Sonntag, 16. Juli 2023

Zum 6. Sonntag nach Trinitatis

Günter Johl, "Christus als Herrscher über Gut und Böse", Altarfenster in der Kreuzkirche in Magdeburg, von hier

Predigt in der Kreuzgemeinde Magdeburg

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

Gott erlöst sein Volk

1Und nun spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! 2Denn so du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, daß dich die Ströme nicht sollen ersäufen; und so du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen. 3Denn ich bin der HERR, dein Gott, der Heilige in Israel, dein Heiland. Ich habe Ägypten für dich als Lösegeld gegeben, Mohren und Seba an deine Statt. 4Weil du so wert bist vor meinen Augen geachtet, mußt du auch herrlich sein, und ich habe dich lieb; darum gebe ich Menschen an deine Statt und Völker für deine Seele. 5So fürchte dich nun nicht; denn ich bin bei dir. Ich will vom Morgen deinen Samen bringen und will dich vom Abend sammeln. 6und will sagen gegen Mitternacht: Gib her! und gegen Mittag: Wehre nicht! Bringe meine Söhne von ferneher und meine Töchter von der Welt Ende, 7alle, die mit meinem Namen genannt sind, die ich geschaffen habe zu meiner Herrlichkeit und zubereitet und gemacht.

Jes 43,1-6

Liebe Gemeinde,

365 mal soll diese Aufforderung in der Heiligen Schrift zu finden sein. Für jeden Tag des Jahres kann der Mensch sich eine Bibelstelle suchen, die ihm zuspricht: Fürchte dich nicht!

Raphael, Prophet Jesaja, von hier

Besonders eindringlich ist darunter dieser Prophetentext des Jesaja. Er verkündet, was er vom Allmächtigen vernommen hat. „So spricht der HERR“. In dieser Weise leiten die Propheten des Alten Testaments oft die direkte Rede Gottes ein. So spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob,:

Gott hat dich geschaffen. Gott hat dich geschaffen, so wie er Adam erschaffen hat und so wie er Jakob schuf. Der Moment des Erschaffens ist immer ein Moment des „Ich und Du“. Gott schafft jeden Menschen und darum erneuert sich die ganze Schöpfung in jedem Menschen. In jedem Menschen beginnt die Schöpfung neu, in jedem Menschen ist Hoffnung und Offenbarung und Gnade.

Und so spricht der Herr, der dich gemacht hat, Israel.

Die Verdoppelung der Anrede verstärkt und unterstreicht die Aussage, denn Jakob und Israel sind dieselbe Person. Am Jabbok, nach dem berühmten Gotteskampf, den Jakob führte und in dem er den Allmächtigen bedrängt mit der Forderung: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn“, wurde er gesegnet und bekam vom Herrn den Namen Israel, Gottesstreiter, Gottkämpfer, Gott kämpft.

Im Namen Israel klingt zugleich an, dass der Mensch immer in Gemeinschaft ist. Aus Jakob und seinen zwölf Söhnen wird ein großes Volk. Gott nennt einen und er meint alle. Das ist bei Gott kein Widerspruch. Der weitere Weg der Geschichte formte in Israel das Gottesvolk, das aus Ägypten heraus in die Freiheit geführt wurde, das das Königtum Davids und Salomos hervorbrachte, den Tempel baute und nach dessen Zerstörung auf Neuanfang hoffte und den Messias erwartete.

In dieses Volk hinein sandte Gott seinen Sohn. Durch ihn sind wir Israel. Die Kirche ist Israel. Nur darum können wir ja singen: Freue dich Israel seiner Gnaden!

Dem einen und uns allen spricht der Gott, der uns geschaffen hat, zu: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!

Fürchte dich nicht, der Allmächtige ist um uns, so wie er unser Ursprung war, so ist er auch das Ziel. Gleichsam zur Bekräftigung schließt sich nun ein zweifacher Doppelklang an: Weder Wasser noch Ströme, weder Feuer noch Flamme sollen dir etwas anhaben, denn ich rief dich bei deinem Namen.

Darin drückt sich aus, dass Gott eine, bis in den letzten Abgrund schauende, Kenntnis von uns hat. Er ruft uns bei unserem Namen, er spricht an, was wir im Innersten sind. Jede Äußerlichkeit kann davor verfallen und sogar unsere Vergänglichkeit bleibt ohne Bedeutung, denn das, was Gott in uns ruft, ist ja ein Teil von ihm. Es ist unverlierbar, unzerstörbar und von ihm genommen. Er führt uns heim!

Ich bin der HERR, dein Gott, der Heilige in Israel, dein Heiland. Gott ist Herrscher und weil er in Israel ist, in dem einen und in allen, ist er DEIN Heiland, so wie er auch mein Heiland ist.

Alles gibt Gott hin, alles vergeht vor seinem Angesicht. Er gibt Völker, Länder und Menschen als Lösegeld.

Unsere Gegenwart hat ein ausgeprägtes Problem damit, dass ein Volk erwählt ist und alle anderen nicht. Sie hält das für ungerecht und für einen Verstoß gegen die Gleichheit aller. Sie behauptet, damit wären alle anderen Völker diskriminiert.

Diese Haltung ist kein Atheismus. Dem Atheisten kann es herzlich gleichgültig sein, welches Volk der Gott, an dessen Wirklichkeit er nicht glaubt, sich erwählt. Diese Haltung ist also schlimmer als der Atheismus, weil sich in ihr Hass auf Gott ausdrückt, den man für ungerecht erklärt.

Wir hingegen müssen ganz nüchtern feststellen: Natürlich gibt es Unterschiede zwischen Völkern. Sie sind genauso normal und vielfältig wie es die Unterschiede sind, die es zwischen Menschen gibt. Es wäre ganz unsinnig, wirklichkeits- und wahrheitsfern, sie zu leugnen. Es gibt auch heute die Wenigen, die sich hier versammelt haben und es gibt die Vielen, die nicht hier sind. Und natürlich macht das einen Unterschied und diskriminiert dennoch niemanden, weil jeder andere auch hätte kommen können.

Wie ist diese Erwählung dann folglich zu verstehen? „Nicht hat euch der Herr angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker – denn du bist das kleinste unter den Völkern -, sondern weil er euch geliebt hat.“ So heißt es bei Mose und Jesaja schreibt: „Weil du so wert bist vor meinen Augen geachtet, musst du auch herrlich sein, und ich habe dich lieb.“

Michelangelo, Jesaja, Decke der Sixtinischen Kapelle, Rom, von hier

Es gibt nichts, worauf sich das erwählte Volk etwas einbilden könnte, es ist mitnichten größer oder mächtiger als andere Völker. Es hat auch keinen Vorrang, sondern es hat zunächst und vor allem eine Aufgabe. Dieses Volk soll die Liebe Gottes in der Welt sichtbar werden lassen. Gott hat seine Liebe zu diesem Volk entdeckt und will, dass sie in der Welt sichtbar wird, denn es ist gut für diese Welt, dass diese Liebe sichtbar in ihr ist. 

Gott tut darin genauso wenig ein Unrecht, wie es der verliebte junge Mann tut, der seine Liebe zu einem Menschen herausschreit. Vielmehr sind alle diejenigen der Sünde des Neides und der Missgunst schuldig, die den beiden ihre Liebe und ihr Glück nicht gönnen. Alle anderen Menschen aber können sich mit den Verliebten freuen und werden spüren, dass auch ihr Leben heller und schöner wird durch diese Freude, die sie empfinden.

Vielleicht heiraten unsere beiden Verliebten auch irgendwann und geben sich damit ein verpflichtendes Versprechen. Offenbar gehören die Liebe und das Versprechen nämlich wirklich schon immer fest zusammen.

Auch unser Text fährt fort: Wehre nicht! Bringe meine Söhne von ferneher und meine Töchter von der Welt Ende, alle, die mit meinem Namen genannt sind, die ich geschaffen habe zu meiner Herrlichkeit und zubereitet und gemacht.

Er hat sein Volk erwählt, damit er seinen Eid hielte, den er den Vätern geschworen hat, denn er hat sie mit seinem Namen genannt. Es ist von Bedeutung, dass anfangs davon die Rede war, dass Gott uns bei unserem Namen ruft und hier am Ende davon gesprochen wird, dass wir mit seinem Namen genannt sind.

Nichts ist verwerflich daran, wenn jemand sein Liebesversprechen auch tatsächlich hält, schon gar nicht, wenn Gott dies tut. Alles, was Gott vor aller Welt tut, das tut er, damit die Welt erzittert vor Staunen über seine Gewalt, die eine Gewalt der Liebe ist.

Du sollst wissen, hier offenbart sich der alleinige, der einzige und der treue Gott, der den Bund und die Barmherzigkeit hält. Der Bund und die Barmherzigkeit sind ein schöner Ausdruck dafür, dass bei Gott alles unlöslich und gleichzeitig Ordnung seiner Weisheit und Regung seines Herzens ist. Er hält Bund und Barmherzigkeit. Darum sollen auch wir Menschen unseren guten Herzensregungen verlässliche Ordnungen geben und sie auch halten. Sie können ein Weg sein, unsere Liebe zu Gott auszudrücken.

Darum sucht die Liebe zum alleinigen Gott in euch. Darum allein macht Gott seine Liebe in der Welt sichtbar, dass die Welt ihn mit ihrer Liebe suchen möge. Das Volk Gottes findet darin Gemeinsamkeit, Verantwortung und auch Verwandtschaft.

Denn wir verkünden der Welt, dass mit Christus die Erwählung des Volkes Israel für immer bewahrt und doch gleichzeitig an die ganze Welt verschenkt wurde. Die Erwählung des Volkes Israel bleibt in Christus bestehen, und dennoch ist der Horizont aufgerissen, damit Gott sich sein Volk in der Taufe aus allen Völkern erwählen kann. Gottes Liebe hat sich in der Geschichte sichtbar, erlebbar und dauerhaft gemacht, damit sie alle erreicht.

Jan Assmann hat in seinem bemerkenswerten Buch „Mose der Ägypter“ den Satz aufgeschrieben: „Da Gott seine Absichten in der Geschichte versteckt hat, wird historische Forschung zur theologischen Aufgabe oder lässt sich als solche legitimieren.“

Als Christen viel mehr als alle anderen müssen wir die Geschichte ernst nehmen als den Ort, an dem sich Gottes Wille ausdrückt. Der Hochmut verführt die Menschen immer wieder dazu, die Geschichte als etwas zu benutzen, was sie meinen aus ihren kleinen Begriffen von Gerechtigkeit Gott um die Ohren hauen zu dürfen, oder gar an seiner Statt die Gerechtigkeit selber herstellen zu müssen.

Dabei lehrt uns die Geschichte doch mit großer Eindringlichkeit wieder und wieder, dass Menschen und Völker nie das Gleiche empfangen und haben werden, sondern das sie den Dienst tun sollen, der ihnen auferlegt ist, nämlich ihn zu lieben und seine Gebote zu halten. 

Immer müssen wir dabei daran denken, dass einer der Unterschiede zwischen Gott und Mensch darin besteht, dass wir nur einen kleinen Ausschnitt der Geschichte selbst erleben, sie vor Gott aber, der gestern, heute, morgen und derselbe in Ewigkeit ist, immer als Ganzes steht. Seine Gerechtigkeit erklärt sich erst und nur in der Ganzheit der Geschichte. 

Insofern ist diese Ganzheit der Geschichte der eigentliche und tiefste Ausdruck auch für das Jüngste Gericht, das wir erwarten, uns als Menschen aber immer nur als ein künftiges denken können.

Einzig Gott macht uns gleich und gerecht, durch die Liebe, die er auf seinen Wegen lässt sichtbar werden in uns und in unserer Welt! Und darum: Fürchtet euch nicht! Wir sind erlöst! Wir sind bei unserem Namen gerufen und in seinem Namen getauft. Gott spricht: Du bist mein!

Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher ist, denn alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen

Thomas Roloff

nachgetragen am 17. Juli

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Wunderbar!