Mitunter gelingt es sogar Frau W. noch, mich zu verblüffen. Eine betagte Besucherin hatte sich kürzlich empört, da habe sie doch tatsächlich erst jüngst hier im Hause eine Fahne des letzten verflossenen Regimes gesehen (Schwarz-Rot-Gelb mit dekorativem Innenleben also).
Man schloß sich allgemein der Empörung an, und ich wandte ein: Nun ja, in meinem „Flügel“ stünde auch allerlei Historisches herum; so etwa ein Wimpel in Blau-Gelb-Rot und einer in Schwarz-Weiß-Rot (ein authentisches Stück aus dem letzten Kaiserreich, das mir einmal ein Potsdamer Antiquitätenhändler als Zugabe freundlicherweise schenkte).
Das wäre ja wohl etwas völlig anderes, denn, so ihr schlagendes Gegenargument (und sie hat sich noch nie für "Politik" interessiert): Blau-Gelb-Rot – das seien die Mecklenburger Farben, und Schwarz-Weiß-Rot eine deutsche Fahne...
Mein Gott, was muß das Vergangene noch mächtig gewesen sein, damals, vermutlich um 1970, umschlossen von einem dazu ganz feindselig anderen Vergangenen, nunmehr, in den Zeichnungen eines vielleicht 8jährigen. Aber der Geist hat halt seine ganz eigenen Wege.
Da sitzen wir nun also am Sedan-Tag und gedenken der Trümmer unseres Vaterlandes. Was hätte es für ein großartiges Jahrhundert werden können. Wenn unsere Vorfahren nur den Krieg gewonnen hätten, oder ein Patt herausgeschlagen, oder besser noch, zuvor einfach nichts getan, einfach nichts, außer Abwarten. Ich meine den ersten verheerenden, im vergangenen Jahrhundert.
Das böswillige Märchen von der deutschen Alleinschuld hat Sir Christopher Munro Clark hinreichend eliminiert. Daß er aus den Fakten keine Wertungen ableiten mochte, mein Gott, er ist Australier und hat immerhin das getan, was einen Historiker, früher, auszeichnete (deshalb haben wir aus hygienischen Gründen auch nicht auf den deutschsprachigen Artikel in einem beliebten Medium dazu verwiesen). Unsere Vorfahren waren leider in gewisser Weise so naiv, Begriffe wie „Ritterlichkeit“ noch ernst zu nehmen, vielleicht waren sie einfach zu jung im Geschäft (die „verspätete Nation“ usw.).
Zudem konnte man sich nicht mehr vorstellen, daß es das wirklich Böse in diesem höchst-kultivierten Europa noch geben könne. Nun ging die Zeit über sie hinweg. Und anschließend mußte so eine noch größere Lüge über die vorige gestülpt werden, um die erste zu verbergen (Versailles).
Das wissen wir heute alles besser. Wie man zu allen Zeiten anschließend alles besser wußte (z.B. indem man einen „entlarvenden“ Text von Heidegger (den ich nicht mal mag, soviel Privatheit muß erlaubt sein) triumphierend hervorzieht). Aber das war sehr beiläufig.
In den Trümmern des Vaterlandes gedenken wir also heute eines Etwas, dem wir noch immer angehören. Wir waren aus der Zeit gefallen, wohl von Geburt an. Darum müssen wir auch nicht so sehr der Gegenwart anhängen. Aber trauern dürfen wir, das gestehen wir uns aus eigener Vollmacht zu, wie über das Vergangene so auch über das Zukünftige.
Frankfurt am Main, Goetheplatz mit dem Hotel zum Schwan,
die 25-jährige Jubiläumsfeier des Sedantags am 2. September 1895,
Deutschlands Riesen bei Sedan
Zu Sedan auf dem Turme beim welschen Kriegspanier
Steht mit verschränkten Armen ein junger Offizier.
Sein Blick schweift in die Runde, der Feind steht vor dem Tor,
Doch deckt ihn noch im Tale des Morgens Nebelflor.
Nur drüben auf der Höhe, südlich von Frenoir,
Hebt sich vom Morgenhimmel ein Umriß, deutlich klar.
Zwei Riesen, scheint es, halten für Deutschland hier die Wacht,
Reglos wie angewurzelt, still-düster wie die Nacht.
- Er hebt das Glas zum Auge und stellt es schärfer ein:
,Was Teufel, seh' ich richtig! Das muß Graf Moltke sein!
Mit eingekniffnen Lippen, das Fernrohr in der Hand,
Nimmt er wohl schon zum voraus Besitz von unserm Land!
Und neben ihm der Hüne, das muß Graf Bismarck sein!
Nur eine deutsche Eiche hat solchen Wuchs allein.
Vraiment! Ich kenn' ihn wieder. Das ernste Angesicht
Und diese hohe. Stirne, die zwei vergißt man nicht.`
Sedan, nun Gott befohlen! Der Tag wird schwer und heiß!
Nun, Frankreichs müder Kaiser, gib alle Hoffnung preis!
Dort stehen Deutschlands Riesen, zwei Säulen stark und schlicht.
Sie siegen oder fallen, ein Drittes gibt es nicht.
Da löst sich aus der Stille schon ein Kanonenschlag
Und grüßt mit Donnerstimme den angebrochnen Tag.
Nun singen tausend Vöglein, aus Stahl und Blei gedreht,
Nun summen tausend Bienen, wo nur ein Franzmann steht.
Ein Regen von Geschossen fällt nieder auf das Land,
So ging einst Sedan unter im heißen Schwefelbrand.
Und immer enger schloß sich der deutsche Eisenring,
Bis an des Turmes Zinne das weiße Banner hing.
Da reckte Bismarck höher den stolzen Gliederbau
Und ließ das Auge schweifen empor zum Himmelsblau.
Graf Moltke hielt den Degen und legte Hand in Hand
Und sprach den schlichten Segen: "Herr, Du hast es gewandt!"
Hermann Dressier, Illustrierte Westdeutsche Wochenschau, 1910
3 Kommentare:
It's amazing how little American schools teach of European history after 476, other than that of England from 1066 to about 1600. I had to look up Sedan.
That wouldn't be much different here for someone who has suffered the current German "education", there is almost nothing before 1933. So both ways may appear different, but both are wrong and inappropriate just in various ways.
"Gestern ein großer Sieg,
heute schon wieder einer."
Das kritzelt eine Sechs(!)jährige in jenen Tagen in ihr Tagebuch.
Aufgabe: Beschreiben Sie Ihre Empfindungen beim Lesen dieses Tagebucheintrages.
Ach so - diese noch sehr junge Frau war Ricarda Huch.
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