Donnerstag, 10. Oktober 2013

Herzog Carl Borwin - ama, porta, supera


Carl Borwin, Herzog zu Mecklenburg

Vor 125 Jahren wurde ein Prinz eines nicht so ganz hervorstehenden Fürstenhauses geboren, dessen Charakter resp. Ehrgefühl ihm früh den Tod schickte. Carl Borwin, jüngerer Bruder des letzten mecklenburg-strelitzschen Großherzogs Adolf Friedrich VI., starb 1908 mit 20 Jahren. Seine Mutter Großherzogin Elisabeth gründete darauf 1910 die „Herzog-Carl-Borwin-Gedächtnis-Stiftung“ für den "Dienst der christlichen Liebestätigkeit im Lande Mecklenburg-Strelitz". Das "Borwinheim" dient bis heute verschiedenen caritativen Zwecken (wie man hier näher erläutert bekommt) und ist nach wie vor eine feste Größe in dieser Stadt.

Herzog Carl Borwin mit Schwester Herzogin Marie, Gräfin Jametel

In eben diesem Borwinheim hielt man nun eine Festveranstaltung anläßlich des 125. Geburtstages des Namensgebers; wie anzumerken ist, ein nicht ganz gewöhnlicher Vorgang dieser Tage, aber eine sehr angenehme Veranstaltung, u.a. mit einem aufschlußreichen Film über die Hintergründe des Tods des letzten mecklenburg-strelitzschen Großherzogs (über den noch immer viel gemutmaßt wird) und einem Vortrag von Dr. Rajko Lippert „Das Großherzogliche Haus Mecklenburg-Strelitz und seine karitativen Stiftungen“.

Und es gab u.a. ein Grußwort des Bürgermeisters dieser Stadt, Herrn Andreas Grund, der darin den Hofprediger und Landessuperintendenten Horn zitierte, aus dessen „Rede im Trauergottesdienst am Sarge Sr. Hoheit des Herzogs Karl Borwin zu Mecklenburg in der Kirche zu Mirow gehalten am 31.August 1908“, wie er mir freundlicherweise mitteilte. Mich hatten Grußwort wie Zitat nicht unbeeindruckt gelassen, und so wollte ich den Text des Herrn Hofpredigers hier gern anbringen. Ich habe jetzt beschlossen, es in Gänze zu tun, es ist eine bewegende Rede, und ich gestehe, sie schwingt bis heute nach irgendwie.

Beeindruckend ist vor allem der Part, in dem der Charakter des Herzogs beschrieben wird. Die Sprache erscheint mitunter etwas gewöhnungsbedürftig (aber wie schnell wird das für diejenige dieser Tage ebenso gelten). Es ist schon seltsam, wie rasch sich die Maßstäbe für das Angemessene, „Normale“ ständig immer wieder verschieben.

Herzog Carl Borwin starb übrigens an den Folgen eines Duells. Seine Schwester, Herzogin Marie hatte nach einem unstandesgemäßen Verhältnis (sie wurde offenkundig von einem Kammerdiener namens Hecht schwanger) nur einen französischen Grafen Jametel heiraten können, dessen päpstlicher Adel, zurückhaltend formuliert, leicht zweifelhaft war. Die Ehe war schwierig und wurde auch noch in demselben Jahr 1908 geschieden. Zuvor allerdings hatte besagter Graf seine Noch-Ehefrau in der Gegenwart ihres Bruders wohl offenkundig so schwer beleidig, daß dieser sich gezwungen sah, ihre Ehre im Duell zu verteidigen, mit bekanntem Ausgang.

Offen gestanden macht dies den Text der Predigt etwas weniger glänzend als man ihn gern hätte. Es war wohl unmöglich, die wahre Todesursache zu benennen, aber vielleicht hätte man auch ohne diese Hilfslüge von der Krankheit die Todesursache mehr allgemeiner (sprich vager) benennen können. Lügen in Predigten sind immer noch ärger als anderswo, selbst wenn ansonsten viel Gutes und Wahres ausgesprochen wird. Andererseits schaue ein jeder auf sich selbst.Wobei, ich fürchte, wenn unser Herr und Gott heute fragen würde: „Wer unter euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein“, die Frau wäre augenblicklich tot. Es folgt der Text.
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Es ist schwer, an diesem Sarge zu sprechen. Aber es wäre noch viel schwerer, hier zu schweigen. Seit acht Tagen geht Herzeleid  und Totenklage durch unser Land, heiß und tief und treu. Seit acht Tagen – ich sage wohl nicht zuviel – trauert und weint ein ganzes Volk mit seinem Fürstenhause, in Lieb und Leid eine einzige Familie. Seit acht Tagen bewegen sich die Gespräche der Häuser, der Straße, die heimlichen Gedanken mancher schlaflosen Nacht um den fürstlichen Jüngling, den wir Alle so lieb gehabt und der nun so einsam in der Ferne starb.  Heute wollen wir's einander noch einmal sagen, was uns so traurig macht. Ausschütten wollen wir an heiliger Stätte unsern Schmerz. Denn heilig ist der Schmerz, und der Schmerz an dieser Bahre ungewöhnlich groß. Dieser ehrwürdige Altar hat manche fürstliche Trauerfeier gesehen; und viel dankbare Liebe, viel echte Trauer ist den erlauchten Schläfern dort in ihre Gruft gefolgt. Ja, es ließ sich von dem Leben, von den Werken, von den Segensspuren der edlen Toten, die die letzten Jahrzehnte hierhergeführt – Großherzog Friedrich Wilhelm, Großherzogin Marie, Herzog Georg, Herzogin Caroline, Großherzog Georg, es ließ sich von ihnen viel mehr sagen, als ich zu sagen vermag an diesem Sarge. Und doch brennt unsere Wunde heut anders als damals. Sie alle haben die Mittagshöhe, ja zum teil den goldnen Abend eines arbeits- und früchtereichen Lebens geschaut. Hier aber löschte der Tod eine junge Lebenssonne aus, die eben erst auf die Höhe zu steigen begann. Dort trauerte die Dankbarkeit und die Erinnerung; hier trauert die Hoffnung, die Hoffnung, die sich um alle ihre strahlenden Bilder betrogen sieht. Ach nicht wahr, als wir ihn vor 3 Jahren konfirmierten, wieviel haben wir da für ihn und mit ihm und von ihm gehofft; und wir hatten ein Recht dazu. Nun ist er tot, und alles ist vorbei. Nicht auf dem Felde der Ehre den süßen Tod fürs Vaterland gestorben; nicht wie sein edler jugendlicher Vetter aus dem Nachbarlande auf tosender See im Dienste der Pflicht ein Heldengrab gefunden; nicht wie manche unserer großen Dichter und Musiker mit der Glut unsterblicher Geisteswerke das junge Leben verzehrt: von unheimlicher Krankheit unheimlich schnell überfallen und überwältigt, trat er den mitternächtlichen Todesweg an, als seine Kameraden mit blitzenden Waffen und klingendem Spiel sich schon rüsteten für die Kaisertage in Metz. Was mag dem schwergeprüften hohen Vater alles durch Kopf und Herz gegangen sein auf der trüben Fahrt zur Leiche seines Sohnes, den er acht Tage zuvor noch besucht und den er einigermaßen beruhigt vorläufig glaubte wieder verlassen zu dürfen. Die schmerzgebeugte Mutter, unsere geliebte Großherzogin, nach der sich der Prinz so oft gesehnt, die teure, greise Großherzoginwitwe, deren zärtlich liebendes Herz in ihrem hohen Alter auch diesen Schlag noch erleben sollte, die fürstlichen Schwestern, die herzogliche Großmutter, die alle den Entschlafenen besonders innig geliebt, was mag ihnen die Seele bewegen in dieser Stunde, da sie unserer Feier fernbleiben mußten? Und wir alle, die wir von Herzensgrund mit ihnen empfinden, was erwarten und was wollen wir hier?

Adolf Friedrich V., Großherzog von Mecklenburg (-Strelitz) 
Vater des Herzogs Carl Borwin, hier gefunden

Nur diesen lieben Toten zur Ruhe geleiten? O nein, wir wollen mehr. Mehr als sein entseelter Leib verlangt unserer eigens Herz nach Ruhe und Frieden. Wir feiern an unseren Särgen nicht unsern Schmerz, sondern Gottes Kraft. Wenn je, so soll in Prüfungsstunden von so erschütternder Wucht wie diese sich zeigen, ob unser Christenglaube die Probe des Lebens oder vielmehr des Todes besteht; ob wir einen Lebensfürsten haben, der da Sieger und Herr ist und auch uns schließlich siegen läßt über Grauen und Grab. Und darum hat nicht unsere Klage hier das Wort, sondern der lebendige Gott.
Bei seiner Konfirmation habe ich unserm Prinzen ein Wort zugerufen, das ist ein tröstlicher Denkspruch um unseres lieben Toten Bild und Leben und zugleich ein Bekenntnis und Segensgruß des Frühvollendeten an die Seinen und an sein Volk:
Jeremia 31,3: Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte.
Ich habe dich je und je geliebt! Es hat ihn eben noch ein Anderer, ein Höherer als wir lieb gehabt und hat über sein ganzes Leben das herrliche Vaterwort geschrieben: aus lauter Güte!
Und: ich habe dich zu mir gezogen! Ist das nicht für uns Alle die eine große Lebensfrage: Wer regiert unser Leben: der Zug nach oben oder der Zug nach unten? Wohl dem, der die ziehenden Gotteshände spürt und sich ziehen läßt. Der Entschlafene ließ sich ziehen. Vor Menschen ein Mann, vor Gott ein Kind, – das schwebte ihm vor als Lebensziel. Und darum hat ihn der Herr gesegnet. Darum liegt es über diesem Jünglingsleben wie heiliger Morgenduft, wie lichte Gottesgüte. Nicht wahr, er hat, aufs Ganze gesehen, den Seinen und uns allen nur Freude gemacht. Er ist, wie die Jüngsten in der Familie meist, der allgemeine Liebling gewesen; er blieb es bis zuletzt. Es ist so bezeichnend, daß in den Trauerfenstern straßauf, straßab so oft neben dem Jünglingbild seine Kinderbilder stehen. So lebt er eben in unseren Herzen fort in unzähligen herzgewinnenden Zügen, der lockige, sonnige Knabe; und um seiner Kinderseele willen hatten wir den Jüngling so lieb. Sieh, wie sie Alle heut noch einmal im Geist zu dem Toten sich drängen: die Eltern, die Spielgefährten, die Kameraden, die Lehrer, die Diener und Alle, die je ihre Herzensfreude an ihm gehabt; wie sie ihn zutraulich grüßen, als könnten sie noch zu ihm reden wie einst, als könnten sie wieder mit ihm fröhlich sein wie einst:
o komm und laß uns heut auf alten Pfaden
noch einmal ziehn durchs teure Jugendland!
Und was ihm an Gütern und Gaben unbewußt und unverdient im hellen Garten seiner Kindheit wuchs, das planzte er mit treuer Hand dann selber auf das Saat- und Arbeitsfeld des werdenden Mannes und pflegte es bewußt und wachsam, damit es wachse, wie er selber wachsen wollte – nach oben. Er hatte das Zweifache, wodurch der Mensch erst wahrhaft zum Menschen und der Fürst zum Fürsten wird: den ernsten Willen und das warme Herz, das hohe Streben und das tiefe Empfinden. In seinem Leben und Vorwärtsschreiten kamen beide zu ihrem Recht: Kopf und Herz. Der Kopf ist unser Leuchtturm; aber das Herz ist der Fels, darauf der Leuchtturm steht. Im Kopf hell und im Herzen fest, das erst gibt Kraft, Harmonie, Zusammenklang von Wort und Tat.
In zwei Grundzügen vor allem zeigte sich sein fester Charakter und sein warmes Herz: in seiner Treue und in seiner Menschenliebe.
Treu ist er gewesen seiner Pflicht, sich aufrechterhaltend, bis er nicht mehr konnte, und auf seinem letzten Lager nur darüber traurig, daß er nun seinen Dienst versäumen müsse; treu den Seinen: ich freue mich schon so auf Weihnachten – äußerte er zuletzt noch – wo wir alle wieder mit unserer Mutter zusammen sind.

Großherzogin Elisabeth, Prinzessin von Anhalt
Mutter des Herzogs Carl Borwin, hier gefunden

Treu seiner Heimat: bei aller Weltoffenheit ein echter Mecklenburger und damit ein echter Sohn seiner Väter; treu seiner Musik, seinen Idealen, seinen Freunden, all den Menschen und Stätten, die ihm Liebes und Gutes getan; treu sich selbst – beim Wechsel der Jahre und der Umgebung im Kern seines Wesens immer derselbe. Wieviel verliert darum auch unser Erbgroßherzog an diesem Bruder; er wird’s vielleicht erst später, auf der Höhe seiner Lebensarbeit, ganz erkennen, wieviel. Nun hat auch er, wie sein hoher Vater, keinen Bruder mehr. Von jeher sind in unserm Fürstenhause die prinzlichen Brüder – der Herzog Georg und früher der Herzog Carl – ihren regierenden Brüdern viel gewesen, weil sie beides glücklich vereinigten: zurückhaltenden Takt und treueste Heimat- und Wahrheitsliebe.

Adolf Friedrich VI., letzter Großherzog von Mecklenburg (-Strelitz) 
Bruder des Herzogs Carl Borwin, hier gefunden

Aber was dem Entschlafenen oft im Sturm die Herzen gewann, das war seine wirkliche Menschenliebe. Warum trauern nicht nur hier, nein, im Fürstentum, in Neubrandenburg, in Dresden und wohin er sonst gekommen, die Menschen so wie sie trauern? Das ist nicht Untertanentrauer, auch nicht blos Jammer um dies junge Blut, das ist Herzensbetrübnis – weil sie fühlten und wußten: unter dem Fürstenrang und -kleid schlägt ihm ein reiches, schlichtes, volles goldenes Menschenherz. So rührend bescheiden, so ganz frei von kalter Blasiertheit.  So ehrerbietig und doch so jugendfrisch. So früh schon von Hause fort und doch soviel Sinn für Familienleben. So ohne alle berechnende Popularitätshascherei und doch so populär. Ob er mit einem General oder einer Diakonissin, mit einem Forstmann, einer alten Dame oder einem Tagelöhner sprach, - immer fand er die rechten Fragen und den rechten Ton. Das war mehr als Unterhaltungsgabe; es war Liebe und Interesse eines warmen Herzens. Und das hat unser Volk schnell genug verstanden. Der Niederdeutsche will gemütvoll regiert sein – hat ein Staatsmann gesagt. Sie werden auch diesem Prinzen seine gemütvolle Leutseligkeit nicht vergessen.
Und nun sollen wir ihn begraben. Was wollen wir den Seinen sagen, die heut ein Stück ihres Herzens, ihres Lebensglückes mitbegraben?
Im Namen Jesu Christi, durch den allein unsere Toten selig leben rufe ich ihnen zu das alte Wort: ama, porta, supera: liebe, trage, überwinde! Eure Liebe zu eurem Toten trauert und höret nimmer auf, eure Ergebung trägt, euer Glaube soll und wird überwinden. Und ob wirs nicht verstehen, warum er sobald davon wußte: glauben wollen wir wenigstens, ob auch unter Zagen und Tränen glauben, daß der Vater ihn zu sich zog ins ewige Licht – aus lauter Güte.
Wollt ihr fragen: wozu hat Gott ihn uns gegeben, wenn er ihn so früh schon wieder nehmen wollte? Laßt mich die Gegenfrage tun: würdet ihr wünschen, ihr hättet ihn überhaupt nicht gehabt? Möchtet ihr die süßen Freuden missen, die sein kurzes und doch so volles Leben über euch und über soviel Andere ausgestreut hat? So oft wir und unsere Kinder künftig die Fürstengruft dort betreten, werden wir mit wehmütiger Liebe uns wieder freuen an dieser Lichtgestalt, die wie ein Baldur, ein Liebling Gottes und der Menschen, inmitten ihrer ehrwürdigen Ahnen schläft. So oft wir von Menschen reden, die mit lauterem Sinn ihr Pfund im Leben treu verwertet haben, werden uns in ihrer Reihe auch unseres Borwins blaue Augensterne leuchten. Und nun sagt, die starken Fäden persönlicher Herzensgemeinschaft, die auch dieser begnadigte Fürstensohn hat knüpfen helfen zwischen Fürstenhaus und Volk, sind sie etwa nichts? Die edle Welle tiefster Volksmittrauer, die in diesen Tagen wieder wie ein Strom warmen Herzbluts zu dir heran dringt, lieber Landesherr, und zu den Deinen, nicht wahr, sie tut dir wohl in deinem Gram? Du fühlst darin aufs neue den Hauch der unvergeßlichen Zeit vor vier Jahren, da die Herzensbewegung unseres ganzen Volkes fürbittend und vertrauend dich segnete für dein hohes Amt. Du spürst darin die Gotteshand , die wohl schlägt, aber auch heilt, die uns zu sich zieht aus lauter Güte, auch wenn sie uns schmerzlich ernst erzieht bis an unser Ende. Von Gott mit euch zusammen in dieses Leid hineingestellt, bieten wir auch heut aufs neue dar unsere Liebe, unser Herz. Wir haben nichts Besseres zu geben. Ihr könnt nichts Edleres besitzen. Gemeinsam trauernd, wollen wir, eins in Christo, unserm Haupt, gemeinsam glauben und, ob auch unser Leben Stück für Stück zerbröckelt und zerbricht, glaubend siegen unter der Losung: ama, porta, supera – liebe, trage, überwinde. Amen.

nachgetragen am 3. November
verschiedene Umstände hatten dies bedauerlicherweise verzögert

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