Freitag, 11. Mai 2012

Über die Schlichtheit des Denkens, gelegentlich

Vor einigen Monaten wurde uns nahe zu bringen versucht, inwiefern Konservative in Wahrheit geistige Neandertaler seien, ziemlich häßlich und zum Glück eigentlich auch schon ausgestorben. Mit der nächsten Umdrehung der Schraube der Vernunft dringen wir in tieferes Terrain: „Analytisches Denken weckt Zweifel an religiösen Überzeugungen“, lesen wir! Sogar der bloße Anblick der Skulptur des Denkers von Rodin habe die Stärke des Glaubens zu schwächen vermocht!! Na wenn da nicht magisches und aufgeklärtes Gestimmt-Sein gerade viel Spaß aneinander haben.

Jedenfalls berichten davon ein gewisser Will Gervais und Ara Norenzayan von der Universität von British Columbia, Vancouver. Es ist offensichtlich in „Science“ veröffentlicht worden (Bd. 336, S. 493, 2012). Immerhin.

Faktenorientiertes Denken verringere demnach den Glauben religiöser Menschen. Das zeigten umfangreiche psychologische Tests an insgesamt 650 Probanden: Wenn sie sich intensiv auf die Lösung eines Problems konzentriert hätten, wären sie anschließend skeptischer gegenüber religiösen Überzeugungen gewesen.

Nun gibt es bekanntlich neuerdings die These, man könne nunmehr das Hirnareal zuordnen, in dem religiöse Vorstellungen zu lokalisieren wären. Die simple Annahme eines Laien ist folglich, die haben da einen Meßfühler hinein gerammt und anschließend die Aktivität unter wechselnden Bedingungen gemessen. Und bei intensiver analytischer Beschäftigung habe sich das ganze Areal sozusagen schlafen gelegt.

Es lief wohl doch anders ab. Zuerst hätten die Psychologen die These überprüft, daß Analytiker im Durchschnitt weniger religiös seien als intuitiv denkende Menschen. Also sortierten sie die Probanden erst einmal nach faktenbezogen oder eher gefühlsorientiert (nun jedem, der an der Tiefenpsychologie auch nur einmal von weitem vorbeigelaufen ist, stehen bei der Gleichsetzung von Gefühl und Intuition sofort die Haare zu Berge, aber lassen wir das einmal beiseite).

Danach waren religiöse Fragen zu beantworten (welche auch immer). Wie nicht weiter überraschend, neigten demnach fromme Menschen eher zu intuitivem Denken, ein analytischer Verstand sei hingegen typisch für Atheisten oder Agnostiker gewesen.

Die Stärkung der analytische Denkweise habe zu folgendem famosen Ergebnis geführt: „Die Psychologen ließen ihre Probanden dazu verschiedene Aufgaben lösen, die Konzentration und Logik erfordern. Anschließend erfassten sie durch Befragungen den Grad des Glaubens oder Zweifels der Teilnehmer. Diese Ergebnisse verglichen sie nun mit Resultaten von Befragungen, nachdem Testpersonen Aufgaben gelöst hatten, die kein analytisches Denken erforderten. So zeigte sich, dass Menschen, deren Verstand sich im 'Analytik-Modus' befand, verstärkt zur Skepsis gegenüber religiösen Vorstellungen neigten.“ Das habe unabhängig davon gegolten, ob sich ein Proband grundsätzlich als religiös beschrieben hätte oder nicht.

Wir stellen uns das so vor: „Konnte Jesus über das Wasser wandeln?“ - „Natürlich“ - Analytische Aufgabe – und erneut: „Konnte Jesus über das Wasser wandeln?“ - „Ach, ich weiß nicht recht“. Wir haben da Zweifel. Und diese Zweifel werden durch das nachfolgende Zitat nicht geringer:

„Gervais und Norenzayan konnten sogar zeigen, dass offenbar der bloße Gedanke an Analytik zu den beobachteten Effekten führt: Allein der Anblick der Skulptur 'Der Denker' schwächte den Glauben der Testpersonen, eine griechische Statue eines Diskuswerfers hatte diesen Effekt dagegen nicht. Selbst Wortspiele können ungläubiger machen, zeigten Tests: Wenn die Probanden Sätze aus Wörtern wie 'denken“'oder 'wissen' bilden sollten, spiegelte die anschließende Befragung einen schwächeren Glauben wider als bei neutralen Wörtern wie 'springen'“...

Es gibt dann noch die zu erwartende selbst-exkulpierende Formel. „Unsere Studie trifft keinerlei Aussagen über den Wert und die Rationalität religiösen Glaubens.“ Vergiftet natürlich, denn fehlende Religiosität könne viele Gründe haben, es liege nicht am analytischen Denken allein. So sei erwiesen, dass die Intensität der Religiosität als Charaktermerkmal mit der Autoritätsgläubigkeit einhergehe, also dem Grad freiwilliger Unterwerfung, und als soziales Produkt umso ausgeprägter ist, desto mehr Armut, Ungerechtigkeit und Unfreiheit in einer Gesellschaft vorherrschten.

Wir ersparen uns angesichts solcher offenkundigen Geneigtheiten Fragen etwa nach der Methodik, mit der die abnehmende Religiosität gemessen wurde. Das „wissenschaftliche“ Gewand ist leider recht fadenscheinig und der Anblick darunter, nun es gibt verschiedene Gründe, warum die Kleidung erfunden wurde, unter anderem einen barmherzig-ästhetischen. Aber wir wollen es bei diesen Armseligkeiten nicht belassen, das wäre dann doch zu wenig.

Was tritt uns hier tatsächlich entgegen? Nun abgesehen vom Ressentiment die Fußspur des gegenwärtig zumindest in Europa vorherrschenden Positivismus, der sich bis zur Alltagsmentalität durchgefressen und ein amputiertes Dasein zurückgelassen hat, denn wenn man den Durchschnittsvertreter dazu sieht, wo alle Weltsicht eingeschrumpft ist auf..., aber lassen wir lieber den vormaligen Papst zu Wort kommen, der hat das selbstredend entschieden schöner gesagt:

„Der Positivismus (den er auf dem Rückzug sah MiB) war weder bloße Philosophie noch reine Methodologie; er war eine jener Schulen des Argwohns, die in der 'modernen' Zeit ihre Blüten getrieben haben. Ist der Mensch denn tatsächlich in der Lage, mehr zu kennen als das, was seine Augen sehen oder seine Ohren hören können? Existiert eine andere Wissenschaft als die rein empirischen Wissens? Sind die Fähigkeiten der menschlichen Vernunft ausschließlich den Sinnen unterworfen, und werden sie innerlich von den mathematischen Gesetzen bestimmt, die sich als besonders nützlich erwiesen haben, wenn es darum geht, die Phänomene auf rationale Weise zu ordnen oder aber die Prozesse des technischen Fortschritts zu lenken?Aus positivistischem Blickwinkel machen Begriffe wie zum Beispiel Gott oder Seele selbstverständlich keinerlei Sinn. Im Bereich der sinnlichen Erfahrung haben sie eben keine Entsprechung.“ (Johannes Paul II. „Die Schwelle der Hoffnung überschreiten“, Hamburg 1994, S.60 f.)

Was uns aus der Studie entgegentritt, ist dieser geschrumpfte Mensch der Neuzeit, für den wir vielleicht Mitgefühl zu empfinden vermögen, der uns aber nichts mehr zu sagen hat. Und da der beschriebene Positivismus derart vorherrschend ist, mag es durchaus sein, daß das religiöse „Empfinden“ stark ins Intuitive abgewandert ist, aber das ist nicht der vollständige natürliche Zustand.

Der jetzige Papst hat in Regensburg in Erinnerung zu rufen versucht, warum Glaube und Vernunft aufeinander verwiesen seien. „Überraschenderweise“ wurde diese Rede umgehend skandalisiert – des Islams wegen - nota bene! Benedikt XVI. hatte in besagter Rede zu einer Weite des Denkens eingeladen - „in diesen großen Logos, in diese Weite der Vernunft'“, denn „nicht vernunftgemäß, nicht mit dem Logos handeln ist dem Wesen Gottes zuwider“ (Kaiser Manuel II. zitierend).

Die moderne naturwissenschaftliche Vernunft trage mit „dem ihr innewohnenden platonischen Element eine Frage in sich, die über sie und ihre methodischen Möglichkeiten hinausweist“. „Sie selber muß die rationale Struktur der Materie wie die Korrespondenz zwischen unserem Geist und den in der Natur waltenden rationalen Strukturen ganz einfach als Gegebenheit annehmen, auf der ihr methodischer Weg beruht.“ Aber die Frage, warum dies so sei, die bestehe und müsse von der Naturwissenschaft weitergegeben werden an andere Ebenen und Weisen des Denkens – an Philosophie und Theologie.

Das verkümmerte Denken des Positivismus stützt sich auf eine Voraussetzungslosigkeit, die eine geglaubte ist. Die kategoriale Welt ist gewissermaßen nur eine Lichtschneise, die verzerrt und überbelichtet einen Ausschnitt erhellt, aber über die dunkle Landschaft, die sich neben ihr unbekannt weit erstreckt, über das außer ihr nichts aussagen kann.

Aber es gibt eben unterschiedliche Weisen der Vernunft, und wer meint, diese ungestraft beschneiden zu können und sich vielleicht klammheimlich über einen weitreichenden religiösen Analphabetismus (in Gegenden etwa wie Ostdeutschland oder Tschechien) freut, dürfte auch gleichgültig gegenüber dem Umstand sein, daß sich dies gar nicht selten mit einer ebensolchen kulturellen Gleichgültigkeit verbindet.

Die Kirche ist entgegen einem beliebten Vorurteil ihrem innersten Wesen nach nicht allein Hüterin der Vernunft, sondern sie bewahrt auch die Erinnerung an deren unterschiedliche Wege und Existenzweisen, das paradoxale Denken etwa -  die Möglichkeit, etwas durch Einkreisen zu beschreiben, das sich einfach kategorial nicht fassen läßt, bspw. durch eine Kette von Antinomien, an deren Ende nicht Nonsens, sondern paradoxale Klarheit steht, nur neben im Denken, im Geist, erkämpft als Begriff. Und daß die Wirklichkeit nicht einem Strandspaziergang über toten Sand an einem gewalttätig fremd tosenden Meer entlang gleicht, sondern die Hoffnung auf ein Gegenüber in die Ordnung der Dinge bereits eingeschrieben ist.
nachgetragen am 17. Mai

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