Sonntag, 3. August 2014

100 Jahre Weltkriegsausbruch - eine Predigt


Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich-Este 
mit seiner Frau Sophie, Herzogin von Hohenberg 
und ihren Kindern  Sophie, Maximilian und Ernst

Vorgestern vor 100 Jahren begann jener entsetzliche Krieg, der Europa von der Höhe eines Zivilisationsfortschritts herabstürzte, den man so sicher glaubte. Dieser Fall hat das ganze 20. Jahrhundert hindurch sein Zerstörungswerk fortgesetzt. Es ist erstaunlich, wieviel Aufmerksamkeit diesem Datum jüngst zugewachsen ist (vergleicht man es etwa mit der Erinnerung an die Befreiungskriege von 1813 bis 1815, die, wenn auch in ganz anderer Weise, ebenfalls entscheidend für den Fortgang deutscher Geschichte waren) und vor allem mit welchem Tenor. Man muß nur die Namen Christopher Clark (siehe hier und hier) und Jörn Leonhard erwähnen. Da böte sich nun in der Tat einiges an Bemerkungen an. Doch ich will nachfolgend nur die Predigt bringen, die Herr Roloff zu besagtem Anlaß heute gehalten hat.


Kaiser Wilhelm II., Ansprache

Predigt zum 100. Jahrestag des Weltkriegsausbruchs

Friede sei mit Euch!

Amen

Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen. 
Matth 5, 9

Liebe Gemeinde,

Sophie war 12 Jahre alt, Max 11 Jahre und Ernst war gerade 10 geworden, als sie die Nachricht vom Tode ihrer Eltern bekamen. Was denken Kinder da? Auch das eigene Leben ist sicher für Wochen und Monate wie ausgelöscht. Nichts wird wieder, wie es war. Vater und Mutter sind nicht mehr. Sie sind nicht nur tot, sie sind der Verblendung, dem Hass und der Bosheit von Menschen zum Opfer gefallen. Sie wurden von Verbrechern erschossen. Wie können Menschen Mama und Papa so hassen? Kinder sind immer die ersten Opfer aller Kriege, und sie tragen an ihrem Leid am längsten.

Darum verkünden wir heute mit der ganzen Kirche: Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.

Diese, von denen ich hier zunächst spreche, waren die Kinder des Erzherzogs Franz Ferdinand d´ Este  und seiner Gemahlin der Herzogin Sophie von Hohenberg. Nach allem, was wir wissen können, sind sie liebende und gute Eltern gewesen. Auch für die eigene Liebe mussten sie lange kämpfen.

Nur sehr selten wird der Krieg auch einmal aus dieser Perspektive gesehen. Dabei kann gerade der Perspektivwechsel helfen, einen wahrhaftigeren Blick auf die Dinge zu bekommen. Da bleibt nichts mehr vom mutigen Freiheitskampf, vom Heldentum der Attentäter. Es bleibt nur eine Mordtat, die drei Kindern die Eltern entrissen und einen ganzen Kontinent, eine Welt, in Krieg und Verderben gestürzt hat.

Es war in diesen Tagen vor 100 Jahren, als Europa im Krieg versank. Am 28. Juli 1914 hatte Österreich-Ungarn infolge des Attentats von Sarajewo Serbien den Krieg erklärt. Rußland verhängte daraufhin die Generalmobilmachung und das Deutsche Reich wiederum reagierte mit Kriegserklärungen am 1. August an Rußland und genau heute vor 100 Jahren auch an Frankreich. Einen Tag später trat Großbritannien in den Krieg ein, und die Welt stand in Flammen. Der vor 100 Jahren heraufziehende Weltkrieg war ganz ohne Zweifel eine gewaltige und verhängnisvolle Katastrophe. Ich behaupte: Das christliche Europa hat sich von ihr nicht mehr erholt.

Es ist viel geredet worden über das vollständige Versagen der Diplomatie in den Wochen der Sommerkrise von 1914, es ist spekuliert worden über tatsächliche oder nur vorgegebene Kriegsbereitschaft, und dann, vor der erschütternden Zahl von Millionen Toten, ist verzweifelt nach Kriegsschuldigen gesucht worden. Am Ende bleibt aber nur richtig, dass Geschichte sich immer auch daraus entwickelt, ob Menschen danach trachten, Gutes zu tun, oder ob sie sich durch Hass und Fanatismus leiten lassen. Als Christen stehen wir hier in der Pflicht, immer zunächst die eigene Schuld zu bekennen und zu ergründen. Jede Zeit hat ihr eigenes Versagen.

Darum ist es umso wichtiger, das wir mutig bekennen: Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.

Mit diesem Bekenntnis verbindet sich aber auch immer die Pflicht, die Realitäten des Krieges schonungslos zu benennen. Hören Sie darum eine Schilderung aus den Tagen der Schlacht von Verdun: „Möglichst tief in die Gräben gepresst, können die Männer, wenn überhaupt, nur noch bruchstückhaft Gedanken fassen: Ich lebe noch. Ich werde sterben. Ich leide. Ich werde ersticken. Heiliger Gott im Himmel, verzeih mir, hilf!
Einige bemerken nach längerer Zeit, dass sie pausenlos wimmern. Granatsplitter, die nicht einmal zwei Männer anheben können, schneiden als gezackte Riesenbrocken Menschen der Länge nach oder in der Mitte entzwei, hämmern Schädel wie durch Keulenschläge in den Brustkorb hinein oder zerstampfen Körper bis zur Unkenntlichkeit. Leichenfetzen oder Eingeweide landen in den Bäumen. Ein französischer Feldwebel beschreibt die Angst vor dem Zerrissen-Werden: Wenn man von ferne das Pfeifen hörte, so zog sich der ganze Körper zusammen, um der maßlosen Gewalt der Explosionswelle standzuhalten, und jede Wiederholung war ein neuer Angriff, eine neue Erschöpfung, ein neues Leiden. Dieser Belastung können auch die stärksten Nerven nicht lange widerstehen… Durch die Kugel zu sterben, scheint nicht schwer; dabei bleiben Teile unseres Wesens unversehrt; aber zerrissen, in Stücke gehackt, zu Brei zerstampft zu werden, ist eine Angst, die das Fleisch nicht ertragen kann… Über alles tobt ein Artilleriefeuer, wie es bisher in der Kriegsgeschichte noch nicht zu verzeichnen war.“

Das ist der Krieg.

Die Schilderung der Wahrheit über den Krieg ist immer ein flammender, ein flehender Apell gegen den Krieg. Und die Wahrheit ist darum auch immer, nach den Kindern, das zweite Opfer des Krieges.

Der Erste Weltkrieg war der Anfang eines Zeitalters der Vernichtung. Er formte eine Weise der Kriegsführung, in der Menschen bedeutungslos wurden. Ohne überhaupt noch ein klares militärisches Ziel ausmachen zu können, wurden Soldaten zu Zehn- und Hunderttausenden in den Tod getrieben. Weil man sich aber nicht eingestehen wollte, in welche Sinnlosigkeit man sich hineinmanövriert hatte, wurde die Strategie der Zermürbung oder des Ausblutens des Feindes erdacht. Nein, es war nicht erdacht, es war die Perversion von allem was man menschliches Denken nennt.

So brachte der Erste Weltkrieg denn auch den völlig verrohten, seines Glaubens beraubten, den in der Seele zerstörten Menschen hervor, ohne den alles, was auf diesen Krieg folgte, gar nicht vorstellbar gewesen wäre. Jeden, der sich in dieser Hölle sein Menschsein bewahrt hat, nur den nenne ich einen wahren Helden. Denn ohne Zweifel gibt es wahres Heldentum unter Soldaten.

Und mit den Christen aller Zeiten bekennen wir: Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen. In der Aufrechterhaltung dieses Bekenntnisses äußert sich manchmal eben auch Heldentum.

Über vier lange Jahre dauerte dieses Schlachten und übermenschliche, nein unmenschliche Ringen. Erschöpft und zerstört brach das alte Europa durch Revolution und Revolte in sich zusammen. Das völlige Verhängnis nahm allerdings erst dort seinen Lauf, wo jene, die sich für die Sieger des Krieges hielten, meinten, es auch vor allem den Millionen Toten des Krieges schuldig zu sein, ihren Triumph nun ganz auszukosten. So wurden sie unfähig, einen wirklichen Frieden zu schließen. Das was man Frieden nannte, war schon wieder eine Ursache der nächsten Kriege.

Die Zeit, in der Krieg und Revolution sich miteinander mischten, begann auch wieder mit einem grauenhaften Mord. Und so, als wollte man die Grausamkeit noch einmal steigern, wurden dieses Mal im Keller von Jekaterinburg die Kinder mit erschossen. Olga war 22 Jahre alt, Tatjana 21, Maria 19, Anastasia gerade 18 geworden und Alexej 13. Sie waren die Kinder des Kaisers Nikolaus und der Kaiserin Alexandra Fjodorowna von Russland. Menetekelhaft stehen diese beiden Morde am Anfang und am Ende der Urkatstrophe des 20. Jahrhunderts, wie der Weltkrieg inzwischen genannt wird.

Mit dem Propheten Jeremia beten wir: Mich jammert herzlich, dass mein Volk so verderbet ist, ich gräme mich und gehabe mich übel. Ach dass ich Wasser genug hätte in meinem Haupt, und meine Augen Tränenquellen wären, dass ich Tag und Nacht beweinen möchte die Erschlagenen in meinem Volk!

Wir lassen uns mahnen durch die Namen der Gefallenen, durch die bedrückende Zahl der Toten. Wir lassen uns durch sie anhalten zum Gebet für den Frieden. Wir beten in einer wieder besonders friedlosen Zeit. Wie könnten sie heute unerwähnt bleiben die Konflikte und Kriege der Gegenwart? Mit größter Sorge muss uns erfüllen, was sich in der Ukraine, im Nahen und Mittleren Osten und in vielen Teilen Afrikas ereignet.

Es steht außer Frage, dass alle diese Ereignisse ganz verschieden gelagert sind und sehr unterschiedliche Ursachen haben. Sie liegen in der Geschichte, in wirtschaftlichen, nationalen und religiösen Zusammenhängen genauso wie in den aus der Geographie und Tradition erwachsenden strategischen Interessen großer Mächte. Eines ist ihnen aber allen gemein, und nur insofern erinnert die heutige Situation an das Jahr 1914: Das Handeln von Menschen gerät außer Kontrolle, wenn es keinen ganz klaren Kompass in sich trägt, und dieser Kompass muss im Hinblick auf die Beziehungen von Staaten und Völkern einzig auf den Frieden gerichtet sein.

Unsere Pflicht wiederum ist es, ganz fest darauf zu vertrauen, dass unser Bekenntnis und unser Gebet nicht folgenlos sind. Es gibt immer, in jeder Situation die Möglichkeit zum Frieden – und darum preisen wir in der Gemeinschaft mit unserem Herrn und Gott die Friedfertigen selig.

Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unseren Herrn.

Amen.
Thomas Roloff

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