ein Schwarm dunkelgrau-silberner Lämmerwölkchen; das ist wie wenn ein Wind anhebt leise dahinzufahren, eine erste Erregung der Natur. In diesem Feinsten der Stimmung ist Klinger unvergleichlich groß...“

nachgetragen am 14. April

Donnerstag, 19. März 2020

Das Urteil des Paris & anderes Antikes

Max Klinger, Das Urteil des Paris, zw. 1885 und 1887,

Bekanntlich haben den Trojanischen Krieg fünf Frauen (davon vier Göttinnen) und ein männlicher Tor ausgelöst, der seine Triebe nicht zu beherrschen vermochte (wobei man ihm zugute halten kann, daß die Aufgabe im Guten unlösbar war). Herr Moritz gibt davon stets die notwendigen und vor allem kurzen Erläuterungen (Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten, 1791), so daß wir ihn umgehend zitieren:

„Als Eris [die Göttin der Zwietracht und des Streites, oft als hinkende, verkümmerte Frau dargestellt, die aber aufblüht, wenn es ihr gelingt, Neid und Haß bei Menschen und Göttern zu erwecken] bei der Vermaͤhlung des Peleus mit der Thetis, in das hochzeitliche Gemach, wo alle Goͤtter und Goͤttinnen verſamlet waren, den goldnen Apfel mit der Inſchrift warf, die ihn der Schoͤnſten zutheilte, ſo wurden Juno, Venus, und Minerva, unter allen Goͤttinnen, um den Preis der Schoͤnheit zu wetteifern, einſtimmig am wuͤrdigſten erkannt.

Ein unbefangner Hirt, der auf dem Ida weidete, ſollte den Ausſpruch thun. Dieſer Hirt war Paris, ein Sohn des Priamus, der uͤber Troja herrſchte. Als die Goͤttinnen vor ihm erſchienen, und den entſcheidenden Ausſpruch von ihm verlangten, mußten ſie ſich entkleiden; — eine jede von ihnen verſprach ihm heimlich eine Belohnung, wenn er den Apfel ihr zutheilte; Juno verſprach ihm Macht und Reichthuͤmer, Minerva Weisheit, Venus das ſchoͤnſte Weib auf Erden, — und Paris theilte den goldnen Apfel der Venus zu.

Von dieſer Zeit an hegten Juno und Minerva nicht nur gegen den Paris, ſondern gegen das ganze Haus des Priamus einen tiefen Groll im Buſen; waͤhrend daß Venus darauf dachte, ihr Verſprechen dem Paris zu erfuͤllen.

Das ſchoͤnſte Weib auf Erden war Helena, welche Jupiter in der Geſtalt des Schwans mit der Leda erzeugte; die vom Theſeus in ihrer Kindheit ſchon einmal entfuͤhrt, von ihren Bruͤdern Kaſtor und Pollux aber wieder nach Sparta zuruͤckgebracht ward, wo ſie mit dem Menelaus des Agamemnons Bruder ſich vermaͤhlte.

Paris ſchifte nach Griechenland, und ward vom Menelaus gaſtfreundlich aufgenommen; waͤhrend deſſen Abweſenheit es durch die Veranſtaltung der Venus ihm gelang, die Helena zu entfuͤhren. Als er nach Troja zuruͤckſegelte, und die Winde ſchwiegen, prophezeihte der wahrſagende Meergott Nereus ihm alles Ungluͤck, was fuͤr Troja aus dieſer Entfuͤhrung erwachſen wuͤrde; und nicht lange blieb die Erfuͤllung aus.“

Wo dieses also erinnert wäre, zurück zum Bild, das ein großartiges ist. Der ausladend theatralische Rahmen mit den bemalten Figuren mag verwirren und hat es auch. Klinger hatte eine Neigung zum Gesamtkunstwerk. Beschreiben wir den also zuerst:

Links unten lacht uns übermütig ein hellhäutiger Satyr an, darüber ist eine weibliche Herme gemalt, rechts kämpft ein mehr dunkler Gigant mit der Zwietrachtshydra, deren Schwanzende in das Gemälde hineinragt und ein Gorgonenhaupt umschlingt, und wo wir da schon sind, es ist Amor, der sich etwas wegbeugt und dem Geschehen zu. Unten inmitten - die Ursache des Übels - Eris, die Göttin der Zwietracht mit dem Zankapfel.

Doch halt, Herr Kühn (Max Klinger von Paul Kühn, Leipzig 1907, S. 295 ff.) hat das so wunderbar beschrieben, daß wir das jetzt in allen Details ausbreiten werden, wem die Geduld dafür fehlt, der springe zum übernächsten Bild.

„In dem schmalen linken Flügel erhebt sich vor dem abenddämmernden, feierlich-stillen Hain eine schlanke weibliche Herme. Das Haar ist brünett; die Augen glühen dunkel wie Bernstein, und das bunte Licht des Nachmittags leuchtet in tausend Reflexen. Die Stimmung eines geweihten antiken Haines liegt darüber, wie ja über dem Ganzen eine griechische Schönheit glänzt, wie sie Goethe, an der Iphigenie dichtend, in Sizilien empfand. Wie ein farbiges Postament zu dieser farbigen Herme wirkt der faunisch lachende Satyrkopf der Predella mit hellglänzendem Gesicht, vollem dunklen Bart und Haar, in dem weiße Seerosen leuchten, ein unglaublich neu belebtes, pompejanisches Dekorationselement.

Diesem plastischen Rahmensockel entspricht auf der rechten Seite ein dunkelfarbener Gigant, der im Kampfe mit der Zwietrachtshydra den einen ihrer Köpfe niederdrückt, so daß ihr nicht plastisch ausgeführter, sondern gemalter Delphinenleib im rechten Flügelbild emporschnellt. Am Schwanzende streckt sich ein schmerzverzerrtes Gorgonenhaupt, von Schlangen umzüngelt, in die Luft. Hinter diesem dunkel aufragenden Fabeltier lauscht der geflügelte Amor, auf seinen Bogen gestützt, träumerisch-nachdenklich in das Hauptbild hinein. Sein mächtiges, helles Flügelpaar verschwebt, ganz zart in den hellen Farben des Prismas gemalt, in der Abendluft. Das versonnene Lauschen in diesem nackten Jüngling, die leise Schwermut der Farben, die phantasievolle Schönheit der Erfindung verleihen schon allein diesem schmalen Flügelbild einen unvergleichlichen Zauber. Die Schwermut reifen Glückes ist darüber gebreitet.


In der Mitte des Predellensockels, direkt unter der Gestalt der Hera, erblicken wir in einer reichen barocken Umrahmung den Kopf der Eris. Diese drei Skulpturenteile sind aus bemaltem Gips. Die dunkle, volle Bemalung ist mit den reichen Farben des Hauptbildes und der Flügel so zusammengestimmt, daß die tiefen Farbenakkorde und vollen, dunklen Grundtöne der Basis die helleren des Gemäldes tragen und diesem Raumkunstwerk die wunderbare Abgeschlossenheit geben.“

Wer nun ob der Sprache das Bedürfnis verspürte, das Fenster zu öffnen, um etwas kalte Luft hineinzulassen, sei vor einem gewissen Fehlschluß gewarnt - die Hauptfiguren des Gemäldes werden von Kühn im gleichen Tonfall gewürdigt. Nur ein Satz diesmal:

„Wie die antike Plastik in ihrem unvergleichlichen Formensinn es verstanden hat, in drei Knabenstatuen die Unterschiede von Liebe, Liebreiz und Verlangen deutlich zu machen, versucht auch Klinger, alle äußeren Attribute verschmähend, rein durch den nackten Körper die drei besonderen Arten von Frauenschönheit dem Auge zu frohem Genüsse zu vergegenwärtigen.“


Doch da Rahmen und „Rahmenhandlung“ nunmehr hinreichend beschrieben sind, wenden wir uns dem Hauptgeschehen zu. Wir wollen nur die Akteure etwas sortieren.

Vor einer berückenden elysischen Landschaft vollzieht sich erhaben feierlich das Geschehen auf einer „Bühne“, die vom Kontrast des kühl grauen Grundes und der Goldtöne des Mosaiks bestimmt ist: Links die sonnengebräunten Gestalten von Paris und Hermes. Der Götterbote hatte seine Mission erfüllt und uns den Rücken zuwendend schaut er gelassen auf das Geschehen, genauer, Hera, die Königin der Götter, die selbstbewußt und siegesgewiß ihren Körper vorzeigt.

Als nächste nach rechts hin sehen wir die schon halb entblößte und ganz ungeduldige jungfräuliche und wehrhafte Weisheits-Göttin Athene, die den Triumph ihrer keuschen Schönheit kaum erwarten kann.

Überraschend zurückgenommen, doch genau beobachtend steht ganz am rechten Rand die Göttin Aphrodite, von allen drei am natürlichsten und sinnlich weiblichsten wirkend, und sich der Macht ihrer gefälligen Gestalt nur zu bewußt. Man könnte sagen, Klinger habe 3 Grundtypen psychologisch erfaßt, aber damit würden wir schon in die Deutung des Bildes einsteigen, was ich ersparen will. Jeder kann selbst sehen und deuten, nur der Rahmen war halt etwas unübersichtlich.

Doch halt, Herrn Kühns Beschreibung der Landschaft, die soll uns nicht fehlen:

„Die nackten sonnengebräunten Körper stehen in einer vom zarten stillen Licht der Spätnachmittagssonne buntfarben erglänzenden Landschaft. Zu beiden Seiten des Hintergrundes hebt sie sich empor. Links zu einer waldigen Anhöhe; in tiefen Farben glüht das Buschwerk, ein Hain mit buntem Laubwerk; das feine helle Grau der Baumstämme steht köstlich in den tiefen Farben; zwischendurch verglüht  in der Ferne das Abendrot. Rechts blicken wir auf felsiges Gebirge, das sich in feiner Abstufung von Wald, Halden, schroffen Hängen, nackten Felsen nach hinten aufsteigend aus Violett und Blau lichter und lichter in die Ferne und in die Tiefe verliert; vorn steigt dunkleres Buschwerk auf. Zwischen diesen Höhenzügen und Tiefen wird in heiterem Blau das Meer sichtbar; fern und leise rauscht es heran an das felsige Gestade. Ein idyllisch-heiterer Spätnachmittag, eine unendliche Weite, das sehnsüchtige Ferngefühle weckt, ein fernes Anrauschen des Meeres, das träumen macht. Ein Glück des Südens, ein griechisches Inselglück in reiner Luft zwischen Gebirge, Wald und Meer.“

„Das ganze wunderbare Malerwerk“ atme den „Geist attischer Anmut, das schwermütige, heitere Glück der antiken Welt.“

Haben die Zeitgenossen dieses Wunderwerk zu schätzen gewußt? Überwiegend eher nicht, um es milde zu sagen. Im Juli 1887 wurde es dem Berliner Publikum vorgestellt und hier nun wiederum ist Cornelius Gurlitt hilfreich ("Die deutsche Kunst des neunzehnten Jahrhunderts" Berlin 1899 (S.611 ff.)).

Nicola Perscheid, Portrait des Künstlers Max Klinger, 1915

"Klinger galt damals bei den Berlinern für einen Mystiker und Genialitätshascher. Beides war unbequem und paßte nicht in den Rahmen der Weltstadt." Er gibt darauf die Erzählung seines Bruders Ludwig Gurlitt wieder: "... das Werk war nur sich selbst ähnlich; ein neuer, mir unbekannter Geist sprach hier zu mir und ich stand lange in stummem Staunen. Neben mir aber machte sich die erbarmungsloseste Kritik laut, und plumpe Witze wirkten auf mich wie Peitschenknall in der Kirche."

Fritz Gurlitt, der Kunsthändler: "Eben war Klinger bei mir im Bureau, ganz zerschlagen und vernichtet. Er hatte eine halbe Stunde vor seinem Bilde gestanden, seinem ersten großen Ölgemälde, an das er alle Kraft, auf das er alle Hoffnung gesetzt hatte, und mußte nun die Urteile des Berliner Publikums hören. Herrjeh! von wem ist denn das?! Der muß nach Dalldorf, den darf man nicht frei rumlaufen lassen? [In Dalldorf (heute Wittenau) befand sich die größte Berliner Nervenklinik.] In der Tonart war es fast unausgesetzt gegangen."

Gurlitt (der Autor) kann im Grunde auch nur mutmaßen, warum die Erregung so heftig war (die Nackheit nicht hinreichend idealisiert und daher unmoralisch erscheinend?). Bisher wäre sie "durch den Idealismus zu einer höheren, die Sinne bändigenden Schönheit erhoben" worden. "Die Schönheit heiligte dort das Nackte."

Der teils bildnerische und farbig gefaßte Rahmen wäre als Geschmacklosigkeit aufgefaßt worden? Stieß der "eigentümlich harte Ton" der Körperauffassung ab. Er liefert ein Resümee, das nur bedingt überzeugt:

"Die geistige Zumutung, sich umzubilden, der Vorwurf, der in diesem Bilde steckt, daß man allzu lang bequemem Idealismus angehangen habe, und daß es Zeit sei, der neuen Zeit angemessene neue Ziele auszustecken: Das war es, was den Haß erzeugte. Aufgeschreckte Denkfaulheit, die tobend nach Ruhe schrie."

Vielleicht wäre diese Machart besser angekommen? Ich weiß nicht.

Albert von Keller, Das Urteil des Paris, um 1891

Das zu Klinger und einem seiner Hauptwerke. Ursprünglich sollte dies mehr eine antike Bildergeschichte werden, aber wie es halt so kommt. Also kehren wir wenigstens zum Ende zur Ursprungsabsicht zurück und bringen nur das Bild von dem leider recht vergessenen Herrn Abel (am bekanntesten vielleicht noch sein „Klopstock im Elysium“ – wir werden es einfach an den Schluß hängen) und die dazugehörige Erzählung. Offen gestanden begann die ganze Idee mit diesem Bild, das mir zuvor unbekannt war.

Josef Abel, Andromache in Ohnmacht
etwa 1818, hier gefunden

Auf diesem Gemälde ist das Verhängnis schon weit fortgeschritten. Die Gattin Hektors fällt in Ohnmacht, nachvollziehbarerweise, so man genauer hinschaut.

Der Heerführer Agamemnon und der große Held Achill hatten sich verzankt, über eine weibliche Kriegsbeute, so daß Achill das Kämpfen verweigerte. Hektor, der Sohn des Priamus focht derart tapfer, es gelingt den Trojanern, die Achäer bis zu ihren Schiffen zurückzudrängen und Feuer an sie zu legen. Da gestattet es Achill seinem Vertrauten Patroklos, seine eigenen Rüstung anzulegen und gewissermaßen unter dem Schein, er sei es selbst, seine Gefolgsleute in die Schlacht zu führen. Die Trojaner unterliegen, aber Patroklos fällt von der Hand des Hektor, der glauben muß, Achill getötet zu haben.

Dieser greift nun selbst ein und tötet Hektor mit der Hilfe der Göttin Athene. Es ist überhaupt eine Art Stellvertreterkrieg, den die Götter hier führen. Achill schleift den Leichnam zwölf Tage um das Grab seines innig geliebten Patroklos. Apoll mildert das Grauen, so Homer im XXIV. Gesang seiner Ilias (in der Übersetzung von Johann Heinrich Voß):

Schnell, nachdem er ins Joch die hurtigen Rosse gespannet,
Hektor drauf zum Schleifen befestiget hinten am Sessel,
Zog er ihn dreimal ums Grab des Menötiaden Patroklos,
Ging dann zurück ins Gezelt, und ruhete; jenen verließ er
Dort im Staube gestreckt auf sein Antlitz. Aber Apollon
Schützte den schönen Leib vor Entstellungen, weil ihn des Mannes
Jammerte, selbst im Tod', und deckt' ihn ganz mit der Ägis
Goldenem Schirm, daß schleifend auch nicht er die Haut ihm verletzte.
Also frevelte jener im Zorn an dem göttlichen Hektor.

Endlich beauftragt Zeus die Göttin Thetis, die Mutter des Achill, ihren Sohn zur Vernunft zu bringen. König Priamos, der sich als Bittsteller nächtens ins Lager der Griechen schleicht, vermag ihn zu erweichen und erhält dessen Leichnam zur Bestattung.

Doch auch das Schicksal des Achill war längst beschlossen, noch einmal Herr Moritz:

„Auch war das Verhaͤngniß des Achilles nun nicht mehr weit entfernt; nachdem er noch einige ruhmvolle Thaten vollbracht, traf vom Apollo gelenkt, des Paris toͤdtlicher Pfeil ihm in die Ferſe, wo er allein verwundbar war. Um ſeine Waffen entſtand ein trauriger Streit; die Griechen ſprachen ſie dem Ulyſſes zu; woruͤber Ajax, welcher nach dem Achill der tapferſte unter den Griechen war, aus Mißmuth ſich ſelbſt entleibte.

Paris ward bald nachher vom Philoktet mit einem der Pfeile getoͤdtet, die in das Blut der Lernaͤiſchen Schlange getaucht, vom Herkules ihm hinterlaſſen waren. Auch war der Fall von Troja nun beſchloſſen, das nach ſo viel Blutver gießen, dennoch am Ende nicht mit Macht, ſondern mit Liſt erobert werden mußte.“

Keine schönen Geschichten sind dies, aber offenkundig inspirierende. Enden wollen wir mit diesen zwei Bildern. Noch vor dem versprochenen Klopstock ein Gemälde von Karl Friedrich Deckler - Hektor, sich von Andromache und Astyanax verabschiedend. Auch nach den übrigen Erzählungen über ihn war er wohl der nettere Kerl.

Carl Friedrich Deckler, 
vor 1918, hier gefunden


Josef Abel, Klopstock unter den Dichtern im Elysium,
zw. 1803 und 1807, hier gefunden

nachgetragen am 29. März

Samstag, 8. Februar 2020

Beiläufige Beobachtungen


Auf mich ist eine Vase gekommen, in der muß früher Gift angerührt worden sein, oder ähnliches. Sie ist bauchig, gemütlich, gefällig, mehr unscheinbar, und man kann die Uhr danach stellen, wie die frischesten Sträuße in ihr unverzüglich verwelken.

Oswald Achenbach, Blick auf Capri, 1884

"Nicht dem Vergnügen der Schmerzlosigkeit, geht der Vernünftige nach." Schopenhauer. Oder in der längeren Version: „Wenn der ganze Leib gesund und heil ist, bis auf irgend eine kleine Wunde, oder sonst schmerzende Stelle; so tritt jene Gesundheit des Ganzen weiter nicht ins Bewußtsein, sondern die Aufmerksamkeit ist beständig auf den Schmerz der verletzten Stelle gerichtet und das Behagen der gesamten Lebensempfindung ist aufgehoben. – Ebenso, wenn alle unsere Angelegenheiten nach unserm Sinne gehen, bis auf eine, die unserer Absicht zuwider läuft, so kommt diese, auch wenn sie von geringer Bedeutung ist, uns immer wieder in den Kopf: Wir denken häufig an sie und wenig an alle jene andern wichtigeren Dinge, die nach unserem Sinne gehn. – In beiden Fällen nun ist das Beeinträchtigte der Wille, ein Mal, wie er sich im Organismus, das andere, wie er sich im Streben des Menschen objektivirt, und in beiden sehen wir, daß seine Befriedigung immer nur negativ wirkt und daher gar nicht direkt empfunden wird, sondern höchstens auf dem Wege der Reflexion ins Bewußtsein kommt. Hingegen ist seine Hemmung das Positive und daher sich selbst Ankündigende. Jeder Genuß besteht bloß in der Aufhebung dieser Hemmung, in der Befreiung davon, ist mithin von kurzer Dauer.“

Oswald Achenbach, Ausbruch des Vesuv, 1890

Meine liebenswürdige Nachbarin, und Kunstlehrerin sprach mich heute auf mein (ausgerechnet) rechtes blaues Auge an (so sagt man wohl), also blieb mir nichts übrig, als ihr zu berichten, mein jüngster Alptraum wäre so unzumutbar gewesen, ich (gewissermaßen) hätte mir während desselben mit einem Buch auf den Kopf schlagen müssen, aus ihm aufzuwachen. Um beim Blick auf die zeigerlose Uhr zu erkennen, daß ich gefehlt hätte. Sie empfahl mir, das Bett zu drehen.

Oswald Achenbach, Nächtliche Küste bei Neapel im Mondlicht, 1886

Klage

(Aus dem Jahr 1793)

Sie dünkten sich die Herren aller Herrn,
Zertraten alle Ordnung, Sitt und Weise,
Und gingen übermütig neue Gleise
Von aller wahren Weisheit fern,
Und trieben ohne Glück und Stern

Im Dunkeln hin, nach ihres Herzens Gelüste,
Und machten elend nah und fern.
Sie mordeten den König, ihren Herrn,
Sie morden sich einander, morden gern,
Und tanzen um das Blutgerüste.

Der Chor

Erbarm dich ihrer!
Sie wollten ohne Gott sein, ohn ihn leben
In ihrem tollen Sinn;
Und sind nun auch dahingegeben,
Zu leben ohne ihn.
Der Keim des Lichtes und der Liebe,
Den Gott in unsre Brust gelegt,

Der seines Wesens Stempel trägt,
Und sich in allen Menschen regt,
Und der, wenn man ihn hegt und pflegt,
Zu unserm Glücke freier schlägt,
Als ob er aus dem Grabe sich erhübe –
Der Keim des Lichtes und der Liebe
Der ist in ihnen stumm und tot;
Sie haben alles Große, alles Gute Spott.
Sie beten Unsinn an, und tun dem Teufel Ehre,
Und stellen Greuel auf Altäre.

Der Chor

Erbarm dich ihrer!

Anm: Ludwig XVI. August von Frankreich, König von Frankreich und Navarra wurde am 21. Januar 1793 in Paris getötet (merkwürdigerweise verstarb am gleichen Tage im Jahre 1815 auch M. Claudius).

"Die französische Revolution ist das erste größere muster-gebende Menschheitsverbrechen der neueren Geschichte (notfalls von mir selbst):

Resilienz und Wachheit.

Oswald Achenbach, Triumphbogen des Konstantin in Rom, 1886

Ich bin daran gescheitert, etwas Gefälliges über Oswald Achenbach zu schreiben, der starb am 1. Februar 1905 in Düsseldorf).

Warum auch immer, aber von Zeit zu Zeit befällt mich eine Art von tausendjähriger Müdigkeit.

Oswald Achenbach, im Park der Villa Borghese, 1886

Donnerstag, 13. Dezember 2018

Überraschendes von Großherzogin Marie

Großherzogin Marie vor Schloß Rumpenheim, ihrem Geburtsort,
Gemälde von Hofmaler Prof. Georg Kannengießer 

Man kann gegenwärtig in Neustrelitz der Großherzogin Marie an 2 ganz unterschiedlichen Orten und in jeweils anders erstaunlicher Weise neu begegnen. In der Stadtkirche und im Kulturquartier. Aber ich will etwas weiter ausholen.

Beginnen wir mit einem Eintrag aus dem „Damen Conversations Lexikon“, Band 7 von 1836:

„Maria Wilhelmine Friederike, Großherzogin von Mecklenburg-Strelitz, Gemahlin des Großherzogs von Mecklenburg-Strelitz, eine Tochter des Landgrafen Friedrich von Hessen-Kassel und der Prinzessin Karoline Polixene von Nassau-Usingen wurde in Rumpenheim, dem nicht weit von Frankfurt, dicht an den Ufern des Mains liegenden Landsitz ihrer Eltern, am 21. Januar 1796 geb. Die ersten Zeiten ihres Lebens brachte sie abwechselnd in der freundlichen Heimath, theils in Frankfurt, theils in dem am Rheine prachtvoll gelegenen Schloße ihrer Großeltern, Biberich, zu, wo ihre Großmutter, die Fürstin von Nassau-Usingen, eine nach alter Weise in strengen Formen erzogene Prinzessin, sich nicht wenig Einfluß auf die Erziehung und das Benehmen ihrer munteren Enkelschaar aneignete, aber doch, bestochen durch die Liebenswürdigkeit derselben, zu mildern Grundsätzen gelangte, als ihr selbst in ihrer Jugend zu Statten gekommen waren.

So entfalteten sich, größtentheils in ländlicher Stille, aber umgeben von liebenden Eltern und Geschwistern, die persönliche Anmuth und die glücklichen Anlagen der Prinzessin. Es konnte daher an fürstlichen Bewerbern nicht fehlen, und am 12. August 1817 schlang sich die bräutliche Myrthe ihre Locken, indem sie dem Großherzoge von Mecklenburg-Strelitz ihre Hand zum ehelichen Bunde reichte.“

Damit hätten wir schon einmal einiges an Biographischem beisammen. Marie Wilhelmine Friederike Prinzessin von Hessen-Kassel wurde durch die Heirat von Georg von Mecklenburg-Strelitz Großherzogin. Sie hatte vier Kinder aus dieser Ehe, nämlich Luise (1818-1842), Friedrich Wilhelm (1819-1904), späterer Großherzog von Mecklenburg-Strelitz, Karoline Charlotte Marianne (1821-1876), Georg (1824-1876).

Um an ihre früh verstorbene Tochter zu erinnern, rief sie einen der ältesten Kindergärten Deutschlands ins Leben, 1842 die „Kleinkinderbewahranstalt Luisenstiftung“, sie wollte sich den Widrigkeiten des Lebens offenkundig nicht so widerstandslos geschlagen geben; doch hatte sie generell eine Neigung zum Fürsorglichen.

Nach 45 Regierungsjahren verstarb am 6. September 1860 ihr Gatte, Großherzog Georg in Serrahn (seinem gewöhnlichen Sommeraufenthalt). Die Großherzogin folgte ihm erst mehr als zwanzig Jahre später am 30. Dezember 1880, in Neustrelitz. Beide sind in Mirow beigesetzt.

Großherzogin Marie war eine kunstsinnige Frau und begabte Malerin und fand vor allem in Prof. Georg Kannengießer einen sinnverwandten Förderer und Lehrer. Offenkundig war sie auch von ausgeprägtem Realismus, etwa, was die Originalität ihres Könnens betraf, also schuf sie vor allem Nachschöpfungen von Gemälden aus und nach der Renaissance, aber diese eben mit zunehmender Meisterschaft.

Davon ist manches erhalten, vieles ist verschollen oder eher wohl vernichtet; so verbrannte ihre Dürer-Version von „Christus am Kreuz“ in der Johanniterkirche zu Mirow 1945. Dasselbe dürfte von ihren Bildern im Neustrelitzer Schloß, der Orangerie oder im Marienpalais (ihrem Witwensitz) gelten.

Und hier kommt jetzt das Kulturquartier ins Spiel. Dort gibt es nämlich noch bis zum 20. Januar 2019 die Weihnachtsausstellung - „Schenkungen und Leihgaben“.  Darin finden sich als neue Dauerleihgaben des Großherzoglichen Hauses Mecklenburg-Strelitz Porträts von Familienmitgliedern (2 Gemälde der Königin Charlotte fallen besonders auf, genauer gesagt, ist das eine davon ein ganz rührendes Kinderporträt) und eben mehrere Gemälde, geschaffen von Großherzogin Marie.

Raffael, Hl. Familie, 1518

Die Kopie von 1859 des obigen Abbildes der Hl. Familie von Raffael zieht absolut in den Bann. Es hing einst an der Chorwand links neben dem Altar in der Schloßkirche von Neustrelitz (das eigentliche Altarbild – eine Grablegung Christi von Prof. Kannengießer - ist verloren, ich bilde mir ein, irgendwo gelesen zu haben, die Russen hätten es ´45 zerschossen, kann die Stelle aber gerade nicht wiederfinden). 

[Eine erneute Suche nach der Stelle führte zu der Einsicht, daß diese Nachricht falsch war. Es betätigten sich dabei spätere Akteure, wie hier umfänglich nachzulesen.]

Das Gemälde ist eine Leihgabe der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde Strelitzer Land und wird gerahmt von zwei Mariendarstellungen aus dem Besitz des Museums, gleichfalls von der Hand der Großherzogin.

Das Merkwürdige an Kopien ist, sie altern. Oft sieht man ihnen die Entstehungszeit an, was den Zeitgenossen vermutlich nicht auffiel, sehen wir heute sofort. Hinzu kommt, daß ihnen nicht selten etwas uninspiriert Pedantisches anhaftet. Und höflich gesagt, wenn man sich die Datierungen bei den Werken der Großherzogin anschaut, spürt man doch auch eine gewisse Entwicklung.

Und bei der Hl. Familie ist das dann überraschend anders, man scheut sich fast, das Bild noch eine bloße Kopie zu nennen. Eher ist es eine wundersam lebendige Nachschöpfung. Denn nicht nur ist diese handwerklich exzellent und keinesfalls konventionell, aus keinem Winkel erscheint sie medioker, sondern aus jedem geradezu alterslos lebendig. Respekt. Und dazu muß man wissen, daß das Bild in einem beklagenswerten Zustand ist, und wir reden nicht von nachgedunkeltem Firnis. Die Abbildung oben steht für das Original aus dem Louvre, bei unserem Bild ist die Leinwand an 3 Stellen aufgerissen, einer geht durch das Gesicht des Johannes-Knaben. Das Bild erscheint aber rettbar, und wir können nur hoffen, daß es dazu, auch ggf. durch Spenden, kommen wird.

Eine dringende Empfehlung also, diese Sonderausstellung zu besuchen, wie gesagt, bis zum 20. Januar 2019 kann sie täglich besichtigt werden.

Raffaello Sanzio da Urbino, Kreuztragung Christi, ca. 1516
Museo del Prado, hier gefunden

Wie eine solche Rettung ausfallen kann, läßt sich jetzt in der Stadtkirche bestaunen. Als ich im Juli diesen Jahres 4 Statuen aus der Stadtkirche etwas näher beleuchtete („Glaube, Liebe, Hoffnung & Barmherzigkeit in der Stadtkirche zu Neustrelitz“), mußte ich kurz erwähnen, wie ein offenbar psychisch kranker 29-Jähriger, benebelt von Alkohol und Drogen, dort gehaust hatte.

Die Schäden sind inzwischen behoben, und es kommt einem wieder einmal 1. Mose 50 Vers 20 in den Sinn, nämlich wie sich böse Absichten gegen die Intentionen des Bösewichts richten können („Ihr gedachtet's böse mit mir zu machen; aber Gott gedachte es gut zu machen.“). Auch das Altargemälde hatte Schaden genommen, ebenfalls eine Arbeit der Großherzogin Marie, und jetzt hängt es, wunderbar restauriert, an seinem alten Platz. Und hier können wir froh ausrufen: So wie das Original, das oben abgebildet ist, ganz so stelle man sich jetzt die „Kopie“ vor, nur den prächtigen Goldrahmen muß man sich noch hinzudenken.

Am 22. Dezember werden in der Stadtkirche ab 17.00 Uhr die Kantaten I - III des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach aufgeführt. Das wäre dann die nächste Gelegenheit, sich von dem oben Genannten selbst zu überzeugen.

Dienstag, 15. Mai 2018

Nikolai N. Dubowskoj

Nikolai N. Dubowskoj, „Beängstigende Ruhe“ / „Drohende Stille“
1890, hier gefunden

Ich mag Gewitter. Aber in der Zeit davor falle ich regelmäßig in eine Art von vegetativen Zustand. Vor einigen Tagen war es so, und bevor es möglicherweise heute wieder geschieht, noch schnell dieses Bild, das ich schon länger anbringen wollte, weil es eine Faszination hat, die selbst durch die sehr unterschiedlichen verfügbaren Wiedergaben hindurch spürbar wird.

Nikolai N. Dubowskoj war ein russischer Landschaftsmaler, geboren am 17. Dezember 1859 in Novocherkassk, gestorben am 28. Februar 1918 in Sankt Petersburg, an Herzversagen, was angesichts des Datums eher weniger überrascht. Sein bekanntestes Gemälde „Drohende Stille“ wäre 1890 von Zar Alexander III. für das Winterpalais angekauft worden, lese ich, was für dessen Geschmack spricht. Ich gestehe, es hat für mich etwas Erschreckendes, wie die Gestalt gewordene Verheißung eines Verhängnisses, das dann ja bekanntlich auch eingetreten ist. Also ein eher unidyllisches Bild über den Zustand vor einem Gewitter, das ja eher etwas Spannung Lösendes und Reinigendes hat. Das war bei dem Unwetter, welches mehr als 20 Jahre später folgte, auf grausame Weise im Gegenteil der Fall. Künstler verfügen oft über diese prophetischen Fähigkeiten, wohl weil die Macht des Unbewußten aus ihnen spricht. Wie auch immer.

Man schrecke nicht davor zurück, sich näher mit dem Maler zu beschäftigen, meist haben seine Bilder offenkundig eine bestechend lebendige Heiterkeit und meditative Ruhe, ein Beispiel dafür anschließend, aber man sehe selbst. Aufmerksam wurde ich auf ihn übrigens durch die verdienstvolle Twitterseite dieser jungen Dame – twitter.com/romepix – er war mir vorher völlig unbekannt.

Nikolai N. Dubowskoj, „Brechende Welle“, 1900

Donnerstag, 21. Januar 2016

Beiläufiges zu Caspar David Friedrich

Caspar David Friedrich, "Mönch am Meer", unrestauriert

Verschafft der Firnis des Alterns einem Artefakt eine besondere Würde?  Oder bewegen wir uns in einer Ursprünglichkeitsfalle, weil wir die Zeit besiegen zu können meinen.

"Herrlich ist es, in einer unendlichen Einsamkeit am Meeresufer, unter trübem Himmel, auf eine unbegrenzte Wasserwüste hinauszuschauen. Dazu gehört gleichwohl, daß man dahin gegangen sei, daß man zurück muß, daß man hinüber mögte, daß man es nicht kann, daß man Alles zum Leben vermißt, und die Stimme des Lebens dennoch im Rauschen der Flut, im Wehen der Luft, im Ziehen der Wolken, dem einsamen Geschrei der Vögel, vernimmt. Dazu gehört ein Anspruch, den mein Herz an das Bild machte, und ein Abbruch, um mich so auszudrücken, den Einem die Natur tut.

Dies aber ist vor dem Bilde unmöglich, und das, was ich in dem Bilde selbst finden sollte, fand ich erst zwischen mir und dem Bilde, nämlich einen Anspruch, den mein Herz an das Bild machte, und einen Abbruch, den mir das Bild tat; und so ward ich selbst der Kapuziner, das Bild ward die Düne, das aber, wo hinaus ich mit Sehnsucht blicken sollte, die See, fehlte ganz.

...und da es, in seiner Einförmigkeit und Uferlosigkeit, nichts, als den Rahm, zum Vordergrund hat, so ist es, wenn man es betrachtet, als ob Einem die Augenlider weggeschnitten wären."

So Heinrich von Kleist, u.a. Worte anderer adaptierend. Ich habe dazu hier auch einmal einigen Quark geschrieben. Jetzt ist das Bild restauriert. Ich sollte dringend in die Reichshauptstadt, wo sie doch sozusagen um die Ecke liegt. Denn, was ich von den dürftigen veröffentlichten Bildern im aufgeregten Feuilleton (das gibt es also doch noch, man sehe etwa dort und dort, und hier ist das Bildbeiwerk am überzeugendsten) sehen kann:

Das ist ja fast Biedermeier. Nun gut es war die Zeit. Aber dazu der obige Text? Sind wir 200 Jahre später schon so verroht, das nur noch irgendwie „nett“ finden zu können. Ich bin fasziniert und eigentlich sprachlos. Und das vor diesen Bildschnipseln.

Der Mönch stehe auf kargem Sand vor einer leeren anstürmenden Unermeßlichkeit ohne Orientierung, ein Mensch standhaltend der Unendlichkeit und dabei zugleich ein Teil dieser Unendlichkeit werdend. Das ungefähr hatte ich geschrieben.

Er steht da immer noch in einem kaum faßbaren Raum. Dennoch ist alles so klar geworden. Der Mönch am Strand, das Meer wie eine schmale Brücke zur Unendlichkeit, alle Dissonanzen, Variationen und Harmonien von Blau sind anwesend, die sich um so mehr klären, je mehr man nach oben blickt. Die Sichtbarmachung der Transzendenz.

Der spätere Friedrich Wilhelm IV. konnte als Halbwüchsiger seinen eher schlichten Vater dazu überreden, dieses und das Partnerbild zu erwerben. In der Jugend hat man halt noch manchmal Einsichten. Wie gesagt, ich muß da dringend hin.
nachgetragen am 22. Januar

Kleiner Nachtrag

Eben stolpere ich über einen Beitrag, der die Presse zu diesem Ereignis viel hingebungsvoller abbildet als mir dies jemals vergönnt sein wird; sollte man durchaus lesen, so das Sujet konveniert.
nachgetragen am 30. Januar

Donnerstag, 30. Juli 2015

Carl Blechen

 Carl Blechen, Meeresbucht in Italien, 1829
(in größerer Auflösung) hier gefunden 

 Carl Blechen,Turmruine mit Drachen, 1827
(in größerer Auflösung) hier gefunden 

Carl Blechen, Weg nach Castel Gandolfo, Detail, 1830

Carl Blechen ist einer der großen Unbekannten, sofern man an ein eher umfänglicheres Publikum denkt. Der Blogger Jay hat mir gestern ein schlechtes Gewissen gemacht, als er über ihn schrieb. Wenn wir übellaunig wären, würden wir behaupten, er habe nur seinen Beitrag von 2010, leicht aufgehübscht und eingekürzt, wiederholt, aber sein „Abstract“ wirkt auf mich dafür zu ernsthaft. Er wollte einfach noch einmal an ihn erinnern, denke ich.

Doch zurück zum Künstler; sein Leben läßt sich besser kurz abhandeln. Geboren am 29. Juli 1798 in Cottbus, der familiäre Hintergrund durchaus bescheiden. Immerhin konnte er das Friedrich-Wilhelm-Gymnasium besuchen, doch für ein Studium genügten die Mittel nicht. 1812 kam er als Lehrling in ein Bankgeschäft, ab 1820 arbeitete er im Berliner Bankhaus Koehne. 1822 weisen ihn die Akten der Berliner Akademie der Künste als Schüler aus, für ein Jahr. 1823 reiste er nach Dresden, wo er Johan Christian Clausen Dahl besuchte und wohl auch die Bekanntschaft Caspar David Friedrichs machte. 1826 wurde er Mitglied im Berlinischen Künstlerverein.

Schinkels Empfehlung brachte eine Anstellung als „Decorationsmaler“ am Königstädtischen Theater in Berlin, wo er von August 1824 bis Juni 1827 eine große Zahl wirkungsvoller Bühnenbilder schuf, das er aber nach einem Streit mit der Sängerin Henriette Sontag wieder verlassen mußte. Er hatte sich nunmehr als freischaffender Künstler durchzuschlagen.

Im Sommer 1828 reiste er an die Ostsee. Im Herbst darauf begab er sich nach Italien und erreichte Ende November Rom, wo er bis zum Mai 1829 blieb, zwei Monate verbrachte er in der Umgebung Neapels und kehrte im heißen Sommer nach Rom zurück, um weiter dann im Herbst langsam durch Mittelitalien nach Berlin zurückzukehren, das er im November 1829 erreichte.

Während dieser Reise, die seine Malauffassung entscheidend neu prägen sollte, entstanden hunderte Skizzen, die später weiter ausgearbeitet wurden. Insbesondere die von ihm reflektierten Lichterfahrungen führten ihn über die zeitgenössischen Strömungen deutlich hinaus.

1831 bewarb sich Blechen, wieder auf Empfehlung Karl Friedrich Schinkels, erfolgreich für die Akademieprofessur der "Landschaftszeichnen Classe". 1833 bereiste er den Harz, 1835 folgt eine vierwöchige Reise nach Paris in Begleitung seines Freundes und Förderers Louis Sachse. Im selben Jahr wird er zum ordentlichen Mitglied der Akademie gwählt. Seit 1836 verstärkten sich die Anzeichen einer psychischen Erkrankung, die ihn zur Aufgabe der Lehrtätigkeit zwingen.

Am 23. Juli 1840 starb Carl Blechen geistig umnachtet. Sein Grab auf dem Dreifaltigkeitskirchhof in Berlin-Kreuzberg ist nicht mehr auffindbar, immerhin erinnert eine Gedenktafel an der Friedhofsmauer als Ehrengrab des Landes Berlin an ihn.

 Carl Blechen, Das Innere des Palmenhauses auf der Pfaueninsel, 1832
(in größerer Auflösung) hier gefunden 

Fontane, der sich an einer Biographie Blechens versucht hatte, die er aber nie fertigstellte, hat sich nach den hinterlassenen Notizen über dessen Ende etwas derber geäußert:

"Was Blechen schließlich bis zur Pulle trieb, ist schwer festzustellen, vielleicht erblich, vielleicht natürliche Neigung, vielleicht Ärger, Kränkung, Verstimmung. Zu dieser Dreiheit mag allerlei Grund vorgelegen haben, und unter diesen Gründen wird auch eine 'unglückliche Ehe' genannt. Da sich diese Versicherung in fast allen Briefen wiederholt, so mag Wahres in der Tatsache gewesen sein. Aber das möchte ich mit annähernder Gewißheit sagen: Wenn es so gewesen ist, so ist nicht die Frau dafür verantwortlich zu machen. Im Gegenteil, nicht nur aus der Handlungsweise der Frau, wie sie sich in ihrem Testament und anderen Dingen ausspricht, sondern namentlich auch aus etwa dreißig mir vorliegenden Briefen und Briefchen der Frau geht hervor, daß es eine sehr gute, sehr verständige und, ich schreibe dies Wort mit allem Vorbedacht nieder, eine sehr edelmütige Frau gewesen ist, ganz schlicht, ganz einfach, ganz ohne 'Höhere Bildung', aber von allergesundestem Menschenverstand, und nicht bloß von richtigem, sondern auch von feinem Gefühl."

Vom feinen Gefühl der Henriette Blechen teilt der Frauenversteher Fontane dann auch noch mit, sie habe Aktzeichnungen von Blechens Hand an den Kunsthändler Sachse verschenkt, "aber erst, nachdem die untern unanständigen Hälften mit der Schere weggeschnitten waren".

Aber es gibt genug anderes von Blechen, das eher unser Interesse beanspruchen sollte, wie das oben gezeigte Bild vom Palmenhaus, das vielleicht noch am ehesten eine gewisse Bekanntheit behalten hat. Über den Ort selbst (der nur wenige Jahrzehnte so bestand) schreibt Fontane sehr schön (in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Bd. 3, Die Pfaueninſel“):

„Pfaueninsel! Wie ein Märchen steigt ein Bild aus meinen Kindertagen vor mir auf: ein Schloß, Palmen und Känguruhs; Papageien kreischen; Pfauen sitzen auf hoher Stange oder schlagen ein Rad; Volièren, Springbrunnen, überschattete Wiesen; Schlängelpfade, die überall hin führen und nirgends; ein räthselvolles Eiland, eine Oase, ein Blumenteppich inmitten der Mark.“

„1830 wurde auch das Palmenhaus errichtet.

Das kleine Eiland stand damals auf seiner Höhe. 'Eine Fahrt nach der Pfaueninsel... galt den Berlinern als das schönste Familienfest des Jahres und die Jugend fühlte sich überaus glücklich, die munteren Sprünge der Affen, die drollige Plumpheit der Bären, das seltsame Hüpfen der Känguruhs hier zu sehn. Die tropischen Gewächse wurden mit manchem Ach! des Entzückens bewundert. Man träumte in Indien zu sein und sah mit einer Mischung von Lust und Grauen die südliche Thierwelt: Aligatoren und Schlangen, ja das wunderbare Chamäleon, das opalisirend oft alle Farben der blühenden Umgebung wiederzuspiegeln schien.' Meine eigenen Kindheitserinnerungen, wie ich sie Eingangs ausgesprochen, finden hier ihre Bestätigung.“

Der Blogger Jay teilt uns Fontanes Urteil u.a. zu obigem Gemälde wie folgt mit: "Die Palmenhausbilder sind sehr schön und wohl kaum übertroffen. Aber doch eigentlich langweilig."

Nun ja. Es ist nicht zwangsläufig so, daß ein großer Schriftsteller wie Fontane mit seiner Begabung für's Schildern damit selbstverständlich auch hinreichend Empathie für ein ganz eigenartig Anderes miterwirbt. Er hat ihn vor allem, was nur zu menschlich ist, in ein Schema zu bringen gesucht, das ihm entgegenkam.

So urteilt er schließlich, Blechens "eigentlichen Landschaften" seien "realistisch, helle Töne, Sonnenbrand, gelbe Kahlheit herrschen vor. Mitunter nähern sich diese Landschaften aber dem Romantischen, und er tut manchmal ein romantisches Element hinzu." Und sein Fazit: "Widerlegung, daß er besonders im Romantismus gesteckt habe. Nur wenig spricht dafür."

Carl Blechen, Im Park der Villa d'Este, 1830
hier gefunden 

Er steht sich mit anderen Äußerungen dabei selbst ein wenig im Weg. So wenn er über das „Semnonenlager“ von 1828 (in den Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Die Müggelberge) schreibt: 

“Karl Blechen, 'der Vater unsrer märkischen Landschaftsmalerei', wie er gelegentlich genannt worden ist, hat in einem seiner bedeutendsten Bilder die Müggelberge zu malen versucht. Und sein Versuch ist glänzend geglückt. In feinem Sinn für das Charakteristische, ging er über das bloß Landschaftliche hinaus und schuf hier, in die Tradition und Sage der Müggelberge zurückgreifend, eine historische Landschaft. Die höchste Kuppe zeigt ein Semnonenlager. Schilde und Speere sind zusammengestellt, ein Feuer flackert auf, und unter den hohen Fichtenstämmen, angeglüht von dem Dunkelrot der Flamme, lagern die germanischen Urbewohner des Landes mit einem wunderbar gelungenen Mischausdruck von Wildheit und Behagen. Wer die Müggelberge gesehen hat, wird hierin ein richtiges und geniales Empfinden unsres Malers bewundern – er gab dieser Landschaft die Staffage, die ihr einzig gebührt.“

Doch was sagen Kategorien wie „romantisch“ oder hier wohl passender „heroisch“ schon aus, das Semnonenlager, das seit dem letzten Krieg verschollen ist, macht nicht unbedingt einen konventionell realistischen Eindruck. Wenn Kunst wesentlich ist, erscheint sie eher irreal oder besser überreal, da sie mehrere Wirklichkeiten übereinanderlegt.

100 Jahre nach Blechens Tod heißt das übrigens in der Nachfolge Fontanes dann, er habe den "Weg von romantischer Gedankenmalerei" zu einer heiter bejahenden Naturwiedergabe gefunden, "zu einer Malerei der Farbe und des Lichts, die den Impressionismus in manchen Stücken vorausnahm."

So sehr daran manches stimmt (man schaue sich nur die ersten 3 Bilder dieses Beitrages an), macht es Kunst doch auch zu einer Art von Treppenaufstieg (wohin eigentlich?). Genug davon.

Aber einmal noch Fontane zuvor: In einem Brief von 1873 gibt er der zeitgenössischen Architektur einen hübschen Seitenhieb; er versichert nämlich dem Adressaten, er solle seine Antwort einfach so dahinschreiben. „Abfassung gleichgültig; wie die modernen Architekten sagen: 'Der Stil wird angeputzt.'“.

Die obige Ansicht der Villa d'Este von 1830 ist vielleicht auch noch etwas bekannter. Sie scheint seinen Zug zum Theatralischen zu bestätigen. Aber was bedeutet das schon, ist es bei ihm nicht eher verdichtete Wirklichkeit, ein Blick, der Dinge nicht einfach so dahinnimmt, sondern geradezu mit dem Finger befiehlt: Sieh hin und sehe! Ganz ohne Belehrung, nur als dringliche Mitteilung. Völlig anders, aber ebenso eindrücklich etwa nachfolgend.

Carl Blechen, Bäume im Herbst bei Sonnenaufgang,1823

Und bevor ich jetzt etwas Unsinniges wie z.B. 'fast schon eine Art von chinesische anmutendem Impressionismus' daherfasele, will ich noch zu einem anderen Bild von 1829 verlinken (die Abbildung ist extrem klein, gibt aber einen Eindruck), da versinkt nämlich das, was vom Forum Romanum noch übrig ist, gewissermaßen in Licht und Sand.

Die Poesie des Wirklichen, sprich die Tiefe des Lichts und die Präsenz des Vergangenen vermag er atemberaubend lebendig vor uns hinzustellen, nur dies genannt (er hat selbst Fabriken gemalt, aber das mögen wir weniger an diesem Platz). Die Klosterruine Oybin wird nicht zur Gedankenikone, wie bei unserem Friedrich, das mag sein, aber er malt sehr „realistisch“ eine Seite aus dem Buch des Lebens und der Welt, das uns schaudern läßt. Wie bei dem darauf folgenden. Man muß viel geschaut haben, um Derartiges mitteilen zu können. In Bildern, das war die Sprache, die ihm zu Gebote stand, und die wir nur versuchen können zu entziffern.

Und selbst dem Verfall vermag er etwas Gelöstes abzulesen. Das Vergehen des Schönen hinterläßt dem, der zu sehen vermag, mehr als nur Leere. Er wußte das.

 Carl Blechen, Klosterruine Oybin, 1822
(in größerer Auflösung) hier gefunden 

Carl Blechen, Gotische Kirchenruine, 1826
Carl Blechen, Gotische Kirchenruine, c. 1829-1831
hier gefunden 

vorläufig beendet am 1. August