Sonntag, 17. November 2013

"Wo ist jemand, so er fällt, der nicht gerne wieder aufstünde?" - Volkstrauertag


Es ist sehr wahrscheinlich, daß es diesmal keinen Essensbericht geben wird, geplant ist nämlich ein kleiner Nostalgie -Trip an den Ort meiner Kindheit (die Idee stammt nicht von mir, ich habe nur irgendwann kapituliert, um im Vokabular eines „Heldengedenktages“ zu bleiben), wir werden also sehen (falls es weniger neblig und diesig werden sollte als am verflossenen Sonnabend, da war nämlich fast nichts zu sehen). Man vergebe mir diese beiläufigen Worte, aber ernste Dinge sind mir mitunter einfach zu, hm, erdrückend?

Und um ernsthaft zu werden, Herr Roloff will heute an seinem Heimatort die nachfolgende Predigt halten, die ich aufrichtig empfehle; die beiden Bilder stammen aus dem hiesigen Schloßpark (das Ehrenmal war mir zuvor nie aufgefallen). Es folgt Herr Roloff:


Predigt zum Volkstrauertag 2013 in Schönhausen
Jer 8, 4-7

Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und von unserem Herrn Jesus Christus. Amen

Liebe Gemeinde,

2014 jährt sich der Ausbruch des Weltkrieges zum 100. Male. Bereits heute wird unser Blick auf diese Zusammenhänge gelenkt, weil wir unseren Friedensaltar einweihen, der künftig am Ehrenmal für die Gefallenen stehen wird und in dem die Namen der Gefallenen aller Kriege seit 1866 verwahrt werden.

Ein Altar ist dazu ein rechter Ort, denn er ist die Stätte der Aufbahrung unseres Gottes. Vom Altar aus verschenkt er sich im Sakrament der Welt. Wer an ihm im Leben Anteil genommen hat, der bleibt auch im Tod in ihm bewahrt. Sein Name ist uns gegeben, damit unsere Namen in ihm bleiben. Das ist es im Kern, was wir am christlichen Altar feiern.

Die ersten Worte nun, über die an diesem Altar gepredigt wird, stammen aus dem 8. Kapitel des Jeremiabuches:

Gegen das verblendete Volk und seine Verführer

4 Darum sprich zu ihnen: So spricht der HERR: Wo ist jemand, so er fällt, der nicht gerne wieder aufstünde? Wo ist jemand, so er irregeht, der nicht gerne wieder zurechtkäme? 5 Dennoch will dies Volk zu Jerusalem irregehen für und für. Sie halten so hart an dem falschen Gottesdienst, daß sie sich nicht wollen abwenden lassen. 6 Ich sehe und höre, daß sie nichts Rechtes reden. Keiner ist, dem seine Bosheit Leid wäre und der spräche: Was mache ich doch! Sie laufen alle ihren Lauf wie ein grimmiger Hengst im Streit. 7 Ein Storch unter dem Himmel weiß seine Zeit, eine Turteltaube, Kranich und Schwalbe merken ihre Zeit, wann sie wiederkommen sollen, aber mein Volk will das Recht des HERRN nicht wissen.


Liebe Gemeinde,

mit wenigen Worten umreißt hier der Prophet Jeremia die geistige Situation seiner Zeit, sechs Jahrhunderte vor Christus, und ich behaupte, auch unsere Zeit wird prägnant charakterisiert.

Es liegt so offen auf der Hand, dass jemand der gestürzt ist, danach trachtet, wieder aufzustehen, und jemand der in die Irre gegangen ist, der sucht den rechten Weg. Die Zeitgenossen Jeremias und auch viele unserer Zeitgenossen wollen aber in ihrem Fall und in ihrem Irrtum verharren. Noch richtiger muss man sagen, dass sie wie entfesselt in die verkehrte Richtung fortstürmen und niemand sie aufhalten kann. Niemandem ist seine Bosheit leid, und niemand spricht erschrocken: „Was tue ich doch!“. Das heißt nichts anderes, als dass es eben keinen Moment des Innehaltens, der Besinnung und des Nachdenkens gibt. „Sie laufen alle ihren Lauf wie ein grimmiger Hengst im Streit.“

Wir aber wissen, wie bedeutsam Tage sind, an denen wir still werden und innehalten. Wir wissen, dass wir nur in dieser Stille ausmachen können, wo wir sind und auf welchem Wege wir uns befinden.

Der Volkstrauertag ist ein solcher Tag der Stille, und auch wir werden still.

Wir sind in unserem Innern still und hören auf die schlichten Worte: Wo ist jemand, so er fällt, der nicht gerne wieder aufstünde? Wo ist jemand, so er irregeht, der nicht gerne wieder zurechtkäme?

Das Gute und Wahre an diesen Fragen ist es, dass sie nicht eine Welt unterstellen, in der niemand fiele und in der niemand in die Irre ginge. Bereits darin unterscheiden sie sich von den Vorstellungen der Weltverbesserer, die in dem Wahn leben, die Welt und die menschliche Gesellschaft wären erst dann gut, wenn alle unterschiedslos gleich sind, niemand fällt und auch keiner in die Irre geht. Es sind diese Weltverbesserer, die das Leben erstarren lassen wollen und nicht von ungefähr dafür so oft Gewalt bis zum Töten angewandt haben.

Menschen machen aber Fehler, manchmal auch sehr schwere Fehler, sie verfallen dem Irrtum und manchmal auch dem Bösen. Die gute Ordnung, die uns hier vor Augen gestellt wird besteht aber gerade darin, dennoch in allem immer wieder das Gute zu suchen und immer zu hoffen, dass alles wieder gut wird.

Dort, wo wir Menschen Kriege erleiden, hoffen wir dennoch auf Frieden.

Dort, wo wir Menschen der Zerstörung begegnen, erhoffen wir Wiederherstellung.

Dort, wo wir von Trennung heimgesucht werden, hoffen wir auf die Eintracht.

Dort, wo wir von Krankheit gequält werden, hoffen wir auf Heilung.

Dort, wo wir dem Irrtum ausgeliefert sind, hoffen wir dennoch auf die Wahrheit und

dort, wo der Tod seine Macht entfaltet, da hoffen wir auf ewiges Leben.

So fragen auch wir: Wo ist jemand, so er fällt, der nicht gerne wieder aufstünde?

Diese Frage markiert weniger eine äußere Ordnung der Wirklichkeit als vielmehr eine innere Ordnung des Willens, der dann die Wirklichkeit formt. Nach meiner Überzeugung ist auch unser Glaube in wichtigen Teilen ein Willensakt. Im Glauben wenden wir uns von allem Bösen und von jedem Irrtum ab und wenden uns wieder und wieder Gott zu.

Für diese Ordnung des Willens ist unser neuer Altar ein eindrucksvolles Zeichen. Er wurde aus Eichenholz gefertigt, weil er mit der eichenen Christusfigur im nördlichen Seitenschiff eine Einheit bilden soll. Das lateinische Wort robur, dass auch im Wappenspruch der Bismarcks eine Rolle spielt, bedeutet nun beides Eiche und Kraft. Die Eiche ist von je her Sinnbild auch der Willensstärke und der Kraft zum Beharren.

Er wurde durch einen Handwerker geschaffen, der bereits an anderen Stellen in unserer Kirche gezeigt hat, dass er sich dem Verfall nicht beugt, dass er mit Meisterschaft erhält, was uns anvertraut ist und nun auch Neues schafft. Wie lange ist es her, dass ein ähnlich großes Ausstattungsstück in unserer Kirche neu in Dienst genommen wurde?

Der Altar trägt die Umschrift „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ an seinem Sockel als Hinweis darauf, dass die Bereitschaft zur Vergebung und die Bitte um Vergebung eine wichtige Grundlage unseres Glaubens und unserer Sittlichkeit ist. Die Bitte zur Vergebung ist unser Schlüssel zur Mitmenschlichkeit und für unser Verhältnis zu Gott.

Der Altar bewahrt die Namen der Gefallenen aus Schönhausen seit dem Einigungskrieg von 1866. Eine Frau hat diese mit großem Fleiß zusammengetragen, damit die Erinnerung an diese vielen Menschen nicht untergeht, und sie war zweifellos in dem festen Glauben, dass allein schon diese Erinnerung Gutes wirken wird.

Warum gedenken wir der Gefallenen? Früher sprach man schnell und leicht vom “Heldengedenken”. Das können wir nicht mehr. Aber wir dürfen ihren Glauben würdigen, für ihr Land, ihre Heimat, ihre Familie, die Ihrigen ihr Leben dem Schicksal entgegengeworfen zu haben und auch ihre Tapferkeit, dafür soviel Hoffnung und Leben hinter sich zu lassen. Ihr Land ist unser Land, ihre Heimat die unsrige, die Gefallenen sind ein Teil von uns.

Der Altar wurde aber nur möglich, weil Hans Paulßen, der gestern 90 Jahre alt geworden wäre, sich dafür eingesetzt hat. Gemeinsam mit Freunden hat er uns diesen Ort gestiftet ohne ein Aufhebens davon zu machen. Wir sind zu großer Dankbarkeit verpflichtet, und ich bin sehr froh, liebe Frau Paulssen, dass wir diese Einweihung in Ihrem Beisein begehen dürfen, denn die Erinnerung an Ihren Mann soll sich auch mit diesem Altar verbinden.

Er soll ein Sinnbild unseres Willens zum Guten sein. Er soll eine Stätte des Gefallenengedenkens, der steten Bitte um Frieden und des Gebets werden. Er soll Ausgangsort für unseren traditionellen Gang an die Ehrenmäler in unserem Dorf am Volkstrauertag sein. Hier gibt es für Besucher künftig die Möglichkeit, in Stille eine Kerze zu entzünden und in die Gefallenenbücher einzusehen.

Liebe Gemeinde,

an diesem Tag erinnere ich Sie alle daran, dass die Bitte um Frieden zu den wichtigsten Aufgaben einer christlichen Gemeinde gehört. Ich bin froh und sehr dankbar, dass wir dafür nun einen ausdrucksstarken eigenen Ort geschaffen haben.

Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unserem Herrn.

Amen.
Thomas Roloff

Nachtrag

Herr Roloff hat mir noch Bilder vom Gottesdienst zugesandt, in dem der Friedensaltar eingeweiht wurde. Ich habe 3 davon ausgewählt, bei einem mußte ich noch ein wenig Überzeugungsarbeit leisten, er selbst fand sich darin nämlich, sagen wir, etwas überzogen zu dominant erscheinend. Aber man kann auch schlecht überzeugen, wenn man dreinschaut als wollte man mit einem Gummi-Degen fechten.





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