Montag, 28. September 2015

Über einen Rheinländer, der hier verstarb - Engelbert Humperdinck

Grabstein von Engelbert Humperdinck

Ich habe über die letzten Stunden viel Engelbert Humperdinck gehört, denn ich hatte das früher versprochen. Er starb, man könnte sagen, mehr aus Versehen, ausgerechnet hier in Neustrelitz, am 27. September 1921, aber es hatte halt ein Theater. Sein Sohn Wolfram war zu der Zeit Opernspielleiter am Landestheater, und er wollte der Sache beiwohnen. Der „Freischütz“ brachte ihn dann zur Strecke, gewissermaßen.

Während ich zurückliegenden Sonntag mit dem Sonntagsessen und anderem kämpfte, fand nebenan eine Matinee zur Neuinszenierung von „Hänsel und Gretel“ statt, das einzige fast, warum man ihn noch kennt (mich augeschlossen), an seinem Todestag also, das hatte was, so daran zu erinnern. Die Premiere ist am 17. Oktober, um halb auf Acht (erneut wenige hundert Meter entfernt).

Ich kannte, soweit ich mich erinnern kann, das Werk bisher nur dem Namen nach (mit anderen Worten, sollte ich jemals etwas von ihm gehört haben, blieb keine Erinnerung), habe mich durch eine Aufzeichnung gearbeitet, und dachte danach, dieser Wanderer zwischen Wagner, Mahler, Strauss und einigen anderen Stationen hat also Deutschlands zweitpopulärste Oper hervorgebracht. Die Leute haben offenkundig mehr Geschmack, als man für gewöhnlich annimmt. (Im Nachfolgenden bringe ich die Videos dazu, solange sie noch da sind).


Engelbert Humperdinck - Hänsel und Gretel - 1/2


Engelbert Humperdinck - Hänsel und Gretel - 2/2

Vielleicht liebten unsere Menschen früher auch nur einfach diesen Schluß (die Regensburger Domspatzen brillieren dort anno 1970), den seine Schwester Adelheid Wette hervorgezaubert hat (und die Nachfahren erinnern sich einfach daran, vor allem in der Adventszeit):

Kinder, schaut das Wunder an,
wie die Hexe hexen kann.
Wie sie hart,
knusperhart,
selber nun zum Kuchen ward!
Merkt des Himmels Strafgericht:
böse Werke dauern nicht!
Wenn die Not aufs Höchste steigt,
Gott der Herr die Hand uns reicht!

Oder es war dies, was folgt ((mit Edita Gruberova als  Gretel, Brigitte Fassbaender als Hänsel), das für den, der die Knabenversion bevorzugt):



Abends, will ich schlafen gehn,
vierzehn Engel um mich stehn,
zwei zu meinen Häupten,
zwei zu meinen Füßen,
zwei zu meiner Rechten,
zwei zu meiner Linken,
zweie, die mich decken,
zweie, die mich wecken,
zweie, die mich weisen
zu Himmels Paradeisen!

Schön. Also die Musik ist schon nicht ganz anspruchslos (Ignoranten dürfen das sagen). Ich liebe ja diese programmatischen Ouvertüren. Und nach dieser, vorgetragen vom  London Philharmonic Orchestra, dachte ich - sehr schön und angenehm,



Und hiernach unter Herbert von Karajan frei nach Blücher nur noch -  „Mein Jott!“!



Mitunter ist man doch verblüfft, wie Unterschiedliches aus dem selben Notenmaterial hervorkommen kann, als ob es nicht zuletzt ein Spiegel wäre.

Zum Stoff. Die Brüder Grimm schreiben in ihrer Vorrede auf die Kinder- und Hausmärchen von 1812 so schön:

„Wir finden es wohl, wenn Sturm oder anderes Unglück, vom Himmel geschickt, eine ganze Saat zu Boden geschlagen, daß noch bei niedrigen Hecken oder Sträuchen, die am Wege stehen, ein kleiner Platz sich gesichert und einzelne Ähren aufrecht geblieben sind. Scheint dann die Sonne wieder günstig, so wachsen sie einsam und unbeachtet fort, keine frühe Sichel schneidet sie für die großen Vorrathskammern, aber im Spätsommer, wenn sie reif und voll geworden, kommen arme, fromme Hände, die sie suchen; und Ähre an Ähre gelegt, sorgfältig gebunden und höher geachtet, als ganze Garben, werden sie heimgetragen und Winterlang sind sie Nahrung, vielleicht auch der einzige Samen für die Zukunft. So ist es uns, wenn wir den Reichthum deutscher Dichtung in frühen Zeiten betrachten, und dann sehen, daß von so vielem nichts lebendig sich erhalten, selbst die Erinnerung daran verloren war, und nur Volkslieder, und diese unschuldigen Hausmärchen übrig geblieben sind. Die Plätze am Ofen, der Küchenherd, Bodentreppen, Feiertage noch gefeiert, Triften und Wälder in ihrer Stille, vor allem die ungetrübte Phantasie sind die Hecken gewesen, die sie gesichert und einer Zeit aus der andern überliefert haben.“

Diese Vorstellung ist rührend, aber wenn insonderheit eines etwas nicht ist, dann dieses Märchen unschuldig. Wenn man damit gefällig oder schlicht meint. Märchen verwandeln das Grauen in Poesie. Oft. Und erstaunlicherweise ist es die Poesie, die bleibt, und an die man sich wohlig anlehnt. Ob das andere dann denoch mitgewußt wirkt, wer weiß. Aber wir brechen hier ab (bevor ich noch anfange, Bruno Bettelheim zu zitieren, oder Schlimmeres).

Was nicht so konvenierte, das lassen wir einfach beiseite. Wie gesagt, ich habe mir einiges angehört. Seine Maurische Rhapsodie von 1898 hat ihre Momente (aber ich war auch froh, als ich durch war).



Daß er als überzeugter Rheinländer in Neustrelitz starb und bei Berlin begraben wurde, gehört zu den Merkwürdigkeiten, die Biographien gern bereithalten. Wer darüber nachlesen will, kann das hier eher kurz und an diesem Ort länger, wobei auch einem Unbedarften wie mir eine besondere Sorgfalt der Darstellung nicht verborgen blieb.

Einen Schlußsatz wird man jetzt vergeblich suchen. Nicht, daß sich bei mir nach soviel Humperdinck – Hören (und auch ein wenig Lesen) kein Gefühl eingestellt hätte, ein durchaus komplexes übrigens. Aber wer wollte sein Urteil schließlich ausschließlich auf Gefühlen gründen.

Aber die Aufnahme dieser Plastikengruppe - Engelbert Humperdinck mit Hänsel und Gretel von Jutta Reissin - in Boppard hat etwas, gerade auch vor der Tristesse des Hintergrundes. Und damit wollen wir wirklich enden.


beendet am 29. September

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