Sonntag, 28. April 2019

Österliche Nachbetrachtungen


Daß der junge Herzog Borwin die Ehre seiner Schwester und die der Familie zu verteidigen suchte, hat uns dieses Fenster beschert, und ihm den Tod. Von daher nahm es jedenfalls seinen Anfang.

Das Fenster findet sich über Altar und Orgel im Borwinheim zu Neustrelitz (ich werde unten ein Situationsphoto anfügen, gewissermaßen, damit man sich eine Vorstellung machen kann). Carl Borwin, jüngerer Bruder des letzten mecklenburg-strelitzschen Großherzogs Adolf Friedrich VI., starb 1908 mit 20 Jahren. Seine Mutter Großherzogin Elisabeth gründete darauf 1910 die „Herzog-Carl-Borwin-Gedächtnis-Stiftung“ für den "Dienst der christlichen Liebestätigkeit im Lande Mecklenburg-Strelitz".


Bis in die 30er Jahre diente es u.a. als Heim für elternlose Kinder; der Saal, gedacht für „Festversammlungen des Jungfrauen- und Jünglingvereins, für Spiel- und Turnaufführungen...“, wurde dann bald von der Stadtkirchengemeinde für Gottesdienste etc. genutzt, und auch die 1840 gegründete und noch immer bestehende Singakademie gewann in ihm einen Ort für Proben und Konzerte.

Dies und weiteres mag man auf dieser ausführlichen Seite nachlesen oder auch hier. Nur, daß Carl Borwin an einer schweren Krankheit starb, ist eine milde Legende, die auch von Hofprediger Horn in seiner Trauerpredigt bemüht wurde. Unter dem 10. Oktober 2013 kann man sie finden, als Dokument damaliger Mentalitäten und Überzeugungen erscheint sie mir recht bemerkenswert.

Ich zitiere mich nunmehr selbst: „Vor 125 Jahren wurde ein Prinz... geboren, dessen Charakter resp. Ehrgefühl ihm früh den Tod schickten. Herzog Carl Borwin starb übrigens an den Folgen eines Duells.“ Seine Schwester, Herzogin Marie war offenkundig von einem Kammerdiener namens Hecht schwanger geworden und hatte danach nur einen französischen Grafen Jametel heiraten können, dessen päpstlicher Adel, zurückhaltend formuliert, leicht zweifelhaft war. Die Ehe war schwierig und wurde auch noch in demselben Jahr 1908 geschieden. Zuvor allerdings hatte besagter Graf seine Noch-Ehefrau in der Gegenwart ihres Bruders wohl so schwer beleidig, daß dieser sich gezwungen sah, ihre Ehre im Duell zu verteidigen, mit bekanntem Ausgang.


Übrigens, falls doch jemand den genannten Beitrag aufsuchen sollte, meide er einen gewissen Link, die Stiftung hat es offenkundig noch zu geben (sie wurde 1928 neu begründet), nur die Seite offensichtlich nicht, da konnte man das letzte Mal eventuell irgendwelche Damenkleidchen erwerben, wenn ich bin mich recht erinnere, ich habe die Domain dann schnell wieder verlassen.

Warum dieser Beitrag. Nun, durch die zurückliegenden hohen Feiertage, war ich etwas öfter an besagtem Ort. Sagen wir es so, die Regelmäßigkeit meiner Gottesdienstbesuche hat gelitten. Und dabei mäanderten meine Gedanken so vor sich hin, während sie sich an der Orgel und der Liturgie erfreuten. Und ja, mehrfach blieben sie an dem Fensterbild über der Orgel hängen.

Während einer Probe des Chores, der mich ertragen muß und sich ebenfalls dort regelmäßig äufhält, hörte ich den Einwand, das Fenster habe schöne Farben, sei hübsch, aber ausdruckslos, leblos, so ungefähr.

In der Tat ist es nicht der leidende Christus, der dort abgebildet wird. Es ist der Christus triumphans, der über den Tod triumphierende Christus und Weltherrscher. In unseren Breiten ist dies der älteste Typus einer Christusdarstellung. Nun reicht das Bild sicher nicht an Vorläufer wie das Triumphkreuz aus der Kathedrale Sant’Evasio in Casale Monferrato

Bildausschnitt, hier gefunden

heran oder das berühmte romanische Mindener Kreuz. 

Kopie des Mindener Kreuzes im Dom zu Minden

Aber es ist auch nicht Paula Jordan:


Nur zur Erklärung, Frau Jordan war einmal, genauer in den zurückliegenden Jahrzehnten eine sehr beliebte Illustratorin im evangelischen Milieu. Daher halte ich auch voller Nostalgie dieses Weihnachtstransparent in Ehren, man bekommt davon einen Eindruck.

Und wo ich bei Erläuterungen bin – auf der oben abgebildeten Kopie des Mindener Kreuzes kann man sehr schön die lateinische Inschrift erkennen:

HOC REPARAT XPC DEUS IN LIGNO CRUCIFIXUS QUOD DESTRUXIT ADAM DECEPTUS IN ARBORE QUADAM

zu Deutsch: „Das stellt Christus, der am Holze gekreuzigte Gott, wieder her, was der am Baum getäuschte Adam zerstört hat.“

Und das nicht minder bedeutende Kruzifix aus dem Piemont war im 19. Jahrhundert in die Sakristei verbannt worden und sollte an einen Antiquitätenhändler verkauft werden, habe ich irgendwo gelesen, ein Kanoniker bewahrte es davor und ließ es recht hoch in der Kirche aufhängen, offenbar rechnete er mir der Trägheit seiner Kollegen, erfolgreich.

Doch zurück zum triumphierenden Christus aus dem Borwinheim. Das Glasfenster ist voller Symbolik, es ist auch eine Darstellung der Trinität, nur daß Gott der Vater, von dem der Heilige Geist ausgeht, im symbolischen Dreieck gestaltlos bleibt. Die Sichel des abnehmenden Mondes im Westen, die von Christus erleuchtete Sonne, man kann sich schon in all dem verlieren.

Und wenn man dann zur Osterliturgie, in der der Glaube von Jahrtausenden gleichsam gespeichert ist, den Christus triumphans hinter dem leeren Kreuz des abwesenden Gottes sieht. Auch Formen und Formeln vermögen zu predigen. Womit ich nicht sagen will, daß nicht auch vom Wort Gottes zu hören war.

Doch 2 Dinge fand ich dann noch einmal hervorhebenswert. Großherzogin Elisabeth (gest. 20. Juli 1933 in Neustrelitz) verlor beide Söhne auf tragische, man muß sagen, letztlich sinnlose Weise (der letzte mecklenburg-strelitzschen Großherzogs Adolf Friedrich VI. nahm sich selbst das Leben). Nicht allein bewahrte sie auch nach dem Ende von 1918 ihre Haltung, wie man zudem einen sinnlosen Verlust zum Anlaß für Bleibendes zu gewinnen vermag, bleibt bewundernswürdig.


Und noch etwas stimmt denn doch froh. Das Borwinheim ist vor 10 Jahren mustergültig saniert worden. Dieser Bericht beschreibt das eindrucksvoll. Man nimmt das gewohnt Gewordene halt zu selbstverständlich und vergißt leicht, mit welcher Liebe zum Detail, mit welcher Sorgfalt und Achtsamkeit in der Gewinnung neuer schöner Formen etwa vorgegangen wurde.


Ich muß für meine Person gestehen, daß meine Skepsis gegenüber der Moderne mir mitunter die Augen davor verschließt, welche überzeugenden Hervorbringungen es durchaus gibt. Und die Möglichkeiten modernen Bauens können Altes eben auch in einer Weise erstrahlen lassen, die seine Präsenz in unerwarteter Weise steigert.

Und das Fenster, nun ja, es fügt sich hier ein.


nachgetragen am 29. April

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