Montag, 19. April 2010

Benedikt XVI.



Der Umgang mit Benedikt XVI. ist der eines zynischen Mißverstehens.

Die Moderne darf wie jede Revolution nie stillstehen, sie lebt nur in der Bewegung, also muß sie ständig entlarven, befreien, demontieren, aufklären, umdeuten, abtragen, ausgrenzen, fragwürdig machen, dekonstruieren, denunzieren, in den Schatten stellen, auftrumpfen, überbieten, zerstören. Im Kern ist sie getrieben von totalitärem Denken. Das Spiel geht so im Grunde schon seit der Aufklärung, es ist seit dem letzten Jahrhundert nur etwas radikaler und in den letzten Jahrzehnten zudem etwas unsicher geworden.

Es ist eigentümlich, die Dikatoren des 20. Jahrhundert und die sich links, liberal, aufklärerisch und oder fortschrittlich fühlenden Volksemanzipatoren waren in einem vereint, sie mochten die katholische Kirche nicht, und das sehr.

Pünktlich zum fünfjährigen Pontifikat Papst Benedikt XVI. ist eine Kampagne zu bestaunen, die vorgibt, um mißbrauchte Kinder besorgt zu sein. Natürlich gibt es Institutionen, die von ihrer Struktur her den Mißbrauch erleichtern, die Familie etwa, ich kann gerade aber keinen Feldzug zur Abschaffung der Familie erkennen. Nur um dem falschen Eindruck entgegenzutreten, ich würde verharmlosen wollen, was Kindern angetan wurde (man wird das trotzdem behaupten), ich mißtraue einfach den Anwälten, so wie ich bei der letzten Kampagne zur Kontrolle des Internets denen mißtraut habe, die, große Überraschung, auch dort nur mißbrauchte Kinder im Blick hatten.

Vor der gegenwärtigen Kampagne hat man der katholischen Kirche vor allem vorgeworfen, daß sie so rückschrittlich sei. Denn, was an der katholischen Kirche bis aufs Blut reizt, ist, daß sie nicht modern, sondern christlich sein will, sie ist eine der wenigen verbliebenen Institutionen, die sich nicht aus dem Gegenwärtigen begründen. Man würde erst (vielleicht) Ruhe geben, wenn sie sich bis zur Unkenntlichkeit und damit Irrelevanz geändert hätte, eine Art Trachtenverein zur Aufhübschung der Freizeit. Denn was auch auffällt, daß diese Kritik am lautesten von denen vorgetragen wird, die an der Botschaft der Kirche nicht entfernt interessiert sind. Der moderne Mensch weiß nicht mehr recht, wozu er da ist, also sucht er etwas, an dem er sich abarbeiten kann, das noch nicht verbraucht ist.

Es mag den Anschein haben, ich würde mich von der Person entfernen, um die es gerade gehen soll, aber dem ist nur vordergründig so. Ich muß noch einmal weiter ausholen und will zugleich einfügen, mir widerstrebt es, diese Art von Gedankengängen hier anzubringen, „weltanschaulich“ zu reden. Denn jede Weltanschauung, so hilfreich sie ist, verengt zugleich die Sicht, und man weiß nie, ob das, was nicht mehr gesehen wird, von der gewonnenen Sicherheit aufgewogen ist.

In einem meiner nichtveröffentlichten Posts geht es um "The Waste Land“ von T. S. Eliot, in meinen Augen auch eine Seelenstudie des modernen Menschen. Kürzlich gab es eine Neuübersetzung, und Herr Frank Dietschreit vom Kulturradio sprach in diesem Zusammenhang von der „Poetisierung der individuellen und gesellschaftlichen Öde, der seelischen Leere und religiösen Verflachung“, Herr Grünbein von der "Leere des nachmetaphysischen Menschen". Es ist also nicht so ganz ungewöhnlich zu behaupten, daß die Moderne eine Sache höchst zwiespältiger Natur ist. Und auch hier als Einschub, dieser Zwiespalt, das Getrieben-Sein des modernen Menschen hat durchaus bemerkenswerte Schöpfungen hervorgebracht, aber ob sich diese mentale Verfaßtheit als normal oder gar der seelischen Gesundheit zuträglich deklarieren läßt?

Die Apologeten der Moderne ficht dies nicht an, sie erwecken den Eindruck, als sei dies alles das Normalste, Gesündeste, Vernünftigste und ein gewisses Ressentiment so stumpfsinnig dumm, wie einen Aufenthalt in einem fauligen Keller dem an Bord einer Nobelyacht vorzuziehen. Das allerdings ist für mich eine Form von Scharlatanerie. Aber es ist natürlich anstrengend, stehenzubleiben, wenn alle in eine bestimmte Richtung laufen, von der man selbst glaubt, daß sie in den Abgrund führt. Und jetzt bin ich endlich beim Papst. Ich denke nämlich, mit diesen Gedankengängen nicht ganz weit entfernt von ihm zu stehen.

Ich lese seit einiger Zeit (es ist kein Buch, das man in einem liest, es ist mehr eines, bei dem man über jeder Seite meditiert) „Joseph Ratzinger, Jesus von Nazareth“. Er zeigt dort sehr eindrucksvoll, wie man die Glaubenswahrheit, daß Gott Mensch wurde, authentisch bejaht und zugleich die Methoden moderner Theologie benutzt. Man könnte auch sagen, er überwindet deren Grenzen, so sagt er über die moderne Bibelauslegung, die sogenannte historisch-kritische Methode:

„Als historische Methode sucht sie den damaligen Geschehenszusammenhang auf, in dem die Texte entstanden sind. Sie versucht die Vergangenheit möglichst genau – so wie sie in sich selber war – zu erkennen und zu verstehen,… Soweit die historische Methode sich treu bleibt, muss sie das Wort nicht nur als vergangenes aufsuchen, sondern auch im Vergangenen stehenlassen. Sie kann darin Berührungen mit der Gegenwart, Aktualität ahnen, Anwendungen auf die Gegenwart versuchen, aber heutig machen kann sie es nicht – da überschritte sie ihr Maß. Gerade die Genauigkeit in der Auslegung des Gewesenen ist ihre Stärke wie ihre Grenze.

Damit hängt ein Weiteres zusammen. Als historische Methode setzt sie die Gleichmäßigkeit des Geschehenszusammenhangs der Geschichte voraus, und deshalb muss sie die ihr vorliegenden Worte als Menschenworte behandeln. Sie kann bei sorgfältigem Bedenken wohl den »Mehrwert« erahnen, der in dem Wort steckt, eine höhere Dimension sozusagen durch das Menschenwort irgendwie hindurchhören und so die Selbsttranszendierung der Methode eröffnen, aber ihr eigentlicher Gegenstand ist das Menschenwort als menschliches." (S.15f.)

Und über die Frage, wie konnte es dazu kommen, daß Jesus von Nazareth nach seinem Tode als Christus verehrt wurde:

„Wie kam es zu dieser Christologie? Das Wirken anonymer Gemeindebildungen, deren Träger man ausfindig zu machen versucht, erklärt in Wirklichkeit nichts. Wieso konnten unbekannte kollektive Größen so schöpferisch sein? So überzeugen und sich durchsetzen? Ist es nicht auch historisch viel logischer, dass das Große am Anfang steht und dass die Gestalt Jesu in der Tat alle verfügbaren Kategorien sprengte und sich nur vom Geheimnis Gottes her verstehen ließ? Freilich, zu glauben, dass er wirklich als Mensch Gott war und dies in Gleichnissen verhüllt und doch immer unmißverständlicher zu erkennen gab, überschreitet die Möglichkeiten der historischen Methode.“ (S.21)

Dieser Papst ist soweit un- oder vormodern, wie die Moderne nicht christlich sein kann oder will. Im Grunde ist dies auch den meisten seiner Kritiker klar. Darum mein Eingangssatz: Der Umgang mit Benedikt XVI. ist der eines zynischen Mißverstehens. Es ist ein Mißverstehen-Wollen und es ist ein Vorschieben äußerer Umstände, weil man nicht zugeben will, um welchen Kampf es im Kern geht.

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