Wenn man eine Sache verderben will, muß man sie zuvörderst praktisch denken wollen. Die Stadtkirche ist einer dieser merkwürdigen Orte, die sehr schön sein könnten, wenn sie nicht so, nein, nicht häßlich wären, das wäre zu billig. Zu praktisch gedacht erbaut, trifft es wohl eher.
Die Neustrelitzer Stadtkirche ist, von außen betrachtet, von beeindruckender stiller Würde. Und sie hat im Innern im einzelnen viele Schönheiten. Aber eben der Innenraum. Der ist das Malheur. Man hat ihren Bau 1768 begonnen. Das ist deswegen aufschlußreich, weil sich der Zeitgeist und eine gewisse aufgeklärt - protestantische Mentalität darin sehr deutlich zeigen.
Ich habe hier einmal, wo es vor allem um einige der verborgenen Schönheiten geht, nämlich die allegorischen Figuren, die über und hinter dem Altar versteckt sind, mich dazu hinreichend ausgelassen.
Kurz: Die übermäßigen licht verschluckenden Emporen machen aus allem mehr eine theatermäßige Erziehanstalt mit der Predigt als Erbauungsstück im Zentrum. Ein Ort höherer Schönheit und lebensvoller Vergeistigung bildet sich so eher nicht. Das sich über alles erstreckende vergraute Cremeweiß mit den lange stumpf gewordenen Vergoldungen accompagniert dazu bestens.
Die Pointe ist, daß sich im Innenraum diesem Eindruck einiges erfolgreich entgegenstellt. Vor allem die prächtige, restaurierte Grüneberg-Orgel von 1893 (ich habe dieses Photo oben eingangs eigentlich nie verwenden wollen, hatte aber jetzt kein besseres zur Hand).
Und gleiches dürfen wir nunmehr also über das Altargemälde sagen. Es ist eine Kopie der Großherzogin Marie von Raffaels Kreuztragung Christi. Als ich hier eine andere Raffaelkopie von ihrer Hand beschrieb, merkte ich schon an, das Merkwürdige an Kopien sei, sie alterten, und nicht immer in vorteilhafter Weise. Uns würde heute sofort auffallen, was die Zeitgenossen kaum gesehen haben dürften. Eine Mischung aus Zeitgeist und der Pedanterie der Nachahmung.
Und gerade letzteres ist eben bei der Großherzogin gar nicht der Fall! Obwohl auch sie den Abgott der Nazarener Raffael kopiert, verfällt sie nicht in deren Fehler. Keine aufdringliche Sentimentalität, aber auch keine sklavische Nachahmung.
Man betrachte nur den Kopf des Simon von Kyrene, der das Kreuz des Herrn ergreift. Was für eine lebendige eigene Auffassung des Gegebenen, kaum noch eine Kopie zu nennen. So hat die Orgel nun also ihre goldgerahmte wunderbare Antwort gefunden, und keine oberflächliche zumal.
Es gab an diesem Sonntag einen thematischen Gottesdienst zu diesem Gemälde, der sich natürlich auf das Dargestellte bezog. Danach sind die Photos entstanden, und glücklicherweise ist dieses wenigstens so geraten, daß man einiges erkennen kann. Man mag seine eigenen Beobachtungen also gern anschließen. Dazu wäre natürlich eine Abbildung des Originals hilfreich:
Raffaello Sanzio da Urbino, Kreuztragung Christi, ca. 1516
Museo del Prado, hier gefunden
Die Erbaulichkeiten werde ich aber vorenthalten. Man kann jedoch noch, so man will, sie in der Stadtkirche als 20seitige (wenn ich mich recht erinnere) großformatige Broschüre erwerben.
nachgetragen am 28. Mai
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