Sonntag, 9. Juli 2023

Zum 5. Sonntag nach Trinitatis

Nicolaikirche_Westseite, hier gefunden

Herr Roloff hat heute diese Predigt in Magdeburg gehalten. Zu meiner Überraschung gibt es davon sogar eine Tonaufnahme, der man hier folgen kann. Die Predigt beginnt bei 22.56.

Predigt in St. Nicolai Magdeburg

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen

Die ersten Jünger

35Des andern Tages stand abermals Johannes und zwei seiner Jünger. 36Und als er Jesum sah wandeln, sprach er: Siehe, das ist Gottes Lamm! 37Und die zwei Jünger hörten ihn reden und folgten Jesu nach. 38Jesus aber wandte sich um und sah sie nachfolgen und sprach zu ihnen: Was suchet ihr? Sie aber sprachen zu ihm: Meister, wo bist du zur Herberge? 39Er sprach zu ihnen: Kommt und sehet's! Sie kamen und sahen's und blieben den Tag bei ihm. Es war aber um die zehnte Stunde. 40Einer aus den zweien, die von Johannes hörten und Jesus nachfolgten, war Andreas, der Bruder des Simon Petrus. 41Der findet am ersten seinen Bruder Simon und spricht zu ihm: Wir haben den Messias gefunden (welches ist verdolmetscht: der Gesalbte), 42und führte ihn zu Jesu. Da ihn Jesus sah, sprach er: Du bist Simon, Jona's Sohn; du sollst Kephas (Fels) heißen. 43Des andern Tages wollte Jesus wieder nach Galiläa ziehen und findet Philippus und spricht zu ihm: Folge mir nach! 44Philippus aber war von Bethsaida, aus der Stadt des Andreas und Petrus.45Philippus findet Nathanael und spricht zu ihm: Wir haben den gefunden, von welchem Moses im Gesetz und die Propheten geschrieben haben, Jesum, Joseph's Sohn von Nazareth. 

46Und Nathanael sprach zu ihm: Was kann von Nazareth Gutes kommen? Philippus spricht zu ihm: Komm und sieh es! 47Jesus sah Nathanael zu sich kommen und spricht von ihm: Siehe, ein rechter Israeliter, in welchem kein Falsch ist. 48Nathanael spricht zu ihm: Woher kennst du mich? Jesus antwortete und sprach zu ihm: Ehe denn dich Philippus rief, da du unter dem Feigenbaum warst, sah ich dich.49Nathanael antwortete und spricht zu ihm: Rabbi, du bist Gottes Sohn, du bist der König von Israel! 50Jesus antwortete und sprach zu ihm: Du glaubst, weil ich dir gesagt habe, daß ich dich gesehen habe unter dem Feigenbaum; du wirst noch Größeres denn das sehen. 51Und spricht zu ihm: Wahrlich, wahrlich ich sage euch: Von nun an werdet ihr den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf und herab fahren auf des Menschen Sohn.

Joh 1,35-51

Gott segne an uns sein Wort! Amen.

Liebe Gemeinde,

mit dem Predigttext haben wir nun vier sehr verschiedene Lesungen gehört, die aber eines gemeinsam haben. In ihnen wird die Frage beantwortet: Wer kann dir ein Kompass sein? Wie kann man in dieser Welt und in unserem Leben Orientierung gewinnen? Zusätzlich stellt die Epistel die Frage danach, welchen Stellenwert unsere Klugheit in diesem Zusammenhang hat.

Die verlässlichste Wegweisung im Leben erfahren wir Menschen stets dann, wenn wir denjenigen finden, dem wir uns anschließen können. Dazu müssen wir Zutrauen fassen und uns einlassen. Dazu müssen wir manchmal aber auch loslassen und losgelassen werden.

So nämlich beginnt unser Predigttext. Johannes der Täufer steht vor uns mit zweien seiner Jünger, die er um sich gescharrt hatte und mit denen gemeinsam er die Botschaft von Buße und Taufe verbreitete. Solche Jüngergemeinschaften waren eine eigene Mischung aus Lehrer-Schüler-Verhältnis, Familienverband und Pilgergruppe. Und nun gibt Johannes seinen Jüngern den Hinweis: Siehe, das ist Gottes Lamm!

Es ist ganz unerheblich, was stärker wog, der Hinweis des Täufers und das Vertrauen, das seine Jünger zu ihm hatten oder die gewaltige Anziehungskraft, die der Herr ausgeübt hat. Die Jünger folgen ihm.

Die Jünger verlassen Johannes und schließen sich Jesu an. Es war eine Torheit, das gewohnte zu verlassen und die Gemeinschaft mit Johannes, dem charismatischen Boten, aufzugeben. Es war ein Aufbruch wider alle Vernunft, der aber zum Segen werden sollte.

Er sollte zum Segen werden, so wie Abrahams Aufbruch zum Segen geworden ist und ihn zum Vater großer Völker gemacht hat. Mit Abraham begann nämlich der Weg des Gottesvolkes und in der Gemeinschaft mit Jesus, mit dem Lamm Gottes, endet er am Kreuz. Er führt an das Kreuz, das eine Torheit ist und in dem die Klugheit des Menschen kein Heil finden kann, wenn nicht der Glaube ihr zur Seite tritt.

Als Christen sind wir Menschen, die auch ihren Verstand durch den Glauben leiten lassen. Als Christen sind wir Menschen, die darauf achten, dass ihr Verstand nicht zu einem Instrumentarium wird, das sich anmaßt und dazu missbraucht wird, den Glauben zerstören zu wollen.

Achten wir damit den Verstand gering? Nein! Aber, wir haben den Messias gefunden. Wir sind demjenigen begegnet, der nicht, wie Johannes, von Buße und vom Heil redet. Im Herrn sind wir dem begegnet, der das Heil ist. Dazu hat die Vernunft nur Zugang, wenn er ihr vom Glauben her aufgeschlossen wird.

Die Vernunft hätte die Johannesjünger von damals und auch Dich und mich nur anstiften können, abzuwarten und die Frage zu stellen, wie viele Propheten denn noch kommen werden und was überhaupt aus Nazareth Gutes kommen kann. Johannes aber wusste: Hier ist das Ende der Prophetie, weil die Erfüllung offenbar ist.

An der Hinwendung zum Herrn, zum Lamm Gottes, hängt auch die Erfüllung unseres Lebens. Andreas, Simon, Philippus, Nathanael und der Evangelist selbst, machen genau diese Glaubenserfahrung. Sie schließen sich dem Herrn an und folgen ihm ans Kreuz. Etwas Unvernünftigeres kann es nicht geben, als jemandem ans Kreuz zu folgen.

Der Evangelist selbst ist nämlich dieser zweite Jünger, der da am Anfang unserer Geschichte steht und der uns diesen Bericht gibt. Wir erfahren hier also nichts aus dem Hörensagen, sondern vernehmen den, der selbst dieses erste Wort, das an ihn durch den Herrn gerichtet wurde, vernommen hat: Was sucht ihr?

Darüber muss zunächst einmal Klarheit hergestellt werden. Was suchen wir in diesem Leben und in dieser Welt? Die fragende Antwort der beiden lautet: Meister, wo bist du zur Herberge? Das meint, wo können wir dich finden und mit dir Gemeinschaft haben? Das ist es, was wir Menschen suchen, die Gemeinschaft mit dem, der uns erschaffen hat und der uns kennt und der uns erlöst.

Kommt und seht es! Der Evangelist weiß auch viele Jahre später noch, als er sein Buch verfasste, ganz genau, zu welcher Stunde ihm diese Offenbarung zuteil geworden ist. Es war um die zehnte Stunde, also kurz vor Tagesende. 

Aber diese Zeit reichte aus, um eine Verbindung zu stiften, die nie wieder gelöst werden sollte und die sich bis in unsere Tage fortsetzt.

Denn der Frage Jesu „Was sucht ihr?“ schließt sich nun eine Kaskade des Findens an. Andreas findet seinen Bruder Simon, dem der Herr dann den Namen Petrus gibt. Jesus selbst findet dann am folgenden Tag Philippus und spricht zu ihm: Folge mir nach! Philippus findet dann Nathanael und spricht zu ihm: Wir haben den gefunden, von welchem Moses im Gesetz und die Propheten geschrieben haben.

Viermal antwortet das Wort „finden“ auf Jesu Frage „Was sucht ihr!“ Ein Bruder findet den anderen und bringt ihn zu Jesus. Das hat Fortsetzung gefunden seit der Zeit Jesu bis in unsere Tage. Ein Bruder findet den anderen, Menschen erzählen vom Glauben und helfen anderen Menschen, den Herrn zu finden.

Das ist das Amt der Kirche, das ist das Wesen der Gemeinde, dass wir Begegnung mit Christus ermöglichen, mit dem Herrn der Welt, der uns schon kannte, ehe wir denn in unserer Mutter Leib bereitet waren und der uns gesehen hat, als wir unter dem Baum saßen und unseren Gedanken nachhingen. 

Das ist übrigens das genaue Gegenteil von dem, was wir gegenwärtig, jedenfalls nach meinem Eindruck, oft erleben, dass man sich auch in unserer Kirche für Meinungen, Ideen und Lehren begeistert, die ohnehin von allen uniform propagiert werden und durch die der Eindruck erweckt wird, der Allmächtige würde unserer Hilfe bedürfen. Wir sollen aber nicht Meinungen, Lehren und Ideen zu den Menschen tragen, die durch Selbstermächtigung und Anmaßung geprägt sind, sondern wir sollen die Begegnung mit Jesus suchen und ihm nachfolgen, denn er rettet die Welt, erlöst die Schöpfung und heiligt alles, was ist.

Wer sich ihm anschließt, der erlebt, wie der Verstand das armselige Kind in der Krippe sieht, der Glaube aber erkennt den von der Jungfrau Geborenen. Der Verstand sieht den armen Wanderprediger aus Nazareth, der Glaube aber erkennt den Messias seines Volkes. Der Verstand sieht den am Kreuz Gescheiterten und den Ermordeten, der Glaube aber erkennt das Zeichen des Heils, die Gotteskraft, in der sich der Allmächtige offenbart.

Wahrlich, wahrlich ich sage euch: Von nun an werdet ihr den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf und herab fahren auf des Menschen Sohn.

Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unseren Herrn. Amen

Thomas Roloff

"Näher, mein Gott, zu dir" / "Nearer, my God, to Thee", hier gefunden


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