Montag, 5. September 2011

Wieland &

Ehemaliges Komödienhaus in Biberach,
1762 wurde hier erstmals ein Shakespeare-Stück in Deutsch aufgeführt,
„Der Sturm“ übersetzt von Christoph Martin Wieland


„Ich kann mich gerade noch erinnern, daß mir dieser Name ‚Kaiser von Trapezunt‘ zum ersten Mal in einem Märchen begegnet sein muß. Inzwischen denke ich, daß ich es bei Christoph Martin Wieland in seinem ‚Hexameron von Rosenhain‘ im Märchen ‚Narcissus und Narcissa‘ gefunden haben könnte, aber wie gesagt, die Erinnerung ist sehr schwach, allerdings, wenn uns Namen früh begegnen und sich ihre Bedeutung nicht scharf begrenzen läßt, erzeugen sie manchmal ein gewisses assoziationsverheißendes Eigenleben.

Abgesehen vom Märchenhaften steht aber ‚Trapezunt‘ auch für einen Teil unserer europäischen Seele, der weitgehend abgestorbenen ist. Der Untergang von Byzanz gehört zu den furchtbaren Mirakeln, die anzeigen, welcher Kosmos an Möglichkeiten gnadenlos zerstört werden kann, ohne daß das Nachfolgende auch nur ansatzweise dafür Genugtuung leisten könnte.“

Eigenzitate sind peinlich, ich weiß, aber gerade schaute ich, ob ich schon einmal etwas zu Christoph Martin Wieland geschrieben hätte, ich dachte, ich hätte, habe ich aber nicht wirklich und fand dabei das dort oben. Hm. Manchmal hat man lichte Momente. Er hat Shakespeare in Deutschland erstmals tatsächlich bekannt gemacht, ein wenig jedenfalls.

Goethe hat ihm diese Trauerrede gehalten, von der wir Auszüge bringen wollen und damit es keine reine Textwüste wird, bringen wir zwischendurch "Bist du bei mir" - eine wundervolle Arie von G.H. Stölzel, gefunden beim Blogger „Morgenländer“:

„Ob es gleich dem einzelnen unter keiner Bedingung geziemen will, alten ehrwürdigen Gebräuchen sich entgegenzustellen und das, was unsere weisen Vorfahren beliebt und angeordnet, eigenwillig zu verändern, so würde ich doch, stände mir der Zauberstab wirklich zu Gebote, den die Muse unserem abgeschiedenen Freunde geistig anvertraut, ich würde diese ganze düstere Umgebung augenblicklich in eine heitere verwandeln: dieses Finstere müßte sich gleich vor Ihren Augen erhellen, und ein festlich geschmückter Saal mit bunten Teppichen und munteren Kränzen, so froh und klar als das Leben unseres Freundes, sollte vor Ihnen erscheinen. Da möchten die Schöpfungen seiner blühenden Phantasie Ihre Augen, Ihren Geist anziehen, der Olymp mit seinen Göttern, eingeführt durch die Musen, geschmückt durch die Grazien, sollte zum lebendigen Zeugnis dienen, daß derjenige, der in so heiterer Umgebung gelebt und dieser Heiterkeit gemäß auch von uns geschieden, unter die glücklichsten Menschen zu zählen und keineswegs mit Klage, sondern mit Ausdruck der Freude und des Jubels zu bestatten sei…“

„Die Wirkungen Wielands auf das Publikum waren ununterbrochen und dauernd. Er hat sein Zeitalter sich zugebildet, dem Geschmack seiner Jahresgenossen sowie ihrem Urteil eine entschiedene Richtung gegeben, dergestalt, daß seine Verdienste schon genugsam erkannt, geschätzt, ja geschildert sind… Und woher kam die große Wirkung, welche er auf die Deutschen ausübte? Sie war eine Folge der Tüchtigkeit und der Offenheit seines Wesens. Mensch und Schriftsteller hatten sich in ihm ganz durchdrungen, er dichtete als ein Lebender und lebte dichtend. In Versen und Prosa verhehlte er niemals, was ihm augenblicklich zu Sinne, wie es ihm jedesmal zumute sei, und so schrieb er auch urteilend und urteilte schreibend. Aus der Fruchtbarkeit seines Geistes entquoll die Fruchtbarkeit seiner Feder… dieses gab seinen Produktionen das Zarte, Zierliche, Faßliche, das Natürlichelegante, welches nicht durch Bemühung, sondern durch heitere, geniale Aufmerksamkeit auf ein schon fertiges Werk hervorgebracht werden kann…“

„Wer kann dem Konflikt mit der Außenwelt entgehen? Auch unser Freund wird in diesen Streit hineingezogen; ungern läßt er sich durch Erfahrung und Leben widersprechen, und da ihm nach langem Sträuben nicht gelingen will, jene herrlichen Gestalten mit denen der gemeinen Welt, jenes hohe Wollen mit den Bedürfnissen des Tages zu vereinigen, entschließt er sich, das Wirkliche für das Notwendige gelten zu lassen, und erklärt das ihm bisher Wahrgeschienene für Phantasterei.“

„Aber auch hier zeigt sich die Eigentümlichkeit, die Energie seines Geistes bewundernswürdig… er verzehrt sich nicht in eitlen Klagen, … sondern er entschließt sich zur Gegenwirkung. Er kündigt allem, was sich in der Wirklichkeit nicht immer nachweisen läßt, den Krieg an, zuvörderst also der platonischen Liebe, sodann aller dogmatisierenden Philosophie, besonders den beiden Extremen, der stoischen und pythagoreischen. Unversöhnlich arbeitet er ferner dem religiösen Fanatismus und allem, was dem Verstande exzentrisch erscheint, entgegen.“

„Aber sogleich überfällt ihn die Sorge, er möge zu weit gehen, er möge selbst phantastisch handeln, und nun beginnt er zugleich einen Kampf gegen die gemeine Wirklichkeit. Er lehnt sich auf gegen alles, was wir unter dem Wort Philisterei zu begreifen gewohnt sind, gegen stockende Pedanterei, kleinstädtisches Wesen, kümmerliche äußere Sitte, beschränkte Kritik, falsche Sprödigkeit, platte Behaglichkeit, anmaßliche Würde, und wie diese Ungeister, deren Name Legion ist, nur alle zu bezeichnen sein mögen. Hierbei verfährt er durchaus genialisch, ohne Vorsatz und Selbstbewußtsein. Er findet sich in der Klemme zwischen dem Denkbaren und dem Wirklichen, und indem er beide zu gewältigen oder zu verbinden Mäßigung anraten muß, so muß er selbst an sich halten, und, indem er gerecht sein will, vielseitig werden.“

„… nur das, was man mit Heiterkeit ansehe, werde man recht sehen, war seine Meinung. Wer mit Heiterkeit in seinen eigenen Busen schauen könne, müsse ein guter Mann sein. Darauf komme alles an, und alles übrige Gute entspringe daher. Geist, Witz, Humor seien die echten Organe, womit ein solches Gemüt die Welt anfasse.“



„Shakespeare zu übersetzen, war in jenen Tagen ein kühner Gedanke, weil selbst gebildete Literatoren die Möglichkeit leugneten, daß ein solches Unternehmen gelingen könne. Wieland übersetzte mit Freiheit, erhaschte den Sinn seines Autors, ließ beiseite, was ihm nicht übertragbar schien, und so gab er seiner Nation einen allgemeinen Begriff von den herrlichsten Werken einer anderen, seinem Zeitalter die Einsicht in die hohe Bildung vergangener Jahrhunderte. Diese Übersetzung, so eine große Wirkung sie in Deutschland hervorbrachte, schien auf Wieland selbst wenig Einfluß gehabt zu haben. Er stand mit seinem Autor allzusehr in Widerstreit, wie man genugsam erkennt aus den übergangenen und ausgelassenen Stellen, mehr noch aus den hinzugefügten Noten, aus welchen die französische Sinnesart hervorblickt.“

„Andrerseits aber sind ihm die Griechen, in ihrer Mäßigung und Reinheit, höchst schätzbare Muster… Hier sind Philosophie und Weltgenuß durch eine kluge Begrenzung so heiter und wünschenswert verbunden, daß man sich als Mitlebender in einem so schönen Lande, in so guter Gesellschaft zu finden wünscht. Man tritt so gern mit diesen unterrichteten, wohldenkenden, gebildeten, frohen Menschen in Verbindung, ja man glaubt, solange man in Gedanken unter ihnen wandelt, auch wie sie gesinnt zu sein, wie sie zu denken.“

„… da unserm Freund niemals das Anschauen jener überbliebenen alten Meisterwerke gegönnt ward, so suchte er durch den Gedanken sich zu ihnen zu erheben, sie durch die Einbildungskraft zu vergegenwärtigen, dergestalt, daß man bewundern muß, wie der vorzügliche Geist sich auch von dem Entfernten einen Begriff zu machen weiß; ja es würde ihm vollkommen gelungen sein, hätte ihn nicht eben seine lobenswerte Behutsamkeit abgehalten, entschiedene Schritte zu tun: denn die Kunst überhaupt, besonders aber die der Alten, läßt sich ohne Enthusiasmus weder fassen noch begreifen. Wer nicht mit Erstaunen und Bewunderung anfangen will, der findet nicht den Zugang in das innere Heiligtum. Unser Freund aber war viel zu bedächtig, und wie hätte er auch in diesem einzigen Falle eine Ausnahme von seiner allgemeinen Lebensregel machen sollen? … War er jedoch mit den Griechen durch Geschmack nahe verwandt, so war er es mit den Römern noch mehr durch Gesinnung…“

„Es gibt zwei Übersetzungsmaximen: die eine verlangt, daß der Autor einer fremden Nation zu uns herübergebracht werde, dergestalt, daß wir ihn als den Unsrigen ansehen können; die andere hingegen macht an uns die Forderung, daß wir uns zu dem Fremden hinüberbegeben und uns in seine Zustände, seine Sprachweise, seine Eigenheiten finden sollen. Die Vorzüge von beiden sind durch musterhafte Beispiele allen gebildeten Menschen genugsam bekannt. Unser Freund, der auch hier den Mittelweg suchte, war beide zu verbinden bemüht; doch zog er als Mann von Gefühl und Geschmack in zweifelhaften Fällen die erste Maxime vor.“

„Niemand hat vielleicht so innig empfunden, welch verwickeltes Geschäft eine Übersetzung sei, als er. Wie tief war er überzeugt, daß nicht das Wort, sondern der Sinn belebe. Man betrachte, wie er in seinen Einleitungen uns erst in die Zeit zu versetzen und mit den Personen vertraut zu machen bemüht ist, wie er alsdann seinen Autor auf eine uns schon bekannte, unserem Sinn und Ohr verwandte Weise sprechen läßt, und zuletzt noch manche Einzelheit, welche dunkel bleiben, Zweifel erregen, anstößig werden könnte, in Noten auszulegen und zu beseitigen sucht. Durch diese dreifache Bemühung, sieht man recht wohl, hat er sich erst seines Gegenstandes bemächtigt, und so gibt er sich denn auch die redlichste Mühe, uns in den Fall zu setzen, daß seine Einsicht uns mitgeteilt werde, auf daß wir auch den Genuß mit ihm teilen.“

„… Und hier ist es der Ort, der für Deutschland so wichtigen Zeitschrift, des Teutschen Merkurs, zu gedenken… Auf das Publikum überhaupt war die Wirkung groß und bedeutend… sein Glück weckte Nachahmer; ähnliche Zeitschriften entstanden, die erst monatlich, dann wochen- und tageweise sich ins Publikum drängten und endlich jene babylonische Verwirrung hervorbrachten, von der wir Zeuge waren und sind, und die eigentlich daher entspringt, daß jedermann reden und niemand hören will.“

„Was den Wert und die Würde des Teutschen Merkurs viele Jahre hindurch erhielt, war die dem Herausgeber desselben angeborene Liberalität. Wieland war nicht zum Parteihaupt geschaffen; wer die Mäßigung als Hauptmaxime anerkennt, darf sich keiner Einseitigkeit schuldig machen. Was seinen regen Geist aufreizte, suchte er durch Menschenverstand und Geschmack bei sich selbst ins Gleiche zu bringen…“

„Gar viele Menschen sind noch jetzt an ihm irre, weil sie sich vorstellen, der Vielseitige müsse gleichgültig und der Bewegliche wankelmütig sein. Man bedenkt nicht, daß der Charakter sich nur durchaus aufs Praktische beziehe. Nur in dem, was der Mensch tut, zu tun fortfährt, worauf er beharrt, darin zeigt er Charakter, und in diesem Sinne hat es keinen festeren, sich selbst immer gleicheren Mann gegeben als Wieland. Wenn er sich der Mannigfaltigkeit seiner Empfindungen, der Beweglichkeit seiner Gedanken überließ, keinem einzelnen Eindruck Herrschaft über sich erlauben wollte, so zeigte er eben dadurch die Festigkeit und Sicherheit seines Sinnes. Der geistreiche Mann spielte gern mit seinen Meinungen, aber — ich kann alle Mitlebenden als Zeugen auffordern — niemals mit seinen Gesinnungen. Und so erwarb er sich viele Freunde und erhielt sie. Daß er irgend einen entschiedenen Feind gehabt, ist mir nicht bekannt geworden...“

„Wieland war ganz eigentlich für die größere Gesellschaft geboren … sein dichterisches sowie sein literarisches Streben war unmittelbar aufs Leben gerichtet, und wenn er auch nicht gerade immer einen praktischen Zweck suchte, ein praktisches Ziel hatte er doch immer nah oder fern vor Augen. Daher waren seine Gedanken beständig klar, sein Ausdruck deutlich, gemeinfaßlich, und da er, bei ausgebreiteten Kenntnissen, stets an dem Interesse des Tages festhielt, demselben folgte, sich geistreich damit beschäftigte, so war auch seine Unterhaltung durchaus mannigfaltig und belebend; wie ich denn auch nicht leicht jemand gekannt habe, welcher das, was von anderen Glückliches in die Mitte gebracht wurde, mit mehr Freudigkeit aufgenommen und mit mehr Lebendigkeit erwidert hätte.“

„Bei dieser Art zu denken, sich und andere zu unterhalten, bei der redlichen Absicht, auf sein Zeitalter zu wirken, verargt man ihm nun wohl nicht, daß er gegen die neueren philosophischen Schulen einen Widerwillen faßte…“

„So sehr auch jederzeit sein Blick auf das Irdische, auf die Erkenntnis, die Benutzung desselben gerichtet schien — des Außerweltlichen, des Übersinnlichen konnte er doch, als ein vorzüglich begabter Mann, keineswegs entbehren. Auch hier trat jener Konflikt, den wir oben umständlich zu schildern für Pflicht gehalten, merkwürdig hervor; denn indem er alles abzulehnen schien, was außer den Grenzen der allgemeinen Erkenntnisse liegt, außer dem Kreise dessen, was sich durch Erfahrung betätigen läßt, so konnte er sich doch niemals enthalten, gleichsam versuchsweise, über die so scharf gezogenen Linien wo nicht hinauszuschreiten, doch hinüberzublicken und sich eine außerweltliche Welt, einen Zustand, von dem uns alle angeborenen Seelenkräfte keine Kenntnis geben können, nach seiner Weise aufzuerbauen und darzustellen…“

(„Zu brüderlichem Andenken Wielands“, von Goethe vorgetragen am 18. Februar 1813)
zu Ende geschrieben am 6. September

2 Kommentare:

naturgesetz hat gesagt…

It's fascinating getting these glimpses into German culture. I must confess that I had to read the English language wiki article on Wieland.

As for Trapezunt, I puzzled for a few minutes until the name Trebizond gurgled up in the swamp of memory as the probable English equivalent. Again, a wiki article in English gave additional detail. Previously, I had thought of Trebizond as merely part of medieval romantic legend.

So this was a very instructive post for me.

MartininBroda hat gesagt…

The Empire of Trebizond indeed :) I'm glad I could be helpful & therefore tried to find a translation of my quoted remarks Goethe made in honor of Wieland, unfortunately I only found this, but it's nice to read - http://goethetc.blogspot.com/2009/10/goethe-wieland-and-world-literature.html