Freitag, 25. September 2015
Spieluhrenlyrik oder Über den Herbst
Friedrich Hölderlin
Der Herbst
Das Glänzen der Natur ist höheres Erscheinen,
Wo sich der Tag mit vielen Freuden endet,
Es ist das Jahr, das sich mit Pracht vollendet,
Wo Früchte sich mit frohem Glanz vereinen.
Das Erdenrund ist so geschmükt, und selten lärmet
Der Schall durchs offne Feld, die Sonne wärmet
Den Tag des Herbstes mild, die Felder stehen
Als eine Aussicht weit, die Lüffte wehen
Die Zweig' und Äste durch mit frohem Rauschen
Wenn schon mit Leere sich die Felder dann vertauschen,
Der ganze Sinn des hellen Bildes lebet
Als wie ein Bild, das goldne Pracht umschwebet.
Ich gestehe, als ich bei dem Blogger Jay gerade dieses Gedicht von Hölderlin wiederlas, war ich etwas mißgestimmt über den anschließenden Kommentar (es gehöre nicht zu den großen Gedichten des Autors), aber wozu sonst liest man schließlich anderer Leute Sachen. Denn das Verdict ist so wohlfeil wahr wie falsch zugleich. Seine Verweise, so dieser, haben mich eher versöhnt (außerdem, wer MRR für einen Scharlatan hält, kann grundsätzlich nicht nur falsch liegen). Das dazu.
Wenn man sich einer Sache nähern will, die einem anmaßend so vertraut erscheint, erlebt man Überraschungen (wie dergestalt, daß schon vor einem jemand diese späten Verse mit Spieluhren verglichen habe, was nicht gegen den Vergleich spricht). Das ist alles Geschwätz.
Die späten Verse Hölderlins haben mich immer wieder gebannt. Der Spieluhrenvergleich war ja auch nur ein Behelfsmittel. Denn sie wirken meist so einfach, auswechselbar, mechanisch; voller menschenfreundlicher Leere. Und dann fällt einem der Unterkiefer herunter, weil sie soeben an die Ewigkeit anstießen.
Die Linien des Lebens sind verschieden,
Wie Wege sind, und wie der Berge Grenzen.
Was hier wir sind, kann dort ein Gott ergänzen
mit Harmonien und ewigen Lohn und Frieden.
Ich muß dieses immer wieder nennen. Denn wie kann man das Leben als solches als „Umnachteter“ in vier Zeilen bannen. Daß das Leben wunderliche Wege kennt, geschenkt, daß sie aber so verschieden sind wie der Berge Grenzen, also unser Ausschnitt der Wirklichkeit, womöglich wie ein Fingerabdruck...
Daß unsere mißgetönte Existenz irgendwo zu einem recht klingenden Akkord vervollständigt werden könne (!), davon muß jemand etwas erkannt haben, und wirft uns so lange schon einmal Kunst-Stücke zu, als wolle er spielen.
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