Sonntag, 1. Dezember 2013

Über die Schloßkirche - zum Gedenken an Friedrich Wilhelm Buttel




Die Vergangenheit ist uns fremd, fast so fremd, wie wir uns selbst sind. Das bedeutet, da ist Hoffnung...

Es hat mich lange schon verwundert, daß niemand, meinem beschränkten Wissen nach, bisher erwähnt hat, von welcher Poesie dieser Bau ist. In seinen Ausmaßen kleiner, als man annehmen wird, wirkt er nahezu wie ein bedeutungsvoller Tempel aus einem Feenreich oder die Kapelle einer Gralsburg, und ist doch nur eine Schloß- und Hofkirche, oder vielmehr war. Das Schloß ist in den Wirren nach 1945 verlorengegangen, und ein Hof bedürfte eines regierenden Souveräns, den haben wir hier auch schon des längeren nicht mehr.

Sie ist ein wenig wie ein aus der Zeit gefallenes Monument ihrer selbst. Friedrich Wilhelm Buttel hat sie erschaffen, ein Hofbaumeister dieses verschollenen Großherzogtums, sie gilt als sein Hauptwerk; er wurde heute vor 217 Jahren geboren. Ich habe ihn einmal einen „Parteigänger des Schönen“ genannt. An diesem Bauwerk läßt sich leicht erkennen, warum.


So sollte man annehmen. Zitieren wir einfach einmal den gesamten Abschnitt aus dem „Krüger-Haye“, dem immer noch maßgeblichen Inventar der „Kunst- und Geschichtsdenkmäler des Freistaates Mecklenburg-Strelitz“ von 1921:

„Die Schloßkirche, 1855 – 1859 durch Buttel erbaut, zeigt seine Art mit ihren Vorzügen und Schwächen in der Vollendung. Einschiffige kreuzförmige Saalkirche in gelbem Backsteinrohbau unter vielfacher Verwendung von Terrakotta. Turmspitzen und alle oberen Teile sind modern restauriert. An der Westfassade die Statuen der 4 Evangelisten aus gebranntem Ton, von Bildhauer Albert Wolff (1824 – 1892) modelliert. Das Innere ist mit Holzschnitzereien und Glasmalereien reich ausgestattet. Beachtenswert das holzgeschnitzte Maßwerk der Emporen, von Buttel als „byzantinisch“ bezeichnet. Das Altargemälde von Professor Kannengießer: Die Kreuzabnahme [wohl verloren -  MiB]. Wertvolle Werke der Silber- und Goldschmiedekunst an Abendmahl- und Taufgeräten, sowie an Leuchtern sind Geschenke der Großherzoglichen Familie.“ Es folgt ein Absatz über die Glocken.


Zieht das, was wir behelfsweise das „Heilige“ nennen wollen, mitunter so stark in Mauern ein, daß es als eine Art Erinnerung darin verbleibt, selbst, wenn dessen Gebrauch und Vertrautheit lange schon in Vergessenheit geraten sind? Ja.

Jemand mag einwenden, dergleichen habe er schon oft irgendwo gesehen. Ja? Wo? Mit so einfachen Mitteln (das Schöne ist nicht zuallererst eine Frage der Mittel, es ist eine Anfrage an das Wollen; oder, um ihn selbst zu zitieren (Anlaß war das Ulmer Münster): „Es ist schwer, wahrhaft Großes zu erkennen und wahrhaft Großes mit einfachen Mitteln zu schaffen.“) einen derart starken Eindruck hervorgerufen, fast nur durch sichere Proportion, sparsame Verzierung, Ausgewogenheit des Baukörpers, sichere Formensprache, eine natürliche Behandlung des Gotischen aus innerer Kenntnis, und dabei alles in etwas ganz Neues verwandelnd.

Keine Symbiose aus Antike und Gotik oder schlimmer noch, ein „verkleideter Klassizismus“ wie etwa ein Dr. Müther meint, von dem die einzige neuere ernster zu nehmende Veröffentlichung stammt (eine Dissertation von 1935): „Was Buttels Stil- und Formensprache ausmacht, das ist also folgendes: Der Baukörper in klassisch-antikem Sinne nach den Grundsätzen Schinkelscher Zweckmäßigkeit und klassischer Schönheit geformt mit gotischem Zierrat.“


„Den Backsteinflächen suchte er durch Verwendung hellgelber ganz gleichmäßig gefärbter Steine und ebenso recht schmaler und gleichmäßiger Fugen einen dem Backsteincharakter jedenfalls nach heutiger und mittelalterlicher Auffassung... geradezu zuwiderlaufenden monolithischen Charakter zu geben, wie er klassischem Schönheitsempfinden und klassizistischen Putzbauten entspricht.

Auch die Verwendung gotischer und gotisierender Ziermotive geschieht in klassischem Sinne, lediglich als Wandflächenaufteilung und Flächenrahmung, ohne konstruktiv bedingt oder mit der Konstruktion zusammenhängend wie in der Gotik zu sein.“

Schließlich entspringe auch das Buttels klassischer Gefühlsweise, daß er große Massen mit Vertikalen vorherrschen lasse, ihnen aber durch kräftige Horizontalabschlüsse diejenige Ruhe gäbe, welche an den antiken Gebäuden so typisch wirke. „Horizontale und Vertikale stehen bei Buttel im Gleichgewicht, um aber der Horizontalen entgegenwirken zu können, sind die Filialen so dünn, so scharf und nadelartig von ihm geschaffen.“

Nach dieser Betrachtung bleibe von Gotik bei Buttels Bauten nichts übrig als (nicht einmal rein gebrauchte) Formeneinzelheiten. Ein Zitat über Schinkel auf Buttel anwendend meint er schließlich, die Formen seien „ihm etwas wie ein Gewürz gewesen, unentbehrlich, aber mit äußerster Vorsicht zu gebrauchen, damit der Grundgedanke nicht verloren gehe“.

Trotz des behaupteten Scheiterns wird den Bauten Buttels doch Schönheit zugestanden, u.a. wegen der „edlen Maßverhältnisse“, der „Schönheit und Zweckmäßigkeit des Innenraumes“



Nun, wenn jemand das Gleiche tut (auf den ersten Blick), ist es noch lange nicht Dasselbe. Das antike Streben nach einer Art von Gleichgewicht, in der Tat, das finden wir hier verwandt vor. Aber doch so anders geartet. Während das Gotische ganz nur von der Erde fort zu streben sucht, gewissermaßen all seine Baumassen in den Himmel werfen will (neumodisch gesagt, fast wie eine Trägerrakete, die vom Irdischen losreißen soll; auch, um an die "nadelartigen" Türme anzuspielen), sucht das Klassische die innere, schöne Ordnung, die ganz im Irdischen verbleibt, in ihren besseren Ausformungen geeignet, die Idee einer höheren Ordnung hinter all diesem darzustellen und anzudeuten.




Buttel nun gehörte zu den wenigen, die beides vermochten, die Idee einer irdischen Schönheit auzuzeigen, die mit jedem Ziegelstein über sich hinauswächst, und zugleich das Bild einer spannungsvollen Ruhe vorzustellen. „Transzendente Schönheit“ ist wohl der am ehesten sich annähernde Begriff dafür (das Wort ist nicht von mir, ich habe seinen Sinn in einem anderen Zusammenhang vor langer Zeit einmal erfahren).

Oder um die nüchterneren Worte seines Freundes Roloff zu zitieren, der ihm eine kurze Gedächtnisschrift nach seinem Tode hatte drucken lassen: „Andererseits sind aber auch die Baukünstler wieder die Schöpfer und Urheber eines sich allgemeiner verbreitenden und durch den steten Anblick des Schönen und Großartigen sich nach und nach einlebenden bessern Geistes und edlern Geschmackes, und groß ist deshalb ihr Verdienst...“.


nachgetragen am 4. Dezember

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