Mittwoch, 20. November 2019

Zum Buß- und Bettag

Nicolaikirche in Magdeburg-Neue Neustadt, Westseite

Üblicherweise kommen die Predigten des Herrn Roloff, die ich hier gelegentlich bringe, gut ohne meine Vorbemerkungen aus.

Aber ich muß es einmal sagen: Wenn aus der Religion das Religiöse gewichen und nur ein innerweltlicher Zeitgeist-Moralismus noch übriggeblieben ist, von der Klimakatastrophe bis..., ach, schweigen wir davon und überlassen die Protagonisten ihrem freudlosen selbstgewählten Fegefeuer.

Man fühlt sich gemahnt an eine flackernde Glühbirne. Mal ist Licht und dann wieder nicht. Und man ahnt, gleich wird sie ihren Geist aufgeben. Und dann bleibt bloß noch die Abwesenheit Gottes.

Jedenfalls, und das wollte ich eigentlich lediglich anmerken. Welche Wohltat dann, eine Predigt zu lesen, die so auch vor 100 Jahren hätte gehalten werden können und hoffentlich auch wiederum in 100 Jahre in solcher Weise gehalten werden wird, wo auch immer. Zur Predigt:

Magdeburg, Nicolaikirche, 1952

Predigt zum Buß- und Bettag 2019 

in St. Nicolai, Magdeburg

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

Der Predigttext ist die Epistel des heutigen Tages.

Liebe Gemeinde,

erlauben Sie mir zwei kurze Vorbemerkungen, die ich darum für erforderlich halte, weil der Begriff der Buße im Zentrum des heutigen Tages steht, viele Menschen mit ihm aber fast nur noch negative, geradezu Vorstellungen von Demütigung  verbinden. Wenn ich etwas büßen soll, dann steht mir vermeintlich nichts Gutes bevor.

Darum will ich zunächst auf eine Stelle im Nehemiabuch hinweisen, in der es um den Wiederaufbau Jerusalems geht. Luther konnte sie noch wie folgt übersetzen: „Da aber Saneballat und Tobia und die Araber und Ammoniter und Asdoditer hörten, daß die Mauern zu Jerusalem zugemacht wurden und daß sie die Lücken angefangen hatten zu büßen, wurden sie sehr zornig.“

Plötzlich erinnern wir uns, dass Buße mit Wiederaufbau, Erfüllung und Heilung zu tun hat. Die Buße eröffnet einen Weg der Wiederherstellung.

Die zweite Vorbemerkung soll darauf hinweisen, wenn Menschen lange in Unfreiheit waren, sich im Dunkel des Verlieses befanden, es muss nicht immer eine Gefängniszelle sein, es kann auch die Finsternis sein, in die wir uns selbst eingeschlossen haben, dann erschrickt sie plötzliche Freiheit und strahlendes Licht.

Mit diesen Gedanken vor Augen will ich mich unserem Text nähern.

Der Maßstab des göttlichen Gerichts

Röm 2, 1-11

1 Darum, o Mensch, kannst du dich nicht entschuldigen, wer du auch bist, der da richtet. Denn worin du einen andern richtest, verdammst du dich selbst; sintemal du eben dasselbe tust, was du richtest. 2 Denn wir wissen, daß Gottes Urteil ist recht über die, so solches tun. 3 Denkst du aber, o Mensch, der du richtest die, die solches tun, und tust auch dasselbe, daß du dem Urteil Gottes entrinnen werdest? 4 Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmütigkeit? Weißt du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße leitet? 5 Du aber nach deinem verstockten und unbußfertigen Herzen häufest dir selbst den Zorn auf den Tag des Zornes und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, 6 welcher geben wird einem jeglichen nach seinen Werken: 7 Preis und Ehre und unvergängliches Wesen denen, die mit Geduld in guten Werken trachten nach dem ewigen Leben; 8 aber denen, die da zänkisch sind und der Wahrheit nicht gehorchen, gehorchen aber der Ungerechtigkeit, Ungnade, und Zorn; 9 Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die da Böses tun, vornehmlich der Juden und auch der Griechen; 10 Preis aber und Ehre und Friede allen denen, die da Gutes tun, vornehmlich den Juden und auch den Griechen.    11 Denn es ist kein Ansehen der Person vor Gott. Amen.

Rigoros und konsequent entwickelt Paulus seine Überzeugung vom Richten. Die Frage nach der Sünde ruft nach Selbsterkenntnis und nicht nach dem Urteil über andere Menschen. Erkannt werden können in richtiger Weise immer nur die eigenen Sünden. Wer dies tut, der wird schnell gewahr, wie sehr er sich selbst verdammen würde, wenn er sich anmaßte einen anderen zu richten. Nichts verbindet uns Menschen untereinander fester als die Sündhaftigkeit unseres Wesens. Diese Erkenntnis sollte darum in uns zunächst und vor allem Barmherzigkeit gegenüber unseren Mitmenschen entzünden.

Unwillkürlich erscheinen vor meinem inneren Auge Pharisäer und Zöllner, von deren Tempelgang Jesus erzählt.

Der Pharisäer resümiert seine guten Werke und dankt Gott dafür, nicht so zu sein, wie der sündige Zöllner. Der Zöllner bekennt seine Unwürdigkeit und geht gerechtfertigt von dannen.

Der tiefere Sinn des Bußtages liegt nun genau darin, dass wir begreifen sollen, wie wenig wir vom tieferen Sinn der Buße verstanden haben, wenn wir uns nur auf die Seite des Zöllners stellen und nun dafür danken, keine Pharisäer zu sein. Dann erheben wir uns nämlich auch nur auf eine fromme Höhe, von der aus es so angenehm ist, sich wohlgefällig zu beschauen.

Festgottesdienst am 28.3. 1954 zur In-Dienst-Nahme der wiederhergestellten St. Nicolai-Kirche, hier gefunden

Wer die uns durch Paulus im Römerbrief vorgelegten Zusammenhänge ganz erfassen will, der muss sich an Paulus als den Juden und Pharisäer erinnern, der er ganz und gar gewesen ist, ehe es ihn vor Damaskus vom Pferd gerissen hat.

Paulus kennt die ganze religiöse Selbstgerechtigkeit, die daraus erwächst, dass der Anblick fremder Sünde uns stets dazu verleitet, das Richteramt einzunehmen. Gottes Gericht über die anderen ist immer so gerecht. Mit großem Eifer hat Saulus noch selbst daran mitgewirkt, dieses zu vollstrecken. Wenn er nun schreibt, „Das Urteil, das du gegen den anderen aussprichst, verdammt dich selbst“, dann hätte er auch schreiben können, ich war selbst ein Verdammter.

Verdammt zu sein, das heißt in Aussichtslosigkeit zu leben. Auf diese Verbindung kommt es dem Apostel an. Aus dieser Verbindung heraus entwickelt Paulus seine Auffassung von der Funktion des Gesetzes.

Im Gesetz dokumentiert sich einerseits der Wille Gottes, der Welt eine gute Ordnung zu geben. Für den Menschen unter dem Gesetz hat aber genau das andererseits zur Folge, dass er gewahr wird, dieser Ordnung nicht gerecht zu werden. Gleichzeitig bleibt seine einzige Heilshoffnung die Erfüllung des Gesetzes. Das Erleben eigener Sündhaftigkeit, eigenen Versagens treibt ihn in die Unaufrichtigkeit, Unwahrhaftigkeit und in die Lüge.

Erinnern wir uns an den ersten Rechtsfall der Menschheitsgeschichte, der aufzuklären war. Gott hatte dem Garten Eden eine gute Ordnung gegeben. Nur vom Baum der Erkenntnis zu essen war den Menschen verboten. Es hätte ein herrliches Leben sein können, wenn nicht die Versuchung, das Gebot zu durchbrechen, zu groß gewesen wäre.

Magdeburg, St. Nicolai

Gott tritt selbst als Ermittler in der Sache auf und befragt die Verdächtigen.  Adam greift zu der seitdem bewährten Ausflucht: Das Weib ist schuld. Das Weib wiederum legt dar, die Schlange hätte sie betrogen.

Wenn die Heilshoffnung ihren Grund ausschließlich in der Erfüllung des Gesetzes hat, dann führt das den Menschen in die Aussichtslosigkeit. Er kann nach dem Fall nur noch leugnen, andere beschuldigen oder sich verbergen. Ungeschehen machen kann er es nicht.

Der Unterschied zwischen Sündern und Gerechten, wenn wir uns anmaßen, ihn zu machen, bleibt nichts als selbstgerechte, fromme Heuchelei. Wer wüsste das besser als Paulus? Diese Unterscheidung ist unaufrichtig und treibt gerade darum die Menschen auseinander. Je stärker man um Selbstheiligung bemüht ist, desto mehr muss man sich von den Verworfenen abgrenzen und ihre Verworfenheit sogar noch herausstellen.

Paulus aber bricht nun der Wahrheit Bahn und führt dadurch den Sünder aus der Lüge heraus zum Geständnis, dass er gesündigt hat. Er kann dies tun, weil er der Gnade begegnet ist, die im Evangelium ausgegossen wurde.

Erst durch die in Christus erschienene Güte Gottes gibt es eine tatsächliche Möglichkeit zur Buße.

Buße bedeutet aber gerade nicht, die Ordnung Gottes aufzulösen und vergessen zu machen.

Wenn wir nämlich die Güte Gottes als Erlaubnis zur Sünde deuten und bei der Geduld und Langmut Gottes Ermunterung und Schutz für unsere Bosheit suchen, so verwandelt sich unser Vertrauen auf Gottes Güte in ihre Verachtung.

Magdeburg, St. Nicolai 

Der Glaube an die Gnade Gottes eröffnet erst eigentlich den Weg zum Tun des Guten, denn erst im Glauben kann der Mensch Gutes tun, ohne eigennützige Ziele zu verfolgen. Der Glaube an die Gnade Gottes befreit recht eigentlich zum guten Werk. Der glaubende Mensch hört eben auch ganz auf, mit seinem Tun Gott etwas geben zu wollen. Unser gutes Werk besteht nur noch darin, dass wir Anteil nehmen am Werk Gottes.

Der Glaubende begehrt das gute Werk mit ganzem Herzen. Aber er sucht es nicht bei sich selbst, sondern sucht und findet es bei Gott, und das erste und wichtigste, was er hierzu bedarf und bekommt, ist, dass er im Anblick der göttlichen Gnade Gott glauben lernt.

So war denn auch die Verkündigung der göttlichen Gnade durch unseren Herrn wie das gleißende Licht, das denjenigen erschrickt, der im Dunkeln gesessen hat. Die ganze Vergeblichkeit der nur behaupteten Gesetzestreue, die verlogene Anstrengung der Selbstheiligung und das ewige Richten der Sünder, nur damit man sich von ihnen unterscheidet, waren im wahrsten Sinne bloß gestellt.

Sie hatten den Menschen versklavt und nur immer weiter von Gott entfernt, und Gottesferne ist das Wesen der Sünde.

Buße ist nichts anderes als das unbedingte und nicht zu erschütternde Vertrauen in die Gnade Gottes, durch die wir frei werden, ihm und einander im Guten zu dienen.

Damit treten wir auch fest jenen entgegen, die behaupten, Gott habe den Glauben an die Stelle der guten Werke gesetzt, gleichsam als bequemeren Weg zum Heil. Dieses Missverständnis gründet in der Annahme, der Glaube würde das Gesetz und die Gebote überwinden – er erfüllt sie aber.

So lesen wir auch schon in den Sprüchen Salomos: Wer sein Ohr abwendet, das Gesetz zu hören, dessen Gebet ist ein Greuel. (Spr 28, 9)

Antiquities of the Orient unveiled, 
Solomon, King of Israel, 1875, hier gefunden

Überhaupt gibt es natürlich auch schon im Alten Testament eine Hoffnung, die Gnade in der vertieften Gotteserkenntnis sucht. Im Buche der Weisheit Salomo heißt es: „Und wenn wir gleich sündigen, sind wir doch dein, und kennen deine Macht. Denn dich kennen ist eine vollkommene Gerechtigkeit; und deine Macht wissen, ist eine Wurzel des ewigen Lebens.“ (Weisheit 15, 2/3)

Die Gotteserkenntnis der Weisheit ahnt und fiebert geradezu schon herbei, was mit Christus Wirklichkeit geworden ist. Gott wurde Mensch und unser Bruder. In ihm sind Gnade und Wahrheit geworden.

Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmütigkeit? Weißt du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße leitet?

So sei nun fleißig und tue Buße!

Das bedeutet - ändere deinen Sinn, ändere die Richtung, in die du gehst. Dieser Prozess aber beginnt immer dort am wirkungsvollsten, wo wir Menschen uns schlicht der Wahrheit stellen – auch und besonders der Wahrheit unseres Wesens.

Wir müssen erkennen, dass wir verführbar sind, dass wir eitel sind und Menschen brauchen, die uns die Wahrheit sagen. Wir sollen uns zu Gott hin wenden und seine Hilfe erwarten und uns nicht durch die falschen Propheten verführen lassen, die uns stets glauben machen wollen, wir könnten uns selbst retten.

Und darum ist Buße für uns Christen ein Tor zur Befreiung. Der Bußtag ist ein Fest der Freiheit.

Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unserem Herrn.

Amen

Thomas Roloff 

Weltliche Schatzkammer Wien, Reichskrone, 
König Salomon (Rex Salomon), hier gefunden

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