Donnerstag, 9. August 2012

Abend-Variationen von Gelb & etwas Hesse


Wir sind abwesend offenbar. Da vermeinen wir doch zu lesen im ersten Moment - 'schrieb Hesse drei Jahre nach seinem Tod', es war natürlich vor seinem Tod, so ist es bei uns Sterblichen üblich, auch wenn Hesse sich viel Mühe gegeben hat, für seine Person diesen Eindruck leicht zu verwischen. Er starb am 9. August 1962, daher wenden wir gerade ein wenig Aufmerksamkeit auf.

Herr Morgenländer findet im Glasperlenspiel dieses: „Nicht dort ist die Tiefe der Welt und ihrer Geheimnisse, wo die Wolken und die Schwärze sind, die Tiefe ist im Klaren und Heiteren." Ansonsten hat er mit ihm seine Schwierigkeiten, wir auch.


Es ist nicht so, daß wir nicht versucht hätten, ihn wahrzunehmen, wir haben etwa die schöne Übersetzung des Herrn Prof. Aue von „Seltsam, im Nebel zu wandern!“ hier vorgestellt oder die von „Wir leben hin in Form und Schein“ im zurückliegenden April, und da ist uns sogar noch ein halber Gedanke zu Herrn Hesse eingefallen.


Dem Blogger Jay verdanken wir diese etwas komplizierte Sympathieerklärung in seine Richtung und einen Verweis auf eine Art „Zurecht-Stutzung“ (sehr lesenswert) eines Großkritikers des deutschen Literaturbetriebs. Zitat:

„Ein tiefer greifendes Motiv für die Aversion dieses Franz Josef Strauß unsres Kulturbetriebs nicht allein gegen Hesse, sondern gegen eine ganze literarische Richtung, die auf eine Humanisierung des Menschen abzielt, ist seine Allergie gegen alles Konstruktive und Ethische.“



Aber um einen vorläufigen Abschluß zu finden, der Versuch ein erworbenes Ressentiment durch Wiederlesen aufzulösen, klappt nicht immer. Ich habe nämlich tapfer angefangen, Hesse erneut zu lesen und mich zuerst noch einmal durch sein „Unterm Rad“ gemüht. Es heißt schließlich, da hätte man Hesse in nuce, und ich muß sagen, die Nuß tönte etwas hohl, und ihr Inhalt, nun ja.

Warum? Nun - die Welt bricht das edelste Streben; ach? Das ist ihr gewöhnlicher Habitus, das tat sie schon immer, und wenn wir Glück haben, kommt dabei ein Hölderlin heraus. Also nichts Neues unter der Sonne. Aber dazu dieser Stil, dieses Verdruckste, Verblasene, gesucht Altfränkische, verkannt sich in Tiefen hinabsurfend Fühlende, und darauf dann Hofmannsthal auf Acid mit einem Schuß von Rilkeschen Cornett, sozusagen (jetzt klingen wir fast wie MRR, Großer Gott, wir müssen gründlich falsch liegen). Ein Beispiel:

„Dazu hatte ihr Bündnis den herben Reiz der reifenden Männlichkeit und als ebenso herbe Würze das Trotzgefühl gegen die Gesamtheit der Kameraden, denen Heilner unliebsam und Hans unverständlich blieb...“

Und immer diese geradezu gewaltsame Gier, zum Bedeutungsvollen, Anderen hindurchzubrechen, weil die Gegenwart nicht ertragen wird (etwas, das einem oft bei Menschen eines gewissen Lebensalters begegnet), so beschrieben in "Kindheit des Zauberers":

„Dies war die tiefste, innigst gefühlte Richtung meiner Triebe, eine gewisse Unzufriedenheit mit dem, was man die 'Wirklichkeit' nannte und was mir zuzeiten lediglich wie eine alberne Vereinbarung der Erwachsenen erschien; eine gewisse bald ängstliche, bald spöttische Ablehnung dieser Wirklichkeit war mir früh geläufig, und der brennende Wunsch, sie zu verzaubern, zu verwandeln, zu steigern.“

Der tragische Held Hans aus „Unterm Rad“hat die Sorge: „Man würde ihn als Lehrling in einen Käsladen oder auf ein Bureau tun, und er würde zeitlebens einer von den gewöhnlichen armseligen Leuten sein, die er verachtete und über die er absolut hinaus wollte.“


Oder ins Absolute hinaus wollte? Irgendwie gelingt ihm dies ja offensichtlich am Ende. Jedenfalls ist die ganze Erzählung voll der Klage, wie sich das Erziehungswesen dem Genialischen in den Weg stellt und wie zarte, hoffnungsvolle Seelen gebrochen werden; ein Tonfall, der auch später noch begegnet:

Aus „Der Trauermarsch“: „...es wurde der eitle Kathederheld allmählich zum Sinnbild aller Macht und aggressiven Aktivität, und der andere stellte alle Verlorenheit und wehrlose Schwäche des Träumers oder Denkers dar, des Einzelgängers und Schlechtangepaßten.“

Und in der Erzählung selbst:

„Es war etwas in ihm, etwas Wildes, Regelloses, Kulturloses, das mußte erst zerbrochen werden, eine gefährliche Flamme, die mußte erst gelöscht und ausgetreten werden. Der Mensch, wie ihn die Natur erschafft, ist etwas Unberechenbares, Undurchsichtiges, Gefährliches. Es ist ein von unbekanntem Berge herbrechender Strom und ist ein Urwald ohne Weg und Ordnung. Und wie ein Urwald gelichtet und gereinigt und gewaltsam eingeschränkt werden werden muß, so muß die Schule den natürlichen Menschen zerbrechen, besiegen und gewaltsam einschränken; ihre Aufgabe ist es, ihn nach obrigkeitlicherseits gebilligten Grundsätzen zu einem nützlichen Gliede der Gesellschaft zu machen und die Eigenschaften in ihm zu wecken, deren völlige Ausbildung alsdann die sorgfältige Zucht der Kaserne krönend beendigt.“

„Und so wiederholt sich von Schule zu Schule das Schauspiel des Kampfes zwischen Gesetz und Geist, und immer wieder sehen wir Staat und Schule atemlos bemüht, die alljährlich auftauchenden paar tieferen und wertvolleren Geister an der Wurzel zu knicken.“


„Nur nicht matt werden, sonst kommt man unters Rad.“ Daher hat die Erzählung ihren Namen. „Matt“ als verträumt, in sich gekehrt, natürlich vielleicht? Aber diese Anbetung des natürlichen Menschen verkennt etwa, daß ein gut Stück Kulturleistung darin besteht, über diesen hinauszukommen und daß, wer eine Zivilisation aufrechterhalten will, diese schlecht am Genialischen ausrichten kann. Zu kurz gesprungen also. Aber wir sind ja (in diesem Moment) schon 2 Bücher weiter, da hellt es sich doch auf, nein, sagen wir, es wird anders kompliziert.

Noch schnell ein paar Leseempfehlungen, die FAZ stellt hier 4 neue Bücher zu Hesse vor und ich hätte auch gern zur Süddeutschen Zeitung verlinkt, aber die mag offenbar nicht mehr öffentlich online zugänglich sein, dabei gab es in der Besprechung zweier neuer Biographien dort zu der von Heimo Schwilk den hübschen Satz „Ein angenehmes Buch für notorische Hesse-Hasser“. Wie auch immer.
nachgetragen am 12. August

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