Samstag, 9. April 2022

Dietrich Bonhoeffer über die Dummheit

Dietrich Bonhoeffer in Sigurdshof 1939, Bild von hier

Verschiedene Umstände haben mich dazu veranlaßt, noch einmal über einen Text nachzudenken, den ich an diesem Ort vor einem Jahr schon einmal vorgestellt hatte. Manches verschafft bei verworren erscheinenden Fragen mitunter einen persönlichen Erkenntnissprung. So hier. So wird man also auch noch klüger, richtiger gesagt - gewappneter gegenüber dem Irrsin der Zeiten. Was will man mehr?

London, Westminister Abbey, Märtyrer des 20. Jahrhunderts, Dietrich Bonhoeffer © CEphoto, Uwe Aranas,

Unmittelbar vor Kriegsende, in der Morgendämmerung des 9. April 1945, also heute vor 77 Jahren, wurde auf Befehl Hitlers Dietrich Bonhoeffer im KZ Flossenbürg gehängt. Er hätte sich den Gefährdungen des 3. Reiches durch seine internationalen Kontakte leicht entziehen können. Stattdessen suchte er bis zu seinem bewußt angenommenen Märtyrertod den Widerstand gegen jenes Un-Werk aus Lüge und Verbrechen.

Er gibt nicht viele jüngere theologische Autoren, deren Denken und Sprache derart lebendig geblieben sind und deren Texte zu Wiedererkennen und überraschenden Einsichten in dieser Weise führen. Vielleicht ruft es die besondere existentielle Situation hervor, in denen sie entstanden sind. Man kann nicht alles erklären. Das ist überhaupt eher die Ausnahme.

Immer wieder hat besonders „Widerstand und Ergebung“ in solcher Art gewirkt, die Aufzeichnungen aus der Haft ab ´43. Am Anfang bietet er dort eine tiefgehende Zerlegung der Gründe der Dummheit, so wie er zugleich die eher resignative Einsicht mitteilt, warum ihr mit Vernunftgründen kaum beizukommen ist. 

In unseren polarisierten und verstörten Zeiten wirkt zu vieles beklemmend aktuell. Andererseits erscheint es als einer der so vortrefflichen wie wirkungslosen Texte, weil ein jeder in ihm die Spitzbuben der anderen Seite vortrefflich gezeichnet sehen wird. Eine klassische Einladung zur Projektion gewissermaßen.

Doch wir wollen zu seinem Text wechseln: „Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als Bosheit.“ So beginnt er. Gegen das Böse lasse sich protestieren, es lasse sich bloßstellen, notfalls mit Gewalt verhindern, das Böse trage immer den Keim der Selbstzersetzung in sich, indem es mindestens ein Unbehagen im Menschen zurücklasse. 

Eine zu optimistische Annahme, müssen wir leider einwerfen, aber hoffentlich hat er gegen uns recht, daß nämlich das Gespür für das Gute unzerstörbar bleibt. Doch zurück. 

Gegen die Dummheit seien wir wehrlos. Weder mit Protesten noch durch Gewalt lasse sich etwas ausrichten; Gründe verfingen nicht; Tatsachen, die dem eigenen Vorurteil widersprächen, brauchten einfach nicht geglaubt zu werden – in solchen Fällen werde der Dumme sogar kritisch – und wenn sie unausweichlich seien, könnten sie einfach als nichtssagende Einzelfälle beiseite geschoben werden. 

Dabei sei der Dumme im Unterschied zum Bösen restlos mit sich selbst zufrieden; ja, er werde sogar gefährlich, indem er leicht gereizt zum Angriff übergehe. Daher sei dem Dummen gegenüber mehr Vorsicht geboten als gegenüber dem Bösen. „Niemals werden wir mehr versuchen, den Dummen durch Gründe zu überzeugen; es ist sinnlos und gefährlich.“

Um zu wissen, wie wir der Dummheit beikommen könnten, müßten wir ihr Wesen zu verstehen suchen. Soviel sei sicher, daß sie nicht wesentlich ein intellektueller, sondern ein menschlicher Defekt sei. Es gäbe intellektuell außerordentlich bewegliche Menschen, die dumm seien, und intellektuell sehr Schwerfällige, die alles andere als dumm wären. 

Er beschreibt eine Besessenheit. Ein In-Besitz-Genommen-Sein. 

Der Eindruck sei, daß die Dummheit weniger ein angeborener Defekt sei, als daß unter gewissen Umständen die Menschen dumm gemacht würden bzw. sich dumm machen ließen. Abgeschlossen und einsam lebende Menschen zeigten diesen Defekt seltener als zur Gesellung neigende oder verurteilte Menschen und Menschengruppen. So scheine die Dummheit weniger ein psychologisches als ein soziologisches Problem zu sein. Sie sei eine besondere Form der Einwirkung geschichtlicher Umstände auf den Menschen, eine psychologische Begleiterscheinung bestimmter äußerer Verhältnisse. 

Der  Mensch in seinen Verhältnissen, Zwängen und Illusionen. Was gewinnt ein Mensch, wenn er zugibt, in der Lüge zu leben, wenn er darüber hinaus nichts hat? Der verzweifelte Glaube an die Vernunft ist darum sinnlos und erklärt auch nichts. Die Wahrheit wird euch frei machen, ja sicher, aber wenn nicht mehr bekannt ist wozu. Was dann?

Doch zurück zu Bonhoeffer. Jede starke äußere Machtentfaltung, sei sie politischer oder religiöser Art, würde einen großen Teil der Menschen mit Dummheit schlagen, das scheine geradezu ein soziologisch-psychologisches Gesetz. Die Macht der einen brauche die Dummheit der anderen. 

Macht brauche also gewissermaßen die Vernunft auf. Wir zögern.

Der Vorgang sei dabei nicht der, daß bestimmte – also etwa intellektuelle – Anlagen des Menschen plötzlich verkümmerten oder ausfielen, sondern daß unter dem überwältigenden Eindruck der Machtentfaltung dem Menschen seine innere Selbständigkeit geraubt werde und daß dieser nun – mehr oder weniger unbewußt – darauf verzichtete, zu den sich ergebenden Lebenslagen ein eigenes Verhalten zu finden.

Das von den Verhältnissen versklavte Ich also. Doch wir wollen ihn weiter sprechen lassen. 

Daß der Dumme oft bockig sei, dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, daß er nicht selbständig sei. Man spüre es, daß man es gar nicht mit ihm selbst, mit ihm persönlich, sondern mit über ihm mächtig gewordenen Schlagworten, Parolen etc. zu tun habe. Er sei in einem Banne, verblendet, er sei in seinem eigenen Wesen mißbraucht, mißhandelt. 

So zum willenlosen Instrument geworden, würde der Dumme auch zu allem Bösen fähig sein und zugleich unfähig, dies als Böses zu erkennen. Hier liege die Gefahr eines diabolischen Mißbrauchs. Dadurch würden Menschen für immer zugrunde gerichtet werden können.

Aber es sei auch ganz deutlich, daß nicht ein Akt der Belehrung, sondern allein ein Akt der Befreiung die Dummheit überwinden könne. Dabei werde man sich damit abfinden müssen, daß eine echte innere Befreiung in den allermeisten Fällen erst möglich sei, nachdem die äußere Befreiung vorangegangen sei; bis dahin müßten wir auf alle Versuche, den Dummen zu überzeugen, verzichten.

„... daß die Furcht Gottes der Anfang der Weisheit sei, sagt, daß die innere Befreiung des Menschen zum verantwortlichen Leben vor Gott die einzige wirkliche Überwindung der Dummheit ist.“

Eine andere Herrschaft also. Genauer, die, die diesen Namen verdient. Darum unsere Zweifel an der unterschwelligen Annahme, daß Macht per se böse sei. Aber in diesem äußerlich einfachen Text schießen auch vielerlei Dinge untergründig durcheinander. Nicht überraschend daher, gönnt er sich eine kleine intellektuelle Ausflucht am Ende:

Übrigens hätten diese Gedanken über die Dummheit doch dies Tröstliche für sich, daß sie ganz und gar nicht zuließen, die Mehrzahl der Menschen unter allen Umständen für dumm zu halten. Es würde wirklich darauf ankommen, ob Machthaber sich mehr von der Dummheit oder von der inneren Selbständigkeit und Klugheit der Menschen versprächen.

Warum sollten sie.

Lüge ist Besessenheit, und ihr mit Vernunft begegnen zu wollen, bedeutet, das Spiel nicht verstanden zu haben, das hier waltet.

Dennoch. Hier tritt uns durch Dietrich Bonhoeffer ein großes Zeugnis - unter der Herrschaft des Bösen - entgegen, von der Freiheit und Wahrheit, die der Glaube und das Vertrauen auf Christus, unseren Herrn, zu schenken vermag.

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