Sonntag, 21. Juli 2024

Vom Licht aus der Finsternis – eine Predigt.

Herr Roloff hat an diesem Sonntag diese anrührende Predigt gehalten, die ich erst einen Tag verspätet bringe (das Wetter hatte mich lahmgelegt). Der eine der beiden Predigtorte war die St. Nikolai-Kirche in Magdeburg, eine Schinkelkirche. Daher die Bilder. 

Als vielleicht kuriose Beigabe. Es gibt eine komplette Videoaufnahme vom Gottesdienst, (wo der Prediger öfters kopflos erscheint), wer möchte, findet sie hier. Man achte in solchem Fall besonders auf das gut alt-christlich, alt-lutherische Fürbittengebet fast am Ende.


Predigt zum 8. Sonntag nach Trinitatis, Magdeburg

Gnade sei mit euch und Frieden von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen

Denn ihr waret weiland Finsternis; nun aber seid ihr ein Licht in dem HERRN. Wandelt wie die Kinder des Lichts, die Frucht des Geistes ist allerlei Gütigkeit und Gerechtigkeit und Wahrheit, und prüfet, was da sei wohlgefällig dem HERRN und habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis, strafet sie aber vielmehr. 

Denn was heimlich von ihnen geschieht, das ist auch zu sagen schändlich. Das alles aber wird offenbar, wenn's vom Licht gestraft wird; denn alles, was offenbar ist, das ist Licht. Darum heißt es: "Wache auf, der du schläfst, und stehe auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten."

Eph 5, 8b-14

Liebe Gemeinde,

bereits in früher Jugend hat mich ein Film berührt, den ich im Fernsehen geschaut habe. Sein Titel lautet: „Der Elefantenmensch“. Es handelt sich um ein amerikanisches Filmdrama aus dem Jahr 1980, in dem David Lynch Regie führte.

In dem Schwarzweißfilm sind John Hurt als der von einer Krankheit entstellte „Elefantenmensch“ John Merrick und Anthony Hopkins als der Arzt Frederick Treves zu sehen.

Der Film basiert auf der realen Geschichte von Joseph Merrick. Der im Film John Merrick genannte Mann wird wegen seiner bizarren körperlichen Missbildung als Attraktion auf Jahrmärkten gezeigt. Frederick Treves befreit ihn aus dieser Lage, erkennt einen sensiblen Mann hinter dem abschreckenden Äußeren und versucht darauf, ihn in ein eigenes Leben zu führen und in die Gesellschaft einzugliedern.

Die Handlung des Films spielt im London des Jahres 1881: Auf einem Jahrmarkt trifft der Arzt Frederick Treves John Merrick, einen Mann, der wie bereits erwähnt, aufgrund schrecklichster Deformationen als der „Elefantenmensch“ bezeichnet und als Monster ausgestellt wird.

Vielleicht zunächst nur aus medizinischem Antrieb interessiert der Arzt sich für dieses Geschöpf. Er befreit ihn aus den Fängen des trinkenden und unbarmherzigen Schaustellers und bringt ihn in ein Hospital.

Die Reaktionen auf den durch jahrelange Misshandlungen völlig verstörten „Elefantenmenschen“ reichen von Entsetzen und Furcht bis Neugier und Mitleid, so auch, als Treves ihn einer akademischen Gesellschaft vorführt.

Joseph „John“ Merrick, der „Elefantenmensch“ (1889), von hier

Der Rücken ist von Tumoren übersät, der rechte Arm stark deformiert und unbrauchbar. Der reale Joseph Merrick litt vermutlich am Proteus-Syndrom, einer entsetzlichen Krankheit. Am auffälligsten ist der grotesk vergrößerte Schädel, der ihn zwingt, im Sitzen zu schlafen; im Liegen knickt unweigerlich seine Luftröhre zusammen und er würde im Schlaf ersticken. 

Der Chirurg ringt weiterhin darum, ihn im Hospital zu behalten, da sich der Direktor zunächst dagegen ausspricht.

Der Wendepunkt des Films ist eine Szene, in der dieses Wesen, vor dem die Menschen erschrecken, das ihnen Furcht einjagt, das fremd und grauenhaft wirkt, beginnt, Verse des 23. Psalms zu zitieren, zu beten. Plötzlich stellt man fest, dass Merrick nicht wie angenommen „schwachsinnig“, sondern ein freundlicher, intelligenter und sensibler Mann ist.

Psalm 23, "The Lord is my shepherd", von hier

Alles war Finsternis, nun aber wird es Licht. Viel zu oft lassen wir uns irreleiten durch das, was vor Augen ist. Gott aber schaut in das Herz.

Viel zu oft lassen auch wir uns durch eine derartige Geschichte dazu verführen, Klage darüber zu erheben, dass solche Krankheiten und Leiden möglich sind, statt zu erkennen, wieviel Licht selbst aus ihnen hervorbrechen kann.

Denn ihr waret weiland Finsternis; nun aber seid ihr ein Licht in dem HERRN. Wandelt wie die Kinder des Lichts, die Frucht des Geistes ist allerlei Gütigkeit und Gerechtigkeit und Wahrheit,und prüfet, was da sei wohlgefällig dem HERRN und habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis, strafet sie aber vielmehr. Denn was heimlich von ihnen geschieht, das ist auch zu sagen schändlich. 

Das alles aber wird offenbar, wenn's vom Licht gestraft wird; denn alles, was offenbar ist, das ist Licht. Darum heißt es: "Wache auf, der du schläfst, und stehe auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten."

John Merrick ist dazu erwacht aus der Demütigung, in die er versenkt war, um zum Licht zu werden, denjenigen, denen er begegnete. Mit seinem unbeholfenen Zeugnis vom Glauben, das gleichzeitig Rettungsruf und Hilfeschrei war, wird er zu einem der Kinder des Lichts! 

Aus der geschundenen, geknechteten, gequälten Kreatur bricht das wunderbarste Licht hervor durch ein einfaches Gebet: Der Herr ist mein Hirte. 

Mausoleum der Galla Placidia (Ravenna), von hier

Und gleichzeitig treten die Werke der Finsternis umso deutlicher hervor. Die Krankheit war nicht Leid genug, er wurde eingesperrt, gedemütigt und als Monster den Schaulustigen präsentiert, die sich dadurch selbst als reine Bestien der Unmenschlichkeit charakterisierten.

Wer wollte hier nicht an die Jesaja-Verse denken:

„Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, daß man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet.

 Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre.

 Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf daß wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. 

Wir gingen alle in der Irre wie Schafe, ein jeglicher sah auf seinen Weg; aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn.“

Liebe Gemeinde,

völlig zu Recht deutet die Kirche dieses Prophetenwort auf den Herrn, der von sich selbst zeugt: Ich bin das Licht der Welt. Aus dem Verständnis für sein Leid erwächst uns nun auch ein ganz neues Begreifen allen Leides und aller Krankheit. Jeder Mensch nimmt in seinem Leiden und in seiner Krankheit Anteil am Leid Jesu, denn er hat durch seine Passion Anteil genommen an unserer menschlichen Existenz bis in die tiefste Qual hinein.

Darum gibt es keine Berechtigung dafür, mit unserem Leid anklagend vor Gott hinzutreten, sondern aus allem, auch aus der geschundenen und gequälten Kreatur, soll sein Lob erschallen. 

Das Licht soll uns daraus leuchten, dass er bei uns ist. Der Herr ist mein Hirte. So hat John Merrick gebetet und wurde zum Zeugen für Gottes Gegenwart und Herrlichkeit, gerade weil er eine geschundene und gequälte Kreatur war.

Welches Wunder würde sich ereignen, wie würde die Welt verwandelt, wenn wir den Mut hätten uns und die Welt so zu sehen? 

Wir waren weiland Finsternis, nun aber wären wir Licht des Herrn. Wandelt also wie die Kinder des Lichts, die Frucht des Geistes ist allerlei Gütigkeit und Gerechtigkeit und Wahrheit, und prüfet, was da sei wohlgefällig dem HERRN und habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis, strafet sie aber vielmehr. 

Denn was heimlich von ihnen geschieht, das ist auch zu sagen schändlich. Das alles aber wird offenbar, wenn's vom Licht gestraft wird; denn alles, was offenbar ist, das ist Licht. Darum heißt es: "Wache auf, der du schläfst, und stehe auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.“

Wachet auf zur Dankbarkeit und zum Gotteslob. Lasst uns dankbar sein, wo wir vom Leiden verschont bleiben. Lasst uns aber Gott auch dort loben, wo uns das Leid auferlegt ist. 

Und noch vielmehr, lasst uns das Leid der geschundenen Kreatur nicht durch Unbarmherzigkeit oder gar Spott vermehren, sondern lasst uns helfen, es zu tragen. Das nämlich ist wahre Mitmenschlichkeit.

O gläubig Herz, gebenedei, von hier

Der „Elefantenmensch“ findet in dem Chirurgen Frederick Treves einen Freund, auch, wenn dieser ihn von seiner Krankheit nicht heilen kann. Als er und Treves gemeinsam in ein Theater gehen, wird er von den Besuchern mit einem Applaus bejubelt, als eine der Schauspielerinnen nach dem letzten Akt bekannt gibt, dass die Vorstellung John gewidmet war.

Nach dem Theaterbesuch begibt sich Merrick in sein Bett zum Schlafen, doch anstatt sich wie sonst zu setzen, legt er sich flach auf den Rücken. Gegenüber Treves hatte er einmal geäußert, dass es sein größter Wunsch sei, in einem Bett zu schlafen „wie normale Menschen“. In der letzten Sequenz des Films erscheint ihm das Gesicht seiner Mutter im weiten All.

Lebt als Kinder des Lichts! Das bedeutet, sich in jeder Weise Gott als den entscheidenden Bezugspunkt zu bewahren, denn er ist der Herr. Er ist der Ursprung und das Ziel aller Dinge. Er ist die Quelle unseres Lebens und zu ihm kehren wir heim. Wo immer wir davon Zeugnis geben und in dieser Gewissheit leben, da werden wir zu seinem Licht. 

Das geringste Gebet, ein leiser Lobgesang, die zur Hilfe hingestreckte Hand und jedes freundliche Wort können dieses Licht entzünden und lassen es scheinen in der Welt, auch heute, wieder.

Amen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist denn alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unseren Herrn.

Amen.

Thomas Roloff

nachgetragen am 22. Juli

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