Sonntag, 7. Oktober 2012

Erntedank



Dieser tapfere kleine Boskoop-Baum hat, auch dank der letzten Stürme, schon erheblich an Äpfeln verloren, zur Freude von Vögeln und diversen Insekten. Einiges ist aber noch vorhanden und wird wohl in den nächsten Tagen auf dem Boden landen, um dort eingelagert zu werden.

Herr Roloff hat heute eine Predigt zum Erntedankfest gehalten, die ich nachfolgend anbringen werde. Sie ist recht eigentümlich, aber man lese selbst.




Predigt zum Erntedankfest

1 Tim 4,4-5

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

nur zwei kurze Verse sind uns heute zur Predigt aufgegeben, und doch umschließen  sie beinahe alles, was eine rechte religiöse, oder wie man es früher sagte, fromme Gesinnung im Kern ausmacht. Danksagung, Dank, Dankbarkeit sind das Thema dieses Tages. Lassen Sie uns einen Augenblick beim bloßen Wort verweilen. Dankbarkeit, Dank hängt überraschender Weise mit dem Wort „denken“ zusammen. Dank ist also viel mehr eine Form des Erkennens und des Ordnens solcher Erkenntnis als ein bloßes Reagieren auf Erfahrungen. Im Englischen wird dieser Zusammenklang beinahe noch deutlicher: think und thank sind die zwei maßgeblichen Begriffe. Dank kann also beschrieben werden als die vernünftige Haltung des Menschen, die er annimmt, wenn er in rechter Weise über seine Existenz, noch besser über die Existenz an sich nachdenkt.

„Denn alle Kreatur Gottes ist gut, und nichts ist verwerflich, das mit Danksagung empfangen wird;“

Mit Kreatur sind in diesem Zusammenhang keineswegs nur Tiere und Menschen gemeint. Zur Kreatur, dass heißt zur Erschaffung Gottes, zählt alles, was uns umgibt, die Pflanzen, die Berge, die Seen, das Wasser, unsere Welt und das ganze Universum – eben alles, was ist. Alles, was ist, ist Hervorbringung Gottes und dadurch auch gut.

Das heißt in der Konsequenz zunächst, dass die Alternative nicht darin zu suchen ist, ob Dinge so oder so sind. Die entscheidende Alternative besagt, dass Dinge sind oder nicht sind!!!

Die Alternative zur Schöpfung wäre der Fortbestand des Nichts gewesen, wäre die Herrschaft der Leere. Kein Wort kann eigentlich fassen, was das bedeuten würde. Hier erkennen wir ganz klar, dass alle unsere Vorstellungen an das Vorhandensein der Dinge gebunden sind. Der Mensch kann sich nicht außerhalb der Schöpfung stellen – nicht einmal im Gedanken, weil ja auch jeder seiner Gedanken die Schöpfung zwingend voraussetzt. Will man das noch einmal zusammenfassen, dann kann man sagen, der Mensch kann denken und sein lediglich in dem, was ist, und sein sinnhaftes Denken in dem was ist, ist der Dank. Undank ist dann in gewisser Weise eine Rebellion gegen die Vernunft.

Gleiches gilt im Grunde auch für das Leben. Jemand hat einmal gesagt, man müsse das Leben mehr lieben als seinen Sinn. Das Leben selbst ist der höchste Ausdruck für die schöpferischen Mächte, von denen wir umgeben sind. Auch hier stehen die Alternativen nicht darin, dass man so oder so leben sollte oder leben will. Die entscheidende Alternative zum Leben ist der Tod. Auch die daraus erwachsende Haltung wiederum ist die Dankbarkeit für das Leben an sich, die sich in dem Satz, man muss das Leben mehr lieben als seinen Sinn, schön ausdrückt.

Nimmt man diesen Zusammenhang ernst, dann lässt sich sagen, dass der Undank eben nicht nur eine Ungehörigkeit ist, sondern mit ihm zieht sogar schleichend der Tod ins Dasein ein. Schleichend zersetzt der Tod dann das Verhältnis zwischen Gott und seiner Schöpfung, zwischen dem Menschen und seinem Schöpfer, denn im Dank des Menschen an seinen Gott drückt sich sichtbar das rechte Verhältnis zwischen Gott und Schöpfung aus.

Vielleicht ist allein das die tiefste und wesentliche Bestimmung des Menschen, dass er den Dank vor Gott bringe. Die katholische Messe – Eucharistie – Danksagung genannt, hat viel von dieser Vorstellung bewahrt. Die Bestimmung des Menschen ist der stellvertretend für die ganze Schöpfung gefeierte Dankgottesdienst. Plötzlich, indem wir das sagen und begreifen, wird klar, dass der Gottesdienst keineswegs nur dieses regelgerechte liturgische Feiern ist, das wir in unseren Kirchen vollziehen. Jede Handlung des Lebens, das Essen und Trinken vor allem, jeder Weg, den wir gehen, alles was wir lernen, jeder Mensch den wir lieben, kurz überall, wo wir mit Dank empfangen, da wird unser Leben zum Gottesdienst, und da wird es gut. Der Dank soll gleichsam der entscheidende Kompass für unser Leben sein.

Das hat dann zur Konsequenz, dass sich die Frage nach dem Sinn des Lebens einzig auf der Grundlage der bedingungslosen Bejahung des Lebens überhaupt erst stellen lässt.

Darum ist es so bedrückend und unheilvoll, dass die gegenteiligen Diskussionen die Zeit scheinbar bestimmen. Wer sich noch erinnert, mit welchem Eifer vor 20 Jahren die Diskussion über den Schwangerschaftsabbruch geführt wurde, oder wie gegenwärtig immer wieder der Ruf nach Sterbehilfe laut wird, der kann sich oft des Eindrucks nicht erwehren, dass es gar nicht darum geht, Menschen in Not zu helfen, sondern ausschließlich darum, Macht über das Leben zu gewinnen.

Macht über das Leben aber steht uns Menschen nicht zu, weder über das eigene und schon gar nicht über das anderer Menschen. Es ist und bleibt ein bedrückender Skandal, dass es sich unsere moderne so aufgeklärt gebende Gesellschaft leistet, die Tötung von Menschen ausgerechnet dann zuzulassen, wenn diese am schutzlosesten sind, nämlich ungeboren.

Alle unsere Ordnungen auch und gerade die des Rechts müssen durchdrungen sein von der Liebe zum Leben und von seiner Bewahrung.

„Denn alle Kreatur Gottes ist gut, und nichts ist verwerflich, das mit Danksagung empfangen wird;“

Die hieraus erwachsende Kultur des Dankes kann unsere Gemeinschaft hier aber auch unser gesamtes Gemeinwesen jeden Tag neu befestigen und begründen. Sie ist natürlich in wesentlichen Teilen dem Lebenszyklus des Landwirts abgelauscht, der für unsere Landschaften über Jahrhunderte maßgeblich gewesen ist. Der Bauer hat immer gewusst, dass bei allem eigenen Fleiß Wachstum und Gedeihen, das Gelingen des Lebens, nicht in seine Hand gelegt sind, sondern er sie nur jedes Jahr wieder mit Danksagung empfangen kann. Darum ruft die Kirche alle Menschen in diese Dankbarkeit hinein. Folgt doch alle dem Beispiel des braven Landmanns, der demütig wird beim Erwachen des Frühlings, der fleißig erntet im Sommer und im Herbst und der im Winter dankbar verzehrt, was er gesammelt hat, und der gerne gibt. Verzehrt werden muss natürlich auch in den anderen Jahreszeiten, aber die rhetorische Folge ließ es mich heute einmal so darstellen.

Lasst Ihr alle Euer Leben und Euer Tun heiligen durch das Wort Gottes und durch das Gebet.

Amen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unserem Herrn.

Amen.
Thomas Roloff



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