Montag, 18. Juni 2012

Rosen & Nachträge


"Je mehr man etwas anschaut, desto weniger kann man es erkennen, und je mehr jemand etwas erlernt, desto weniger weiß er davon." Sollte es aber "um etwas wirklich Ernstes“ gehen „versammelt man zwölf gewöhnliche Männer, die gerade herumstehen. Dasselbe tat der Begründer des Christentums".

Da haben wir ihn in nuce. Ein (politisch) Liberaler und Traditionalist. Und der Bursche entzieht sich irgendwie, in vielerlei Hinsicht. Gilbert Keith Chesterton starb am 14. Juni 1936, und solange (nein, nicht seit 1936) laboriere ich daran herum, aus meiner Lektüre einen Beitrag zu machen (ich habe das etwas mit zusammenhanglosen Bildern behübscht). Er kämpfte an vielen Fronten, die uns alle vertraut vorkommen -  gegen einen aggressiven Atheismus / Materialismus, liberale Theologie, die Selbstgefälligkeit des Zeitgeistes. Aber beginnen wir einfach mit einem weiteren Zitat.



„Der Materialist (bietet) den gleichen exotischen Anblick wie der Irre. Beide nehmen eine Haltung ein, die zugleich unwiderlegbar und unerträglich ist.“

Er hat dies sehr hübsch hier ausführlicher beschrieben. Die von ihm beschriebene Situation, ein Spaziergang mit einem Verleger - „und plötzlich ging mir auf, wie nichtssagend sie war.“ Eine beliebte Wendung nämlich: „Der Verleger äußerte über jemanden: 'Dieser Mann wird es weit bringen; er glaubt an sich.' … Ich sagte zu ihm: 'Wollen Sie wissen, wo sich die Leute befinden, die am meisten an sich glauben? Ich kann es Ihnen sagen. Ich kenne Leute, deren Glaube an sich selbst unerschütterlicher ist als der eines Napoleon oder Cäsar. Ich weiß, wo der Fixstern des Selbstvertrauens und der Erfolgsgewißheit am hellsten glüht. Ich kann sie zu den Thronen der Übermenschen bringen. Die Menschen, die wahrhaft an sich glauben, stecken alle in Irrenanstalten.'“




Getroffen und versenkt, läßt sich da nur sagen. Und diese Methode ist typisch für ihn, er schaut genau auf seine Zeitgenossen und macht sich originell und fromm über sie lustig:

„Im Gespräch mit dem arroganten Verfechter des Zweifels ist es nicht die richtige Methode, ihm zu sagen, er solle aufhören zu zweifeln. Eher sollte man ihm sagen, er müsse fortfahren zu zweifeln, er müsse noch etwas mehr zweifeln, er müsse jeden Tag Neueres und Wilderes im Weltall bezweifeln, bis er schließlich, durch eine seltsame Erleuchtung, anfange, an sich selbst zu zweifeln.“

Und:

„Das Ungute an der modernen Vorstellung vom geistigen Fortschritt besteht darin, daß dieser durchweg mit dem Sprengen von Fesseln, dem Beseitigen von Schranken, dem Abschaffen von Dogmen assoziiert wird. Wenn irgend es aber geistige Entwicklung geben soll, dann muß sie Entwicklung zu immer mehr festen Überzeugungen, zu immer mehr Dogmen meinen.“

Chesterton stolpert über das „Willkürmoment des Faktischen und seine Unergründlichkeit“. Ihm erscheint der „Realismus“ seiner Zeitgenossen zu dürftig, als daß er ihn geistig zufrieden stellen könnte. „Sie behaupteten, ich würde meine Ideale verlieren und mich dem Pragmatismus ergeben. Meine Ideale habe ich indes ganz und gar nicht verloren; meine Grundüberzeugungen sind mir unverändert erhalten geblieben. Eingebüßt habe ich vielmehr meinen kindlichen Glauben an den Pragmatismus... Nein, Visionen sind immer etwas Solides und Zuverlässiges. Visionen sind stets Tatsachen. Die Wirklichkeit ist es, deren Sein sich häufig als Schein entpuppt.“



Es ist wie mit der Geschichte von des Kaisers neuen Kleidern. Chesterton ist das Kind, das ausruft: „Aber der Kaiser ist ja nackt“, nur daß im Märchen alle befreit auflachen. Wir hingegen sehen allenfalls ein mürrisches Stirnrunzeln. Doch:

„Es ist müßig, ständig von dem Gegensatz zwischen Vernunft und Glauben zu reden. Die Vernunft selbst ist eine Sache des Glaubens. Davon auszugehen, daß unsere Gedanken überhaupt in einer Beziehung zur Wirklichkeit stehen, ist ein Glaubensakt.“

Eben, es ist immer wieder kurios, wie sich Agnostiker etc. sich hinauszumogeln suchen, indem sie ihren Annahmen andere Namen geben, um sich so in den Anschein des Wissenden zu kleiden. Aber Chesterton geht es weniger um Erkenntniskritik, er hält diese Art destruktiven Denkens schlicht für verheerend:

„Unser Vorwurf gegen die Hauptsätze des Materialisten lautet nun, daß auch sie nach und nach sein Menschsein zerstören – womit ich nicht nur die Menschlichkeit, sondern auch Hoffnung, Mut, Poesie, Initiative meine, kurz, alles, was menschlich ist.“




Er sieht in dieser Art modischen Denkens einen Raubbau an der Substanz nicht nur des Denkens, sondern des menschlichen Seins überhaupt. Chesterton sieht den Menschen in einer Pflicht zur Glaubens- und Kulturanstrengung, wenn er denn sein Mensch-Sein bewahren und erkundend ausweiten will, denn:

„Definieren läßt sich der Mensch hingegen als Dogmen verfertigendes Tier. In dem Maß wie er Lehrsatz auf Lehrsatz und Schlußfolgerung auf Schlußfolgerung setzt, um die gewaltige Ordnung einer Philosophie oder Religion zu schaffen, wird er – in dem einzig legitimen Sinn, den das Wort haben kann – immer mehr zum Menschen. Läßt er als ausgefuchster Skeptiker eine Lehre nach der anderen fallen; lehnt er es ab, sich an ein System zu binden... erklärt er, er glaube nicht an Zweckbestimmung; sieht er sich in Gedanken als Gott, der selbst keinerlei Glauben hat, aber auf alle Religionen hinabblickt, - dann sinkt er nach und nach zurück in die Unentschiedenheit der streunenden Tiere und die Bewußtlosigkeit der Gräser. Bäume haben keine Dogmen. Rüben sind extrem weitherzig.“


nachgetragen am 24. Juni, wird fortgesetzt

2 Kommentare:

Walter A. Aue hat gesagt…

G. K. Chesterton:

Der Esel

Als flog der Fisch und schritt der Wald
und Feige wuchs am Dorn,
unter der blut'gen Mondsgestalt,
da wurde ich geborn.

Mit Monsterkopf und schrillem Ruf
und Ohren flügelgleich:
die Parodie der Teufel schuf
vom Tetrapodenreich.

Zerlumpt, geächtet rundherum
in falschem Volkes Joch;
Verlacht, verpeitscht mich: Ich bin dumm,
doch stumm verbleib ich noch.

Narr'n! Meine Stunde kam zuvor
mit hellem, holdem Gruß:
Hosannas barsten mir ins Ohr
und Palmen mir zu Fuß.

MartininBroda hat gesagt…

Es ist sehr verwerflich, daß ich hierauf nie geantwortet habe, aber wir sind alle nur Menschen; dies ist kein Entschuldigungsgesuch, nur eine resignierte (auch überraschte) Feststellung. Aber ich bitte um Entschuldigung natürlich, dennoch.